Die unermüdliche Nicola Neumann von Noblewine München ist die wackerste Streiterin für den Winzerchampagner in Deutschland, gleichsam ein Winzerchampagnerinformations- und Lieferbüro in einem. Daher ist sie auch berufen, eine Veranstaltung wie die Caractères & Terroirs de Champagne auf die Beine zu stellen, in bedeutungsschwerer Anlehnung an mehr oder weniger lose, bzw. eng geknüpfte Winzervereinigungen der Champagne (Origines Champagne, Terres et Vins de Champagne, Artisans de Champagne und Terroirs & Talents de Champagne, die sich aber umbenannt haben in Les Mains du Terroir de Champagne). Deren frühjährliche Verkostungen sind Pflichtveranstaltungen für jeden, der sich mit der Materie tiefer auseinanderzusetzen gewillt ist. Außerhalb Frankreichs sind derartige Verkostungen selten. Deshalb und weil es einfach längst überfällig war, gibt es seit diesem Jahr die Caractères & Terroirs de Champagne. Im hippen Berlin gibt es zur Zeit kaum einen hipperen Platz für eine solche Veranstaltung, als die Cordobar der – natürlich – Österreicher Gerhard Retter und Willi Schlögl. Dort bot sich am Vorabend der Falstaff Champagnergala die Gelegenheit, drei angesagten Winzern ins Angesicht und Glas zu schauen.

Alle drei Winzer sind mehr oder weniger alte Bekannte:

A. Eric Rodez

Über eric Rodez muss man nicht mehr ernstlich viel schreiben, der Mann ist eine feste Größe und das wissen alle, die mit ihm zu tun haben, das weiß er selbst und damit gut. Interessant ist, dass seine Champagner das auch zu wissen scheinen, denn sie strahlen so etwas wie ein eigenes Selbstbewusstsein aus, vielleicht stehen sie auf der selben Intelligenzstufe, wie mancher Meeressäuger.

1. Cuvée des Crayères

50PN 50CH, 2009er Basis, Stahl und Holz (20%) Ausbau, weitgehender Verzicht auf BSA, mit 5 g/l dosiert

Wie eine mit Süßholzsud lackierte Gourmandise aus dem gleichnamigen Zweisterneschuppen in der Champagne glänzt der Champagner das Auge an und ist im Restaurant Les Crayères deshalb ganz selbstverständlich und mit dem allerbestem Grund zu ordern.  

2. Blanc de Noirs

100PN, Basisweine stammem mit Basis 2007 und den vier Vorgängerjahren in Reserve. 

Die Weichenstellung findet hier statt: Pinot Noir bedeutet bei Rodez nicht besinnungsloses Frönen in Divenhaftigkeit, Weichheit und Verführungskunst, sondern innere Disziplin, die nicht in Strenge ausartet, sondern das Naturell adelt, wenngleich die verbindliche Art des Champagners gegen Ende etwas abgehackt wirkt.

3. Cuvée des Grands Vintages

Réserve perpetuelle von ca. 30CH und 70PN im Holzfass, kein BSA, 5 g/l Dosage

Yogi Rodez hat die tückischen Jahrgangsschlangen 1992, 1993, 1996, 2000, 2001 hier meisterlich im Griff, an keiner Stelle tanzt etwa eine aus der Reihe, nichts wirkt hier ältlich, unpassend oxidativ oder gar unfrisch. Im gegenteil, die Cuvée des Grands Vintages ist eine Emergenzcuvée reinsten Wassers, die teils arg schwierigen Jahrgänge bilden mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Die jüngsten Jahrgänge haben da sicher ihr bestes dazugetan und stehen als Garanten für eine sich munter über viele Jahre unter dem wachsamen Auge von Eric Rodez weiterschlängelnde Karawane. Pfiffig, erfrischend und beinahe limonadig ist das aktuelle Dégorgement.

4. Empreinte de Terroir Chardonnay 2003

Ausbau im dreifach belegten kleinen Eichenfässern, kein BSA, ohne Klärung, Schönung, Filtration. 

Bitteschön, das ist der Beweis, dass 2003 in der Champagne geht und ein Arschjahr ist, aber eins, das entzückende Stellen aufzuweisen hat. Beim Dom Pérignon findet man sie im Magnumformat, bei Bollinger leider gar nicht, bei Philipponnat findet man sie ziemlich mühelos und bei Rodez zeigen sie sich als Empreinte. Erzrassig und hochgradig feminin, von völlig eigenständiger Art und sich ihrer Wirkung bewusst, daneben sieht die blutjunge und schon so verdorbene Tochter der verrückten Voodoopriesterin aus wie ein verzogenes Internatsgör oder Larissa Marolt.   

5. Empreinte de Terroir Pinot Noir 2003

Beim Pinot Noir etwas wesentlich anderes. Glatter, saumloser Champagner, der in nichts ungezogen wirkt und dennoch keine Langeweile aufkommen lässt. Warum? Weil man ja weiß, wie die Schwester ist und ahnt, bzw. vermutet, dass unter der Pinothaube der gleiche blutüberkochende Mix steckt? Nein. Sondern weil der Champagner eine natürliche Größe hat, die ebenso imponiert, wie Fruchtbarkeitsgöttinnen auf Steinzeitmenschen gewirkt haben. Man hat den Champagner im Glas und versteht sofort, dass das etwas Größeres ist, das sich organoleptisch nicht greifen und mit dem unvollkommenen Sprachinventar nicht fassen lässt. Großer Champagner eben. 

B. Henri Billiot

Gute 5 ha hat Madame Billiot, wie Eric in Ambonnay Grand Cru, und der größte Teil davon ist natürlich mit Pinot Noir bestockt. Malo gibts keine, dafür eine etwas reichlicher bemessene Dosage.

1. Brut Tradition Grand Cru NV

Bei konsistenten Erzeugern kann man an der Standardcuvée ablesen, wo die Reise hingehen soll, was der Stil des Hauses ist und wo der Kellermeister seine Schwerpunkte, Stärken und Schwächen hat. Beim Brut Tradition aus dem Hause Billiot ist das nicht anders. Der Champagner ist immerhin schon auf Eingangsniveau Grand Cru und steht in der Hierarchie formal zwei Stufen über dem, was sonst am Markt ist. Auf dieser Ebene ist er körperreich und fleischig, aber nicht schwabbelig, hat eine feine, feminin-süße Art und wirkt ausgesprochen fraulich.

2. Brut Grand Cru Mill. 2005

Rassiger und flotter ist der schon nicht mehr ganz aktuelle Jahrgang, aber man erkennt das Weib wieder, das sich schon im Tradition so offenherzig gezeigt hat.

3. Brut Grand Cru Mill. 2007, dég. Nov. 2013

Noch schlanker, frischer und regelrecht verjüngt ist der aktuelle Jahrgang, der wie der 2005er gemeinhin noch nicht einmal als besonders gut gilt. Ein schöner Mehrwert ist die leichte, keineswegs billig wirkende Candynote, die sich mit der Zeit noch zu einer ausgewachsenen Karamelligkeit auswachsen will, wie mir scheint.  

4. Cuvée Julie NV

50CH 50PN, Basis 2006, Fassausbau

Als Abschluss gab es die Tochterehrencuvée. So wie Laetitias Vater seine Spitzencuvée nach eben der heute an der Spitze des Hauses stehenden Laetitia benannt hat, hat sie ihrem Töchterlein Julie ein eigenes Champagnerdenkmal gesetzt. Der Champagner ist in der Verjüngungsreihenfolge tatsächlich auch der jugendlichste, unbelastetste Champagner, heiter, selbstbewusst und mit funkelnden Äuglein. 

C. Bérèche

Über Rafael Bérèche habe ich schon verschiedentlich Gutes gesagt, wer mag, kann sich bequem dazu belesen. Viel Neues gibt es, trotz des laufenden Fortschritts am Weingut und des ständig modifizierten Portfolios nicht zu vermelden. Die Biodynamie hält ihren schrittweisen Einzug, Fässlein von Burgunderliebling Pierr-Yves Collin leisten artig ihre Dienste, die zweite Gärung findet noch immer unter Korken statt, die Resultate sind nach wie vor berückend.

1. Brut Réserve, dég. Juli 2013

Drittelmix, Basis 2011, Spontangärung, Ausbau in Stahl und Holz, spontan vergoren, mit 7 g/l dosiert

Als Extra Brut gefällt mir der Eingangschampagner von Bérèche besser, da ist er flummihafter und dynamischer, während er mit immerhin 7 g Dosagezucker wie eine Flipperkugel in Zeitlupe wirkt. Die crèmige Textur und das sahnig-eingängige des Champagners bewirken sogar noch eine weitere Verlangsamung. Für größeres Publikum aber sicher ok und ein schöner Scharfmacher.  

2. Vallée de la Marne Rive Gauche, dég. Dezember 2012

100PM aus einer 1969 gepflanzten Parzelle (Les Misy), 2009er Jahrgang, Fassvinifikation (300 und 600 Liter) ohne Batonnage und Filtration, 3g/l Dosage

Erstmal Kartoffelnase und wenig einladende Nasencharakteristik insgesamt, von ungarischem Temperament, frivoler Exotik, wie sie noch dem Opa vorgeschwebt hat, keine Spur – seltsam, bei einem Meunier, der doch als Rebsorte so schon mit nichts prunken kann, von seiner bei Tageslicht betrachtet vordergründigen Exotik vielleicht mal abgesehen. Doch im Mund kommt der Wirbelwind auf, da macht sich die junge Marika Rökk breit und steppt über die Zunge. Winzerige Fassaromatik und die gesammelte Wucht jugendlichen Winzertalents, wie sein Vater es nie auf die Flasche gebracht hat. Anzumerken ist nur, dass Rafael sich mit dem gedanken trägt, die unverschämte Spritzigkeit dieses reinsortigen Champagners künftig, wenn alles danach ist, mit Chardonnay zu ergänzen, der zudem noch entschleunigend wirken soll. Ich weiß, was er meint, doch höre ich schon die ersten Dogmatiker und Vereinfacher heulen, er möge bloß bei seiner Reinsortigkeit bleiben. Na, wir werden sehen.   

3. Le Cran 2006, dég. Januar 2013

50PN 50CH, aus Ludes PC, spontan vergoren, ohne BSA, danach Fassausbau (228 und 500 Liter), mit 3 g/l dosiert

Gesetzter und öliger als der flotte 2004er, mehr big booty als der 2005er und am Ende mit einer überraschenden Betthupferlsüße, die ich beim Le Cran noch gar nicht kannte. Ein weiniges Schwergewicht war er schon immer, diesen Status unterstreicht er mit dem jetzigen Auftritt. 

4. Reflet d'Antan, dég. November 2012 

Drittelmix, Vinifikation und Ausbau im Stahltank, danach Unterbringung im Holzfass (600l), "Solera" (1985) 1990 – 2008, mit 6 g/l dosiert

Für mich immer schon einer der stärksten Weine von Rafael Bérèche, zusammen mit dem viel zu selten getrunkenen Beaux Regards, dessen 1902 gepflanzte Chardonnayreben der Massenselektion dienen. Der Reflet d'Antan ist gegenüber dem vorwärtstobenden Beaux Regards beschaulicher, ein rückwärts schauender Betrachter, was von der réserve perpetuelle kommt, die ihm mit dem Sauerstoffeintrag, der Oxidation und dem fortwirkenden Erbe vergangener Jahrgänge ein Gefühl für das Zeitliche geben mag. Weich ist er, dieser Zeithüter, komplex und so wie alle in diesem Verfahren entstandenen Champagner für eingefleischte Champagnertrinker eine Herausforderung; denn je länger und tiefer man sich in die Welt der ultratrockenen Individualchampagner eintrinkt, desto größer ist die Überraschung, auf ein so ungewohnt weiches Produkt zu treffen, das blind schnell mit dem Verdikt Grosshausbrause, aber sehr gut gemacht, abgestraft werden kann. 

5. Côte

62 Monate auf der Hefe. Premier Cru sélectionné de 3500 bouteilles. Mehr weiß ich darüber auch nicht. Außer dass es ein Champagner ist, der eine Art Ausgleich zwischen dem stürmischen Beaux regards und dem beständigen Cran bedeuten könnte. Dort passt er jedenfalls meiner Meinung nach gut hin.