Wer Bonn kennt, weiss, dass es dort beschaulich zugeht. Hotelmäßig dominiert unter den größeren Häusern die Günnewig-Gruppe das Bild, das ehemalige Bundesgästehaus auf dem Petersberg ist in Steigenberger-Hand und Maritim-Hotels gibt es auch. An Sternerestaurants wird in Bonn traditionell gespart, einzig Rainer-Maria Halbedel hält die Michelinfahne hoch. Wer sternemäßig gut essen gehen will in Bonn, verlässt am besten die Stadt. Freilich: auch jenseits der Restaurantführer ist Leben, so rühmt der Bonner schon lange das Sassella in Kessenich oder bestellt seinen Fisch im Petit Poisson, der Veränderung war man, scheint's abhold.
Mit der Eröffnung des Kameha Grand kam Ende 2009 doch noch frischer Wind ins Bundesstädtchen. Frech am Rheinbogen auf der anderen, der falschen Rheinseite errichtet, in Filetlage am Ufer, Telekom und Post-Tower in Griffweite, verstört das flughafenterminalähnliche Gebäude seitdem manche etablierten Gemüter. Schuld daran ist nicht nur die kontrastierend-neobarocke Inneneinrichtung von Marcel Wanders. Dessen bevorzugt verwendete überdimensionale Zwiebelmusteroptik durchzieht das gesamte Haus, von den Fussböden im Dome über Tapeten, Dekowände und alles, was sich irgendwie 'branden' lässt, ja selbst die vom Zimmerservice in meinem Zimmer freundlicherweise hinterlegte, leider schon sehr abgegriffen wirkende Kondomschachtel passte sich ins Design ein. Abgesehen davon ist für die Konkurrenz natürlich ärgerlich, dass das Kameha Grand bereits jetzt den Titel als Hotel des Jahres 2011 für sich erringen konnte. Auch der MIPIM Award 2010 für Hotels ging als einer der bedeutendsten brancheninternen Design- und Architekturpreise an das neue Haus. Hinzu kommt noch, dass die Telekom sich als einer der großen Kooperationspartner des Hotels überaus präsent gibt und eine ganze Reihe weiterer Kooperationen verspricht ebenso stetigen Besucherstrom.
Der Haus-Champagner des Kameha Grand in Bonn stammt von Piper-Heidsieck aus Reims. Dieser Erzeuger wurde hart von der Wirtschaftskrise getroffen und musste zuletzt ein Viertel seiner Mitarbeiter entlassen. Von denen, die verschont blieben, sind zwei besonders wichtig. Kellertalent Regis Camus (Sparkling Wine Maker of the Year 2004, 2007, 2008, 2009) und International House Communications Director Christian Holthausen. Regis Camus ist seit 2002 der Nachfolger des viel zu früh verstorbenen Daniel Thibault, der damals schon die önologischen Geschicke von zwei Champagnermarken, Charles Heidsieck und Piper-Heidsieck, in den Händen hielt. Regis Camus hat dieses Erbe angenommen und eines seiner größten Verdienste liegt darin, die beiden Marken so kontinuierlich nebeneinander fortzuführen, dass jede ihren Charakter behält und der anderen nicht in die Quere kommt. Nachdem ich erst jüngst von einer Charles Heidsieck Mis en Cave 2000 Magnum zum wiederholten Male sehr freundlich für das Haus eingenommen wurde, war ich auf die Vorstellung des Schwesterhauses sehr gespannt. Kameha-Chefkoch Jörg Stricker, der das Menu zu verantworten hatte und einen sehr souveränen, dabei gelassenen Eindruck machte, stellte zusammen mit Christian Holthausen, dem deutschstämmigen, aber nicht deutschsprachigen Kommunikationsdirektor aus New York die Paarungen des Abends vor.
I. Apéritif
dazu: Cuvée Brut, mit 80% 2006er Basis, davon 55PN 25PM 20CH, min. 28 Monate Hefelager und neun Monate Ruhe nach dem Dégorgement
Der Champagner ist ein Standardbrut, der erkennbar von einem großen Haus kommt. Christian Holthausen, mit dem ich einige Geschmacksvorlieben teile, teilte dazu mit, dass der Brut mit 9 g/l Dosagezucker auskommt, was für ein großes Haus bescheiden ist. Daher verwundert es eigentlich auch, dass Piper-Heidsieck einen so großen Kundenstamm im Massenmarkt hat. Denn der herbe, gar nicht übertrieben fruchtige Stil dürfte nur eine Minderheit unter den typischen Champagnerkunden ansprechen. Mir hat er ganz gut gefallen, wenngleich ihm etwas Säure gefehlt haben mag und große Komplexität nicht aufkommen mochte. Dennoch: für ein großes Haus ist der leicht räucherige und von frischem Baguette geprägte Stil untypisch und verleiht ihm Wiedererkennungswert.
Die Apéro-Kleinigkeiten kamen als flying buffet. Es gab unter anderem Entenleberpraline, weiße Schokolade, Szechuan Mango, Lachswürfel, Avocadotartar, marinierten Ziegenkäse, Hummertartar, Kaiserschotencrème und Kokosschaum. Zur Entenleber passte der Champagner besser, als zur weißen Schokolade, das schmelzige Fett der Entenleber war ideal zu den frischen Baguettenoten. Die Kombination mit der Szechuanmango wurde von deren pikanter Würze gerettet . Solo hätte die Mango den säurearmen Champagner an die Wand gedrückt, mit der schwerpunktverschiebenden Szechuanwürze fiel das nicht so sehr auf. Zum Lachswürfel und zum Avocadotartar gab es keine Kritikpunkte, zum marinierten Ziegenkäse war der Champagner dann sehr stark. Das verdankte er wieder seiner Baguetteeigenschaft und seinen durchklingenden Honignoten. Hummertartar und Kaiserschotencrème waren ausgezeichnete Begleiter, der Kokosschaum passte auch gut, wirkte aber etwas plakativ.
II. Sashimi und Sushi
dazu: Cuvée Brut
Dass Champagner zu Sashimi und Sushi passt, ist reichlich bekannt und denkbar risikoarm, sollte man meinen. Das stimmt aber nicht ganz, denn Sesam, Kaviar, Sojasauce und Wasabi sind aromatische Sprengsätze, die es geschickt zu händeln gilt. Der Brut von Piper-Heidsieck war auf Deeskalation eingestellt, die milde und zurückhaltende Säure um jeden Preis auf Krawallvermeidung getrimmt. Ein Konzept, das sich auszahlen sollte und selbst dem Wasabi-Klotz von der Größe eines Mensch-ärgere-dich-nicht-Würfels nicht in die Quere kam.
III. Himmel & Äd von der Jakobsmuschel, Kartoffel-Pringles, Apfelair, Schmorschalotten und Endiviensalat
dazu: Rosé Sauvage, 45PN 40PM 15CH, entsteht seit dem relaunch 2004 mit 25% Stillweinzugabe und 9 g/l Dosagezucker
Der Rosé Sauvage und der Brut Sauvage sind eigentlich Reminiszenzen an die Zeit, als Piper-Heidsieck Champagner noch ohne biologischen Säureabbau entstanden und in der Jugend besonders unzugänglich waren. Heute ist das anders, der Stil ist fruchtiger und frühreifer. Leider schwankt die Qualität des Rosé Sauvage für meinen Geschmack zu stark. Mal sind diese Champagner in der Jugend sensationell, leichtfüßig, fruchtig und fein, mal schmecken sie plump und schwer. Ihr Reifepotential haben sie aber scheinbar in beiden Varianten eingebüßt, denn einige Flaschen, die ich mir nach dem relaunch 2004 voller Begeisterung hingelegt hatte, sind jetzt nur noch müde. Auch die Flaschen im Kameha konnten nicht überzeugen. Einfache, dominierende Kirschfrucht und im wesentlichen war es das auch schon. Ein leichter Rotsekt aus Alicante Bouschet, Cabernet Franc oder Grenache könnte ähnlich schmecken.
Unter diesen Bedingungen anzutreten, war für die Jakobsmuschel nicht leicht. Unterstüzung kam nicht von den Schmorschalotten, auch nicht vom Endiviensalat und von Äpfeln und Kartoffeln wäre sowieso keine Hilfe zu erwarten gewesen. So musste sich die aromatisch fein komponierte Speise dem rohen, übermächtigen Druck des Champagners unterwerfen.
IV. Kartoffel-Lauch-Ravioli in Lardo gebraten, Avocadocrème, Steinpilze, Kalbsbries und Lakritzjus
dazu: Rare Vintage 1998 en Magnum, 77CH 23 PN
Der einzige Rare, der in Magnums hergestellt wird – und zwar ausschliesslich. Eine richtige und gute Entscheidung, wie ich vorwegnehmen darf. Denn der 98er ist dem 99er an Frische klar überlegen. Eine Mischung aus Jod, Honig, Mandeln, Hefe und Malzbrot, einige gebackene und einige fleischige, wohl vom Schwefel herrührende Aromen, die aber nicht stören und mit Luft verschwinden, bilden den Grundton. Darüber wabern ätherische Öle, Mandarine, Nektarine, Bockshornklee, Orangenblüte und Lime Juice. Ein softer, schwebender Champagner und eine Prestige-Cuvée von der ich hoffe, dass sie mit den Stärken der Jahrgänge 2002 und 2004 noch einmal an Finesse gewinnt. Denn um die Rare-Reihe war es viel zu lange viel zu ruhig.
Eine rundum gelungene Paarung ergab sich mit den Ravioli, sehr geschickt war die Kombination von Lardo, Steinpilzen, Bries und Lakritzjus. Ich weiss nicht, ob ich bedauern soll, dass der Champagner selbst noch nicht genau diese Noten als Reifetöne entwickelt hatte, oder ob es sich dann nicht zu sehr geballt hätte. So fand der Champagner in den Speisen ein adäquates Echo aus seiner eigenen Zukunft, was man auch nicht oft erlebt.
V. Sorbet von marokkanischer Minze, Süßkraut und Limette
dazu: weiterhin Rare 1998
Minze und Süßkraut verhielten sich unaufgeregt zum Champagner, die Limette gab sich etwas aufrührerisch, stiess aber beim Champagner auf keinerlei Säurewiderstand.
VI. Coq au Vin, Pommes Pont-Neuf, Arganöl und geeiste Gänseleberflocken
dazu: Rare Vintage 1999
Auch dieser Rare ist mit dem Goldschmuck des Pariser Goldschmieds Arthus-Bertrand versehen und setzt sich wie der 98er zusammen. Doch ist er wesentlich schwächer, als sein in der Magnum ausgeschenkter Vorgänger. Nicht nur, dass ihm Finesse und Frische fehlen, auch die Aromatik kommt nicht ganz mit. Klar, er ist saftig, mit wildem Pfirsich, Mangopurée, Aprikosennektar und einem Schuss Grapefruit. Aber: es fehlt der Unterbau. Wo beim 98er Mandeln, brotige und sehr strukturierte Aromen kenntlich wurden, ist beim 99er nur diffus vernebeltes Säuregerüst. Sicher ein guter Champagner, aber kein ganz großer Wurf.
Entschädigt wurde ich durch den Hähnchenschlegel und die gestifteten Äpfel, weniger begeistern konnte ich mich für die geeisten Gänseleberflocken, die nicht nur sehr schnell ihren geeisten Charakter einbüßten, sondern im selben Augenblick auch ihr Aroma, so kam es mir jedenfalls vor. Der Champagner umfloss den Hähnchenschenkel und schien mit dessen angenehmer Konsistenz eins werden zu wollen. Von den Apfelstiften wurde diese Vermählung vorzüglich unterstützt.
VII. Dessertauswahl
dazu: Cuvée Sublime
Mit 35 g/l Dosagezucker muss man schon sehr vorsichtig arbeiten, wenn man nicht Gefahr laufen will, eine ermüdende Zuckerbombe im Mund platzen zu lassen. Regis Camus weiss das natürlich selber gut genug und gibt sich alle erdenkliche Mühe, dem gerecht zu werden. Mit Erfolg. Der Sublime gehört zusammen mit dem 98er Rare zu den Gewinnern des Abends. Ausgewogen, nicht zu süß, sondern mit einem für Piper-Heidsieck schon mutig wirkendem Säuregerüst, weinig, sauber und lang.
Die Dessertauswahl bestand aus Kirsch-Ingwer-Jelly, Mon-Chéri-Lolly, Mascarpone-Kirsch-Eis und verschiedenen Maccarons, darunter Zitrone-Thymian, Pistazie mit weißer Schokolade und Matcha-Tee. Die Kirscharomen waren genau das, was dieser Champagner am besten gebrauchen konnte, tiefe, dunkle, rote, sinnliche Aromen in nicht zu großen Happen. Beim Kirsch-Eis wurde es etwas schwierig, weil die Süßeverhältnisse sich zu Lasten des Champagners verlagerten. Die Maccarons waren mir etwas zu dick geraten und litten unter erhöhter Luftfeuchtigkeit oder sonstwas, jedenfalls krachten sie nicht beim reinbeissen. Am besten schmeckte mir der Zitrone-Thymian Maccaron zum Sublime, aber auch die anderen beiden konnten gefallen.
Abschließend gab es für diejenigen die wollten Champagner aus dem von Christian Louboutin gestalteten Glas High-Heel. Der liegt sehr gut in der Hand, wenn man ihn an der Fläche zwischen Absatz und Fussballen nimmt. Trinkt man daraus, kann man mit der anderen Hand die Fussspitze unterstützen nach oben drücken, man muss sowieso den Kopf weit in den Nacken legen, um jeden Tropfen aus dem Schuh heraus zu holen. Ein Nachteil des Schuh ist die geringe Füllmenge, man kann nämlich praktisch nur den Zehenbereich füllen. Ein Vorteil des Schuhs ist die ergonomisch gestaltete Fersenpartie, jedenfalls für meinen Mund ist die sich dort ergebende Trinkkante optimal.