Champagnerproben sind wie alle Weinproben immer nur eine Momentaufnahme und ein winziger Einblick in den jeweiligen Produktkosmos, individuelle Entwicklungen einzelner Champagner und das Probenerlebnis an sich verbieten eine Verallgemeinerung noch mehr, als Verallgemeinerungen in jeglichem Diskurs ohnehin schon verboten gehören. Trotzdem leitet man doch immer irgendetwas für sich ab, und sei es ein noch so subjektiver Eindruck, dem man im Rahmen einer Laborversuchsstrenge des Probenablaufs das Mäntelchen der Objektivität umzuhängen versucht. Ich habe keine Lösung für dieses vielleicht auch gar nicht so bedeutsame Problem, wenn es denn überhaupt eins ist – was ich wiederum mit ziemlicher Bestimmtheit glaube. Und was ich bei Proben mache, ist deshalb eine mehr oder weniger didaktisch sinnvolle Zusammenstellung der Flightpartner. Nicht so sehr unter streng önologischen Gesichtspunkten, sondern als kleines Motto und Hilfe zum Sinnieren:
Opener
Nicolas Feuillatte Millésime 2000 Magnum
Die Jahrgangschampagner von Nicolas Feuillattet, zumal aus der Magnum, sind ein erdrutschartiger Einstieg in die Materie, man wird sofort beim ersten Schluck vom Thema erfasst und aufgesogen, der Kopf fühlt sich nach ganz gleich welcher noch so hochkarätigen Beanspruchung resettet und bereit für Neues.
Ortslagenvergleich
1. Pierre Baillette Coeur de Craie Rilly La Montagne PC
2. Pierre Baillette Coeur de Craie Trois Puits PC
Die beiden Champagner stammen von Lagen wirklich in Griffweite voneinander entfernt und sind einander so ähnlich und unähnlich zugleich, wie es nur geht. Das finde ich immer wieder ziemlich beeindruckend und das klappt auch nicht mit jedem Ortslagenpaar.
Meunier
1. Godmé Les Romains 100% Meunier
2. Benoît Déhu La Rue des Noyers 100% Meunier
3. Benoît Déhu La Pythie 100% Meunier „Single Barrel“
Reinsortige Meuniers gibts mittlerweile zuhauf, viele davon sind nicht besonders gut und bilden nur mäßig das Rebsortenprofil ab, ein bisschen wie Grüner Sylvaner aus Rheinhessen in den 90ern, vermute ich. Nichts also, was man um jeden Preis getrunken haben muss. Wenn aber von Godmé, der erwiesenermaßen mit Wein umgehen und viel aus ihm rausholen kann, ein Meunier zu probieren ist, dann sollte man das tun. Im Vergleich mit den beiden Meuniers aus der Rue des Noyers Serie von Benoit Dehu, der gefühlt praktisch sowieso nichts anderes mehr macht, als diese Linie weiter auf- und auszubauen, ist das erst recht erkenntnisleitend.
Chardonnay von Nord nach Süd
1. Vadin-Plateau Ovalie
2. Diebolt-Vallois Millésime 2002 Collection
3. Jacques Lassaigne Le Cotet Magnum
Chardonnay gedeiht fast überall und bringt fast immer zumindest akzeptable Resultate, das ist sein Fluch und Segen, nicht, so wiederhole ich ein ums andere Mal, ist schlimmer als ein durchschnittlicher Blanc de Blancs. Exemplare aufzustöbern, die intensivere Beschäftigung lohnen wird dadurch zu einer schwierigen Daueraufgabe. Mit dem Betoneichampagne von Yann Vadin, dem großen Cramantchardonnay von Meister Diebolt und dem Montrachet der Champagne habe ich es mir dabei leicht gemacht, aber die drei nebeneinander zu trinken, ist eben wirklich interessant und zur Nachahmung empfohlen.
Jahrgangsvergleich 2006
1. David Leclapart Apôtre 2006
2. Marguet Sapience 2006 Oenothèque
Same, same, but different ist es mit Leclapart und Marguet/Jestin.David Leclapart fungiert als Traubenzuträger für die Sapience und hat daher wie bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft eine besondere Verbindung zum jungen Spitzencuvée aus Ambonnay. Sein Apôtre und die Oenothekenversion der Sapience nebeneinander sind kein Traumduo, sondern vertragen sich wie Hund und Katze. Jeder für sich ist dagegen mehr als zutraulich und die Liebe selbst.
Reif und geil
1. Mathieu-Leboeuf Le Mesnil PC (wohl vor 1985)
2. Ay Grand Cru (vermutlich 80er Jahre)
3. Taittinger Collection Hans Hartung 1986
4. Perrier-Jouet Belle Epoque 1973
Wenn von Liebe die Rede ist, kann gereifter Champagner nicht weit weg sein. Gerade von kleineren Erzeugern bekommt man leider nur sehr selten mal etwas ordentlich Trinkbares in die Hände. Umso schöner, ist es dann, zu Schukungszwecken einen kleinen Vorrat von der einen oder anderen Cuvée anlegen zu können. Mit Mathieu-Leboeuf ist mir das gelungen, auf dem Etikett ist Le Mesnil auch noch als Premier Cru angegeben, der Champagner muss also aus der Zeit vor 1985 stammen. Bei Taittingers Collections-Flaschen kann man fast immer davon ausgehen, dass der Inhalt noch sehr in Ordnung ist, weil die Plastikhülle einfach einen sehr guten Lichtschutz darstellt. Bei ansonsten vernünftiger Lagerung kann dem Champagner also kaum etwas schlimmes passieren und so präsentiert er sich meistens in ziemlich würdiger Verfassung. Sehr reif zeigen sich mittlerweile dann doch schon die Champagner selbst großer Häuser aus den 70ern. Das muss man wirklich mögen, so wie ich.
Prestige Catfight
1. Pommery Louise 2004
2. Veuve Clicquot La Grande Dame 2004
Zwei Champagnerwitwen aufeinander loszulassen hat immer hohen UNterhaltungswert. Die beiden Adoleszenten liefern sich wahrscheinlich noch über viele Jahre einen sexy Schaukampf.
Shades of Rosé
1. Timothée Stroebel Logos d’Heraclite Rosé de Saignée
2. Marie-Courtin Allégeance Rosé de Maceration Sans Souffre
Rosé ist so vielfarbig, man glaubt es kaum. Von der bloßen Roséwelle Anfang der 2000er Jahre ist nämlich viel mehr zurückgeblieben als der fade Beigeschmack, Opfer einer großen Marketingkampagne geworden zu sein. Rosé hat sich, würde ich behaupten, feste Marktanteile gesichert, die er vorher nicht hatte und die nicht bei der nächsten Welle weg sind. Das ist schön, denn sonst gäbe es so mutige und aufregende Champagner wie diese beiden hier womöglich nicht.