Purple Brain, Düsseldorf. Zwischen Le Flair und REWE-Markt liegt die Konzeptbar Purple Brain von Andrew Holloway, den Düsseldorfern vor allem aus dem Weinhandel rotweiss bekannt. Andrew bietet dort vom Vegemitesandwich (auf speziellen Wunsch) bis zum Onkel-Bier allerlei köstliche Kleinigkeiten an, Champagner (gut und günstig: Nominé-Renard, bekannt und bewährt: Bollinger) natürlich sowieso. Und wo es Champagner gibt, zieht es mich wie durch Zauberkraft hin. Meist mit noch mehr Champagner im Gepäck. Denn zu probieren gibt es immer was und weil der Mensch nicht gern allein probiert, ist eine muntere Verkosterrunde schnell einberufen.
Als Opener habe ich den von mir so hoch geschätzten
Leclerc-Briant Brut Reserve en Magnum
mitgebracht, der auf der Zungenmitte immer etwas auszuufern droht, sich zum Ende hin wieder fängt, nicht zu hoch dosiert ist und trotzdem die breite Masse der Kunden im Blick hat, ohne die Biodynamiefraktion zu vergraulen, der er schließlich selbst entstammt. Schöner, starker, feinmürber Champagner, der an diesem Abend auch durch den Magnumeffekt lange als Maßstab herangezogen wurde.
Von
Champagne Florence Duchêne
habe ich die beiden Schwestercuvées Kalikasan und Dimangan nachgeführt. Die sind deshalb schön im Vergleich zu trinken, weil sie über denselben DNS-Code verfügen, nur dass der Dimangan etwas höher dosiert ist. "Kann ich nicht beurteilen, muss ich nackt sehen" zieht dann nicht. Bzw. eben gerade doch, denn die Kalikasan ist ja die Dimangan in nackt, eine richtige fruchtbare Naturgottheit, deren 3 Gramm Restzucker nicht alt Wampe oder Speckrollen zu qualifizieren sind, sondern als Mütterlichkeitsattribut.
Weg von der Mütterlichkeit, hin zum männlichen David Bourdaire von
Champagne Bourdaire-Gallois
der weit mehr als die zwei von mir mitgebrachten Champagner zu bieten hat, aber die beiden von mir für das Purple Brain ausgesuchten Champagner standen in einem gewissen inneren Probenzusammenhang zu Florences Babies. Von David hatte ich den Brut Tradition in seiner aktuellen und in seiner noch unveröffentlichten, resp. seit Ende Januar erhältlichen Fassung (reiner Meunier! Basis 2011, mit 4,5 g/l dosiert) mitgebracht. Die waren sich sehr ähnlich, erstaunlicherweise wirkte der jüngere von beiden trotz meiner Meinung nach ausreichender Ruhe nach dem Dégorgement fortgeschrittener und reifer, beide aber dennoch jung, knackig, ausgelassen und freundlich, was sich der Rebsorte verdankt, die ich praktisch gar nicht anders kenne.
Ein anderer Winzer ist bei
Champagne Maurice Grumier
für den Spaß im Glas verantwortlich: der junge Fabien Grumier. Dessen Jahrgang 2006 hatte elenderweise Kork, so dass nur der Ultra Brut zum probieren übrig blieb, der im direkten Vergleich mit
Champagne Lallier
kein leichtes Spiel, sondern einen ausgemacht schweren Stand hatte. Der Lallier, ein Haus, das man immer nicht so recht im Blick hat, was die charmante Vanessa Cherruau hoffentlich recht bald geändert haben wird, zog alle Register eines Erzeugers dieser Größe: Rondeur, Grandeur, Finesse, gekonnter Umgang mit Dosagelosigkeit, geschickte Zusammenstellung der Grundweine, die typischen Vorzüge eben. Nachteil: der Champagner wirkt nicht gesichtslos, aber verschwommener als die überscharf herausgeabreiteten Konturen der kleinen Winzerlein. Richtig überscharf im Sinne von fast schon wieder schartig gewetzt war der Ultra brut von Grumier freilich nicht. Nur eben das Gegenkonzept zum Lallier. Individuell, zugespitzter, härter, schwerer zugänglich, mit viel im Mund hin- und herspülen dann aber doch irgendwann so weit aufgeknackt, dass er freudige Erregung hervorrief.
Eine ganz andere Art von Champagner macht man in Bassuet, das ich bis vor kurzem noch nicht einmal grob in der Champagne hätte verorten können. Nun weiß ich, wo der Ort liegt und werde ihn häufiger ansteuern, den
Champagne Baffard-Ortillon
macht dort einen Blanc de Blancs Grande Réserve und einen Blanc de Blancs Cuvée Leone (eingepackt in ein orangefarbenes Schnürkorsett, wie eine Light-Version des Lackdingens, das Jean-Paul Gaultier einst dem Piper-Heidsieck Rare verpasst hat), die es beide in sich haben. Der Chardonnay lässt sich nur ganz schwer einer bestimmten region zuordnen, für Côte-des-Blancs boys ist das nichts. Zu leicht, zu flitterig, zu wenig Säure, keine Kreide. Auch in der Montagne oder im Sézannais würde man den nicht vermuten, aus der Côte des Bars vielleicht? Nein. Aus einem der zugigen seitentäler der Marne, wo sonst nur Meunier wächst? Iwo. Also: sehr leicht als Chardonnay zu erkennen, aber sehr schwer örtlich zuzuordnen. Sehr freidfertig, aber nicht von der dümmlich-harmlosen Art. Lohnt den zweiten und dritten Blick, bzw. Schluck, resp. Flasche. Oder Kiste.
Wieder ganz anders ist
Champagne Charlot-Tanneux
wo Vincent Charlot wirkt. Das ist einer der Winzer, die mir in jüngster Zeit mit am häufigsten empfohlen, nahegelgt und aufgedrängt wurden. La Fruit de ma Passion Extra-Brut (65PM 20PN 15CH aus den Lagen La Genette und Les Chapottes in Mardeuil, zusammen ca. 1.1 ha) und L'Extravagant "sans sulfites ajoute" Extra-Brut sind aufregende Weine, die viel Luft brauchen und sich dann dankbar entfalten. Vor allem gegen den Extravagant ist waffenfähiges Kokain ein armseliger Dreck. Sowas mitreißendes findet man selten, ähnlich habe ich glaube ich nur beim Parallelchampagner von Dominique Moreau empfunden. Der Fruit de ma Passion ist eine nicht unbedingt notwendige, aber sehr lehrreiche Stufe auf dem Weg dorthin. Er macht klar, wie Vincent Champagner verstanden wissen will, seinen eigenen zumindest. Entschiedenheit, Finesse und Sensibilität verdanken sich möglicherweise dem Boden hier, die Kreide findet sich am Fußabschnitt der Hügel, der überwiegende Teil ist Sand und eine ganze Menge Silex findet man ebenfalls. Leider gibt es nur sehr wenige Flaschen.
Getrunken wurden nicht nur Pärchen, einzelne Flaschen gab es auch.
Champagne Paul Déthune Blanc de Blancs
war im Kontext der ganzen niedrigdosierten Champagner doch sehr süß. Nicht schlecht, aber sehr süß.
Champagne Clément-Perseval Brut Premier Cru
war zum Beispiel so einer von den Champagnern, die dem Déthune das Leben schwer machten. Agil, wendig, facettenreich, wandlungsfähig, eine richtige kleine Korvette im Vergleich zum dicklicheren, brachialeren Déthune, der speckiger glänzte, rundlicher satter und sättigender war. Sehr viele Sympathien konnte
J.L. Vergnon Cuvée Eloquence Extra Brut
auf sich vereinigen, ein mit 3 g/l dosierter Blanc de Blancs (aus Avize, Oger und Le Mesnil), wie er im Buche steht. Der Artisan de Champagne gefällt mir jedes Jahr gut, vielleicht gerade weil er nicht dem plakativ-eloquenten Stil entspricht, der eher als redselig gelten kann, sondern weil bei ihm alles so schön abgewogen und bedacht ist.
Von meinen wenigen Flaschen, die ich aus dem Hause
Champagne Daniel Savart Cuvée l'Ouverture
habe, konnte ich guten Gewissens eine für die gute sache opfern. Und wie immer schmeckte mir der Overture saugut. Wie ein Antikörper an das Antigen andockt, belegt dieser "einfache" Savart aus 100PN bei mir alle Schaltzellen der Glückseligkeit. Das ließ sich nicht mehr steigern und so wich ich ganz zum Schluss auf den ewig zuverlässigen, aber viel leichteren, gelinderen
Champagne Nominé-Renard Brut en Magnum
aus, dem jede Form von Konkurrenzdenken fremd ist, der vielmehr ein vermittelndes Naturell hat und dabei seine Eigenständigkeit bewahrt wie ein Einigungsstellenvorsitzender im Arbeitsrechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.