Krugs Clos du Mesnil. Hochachtung, Respekt und ehrfurchtsvolle Scheu klingen durch, wenn von diesem Champagner die Rede ist. Der Clos du Mesnil ist selbst für Intensivtrinker und Sammler kaum bekanntes Terrain. Dabei ist er im Vergleich mit ähnlich hochkarätigen Stillweinen geradezu ein Billigheimer; besonders interessant: es gibt ihn noch nicht so sehr lange (unter Krug-Regie jedenfalls). Wer sich lange genug umsieht, hat eine ernsthafte Chance darauf, eine komplette Sammlung aller Jahrgänge zusammenzubekommen. Warum das eine gute Idee sein könnte? Weil das langlebiges Zeug ist, das selbst nach mehr als dreißig Jahren kaum Altersspuren zeigt. Dem lieben Alper Alpaslan ist es zu verdanken, dass unter anderem Richard Juhlin eigens aus Schweden und der sonst bekanntermaßen champagnerscheue Weinterminator überhaupt zum bewährten Berens am Kai kamen, um in ebenso konzentrierter wie gutgelaunter Runde alle bisher erschienenen Jahrgänge dieses Ausnahmechampagners durchzuprobieren. Selbst die raren ersten Jahrgänge konnte Alper auftreiben, wofür ihm einmal mehr Dank gebührt.
2003 war erwartungsgemäß reif, voll bis schwer, wirkte auf mich dadurch etwas lahm, wollte mit seiner gammeligen Erdbeeraromatik erst auch nicht richtig überzeugen, entwickelte dann aber sehr aparte florale Noten, die den dickviskosen Eindruck verschoben. Dank strenger Selektion und nur ca. 8000 Flaschen ergab sich mit Luft eine dann doch noch sehr angenehme Frische und eine eine kalkpulvrige Note, dass es so seine Art hatte.
2000, damals blieb als einziger vom Hagelsturm in Le Mesnil der Clos du Mesnil verschont. Mirakulös – und eben deshalb heißt er auch bei Krug der Mirakelhafte. Mich erstaunten Kokos, Papaya, entfernt röstige Noten, ein feiner Duft von Reinigungswolle und die leicht hysterische Säure. Wäre der Champagner gegen Ende nicht etwas dünn bei gleichzeitiger Reifeanmutung, hätte ich ihn nicht für einen 2000er gehalten.
1999, gibt es zwar, aber nur im Keller von Krug. Was damit geschehen wird, ist unklar. Kaufen kann man ihn derzeit jedenfalls nicht.
1998, drängender, stürmischer, nicht ganz so hysterisch wie 2000, mit einer gut entwickelten und immer noch Jugendlichkeit anzeigenden Pina Colada Nase, sanfter Butternote und feiner, fast unauffälliger und noch im Babystadium befindlicher Frucht.
1996, die Riesenmenge an Säure, die nichts anderes gelten lässt, könnte schwache Nerven irritieren; dann kommt aber Makrone, Frankfurter Kranz, Lemon Curd,zum Schluss begossen mit einem Tässchen Limettensaft. Von Reife kann hier noch nicht ansatzweise und in den nächsten zehn Jahren nicht die Rede sein.
1995, für mich zu Beginn so etwas wie der schönere 96er, elegant, balanciert, selbstbewusst, unaufdringlich, zuckerwattig, schwarzer Tee, mit guter buttrig-reif glänzender Aussenwirkung und jugendlichem Kern. Ob er wirklich dem von Krug im letzten Augenblick gestoppten 1999er Clos du Mesnil ähnelt, kann ich leider nicht sagen, aber die sich langsam entwickelnde Trockenobstigkeit mit vielen Apfelringen gefiel mir schon sehr gut.
1992, nicht so gut und sogar mit am schwächsten fand ich den von etwas Blaubeere durchsetzten 92er. Low key ausgeleuchet, dämmrig, allerdings schon auch etwas dicht, zwischen atmosphärisch und träge, aber noch nicht schlaff, dennoch wenig kreativ, trotz Cointreau und Lindenblütenduft. Klingt alles so, als gäbe es gar nichts zu meckern, mich hat er trotzdem unzufrieden zurückgelassen. Wahrscheinlich sind es die Vorbehalte gegen den Jahrgang, die bei mir den Ton angeben.
1990, herrlich verschlafen, zwischen metallisch und beerig, braucht dieser Champagner wie ein Tiefseetaucher mehrere Etappen, um nach oben zu kommen. Mit viel Luft zeigen sich Toast, Reife, milde Röstung, Safran und eine Gewandung, die man sonst nur von pinotgeprägten Prestigecuvées kennt, wobei der Champagner bis zum Schluss reserviert und erkennbar in einer Übergangsphase hin in das nächste Reifestadium bleibt.
1989, sehr alert, süffig und unbeschwert bis zur Aufdringlichkeit, geradezu limonadig und nur ganz gering angeältelt, jedoch vom ersten Schluck an wegschlabberbar; später mit Marzipan, Bienenwachs, Himbeerblättern, Minze und dem Gefühl, einen entfernten Verwandten des Moselrieslings im Glas zu haben; sehr schön gefiel mir hier die vom Berens-Team servierte Kombination mit dem Muschelflan.
1988, war nach 1996 das zweite gewaltige Säuregeschoss und tat sich anfangs schwer, mit verschlossener Nase, etwas käsig habe ich mir noch notiert, aber dann wurde daraus unversehens ein grossartiger Champagner, dessen mittlerweile abgeschmolzene, d.h. natürlich immer noch vorhandene, aber im Reifekleid gut verpackte Säure überhaupt nicht aggressiv wirkte. Beurre blanc, Melone, Minze, Jod lassen hier auf einen Champagner mit noch immer sehr viel Zukunft hoffen, für mich einer der drei besten Champagner des Abends.
1986, optisch war das der dunkelste Wein, die metallische Nase störte zunächst, dann war er im Mund schön saftig und lebhaft, freilich nicht ganz so limonadig wie 89, weil mehr Rote Bete und fortgeschrittenere Reife ihn bremsten, zum Maronensüppchen mit Trüffel passte das aber hervorragend.
1985, das erste Mal, dass eine feine Sherrynase vernommen werden konnte, auch Butter spielte eine bedeutende Rolle, und doch war der Champagner im Mund erstaunlich frisch, tabakig, präsent, mit Muskat, Zucchiniblüte, Brunnenkresse, pikanter, reifer Süsse, die bestens zur Saiblingknusperrolle passte.
1983, schwer einzuordnende erdige Nase, auch Gummi, der an schlechten Kork erinnert, aber einigermassen typisch für den Jahrgang ist; im Mund dicht, gewichtig, würzig, auch mostig, was wieder den Eindruck von Frische vermittelt. Gute, wonnevolle Süsse und blonder Tabak.
1982, ein starker, vollpräsenter Nasenbär, der Champagnerurtyp schlechthin. Voller Mund, Saft, dicke Backen, dazu Piment, ein Champagner mit der Aromenintensität eines Schmorgerichts, ohne dessen Schwere.
1981, Kaffee, Toffee, vanilliger, meersalziger Karamell, im Mund schlank, strukturierte Supersäure, kernig, gesund und powerful, ideal mit Auster und Apfel. Für mich ein weiterer Spitzenchampagner des Abends und zwingend unter den Top 3 der Gesamtkollektion.
1980, sehr selten und daher wollte ich ganz genau hinsehen. Ich habe vor allem Heidelbeerjoghurt wahrgenommen, im Mund war der Champagner wieder sehr saftig, sehr lebhaft, sehr (erstaunlich!) sprudelnd, zackig, militärisch, ein alter Oberst aus einer Novelle, wie sie die baltischen, wahlweise ostpreussischen Schiftsteller und zur Not auch Theodor Fontane zu portraitieren wussten.
1979, der erst Clos du Mesnil von Krug und verdientermaßen eine Legende. Rank, schlank, aristokratisch, im Mund auch süss, viel Jugend, etwas Butter und wenig Metall, leichtes, charmantes Bitterl am Ende, köstlich mit Krabbenchip, Tatar und Kaviar, wirkt in allem gefasster, disziplinierter, professioneller und überlegener, als der schon beeindruckende 81er.
Fazit: Clos du Mesnil ist eine eigene Welt. Nicht unbedingt eine, in der hemmungsloser Genuss im Vordergrund steht, sondern eine, in der Jahrgangstypizität, Charakter und Selbstvollendung eine Rolle spielen. Irgendwie auch ein buddhistisches Konzept, eins, das seltsam abweisend und entrückt wirken kann und mit dem man sich sehr intensiv beschäftigen sollte, bevor man Punkte vergibt.