Honigbienen, die ich für großartige Geschöpfe halte, bürsten die bei ihren Pflanzenbesuchen am Körper haften gebliebenen Pollenkörner mit ihren Füsschen in Pollenkörbchen den Hinterbeinen, wo sie zu Pollenhöschen verkleben und bei der Rückkehr in den Bienenstock in leeren Waben abgelegt werden, um daraus Honig zu machen. Ganz so ist es bei mir nicht. Doch immerhin nehme ich bei meinen Touren durch die Champagne manche Information mit, um sie dann in mehr oder weniger veredelter Form zu verschriftlichen und mich damit der – zum Glück sehr kleinen – Fach- und interessierten Laienöffentlichkeit aufzudrängen. Jetzt ist es wieder an der Zeit, eine dieser Waben zu öffnen und einige der berichtenswerteren Eindrücke meiner jüngeren Anstrengungen freizugeben.
1. Fleury-Gille Brut Absolu, Trelou sur Marne, Mix aus Meunier und Pinot Noir, von mir schon verschiedentlich probiert und gelobt, fühlte sich beim trinken an wie – ja, wie Trinken. So klar, gerade und isotonisch, mit so viel unverfälschter Natürlichkeit, die ich in dem von mir bisher noch kaum weiter erforschten Trelou schon jetzt für beinahe selbstverständliche Grundhaltung der – mir bekannten – Erzeuger annehme.
2. Hatt et Söner 2009, produziert von Francois Vallois in Bergères-lès-Vertus, war mit Toffee, Milch und einer sahnigen Crèmigkeit beladen, ganz am Ende hatte ich auch den Eindruck von milder, ungewöhnlich früh entwickelter Pilzigkeit, wie bei einem zwergwüchsigen Dom Pérignon. Überbordend und hipsteresk altertümelnd war auch das Etikett, das an Tapetendekor in besseren Designhotels erinnerte.
3. Roger Manceaux, Cuvée Grande Réserve Premier Cru, mit Trauben aus Rilly la Montagne und Taissy, war viel niedriger dosiert als der Hatt et Söner und eine stimmige Rückkehr in den Schoß der Champagnerwinzerigkeit, die sich für mich immer durch eine dunkle, an Fassausbau erinnernde Note, durchsetzt mit Oolon-Tee, Malz und Zuckerrübensirup zu erkennen gibt.
4. Barrat-Masson Grain d'Argile Extra Brut, 50PN 50CH, in Wahrheit undosiert, bot den meisten Spaß, die meiste Komplexität. Der Champagner aus dem südlichsten Zipfel des Sézannais ist irgendwo zwischen Mandelmus und Sesamsüßigkeiten aus dem Orient zu Hause, Kräuterzucker, Wildkirsche und Cola meine ich außerdem vernommen zu haben, das alles ohne den Eindruck jeglicher Süße. Einer meiner Lieblingserzeuger aus der bemerkenswert unaufgeregten Gegend abseits der bekannten Pfade.
Schon länger auf meiner Liste hatte ich Champagne Lecomte aus Vinay, das in der Vallée du Cubry liegt und somit in den Côteaux Sud d'Epernay. Der Cubry ist ein kleiner Bach, der sich aus dem Forêt d'Enghien bei St. Martin d'Ablois Richtung Epernay schlängelt. Der Legende nach trifft man dort jeden Morgen um 3 Uhr den bleichen Geist der schönen Adelsdame Alix, die im 13. Jahrhundert hier unglücklich verliebt ertrunken, bzw. in den Armen ihres Vaters gestorben sein soll. Entlang der Strecke von Epernay bis nach Festigny, auf der D36 gut zu fahren, finden sich zudem gleich mehrere Winzer, deren Meuniers besondere Beachtung verdienen. Unter ihnen ist aus Moussy natürlich José Michel einer der bekannteren, unter den Neulingen ist gewiss Sélèque der bekannteste. Festigny und Leuvrigny sind ihrerseits Bastionen des Meunier, wobei Loriot und der später hier im Text noch angesprochene Christophe Mignon zu den dort führenden Winzern zu rechnen sind. Abseits der Route liegt Chavot, noch am Eingang der Côte des Blancs und Grauves, praktisch auf der Hügelrückseite von Avize. Beide Orte haben ihrerseits ein eigenes Profil und am meisten macht meiner Meinung nach Aurelien Laherte in Chavot daraus, wohingegen Grauves mit seinen kühlen, säurelastigen und als Verschnittpartnern begehrten Chardonnays leider buchstäblich im Schatten liegt.
5. Lecomte Cuvée Darling Brut 100% Meunier, ist für geübte Trinker ganz gut als Meunier identifizierbar. Dunkle Frucht ist da, Brot und Luftton auch, die Dosage hält sich dezent zurück, die Säure auch und genau daran lässt sich die Rebsorte festmachen. Wenn man soweit gekommen ist, kann man außerdem feststellen, dass die Meuniers aus den Côteaux Sud d'Epernay gar nicht so exotisch-fruchtig sind, wie man der Rebsorte immer nachsagt, bzw. dass sie es hier im Gegensatz zu den Meuniers in der Vallée de la Marne eben nicht sind.
6. Maurice Grumier Ultra; wenn wir schon über Vallée de la Marne reden, dann dürfen wir Fabien Grumier nicht unterschlagen, der in Venteuil einen guten Job macht und obendrein ein sympathischer Kerl ist. Der Ultra Brut ist bekanntlich ein Drittelmix auf 2009er Basis mit fünf Jahren Hefelager und Solera-Reserve, zum Einnorden des Gaumens bestens geeignet, mit einer unterschwelligen Bitternote sollte man umgehen können; ich kann's zum Glück.
7. Tristan H. Brut, ist im Gefolge von Grumier eine gute Idee, geographisch betrachtet sind es nur ein paar Kilometer die Marne hinauf, champagnertechnisch betrachtet ist das Rezept ganz ähnlich dem Réserve von Grumier, der als grundlage für den Ultra dient. 50PM je 25PN/CH, 2009er Basis, 7g/l Dosage. Getragen wird der Champagner erkennbar vom Meunier, wobei sich hier die Unterschiede zur Machart wie beim Lecomte gut nachvollziehen lassen, ein ins Herber gehender Charakter verdankt sich hier wahrscheinlich eher den beiden Edelreben. Für mich immer wieder ein Vergnügen.
8. Lallier Millésime Grand Cru 2008 ist in dieser Preisklasse vielleicht nicht der einzige, aber einer von nur wenigen jahrgangsschampagner, die so präzis ausbalanciert sind und Jahrgangseigenschaften wie Reife und Säure so unverfälscht abliefern. Bildschön und leider unterschätzt. Der Rosé von Lallier ist auch nicht unbeachtlich und vielleicht sogar noch stärker unterschätzt, als der Jahrgang. Das liegt daran, dass man sich mit Roséchampagner kaum jemals wirklich ernsthaft auseinandersetzt, von den verrückten Sachen einmal abgesehen. Dafür ist das feld zu dominant besetzt von den üblichen Verdächtigen, dafür gibt es zu viel gleichartig Gutes und viel zu viel gleichartig Belangloses in diesem Segment. Die feinen, liebevoll gemachten, besonderen Rosés herauszufinden, ist noch schwieriger, als das ganze Weingeschäft an sich schon ist. Zu den ganz großen Rosés hat Lallier mit seinem noch nicht aufgeschlossen, aber die besten Anlagen dafür sind vorhanden.
9. Jacques Lassaigne Vigne de Montgueux en Magnum, ist trotz des Durstlöscherformats kein hirnloser Runterspülwein, sondern ein kleines Meisterwerk an Interpretation. Der falsche Weg wäre es, hier nach unendlich vielen Deutungsmöglichkeiten zu suchen. Der Weg ist nämlich vorgegeben: Weinigkeit und Säure zwischen Burgund und den kreidigen Tiefen von Le Mesnil. Weder dem einen noch dem anderen sich zu sehr zu ergeben, bedeutet das. Gebot der Stunde ist es vielmehr, den Montgueux selbst sprechen zu lassen. Dessen Botschaft ist gar nicht so wahnsinnig schwer verständlich und ergibt auch nicht die komplexesten aller Champagner, um hier mit einem auf das Montrachet-Bonmot zurückzuführende Missverständnis und damit hervorgerufenen falschen Erwartungen aufzuräumen. Denn die Champagne ist und bleibt (aller Wahrscheinlichkeit nach) eine Region, die vom kunstvollen Verschnitt lebt und vor allem damit Komplexität erzeugt. Einzellagen, in denen das gelingt, sind die extrem seltene Ausnahme. Der Montgueux allein ist, wie auch die Weine zB aus Bouzy, charakterstark und im Idealfall ein herausragender Verschnittpartner. Als Solowein reüssiert Montgueux dagegen nicht so sehr. Vielleicht, weil seine Aussage dazu doch zu lapidar ist.
10. Barrat-Masson Blanc de Blancs Les Margannes ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die als abseitig betrachteten Gegenden wahre Schätze bergen können. Ich habe das schon oft von den Kellermeistern großer Häuser zu hören und zu schmecken bekommen, aber es ist natürlich nicht ganz einfach, die Perlen dieser Region in Eigeninitiative ausfindig zu machen. Umso größer die Freude, wenn es denn doch mal gelingt und noch dazu in einem Zusammenhang mit Lassaigne zur Verkostung gelangt. Die UNterschiede liegen auf der Hand und erstaunlich finde ich, dass der Margannes viel karger wirkt, als der auf einem doch viel kargeren, reinkreidigen Boden gediehene Lassaigne. Autolyse, Hefe, ganz zarte Röstnoten vom teilweisen Fasseinsatz und sehr viel nach vorn drängender, den Gaumen penetrierender Chardonnay, wegen der pikanten Noten von Zitrusfruchtkonfitüre von Loic Barrat und Aurelie Masson (bis zur Gründung des 7-Hektarbetriebs Chefönologin der lokalen Kooperative) vollkommen richtig ohne Dosagezucker vermarktet und übrigens auch nicht chaptalisiert. BSA mal so, mal so. Pflichtkauf.
11. Savart l'Ouverture, ist ein anderer Pflichtkauf für alle, die ihn noch nicht kennen und mal wissen wollen, was Pinot eigentlich noch so alles kann. Und für die, die in Pinot Noir immer nur die erotisierende Diva unter den Trauben sehen. Als ich den Champagner von Frederic Savart vor fünf Jahren zum ersten Mal trank, hat es sofort Peng gemacht und bis heute hallt der Knall nach. Muss man selbst probiert haben – gibt aber leider nicht viel.
12. Dosnon Recolte Noire en Magnum. Ein weiter Weg ist es vom einen Ende der Champagne an das andere, von Ecueil nach Avirey-Lingey, wo Davy Dosnon seine hammermäßigen Pinotchampagner mittlerweile allein macht. Die Récolte Noire kenne ich erst seit drei oder vier Jahren, bin aber nach wie vor begeistert. Aus der Zeit bei Serge Mathieu hat Davy Dosnon sicher die saubere, kontinuitätsgeneigte Arbeitsweise mitgenommen, von Moutard das Gefühl für die aromatische Dimension der ihm zur Verfügung stehenden Trauben. Beides vereint er mit traumwandlerischer Sicherheit in Gaumenvolltreffer. Pfeffer, Schwarzkirsche, den Wechsel der Jahreszeiten, den von Voltaire aus Cirey in Richtung Paris herüberwehenden Esprit, alles vermeint man hier mit allen Sinnen mehr zu spüren als zu schmecken.
13. Marie-Courtin Efflorescence (2007), näher dran an Avirey als an Cirey ist Polisot, direkt an der Seine, kurz nachdem sie etwas weiter südlich die Laignes aufgenommen hat. In Polisot muss man Dominique Moreau von Marie-Courtin kennen und richtigerweise auch ihren Mann, dessen Champagner unter dem Namen Piollot begeistern. Als Antonio Galloni die 2008er Erzeugnisse von Dominique Moreau so lobend besprach, dass sie in den USA gleichsam über Nacht zum Star wurde, gab es den betrieb noch nicht sehr lange, nämlich erst seit 2006, was ja auch heute noch nicht alt ist. In der Zeit seit es die ersten Champagner von Dominique zu probieren gab, hat sich aber sehr viel getan. Immer ausgefeilter, an den richtigen Stellen naturbelassen und an den passenden Ecken durch behutsamen Eingriff veredelt, wurden die Champagner, wobei man über den letzten, den Rosé wohl noch sprechen muss.
14. Charlot-Tanneux l'Extravagant Sans Soufre Ajouté, 50CH, 25PN 25PM, sponta vergorener Grundwein, 11 Monate Fassaufenthalt, 4 g/l Dosage, hatte einen lächerlich hohen pH-Wert und jeder gescheite Önologe hätte nach einem ersten Überfliegen der Labordaten gesagt: schütt weg. Nicht so Vincent Charlot, den man übrigens nur selten außerhalb seiner Weinberge antrifft und der bei meinen Besuchen stets erst von dort herbeigerufen werden musste. Ich finde das gut und sehe das wie bei den Köchen, die teilweise ihre hohe Dekoration in Fernsehstudios versilbern, während andere kaum einmal aus der Küche herauszuholen sind und es nur mit viel gutem Zureden zuwege bringen, mal ein Buch o.ä. zu verfassen. Mir ist die letztgenannte Sorte lieber. Vincent vertraute auf die tiefrgündige biodynamische Fundamentierung seiner Weine und ließ den Extravangant ohne BSA, ohne Schwefel, Klärung, Schönung oder Filtration werden wie er wollte und siehe, er wurde gut. Nein, nicht nur gut, sondern extravangant. So anders, wie es nur biodynamische Erzeugnisse zu sein vermögen. So blumig, dass mir schwindelig wurde, mit einer unglaublichen Säure, die wie von einer Metaebene auf den Wein einzuwirken scheint. Leider oder zum Glück konnte ich davon nur extrem wenige Flaschen mitnehmen. Eigentlich sogar nur eine pro Person und Besuch. Da ich aber die anderen bei ihm gekauften Flaschen selbst etikettiert habe, hatte er freundlicherweise ein Einsehen und gewährte mir eine großzügigere Zuteilung, die leider schon wieder komplett verzehrt ist. Der Charlot-Tanneux Expression en Magnum, 70PM 20CH 10PN, ist nach dem Sans Soufre mit gebührendem Abstand zu trinken, wie eigentlich alles danach mit gebührendem Abstand zu trinken ist, außer vielleicht der schwefelfreie Champagner von Marie-Courtin (Concordance heißt er) oder der neue von Leclerc-Briant. Der Expression, um auf den wieder in etwas einfacher nachvollziehbaren Bahnen laufenden Champagner zurückzukommen, ist weniger ein statement für die Rebsorte, als für den Boden. Ich weiß, dass man das schwer trennen kann. Aber nachdem ich die Grundweine von Charlot-Tanneux getrunken habe, die aus derselben Lage auf unterschiedlichen Bodentypen so grundverschieden sind, sehe ich die Dinge anders. Hier gebietet wirklich der Boden über Rebsortencharakteristika und nicht die Rebsorte über den Boden. Die leichthändige Art des Jiu-Jitsu prägt den Champagner, der in allem nachgiebig, eöastisch und flexibel wirkt.
15. Moet et Chandon Millésime 1988, wirkt gute zehn Jahre jünger als er ist und kann daher immer wieder als Beispiel für die Lagerfähigkeit von Champagner herangezogen werden. Denn bei Licht betrachtet ist der Jahrgang von Moet nur eine ganz gewöhnliche Cuvée, eben mit Jahrgang versehen. Kein Hinweis auf die Lagenherkunft der Trauben oder deren Zusammensetzung findet sich da, was den Champagner formell ziemlich eindeutig in das Lager der einfacheren Cuvées rückt. Auch preislich ist er keine unleistbare Herausforderung und doch bringt er formvollendet alles das auf den Tisch, was man von einem starken Champagner erwartet. Vor allem Komplexität, Balance und eine merkliche Entwicklung, einerseits merklich als Resultat mehrere Jahre in der Flasche, andererseits merklich als Entwicklung, die vor dem Dégorgement stattgefunden haben muss, um die spätere Entwicklung überhaupt zu ermöglichen. Säure und Toast, Röstnoten, Apfel und Nuss versammeln sich da und gern hätte ich diesen Champagner in vier oder fünf Jahren nochmal im Glas, nur leider war dieses meine letzte Flasche.
16. Dom Pérignon 1998, gehörte mit 1999 und 2000 zu den Dom Pérignons der schwachen Phase. Nach der Freigabe schieferig, leicht schwefelstinkig, sonst sehr auf Noriblätter, Jod, Benzbromaron und höchstens noch etwas Toast beschränkt, konnte ich mich nie für dieses trinkbare Sushi begeistern. Erst seit zwei oder drei Jahren dreht sich hier der Wind und der 98er Dom blüht in seiner zweiten reifephase auf. Der 98er P2 ist zum Beispiel bildschön und auch wenn er völlig anders schmeckt als der regulär dégorgierte 98er, bleibt die Verwandtschaft erkennbar. Der normale 98er hat mehr Schrunden, Falten und Narben im Gesich, was ihm gut steht. Zu seiner Dompérignonigkeit bekennt er sich mit nun deutlich auszumachenden Toast-, Röst- und Pilznoten, die in unnachahmlicher Leichtigkeit ineinander verschränkt sind und den Champagner nicht eine Spur alt wirken lassen.