Familie Tarlant ist eine feste Größe, die seit dem 17. Jahrhundert in der Champagne verwurzelt ist und sich schon früh, d.h. zu einer Zeit, als die meisten Erzeuger noch bloße Zulieferbetriebe waren, im Winzerchampagnergeschäft etabliert hat. Umtriebig, herkunftsorientiert, experimentierfreudig, undogmatisch aber prinzipientreu ist die jüngste Generation des Hauses und weil das in Form ihrer Champagner nachschmeckbar ist, haben Benoit und Melanie Tarlant seit den späten 90er und beginnenden 2000er Jahren selbst im schaumweinfreudigen, aber champagnerskeptischen Deutschland eine unübersehbare feste Gefolgschaft, die nach wie vor wächst.
Benoit Tarlant, seit 1999 als Önomastermind am Ruder des Mehrgenerationenbetriebs aus Oeuilly, begann als einer der ersten, die alten Rebsorten der Champagne, die sein Großvater noch mit Fleiß herausgerissen und durch die heute klassischen Reben ersetzt hatte, wieder in den Blick zu nehmen. Arbane und Weißburgunderreben, die an der Aube heimischer sind als im Marnetal, gehören dazu, und natürlich die säurefreudigere Petit Meslier, die hier vom Schwarzriesling (Pinot Meunier) verdrängt wurde. Dennoch gibt es zB in Arty-Venteuil noch 2 ha ausschließlich mit Meslier bestockter Rebfläche, woraus Trauben für den reinsortigen Meslier aus Duval-Leroys Authentis-Serie gewonnen werden.
Weil meine Wege mich im Frühjahr häufiger in die Champagne führen und Champagner dabei regelmäßig den Weg in mein Glas findet, hatte ich in den letzten Wochen gleich mehrmals die Gelegenheit, die jüngsten Champagnerkreationen und aktuellsten Dégorgements zu probieren. Gekümmert habe ich mich dabei um die Basisqualitäten wie um die Spezialitäten des Hauses. Das dabei besonders erwähnenswerte Altrebsortenprojekt heißt bei Tarlant BAM und steht für die Rebsortennamen: Pinot Blanc, Arbane, Petit Meslier. Dieses Baby kenne ich, seit es als Fassprobe seine ersten vielversprechenden Kapriolen schlug. Zusammen mit der Komplettierung der "Vigne …"-Serie durch das 'Mocque Tonneau', für das zunächst der Name Vigne Rouge vorgesehen war, aus Wettbewerbsgründen aber in "Vigne Royale" geändert werden musste, ist das die für mich wichtigste Neuentwicklung bei Tarlant.
Der Brut Tradition gefiel mir dieses Jahr sehr gut, was nicht immer der Fall ist, manchmal wirkt er schon ausgelatscht und tranig oder allzu gewöhnlich. Das ist an sich kein Makel, denn die meisten Einstiegsbruts müssen gar nicht mehr leisten, als mainstreamigen Allerweltsgeschmack ins Glas zu bringen. Doch von Tarlant erwarte ich mehr und dieses Jahr kam mehr, vor allem freche Frucht und Säure, die das Rebsortengemisch gehörig aufpeppten.
Haken dahinter, denn der Brut Zéro ist sowieso viel eher meine Kragenweite. Durch seine verhältnismäßig lange Flaschenverweildauer rundet er sich sanft ab und braucht den abrundenden Effekt des Dposagezuckers nicht mehr. Autolytische Aromen, Crèmigkeit und Schmelz in einem Brut Zéro zur Geltung zu bringen, ist nicht leicht, viele dieser Projekte scheitern daran, dass die Weine auf unschöne Weise ungehobelt und eckig wirken. Nicht so der mit Könnerschaft und ungewöhnlich langer Erfahrung hergestellte Brut Zéro von Tarlant.
Der Brut Rosé Zéro mit Reserveweinen bis 2002 ist überaus frisch, kommt ohne störende Reduktionsnoten aus, die speziell den Roségenuss oft vermiesen und erscheint mir noch einen Ticken fruchtiger als sonst, ohne an Seriosität zu verlieren.
Das Rebsortenprojekt BAM!, dég. März 2013, besteht aus 2008er und 2007er Träubchen und macht seinem Namen alle Ehre. Im Mund gibt es tatsächlich eine kleine Explosion, die man sich natürlich lautlos vorstellen muss, wie wenn ein imperialer Star-Wars Jäger einen X-Wing Fighter abknallt. Ich denke, das macht die gute Säure vom Meslier, der mir unter den Altrebsorten sowieso die sympathischste ist.
Der Vigne d'Or Blanc de Meuniers 2003 schien mir bei 2 g/l Dosage etwas kahmig und moosig, trotz der redlich um Frische bemühten (zugesetzten?) Säure, klarte dann aber hintenrum auf und blieb mit seiner dicklich-saftigen, schmelzigen Art dem Jahrgang treuer, als seinem Vorgänger.
Der Vigne Royale 2003 ist mit unter 1 g/l dosiert, also eigentlich gar nicht. Säurearm, weich, geschmeidig und eingängig, mit samtigem Mundgefühl wie von Pfirsich Melba, wirkt reichlich reif und entwickelt, das Reifepotential schätze ich jahrgangsbedingt etwas dünn ein, aber versteifen will ich mich bei solchen Geschichten lieber nicht.
Vielen bekannt ist die Cuvée Louis, die es hin und wieder als Jahrgang gibt (riesig: der 90er aus Magnums) und in einigen Jahren als 1996, 2002, 2008, 2012er nicht nur mich glücklich machen wird. Die "Louis" mit Jahrgang sind sehr selten, aber traumhaft gut und trotz erkennbarer Verwandtschaft von gänzlich anderer Art – wie bei den Grand Siècles von Laurent-Perrier. Der aktuelle Louis ist jahrgangslos, die Basis bildet mit 85% der 1999er Jahrgang, 15% sind dem Vorgänger-Louis entnommen, so dass es sich um einen Nichtjahrgang oder einen Multi Vintage oder einen Solera im weiteren Sinne, namentlich durch eine Art Mini réserve perpetuelle handelt. Typisch für solche Champagner ist die von ihnen ausgehende Ruhe, die auch der jetzige Louis ausstrahlt; durch den Anteil reifer Weine besonders weich und rund, erinnert er längst nicht an Chantré, könnte aber ruhig mehr Biss haben.
Abschließend ein paar Worte zum Saga Tarlant 1976, den Benoit zu seinem Geburtstag geöffnet hatte und der so nicht im Handel erhältlich ist, was ihn zwar interessant, aber für die meisten leider nur zu einem Lesevergnügen macht, wenn überhaupt. Zunächst wirkte der Wein im Mund sehr schwungvoll, dann fehlte nach meinem Eindruck entweder der Zucker oder die Luft oder was auch immer, jedenfalls fiel er in eine Art Dieselloch, wirkte dabei sehr trocken und etwas kopflos, im zweiten Glas präsentierte er sich ohne das Frischeloch, mit feinem Mousseux und nobler Crèmigkeit, bis am Ende förmlich der Jägersaucetopf explodierte, was mir sehr gut gefiel, weil ich diese Aromen beim reifen Champagner liebe.