Ein Schloss ohne Leben ist wie ein Champagner ohne Perlen. Das teilweise von Karl Lagerfeld eingerichtete Palais Pannwitz wurde zuletzt mehrfach hin- und herverkauft; etwas länger zurück liegen auch die lebensfrohen Zeiten, in denen Romy Schneider hier geheiratet oder Demi Moore mit Ashton Kutcher die Laken zerpflügt hat. Das Schlosshotel im Grunewald drohte als ex Vier Jahreszeiten, ex Ritz-Carlton, ex The Regent um ein Haar, den Anschluss an die sich laufend selbst erneuernde Spitzenhotellerie im Zentrum der Stadt zu verpassen. Jetzt hat es einer gekauft, der dem ehrwürdigen Haus neues Leben einhauchen will, ohne den in der Lobby hängenden Kaiser (Wilhelm II.) noch im Tode zu vergraulen. Nur, wie füllt man ein Schlosshotel mit Leben? Indem man es mit Champagner füllt. Das ließ sich der damit beauftragte Tjorben Montefury nicht zweimal sagen. So prompt, wie flugs und leichthändig richtete er am vergangenen Montag eine Champagnergala aus, die sich sehen lassen konnte – und auf der man sich sehen lassen konnte. Man, das heisst die unabdingbare Klatschspalten- und Grunewaldprominenz. Die hielt freilich erst Einzug, als die freihabenden Sommeliers und Gastronomen schon wieder abgezogen, selig in den Korbmöbeln auf der Terrasse weggeschlummert oder noch ganz anders beschäftigt waren.
Aufgefahren wurde ein schöner Mix großer Häuser mit schlossgeeigneten Champagnern und einige weniger bekannte Erzeuger.
1. Billecart-Salmon zeigte sich im schmucken Gewand, mit dem gediegenen 2004er, einem seit seiner Freigabe immer besser werdenden Sous Bois, der jetzt leider bald ausverkauft sein wird und dessen dauerhafte Aufnahme ins Programm von Billecart leider sehr fraglich erscheint, außerdem mit Nicolas-Francois Billecart 1999. Den 1998er finde ich jetzt und für die nächsten Jahre optimal, der 99er wird sich als guter Nachfolger und meinem Gaumen sicher nicht zum letzten Mal die Ehre erweisen.
2. Piper und Charles Heidsieck standen nebeneinander und waren dabei so grundunterschiedlich, dass man wahrscheinlich schizophren werden oder bewusstseinserweiternde Drogen nehmen muss, um die Arbeit von Regis Camus wirklich verstehen zu können. Charles Heidsieck war mit dem Jahrgang 1999 und 2000 in weiß und rosé da, sowie mit dem bombastischen Blanc de Millenaires 1995 im neuen outfit. Dessen Knalleffekt blieb beim wievielten Mal nachprobieren natürlich aus, aber jedes Mal wenn ich ihn trinke, freue ich mich riesig, dass es mit dieser Cuvée in der viel geschmähten Großhausluxusklasse etwas gibt, das selbst abgebrühteste Gaumen noch zu kitzeln vermag. Piper überzeugte mit dem neuen Millésime 2006, der mir jetzt schon besser gefällt, als der bis dahin bereits gute 2004er je tat und weil danach Rare 2002 zu erhalten war, der sich gegenüber meinen letzten beiden Proben im März 2014 und Oktober 2013 noch einmal fortbewegt, vor allem aber dosagemäßig beruhigt hat, wäre ich gern noch länger am Stand geblieben; dazu trug ganz zum Schluss noch der Brut Sauvage Rosé bei, den ich bei Piper schon einmal in der weißen Jahrgangs-Urform zu kosten bekommen hatte und der vor einigen Jahren ohne erkennbare stilistische Verwandtschaft zu den Mode-Rosés gehört hat. In der Ecke würde ich ihn auch bis heute sehen. Dreißig Jahre Glaschenreife halte ich bei dieser Cuvée nicht für förderlich.
3. Philipponnat glänzte mit einer der einheitlichsten Stilistiken überhaupt, vom einfachen Brut aus der Magnum über Brut Nature, Blanc de Blancs, Milléime 2008 und Blanc de Noirs, bis zum Rosé eine einzige geschlossene Front. Die brach erst auf mit dem Cuvée 1522 weiß aus dem Jahrgang 2004 und dem formidablen Clos des Goisses 2000. Mir gefiel der 1522 besser, als der Clos des Goisses, weil er etwas fülliger zu sein schien und nicht so verhalten auftrat. Dem Clos des Goisses tut das keinen Abbruch, er war erst im November 2013 degorgiert worden und hat seine beste Zeit deshalb noch vor sich, wie ich von mehreren Begegnungen innerhalb der letzten vier, fünf Jahre weiß. An den 2001er kommt er meiner Meinung nach noch immer nicht heran, aber der stand am Montag überhaupt nicht zur Debatte.
4. Lallier entließ den einfachen Brut, den Blanc de Blancs und einen Rosé ins Glas. Der Blanc de Blancs war davon am bemerkenswertesten, auch wenn er nicht, wie von mir in solchen Fällen bevorzugt, zu 100% aus Ay stammte, sondern "nur" zu 80%, der Rest dann aus der Côte des Blancs. Zu Lallier werde ich in nächster Zeit noch ein paar mehr Worte zu verlieren haben, weil ich schon um das Jahr 2000 herum gehörigen Trinkspass mit diesem bei uns seltsam unbekannten Erzeuger verbunden habe; damals gab es in Münster ein kleines Weinlädchen, über das ich Geschmack an Lallier gefunden hatte, wobei Münster in Sachen Champagner schon damals nicht zu verachten war, wenn ich etwa an die Maison de France von Marie-Claire Buffet am Friesenring zurückdenke.
5. Moet et Chandon hatte Grand Vintage 2004 in weiß aus der Magnum und als Rosé 2002 dabei. Speziell der weiße Grand Vintage ist so moetig, wie ein Champagner überhaupt nur sein kann, das heißt fruchtig, optimal balanciert und Ausdruck selten erreichter Könnerschaft im Umgang mit dergestalt vielen Grundweinen, wie sie mancher Kellermeister seinen Lebtag nicht zu beurteilen hat. Als Rosé war mir der Champagner etwas wenig dynamisch und schien mir insgesamt verschlossen bis abweisend, was bei einem so schönen Jahrgang durchaus Wunder nimmt. Mag sei, dass ein plénitude-Wechsel ansteht und demnächst Tertiäraromatik zum Vorschein kommt, dann kann und darf, ja muss es wieder aufregend werden, mit diesem buchstäblichen Grand Vintage.
6. Pommery wollte ich eigentlich zweimal besucht haben, weil ich nach dem jugendfrischen, erst vor kurzem überhaupt in die Welt entlassenen Apanage Prestige und der allerfeinsten Louise 1999 unbedingt noch die Vranken-Champagner kosten wollte, kam dann aber aus Zeitnot nicht mehr dazu. Ja, die Louise 99, das ist ein feines Stöffchen. Nicht auf demselben Level wie 2002, aber doch weit über dem, was man gemeinhin mit Jahrgängen wie 1998 und 1999 verbindet, die geschwisterlich und geflissentlich als mauer Ausklang des Jahrzehnts angesehen werden, auchvon mir übrigens. Das aber auch nur, weil es wirklich nicht soo viele famose 98er und 99er gibt, die meisten Champagner bis zum großartigen 2002er sind kaum mehr als solide Handwerksarbeit, die nicht zu grenzenloser Begeisterung hinreißt, selbst bei den Prestigecuvées nicht, die zwischen 1996 und 2002 fast alle etwas gebeutelt dastehen. Zu den wenigen Ausnahmen gehört die Louise 1999 und vielleicht erweist sich ja bald noch der eine oder andere Spitzenchampagner anderer Erzeuger als Überraschungskandidat, es würde mich für alle freuen, die damals tüchtig in diese Jahrgänge investiert haben.
7. Lenoble hat mit dem Brut Intense einen modernen Klassiker in die Flasche gebracht, der sich demnächst sicher noch als parkettfester Begleiter ausgesuchter Speisen erweisen wird; ich kann das deshalb so leicht behaupten, weil ich mir selbst zum Ziel gemacht habe, eine kleine Verkostung damit zu garnieren. Litschi, Drachenfrucht, Nashibirne, Nektarine, eine elegant ausgebreitete UNterlage mit Aromen aus der Wiener Feinbäckerei, präzis abgestimmte Säure, wer da groß was zu meckern hat, weiß nicht viel über guten Champagner.
8. Taittinger hatte einen ungewöhnlich starken Brut in der Magnum dabei und zauberte mit dem Comtes de Champagne 2005 nicht nur mir ein Lächeln ins Gesicht. Das verging nicht, als ich danach noch den höher dosierten Nocturne im Discokugel-Look probierte, denn zeitgleich eilten Kellner mit Thunfischhappen, Salat-/Erdbeerbouquet und Verbenenjus herbei, was den gar nicht so pappsüss schmeckenden Champagner bestens einrahmte.
9. Louis Roederer hatte ich unmittelbar nach Philipponnat aufgesucht und mir dort den Brut schmecken lassen, bevor ich mich an Rosé 2008 und Cristal 2006 heranmachte. Der Brut Premier von Roederer ist ein Champagner, der von Holzfasspolitik glänzend profitiert und den Trinker großzügig daran teilhaben lässt. Ein besonderer Trunk ist der eigenwillige, aber sehr gut gelungene Jahrgangsrosé, der große Anlagen in sich trägt und in ein paar Jahren macnhem Prestige-Rosé den Rang streitig machen könnte. Unbestritten in der Prestigeklasse zu Hause ist der jüngste Cristal. 2006. Einer der besten Cristalle, die ich seit längerer Zeit getrunken habe, vom denkwürdigen 1941er abgesehen. Ich bin geneigt, mich bei meinen Äußerungen zu Cristal zu wiederholen, aber ich meine es immer wieder ernst. Also: Cristal 2006 ist magnifique. Vor allem hat er eine hypnotisierende Säure, die ihn über seine Vorgänger 2005, 2004 und 2002 hebt und ihm im günstigsten Fall ein längeres Leben bescheren wird, als vielen weiteren, auch sehr guten Cristal-Jahrgängen.
10. Gosset trumpft seit einiger Zeit verstärkt nicht nur mit seiner Celebris-Reihe auf. Man hat sich renoviert, die Etiketten sind entrümpelt, der Chic ist geblieben. Fassvinifikation und Verzicht auf biologischen Säureabbau waren immer die Asse, die Gosset neben dem hohen Alter hinlegen konnte. Überzeugt hat Gosset meiste im Mittelfeld mit den Champagner der "Grande …" Reihe, der einfache Brut Excellence ist, nach meiner Wahrnehmung besonders im Ruhrgebiet, für viele Gastronomen eine schöne Einstiegsdroge. Ein Kleinod, an dem Viele wahrscheinlich achtlos vorübergegangen sind, gab es auf der Champagnergala von Tjorben zu probieren, das ist der Petite Douceur Rosé Extra Dry. Extra Dry? fragen sich jetzt alls Naturweintrinker und Extrempuristen. Ja, Extra Dry. Denn die Champagnerwelt lebt nicht von der Reduktion des Zuckers auf Null oder in den Unter-Null-Bereich hinein, wenn es denn so etwas gäbe, sondern Dosage ist ein Spielzeug, das man in zwei Richtungen bewegen kann. Gelangt man in Extrembereiche, ist der Spielspass schnell weg. Das gilt für dosagelose Champagner wie für zu hoch dosierte Champagner. Wenn ein Kellermeister – in Wahrheit ist es natürlich seltenst nur ein Kellermeister, sondern in der Regel ein ganzes Team von Verantwortlichen – mit Dosage umgehen kann, wirkt sein brut nature nicht armselig, unreif, grün, klapperig oder ausgezehrt und sein extra dry, dry oder doux nicht moppelig, breitgelatscht, vogelscheuchig oder clownesk überschminkt. Dies süße Rosékreation von Gosset ist so ein gelungenes Kellermeisterstück, das nicht zu jeder sich bietenden Gelegenheit getrunken werden will, aber zu mancher Gelegenheit passt, wie nichts sonst. Das macht den Experimentalchampagner, von dem es zunächst nur ca. 2000 Flaschen gibt, zu einer Bereicherung. Blanc de Blancs und Grand Millésime 2004 von Gosset verdienen eine lobende Würdigung, weil sie den Stil des Hauses nach wie vor gut verkörpern; der Champagner, über den ich mich bei Gosset am meisten gefreut habe, ist aber der Petite Douceur.