Chance to Dance ist der Titel von Falcos erster Single und damit automatisch der richtige Soundtrack für die Fahrt nach Leipzig, dem Pleiß-Athen, wie es von den Studenten des 19. Jahrhunderts noch genannt wurde. Denn natürlich kommt zur Vorbereitung für einen Besuch im **GM Restaurant Falco nur Musik von Johann Hölzel, a.k.a. Falco, in Frage, der seinen Künstlernamen von dem aus Pleiße stammenden Falko Weißpflog hat und damit so viel Bezug zum Restaurant Falco, wie der damals bekannte DDR-Skispringer zu den im Dach des als Restaurantherberge dienenden Westin-Hotels nistenden Turmfalken. Chance to Dance ist der Restaurantbesuch im Falco aber auch unabhängig von der Musik. Denn die Risiko-Küche von Peter Maria Schnurr hat das Zeug, selbst ausgemachte Tanzmuffel in Freudentanzstimmung zu bringen. Klar ist, dass 80er Mucke und Rotterdamer Schranz, oder sagen wir wegen der fröhlichen Farbigkeit lieber Jungle, nicht viel gemeinsam haben und auf den allerwenigsten Parties in enger zeitlicher Folge gespielt werden. Genau das, bildhaft gesprochen, sieht DJ Schnurrs Playlist aber vor. Ich kann es vorwegnehmen: solche Parties besuche ich gern.
1. a) Erdbeerschaum mit Auster, Bisontatar, Blumenkohlvariation, Langustineneistee mit Paprikacrostini, dazu Ruinart Blanc de Blancs
Erdbeere und Auster hätten passen können, passten aber nicht. Wie in dem Witz mit den drei Damen, die auf unterschiedliche Art ihr Eis verzehren muss ich aber die Art, wie der kleine Gruß gedacht war, loben. Köstlich war hingegen das Bisontatar, ein winziger Happen mit enormer Aromenintensität. Blumenkohl und Langustineneistee wirkten etwas farblos und für die kontroverse Schnurrküche sogar allzu konventionell, wobei der knusprige Paprikacrossi zwar nicht der Gipfel an Originalität, aber ein schöner Abschluss und Übergang zum nächsten Gruß war.
1. b) Birnen-Wasserkimchi vom Spitzkohl; Multivitaminjoghurtkugeln; Jalapenomaiscrème; Ricotta mit Kaviar, Rucolacrèmetupfer und Morchelrouille; dazu geröstete Brotstangen und ein Riesenlatschen Knusperfladenbrot, dazu Pawis, Mühlberg Riesling 2011
Das Birnen-Wasserkimchi, mit etwas Champagner zubereitet, kann ich mir in Koea nicht besser vorstellen. Bedingungslos und ohne Abzüge spitzenmäßig passte dazu der Pawis. Auch die kreuzkümmeligen, koriandrischen und insgesamt curryhaften Noten vom Brot nahm der Wein mit Begeisterung an und auf. Die Jalapenomaiscrème hatte denselben Verlangen nach Mehr auslösenden Effekt, wie die im Käsesauce zu Kinonachos, was nicht herabwürdigend gemeint ist. Die Multivitaminjoghurtkugeln hätte ich nicht haben müssen, auch wenn sie leidlich gut geschmeckt haben. Mich störte die dadurch doch wieder zu sehr an Kinofoyers mit ihren Süßigkeitenständen erinnernde Aromennähe. Ricotta, Kaviar und Rucolatupfer waren zusammen mit der Morchelrouille gut.
1. c) Gekochtes Kalbsherz in ultradünnen Tranchen, Granatapfel, Karamellerdnuss und Kohlrabi, dazu Pariente, Verdejo 2010
Eine sehr schöne Kombination ergab sich aus den gekochten Kalbsherztranchen mit den Granatapfelkernen. Exotische Säure und buchstäblich herzhafte Faser trafen so passend aufeinander, dass Kohlrabi und Erdnuss gar nicht mehr erforderlich waren.
2. Pfirsich Gazpacho, nicht zum löffeln; Pimento & Gartengurke; Palourde Muscheln, Rindermark-Cräcker, Soja-Limetten Eis dazu weiter Pariente, Verdejo 2010
Maracujaaroma aus dem Verdejo und die dick über den Tellerrand gefläzte Pfirsichspur waren die herausragenden Kombination des Gangs. Das Soja-Limetteneis kam direkt danach und schmeckte mir solo am besten, ließ sich aber genausogut hemmungslos zu den anderen Komponenten verzehren, auf Augenhöhe war das Gurkencoulis und das nicht nur, weil ich Gurken als Gemüse besonders schätze. Der Rindermarkcräcker war für mich passabel, Knoblauch habe ich überhaupt nicht festgestellt, mit Freude dagegen, dass der Gang rücksichtsvoll und überaus sorgfältig, d.h. an den richtigen Stellen betonend gesalzen war.
3. Gelierte Boudin Noir Stangen und in Scheiben geschnittene rohe Jakobsmuschel mit Maracuja Tapioka, außerdem Pfifferlinge, dazu Dr. Wehrheim Porteo 2007 und speziell zur Jakobsmuschel weiter der Verdejo
Nicht mehr zu verbessern ist die Blutwurst von Blutwurstritter Marcus Benser aus Neukölln. Dessen Blutwurstmanufaktur ist Lieferant einer Zutat, die in einem der besten von mir verputzen Gänge der letzten Zeit eine wichtige Rolle spielte. Da die Wurst an sich nicht mehr zu verbessern ist, hat Meister Schnurr sie bloß transformiert, d.h. irgendwie molekuar geliert und in eckiger Stäbchenform auf den Teller gebracht. Dazu gab es Jakobsmuschelscheiben mit einem unverschämt guten Fruchtmus und lose darüber gestreut Pfifferlinge. Zu dem Zeitpunkt wusste ich, dass es extrem schwer werden würde, noch besser zu werden. Keine Kombination, die nicht gepasst hätte, Blutwurst mit Muschel, mit Frucht, mit Pfifferlingen, mit Wein, in unterschiedlicher Reihenfolge, in verschiedenen Zusammenstellungen, es schmeckte einfach jede Variante. Besonders bemerkenswert, dass der "Port" vom Spätburgunder so adaptationsfreudig war.
4. Hamachi Gelbschwanzmakrele, Gurke, Tosaka Alge, Avocado und Sojamilch-Zitrus, dazu Weinhaus zu Weimar, Sauvignon Blanc 2011
Die in Buttermilch sous vide gegarte Makrele war der andere Sensationsgang des Abends und glänzte mit einer weniger gewagten, dafür in jeder Zusammenstellung ebenso gelungenen Aromaorchestrierung wie der Blutwurstgang. Gegen den Wein gab es nichts zu meckern, etwas gewagter wäre vielleicht ein Viognier gewesen, aber im Zweifel ist der heimische Erzeuger mir sogar der liebere.
5. Steinköhler, Karottenbalm, grüner Pfeffer, Papaya-Maggikraut-Gribiche, dazu St. Antony Orbel GG
Der Steinköhler war gut, handwerklich mit derselben Perfektion zubereitet wie die Makrele, konnte aber vom Drumherum nicht mithalten. Die säuerliche Karotte war schlicht nicht mein Fall, die Gribiche hingegen schön, ohne aber aufregend zu sein. Das änderte der Wein, der aus einem ordentlichen Nebeneinander eine komplexe Einheit schuf. Eine Aromencuvée sozusagen, die mehr ist, als die Summe ihrer Einzelteile.
Ein dazwischengeschobenes Kokosflockensplitterchen mit Cassissorbet und Pul Biber kam gerade recht zum durchschnaufen. Cassis und Pul Biber wirkten wie Medizin, die herbe Frucht verband sich mit der pikanten Schärfe zu einem Tonikum, dem das wenig aromatische Kokosflockendings nur als Transportmittel diente.
6. Herzbries vom Limousin-Kalb, Kopfsalatherzen, Jahrgangssardinenpaste, Zitronenschalencrème und dünner Cräcker, dazu Pithon Lais 2009
Die Herzbriesstücke ließen das Herz aufgehen, was an ihrer perfekten Konsistenz lag und daran, dass ich mit gutem Jus bestechlich bin. Das Töpchen mit der Sauce habe ich mir deshalb gleich gesichert und zusammen mit dem dazu passenden Wein weggenascht. Mehr als willkommene Abwechslung für den Gaumen bot die aus 50 Zitronenschalen hergestellte Crème, hinter der die Jahrgangssardinenpaste leider glanzlos wirkte.
7. Secreto vom iberischen Garimorischwein darüber Kiwi-Jalapeno, daneben Paellacrème und roter Gamberoni, dazu Domaine du Mas Blanc Collioure Cuvee Les Junquets
Viel spalterischer, als alle Gänge zuvor war dann das Schweinchen mit Paellacrème und Gamberoni. Das Cuvéeprinzip wollte hier nicht recht greifen. Das Schwein mit dem farblich stärker als geschmacklich kontrastierenden Kiwi-Jalapeno-Streifen mundete erwartungsgemäß gut; die Paellacrème und der Gamberoni auch. Doch zwischen Land und See war kein Einvernehmen herzustellen. Beide wirkten wie eifersüchtig auf Abgrenzung voneinander bedacht und für mich eine Spur zu spannungsvoll. Der Wein milderte das gerade so weit ab, dass die Speisedimension für den Gaumen nachvollziehbar wurde, doch der Gang wirkte bei aller Begeisterung für seine beiden verschiedenen Säulen auch in der Nachbetrachtung wie ein nur aufgrund seiner Medikamentierung Ansprechbarer.
8. Käse, darunter ein gereifter Gapeyron, Früchtebrot, mit Koriander-Zitrone und Soja-Amarena Chutneys, dazu nochmal Dr. Wehrheims Porteo
Aus dem aufklappbaren Klavier-Käseauto kamen mir allerhand Schätze entgegengeduftet, meine Gunst genoss augenblicklich ein sofort erspähter reifer Gapeyron. Die anderen Käse waren natürlich nicht zu verachten, vor allem da sie taggenau affiniert sind. Die Korianderzitrone und das Sojaamarenachutney vervollständigten die Käseauswahl adäquat.
Abschließend gab es Eric Bordelet, Calvados 1995, ein Einzelfasscalvados und quasi der Armagnac unter den Calvadossen.
Überaus wohltuend, schnell, auf natürliche Weise freundlich, unaufgesetzt höflich und professionell ist der Service im Falco. Gastgeber Oliver Kraft ist stets verbindlicher Herr der Lage, Herr der Weine Christian Wilhelm ist mit seinen Vorschlägen bei mir durchweg auf Gegenliebe gestoßen und auf ihn geht übrigens auch der von mir an anderer Stelle voller Vergnügen besprochene alte Cognac im Fischers Fritz, seiner alten Wirkungsstätte, zurück. Die aromatisch verzwickte bis labyrinthische Küche mit passendem Wein zu begleiten, heimischem und gar bezahlbarem obendrein, ist eine Herausforderung, der sich Sommelier Wilhelm mit Bravour und tiefem Verständnis für die Küche von Aromaarchitekt Schnurr gestellt hat.