Das Deutsche Verpackungsmuseum in Heidelberg ist eines der wenigen und unter diesen vielleicht das kurioseste seiner Art. Ich kenne ehrlich gesagt nur dieses, aber in England, wo sonst, gibt es mindestens noch ein weiteres. Nicht „Deutsches“ Verpackungsmuseum zwar, aber Verpackungsmuseum. Eigentlich seltsam, dass es nicht viel mehr Museen dieser Art gibt, oder zumindest Leute, die sich öffentlichkeitswirksam mit allem standesgemäßem Getöse damit auseinandersetzen. Denn letztlich ist alles irgendwie verpackt und unterliegt Verpackung den unterschiedlichsten, ja widersprüchlichsten Anforderungen, sei es des Produkts selbst, oder der Produktsicherheit, des Designs und damit konkurrierend der Praktikabilität, der Marke und ihrem Geltungsanspruch, Umweltschutz, Recyclingfähigkeit, Preis usw., sie alle müssen, von der läppischsten Kaugummiautomatenfolienverpackung bis zum technischen Großgerät, unter einen Hut gebracht werden; ganz schön sophisticated. Die Odolflasche, die Maggiflasche, das Erdal-Schuhputzzeug, die Plop-Bügelverschlussflaschen mancher Bierhersteller und die schicken Geschenkverpackungen z.B. und nicht an letzter Stelle der Champagnererzeuger sind allgegenwärtige Zeugnisse und Indikatoren für die Wechselwirkung von Marke und Verpackung. Der Deutsche Verpackungsdialog kümmert sich alljährlich um dieses Thema. Seit 1998 kommen Markeninhaber, Markenbildner, -gestalter und -bewahrer als Redner in das Heidelberger Verpackungs-Museum, um dort über Erfolgsgeschichten der Markenführung und natürlich darüber, welch bedeutsamen Beitrag Verpackungen dabei leisten, höchst anschaulich zu referieren. Natürlich muss irgendwann auch über Champagner geredet werden. Dabei konnte ich glücklicherweise behilflich sein.

Mit Champagne Charles Heidsieck stand mir nämlich ein Erzeuger vor Augen, den ich schon einige Male mit Vergnügen besucht und über den ich im vorzüglichen Schluck-Magazins schon etwas länger zu referieren die Gelegenheit hatte. Warum nun aber ausgerechnet Charles Heidsieck? Weil die Marke alt ist, aber auch weil sie eine verworrene, verwirrende Markengeschichte hat, deren Wurzeln im deutschen Markt liegen und die gerade im deutschen Markt neuerlich Wurzeln zu schlagen versucht. Für eine Veranstaltung wie den Verpackungsdialog, wo die Empfänglichkeit der Teilnehmer, die fast alle selbst Inhaber familiengeführter Markenunternehmen sind, für eine solche Geschichte besonders ausgeprägt ist.

Ein anderer Vorzug solcher Einfädelungsarbeit ist natürlich der Weg dorthin, der sich nicht in ein paar Handytelephonaten erschöpft, sondern intensiven Vorortbezug und Empathie, bzw. Emphase, bzw. beides braucht. Zum eingrooven gab es vor Ort unter anderem Rosé Reserve, Lachs mit Rauchsalz, Chantilly aus Erbsen und Minze. Brut Millésime 2005, Steinbutt Escabèche mit süßem Gewürz, Blanc de Millenaires 1995, Brie de Meaux, Trockenfrüchte und Gorgonzolacrème. Ich Dummerle hätte wahrscheinlich im ganzen Leben nicht mit Rosé begonnen, wurde aber eines besseren belehrt, bzw. an die spezielle Leichtigkeit des Charles-Rosé erinnert, um nicht zu sagen vermahnt. Rauchsalz, Erbse und vor allem Minze gaben dem Ganzen und vor allem dem Lachs ein beinahe mystisches Gepräge und wirkten auf eine abstrakte, gastrosophische Weise so, wie eine gute Verpackung wirken soll. Der Millésime 2005, achte den Jahrgang!, funktionierte mit dem süßen Gewürz vor allem in einer nicht haremsartigen Weise, wirkte also nicht halbseiden oder wenn, dann nur so, dass es eben geil und nicht brunzdumm ist. Und beim Thema geil angekommen, muss natürlich Blanc de Millenaires ins Glas, der so schlau war, sich nicht mit dem Käse oder den Trockenfrüchten isoliert anzulegen, sondern erst reinzukicken, als im Mund schon alles ineinander vermanscht und in glitschige, enge Verschlingung geraten war, dann allerdings in der Funktion nicht eines wütend wie ein betrogener Ehemann hinzutretenden Dritten, sondern abrundend hier, prononcierend da, das Gesamtbild verschönernd und die Gesamtlust fördernd.

Dergestalt vorbereitet und präpariert musste der Vortrag von Stephen Leroux, den ich von Reims nach Heidelberg hatte lotsen können, gelingen und ganz sicher wäre er auch ohne meine Vorfeldgourmandise gelungen, aber zumindest für mich ist es doch ein schönes Gefühl, mir einbilden zu können, mit dem Gelingen einer Veranstaltung irgendwie zu tun zu haben.

Im Heidelberger Schloss gab es von Martin Scharff, vielen Essern sicher noch aus der Wartenberger Mühle bekannt, älteren Essern möglicherweise noch aus seiner Zeit im Dortmunder Casino Hohensyburg (bis 2006, zufällig auch das Jahr, in dem ich meine juristischen Studien, nach einem Wechsel von Bonn nach Münster, zum Abschluss brachte, um sogleich auf Weisung meines damaligen Dienstherrn – das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen o.s.ä. – nach Bochum zu ziehen, was unmöglich Zufall gewesen sein kann, war das dortige La Table immerhin Wirkungsstätte von Thomas Bühner), bei Jörg Müller oder Harald Wohlfahrt, eine klug abgestimmte Speisenfolge. Das hat folgenden Grund: Scharff, dessen Ex-Frau seit 2012 die Wartenberger Mühle führt, ist nicht nur der Bruder von Fernsehkoch Peter Scharff, sondern auch Absolvent der Heidelberger Hotelfachschule, wo er vor geschlagenen 25 Jahren bereits den Champagner-Wettbewerb der Hotelfachschulen für sich entscheiden und gewinnen konnte, woran im Heidelberger Schloss bis heute Erinnerungsstücke unzweideutig hinweisen. Als besonderer Freund des Hauses Charles Heidsieck war er selbst verschidentlich zugegen und hat die Cuvées des Hauses strahlendhell vor Augen.

Brut Reserve, Pétoncle mit confierten Karotten; Miniflammkuchen Elsässer Art; Salzpflaumen mit Ziegenkäse-Creme Brûlee; drei so verschiedene Kleinigkeiten, einmal die jodig-herbe Meerwasserkomponente und die pikante Süße des Champagners herausfordernd; einmal das herzhaft-würzige und einmal das salzige Element ansprechend, das war schon sehr genau dem Champagner abgelauscht.

Rosé Reserve, Delice vom gebratenen Hummer und Ceviche mit Hummer Bisquit und Kräutersalat, der leicht-feine Rosé ließ sich zum Hummer nicht lange bitten, hätte mit dem Ceviche sogar um ein Haar kurzen Prozess gemacht, wenn nicht Säure und Aroma vom Krebstier so anhaltend und gewinnbringend Widerstand geleistet hätten. Immer wieder erstaunlich, wieviel Kraft in so einem Champagner steckt.

Vintage 2005, Kross gebratener Wolfsbarsch auf Trüffelrisotto mit Petersilien-Beurre Blanc, was in Reims zum Steinbutt gepasst hat, passte hier zum krossen Wolfsbarsch, nämlich Reife und erst kürzliches Dégorgement, also ein Mix aus Röstnote, Flintigkeit, Zitrusfrische und Butter-Nuss-Mix. Ein schöner Spiegeleffekt, für den Gang.

Rosé Vintage 2006, Sanft geschmorte Kalbsbacke auf cremiger Thymian-Polenta und Romanesco, eine Vorbereitung auf das Hirschkalb oder ein Ringen der Rötlichkeit, bei der Polenta und Romanesco nur assistierende Funktion hatten, so wie es manchmal beim Stierkampf aussieht, wenn einige von den weniger wichtigen Männern dem Stier, setze: Kalbsbacke, mit ihren kleineren Waffen zusetzen, wobei der Thymian aber zu verdienter Ehre, vergleichbar der eines Lanzenreiters kam.

Vintage 1989 en Jéroboam, Hirschkalbsrücken unter der Macadamia-Pimpernellen-Kruste mit Pastinake und Rosenkohllaub, ein exquisit getroffenes Portrait, hyperreal gezeichnet, ohne ins Naive abzugleiten, vor allem Macadamia und Rosenkohllaub stachen positiv hervor, hoben aber dabei nicht ab. Der Vintage 1989 ist prêt a boire und der Gang dazu strahlte dieselbe Lebensfreude, Daseinsgerichtetheit und Verzehrlust aus.

Blanc de Millenaires 1995, Birnen-Karamellschnitte mit Birnenchutney, Muskateis und Brioche, für mich hätte es ein guter Käse getan, oder mehrere, Brioche und Muskateis gingen aber auch, die Birnekaramellschnitte sogar ebenfalls, obwohl ich mich bis zum Schluss nicht von Vorbehalten freimachen konnte. Die große Befürchtung, dass einige oder alle Aromen sich beißen könnten, traf zum Glück nicht ein und das war auf seine Weise auch ein ziemlich emotionales Erlebnis.