Jonathan Margolis machte vor kurzem in seiner stets lesenswerten Technikkolumne darauf aufmerksam, wie faszinierend Fachsprache sein kann. Dazu muss man sich nicht air traffic control broadcasts reinziehen, was leicht möglich wäre und was ich zufällig jetzt gerade über die App LiveATC Air Radio mache.
“Portland Ground, United 135 off runway 28R at alpha six.
United 135, taxi straight ahead to gate charlie five.
Straight ahead to charlie five, United 135.”
So und anders klingen da die verrauschten und kaum verständlichen Nachrichten, die trotzdem ein Gefühl von Professionalität und Sicherheit vermitteln. Zum nachvollziehen reicht es im Normalfall aus, wenn man sich daran erinnert, wie entschlackt und reduziert die Meldungen z.B. im Bordfunk sind, die man als Passagier bei Flugreisen so mitbekommt. Auch da wird nicht nebulös rumgeeiert:
“doors to arrival, crosscheck and all call”.
Früher habe ich mit ähnlicher Freude die Physikalischen Blätter gelesen, zumindest die kleineren vermischten Nachrichten darin.
Ganz anders Pseudofachsprachen wie die sogenannte Weinsprache, die sich als Kunstsprache wie ein Esperanto aus mehreren verschiedenen Fachsprachen, teils handwerklichen, teils naturwissenschaftlichen und für die Feuilletontauglichkeit den unvermeidlichen Hilfswissenschaften, zusammensetzt. Da wimmeln die interdisziplinären Begriffsbeliebigkeiten natürlich nur so vor sich hin und laden jeden ein, sich mit seiner jeweils eigenen Rabulistik daran abzuarbeiten und Diskussionen über z.B. Schwefelgehalt, Salzigkeit oder Mineralik im Wein zu führen. Ob sinnreich oder nicht, als Sprachspiel taugt die Weinsprache allemal, weshalb ich mir die ganze Einleitung auch hätte sparen können. Flugs zum Wein:
In der Champagne sind Clos im Trend. Diese Trends können sehr dauerhaft sein und bezeichnen daher oft wichtige Entwicklungslinien der Champagne. Holz, Rosé und Dosage sind solche außerhalb der Champagne deutlich merkbaren Entwicklungslinien, an denen sich die Produzenten der Champagne jeweils höchst individuell positionieren, wenn sie wollen. Ein anderer Trend ist die Beschäftigung mit dem Rebsortenspiegel. Hier gibt es einmal die Beschäftigung mit den alten Rebsorten, unter denen speziell der Weissburgunder immer wieder positiv auffällt. Dann gibt es noch die Beschäftigung mit Neuzüchtungen, die mit den klimatischen Bedingungen der Zukunft zurecht kommen sollen. Ob das nicht nur eine fixe Technokratenidee ist oder ob hier wirklich nahtlos Champagnergeschichte fortgeschrieben werden kann, wird man sehen. Wenn ich mir vergegenwärtige, wieviele Neuzüchtungen ich beim Namen kenne und wieviele davon mir als genussvoll trinkbar in Erinnerung geblieben sind, hege ich momentan Zweifel. Bessere Vorschläge habe ich aber leider nicht, das Wetter selbst wird man ja kaum nach Belieben ändern können. Egal. Clos sind also im Trend. Dieser Trend bezieht sich nicht nur auf Clos, sondern auf Lagen allgemein. Clos sind nur ein besonders prägnanter Ausdruck davon. Die Stars unter den Clos sind der Clos des Goisses und der Clos du Mesnil, unter den neueren Clos ist der Clos d’Ambonnay einer der bekanntesten, der Clos Pompadour einer meiner Lieblinge. Flammneu ist außerdem der Clos Lanson (1961 und 1986 gepflanzte plots mit einer um satte 2°C höheren Durchschnittstemparatur bei hohem Durchlässigkeitsbeiwert, bzw. hydraulischer Leitfähigkeit, also schnellem Wasserabfluss, was den Boden überwiegend trocken hält).
Lansons Kellermeister Hervé Dantan hat gerade erst den Jungfernjahrgang 2006 freigegeben und bis 2015 jedes weitere Jahr einen in petto. Ich habe mich da im Frühjahr mal durchprobieren dürfen und bekam sogar noch ein kleines Töpfchen Honig geschenkt, mit Honig von den Bienen, die im biodynbewirtschafteten Clos ihre Arbeit verrichten. Der Wein wird sechs bis acht Monate im Holzfass (dreifache Vorbelegung mit Bourgogne Grand Cru und Fässer aus der lokalen Argonner Eiche, die Familie Lanson hat ihre Wurzeln dort) vergoren, um die typischen Stärkungseffekte zu erzielen, ein Zugewinn an Griffigkeit wird nicht angestrebt, die closeigene Typik brauche das nicht, so Dantan.
Den 2015er gab es als Stillwein mit 11,3 % vol. alc. frisch vom Fass. Der Wein schmeckte schon in dieser Fassung sehr elegant, hatte süßlichen Schmelz, pikante Säure, eine großzügige Burgunderaromatik und schien mir sehr elegantes Ausgangsmaterial für einen prachtvollen Champagner zu sein.
Der 2014er, gefüllt im Juni 2015, war von apfeligen Aromen und apfeliger Säure geprägt, wirkte lebhaft bis aufgeregt, mit viel Hefe und Kokos, dabei präzise und unverwackelt, mit Luft weicher und weniger nervös.
Der 2013er hatte mehr tartrische Säure, auch wieder Kokosraspel und Ananas, weniger Zitrusfrische bei gleichförmig starkem Säureeindruck. Ich fand ihn erst etwas zwischen den Stühlen, mit Luft aber immer noch sehr stramm und etwas entschiedener, durchsetzungsfreudiger als den 2014er.
Der 2012er war dann beinahe das genaue Gegenkonzept zum 2014er, viel weniger Kokos und Apfel, dafür schon sehr entwickelte Noten von Mandel und vanilliertem Puderzucker, im Kern ein festgewirkter, sehr munterer Bursche, muskulös, sicher, mit gesunder Säure und würziger Schärfe.
Nicht sehr beeindruckend war 2011, ein Jahrgang, der hier und bei einigen anderen schon im August eingeholt wurde, was beim 2015er super geklappt hat, bei 2003 und 2007 aber nicht immer nur die helle Freude war. Der Wein hätte etwas mehr Zeit in der freien Natur gebrauchen können, wie ein Kind, das zu früh eingeschult wurde. Es ist natürlich alles da, aber etwas zu schwächelnd, etwas zu süsslich.
Gut entwickelt zeigte sich der mit nur 5000 Flaschen eingebrachte 2010er. Delikat, aber nicht zerbrechlich, ganz leicht tonisch, als hätte man Schweppes mit natriumreichem Mineralwasser verdünnt. Etwas Wachs, etwas wenig Säure, etwas Orangina.
Schon jetzt sehr gut trinkbar war 2009, fleischiges Obst, offene Arme, Crèmigkeit, Sahnigkeit, Butter, vorhandene und gut platzierte Säure, ein Vergnügen schon jetzt. Laut Hervé Dantan ist angedacht, den 2009er vor dem 2008er herauszubringen, auch wegen der Parallelen zu 1989 und 1988. Ich fänd’s gut.
Sehr vielversprechend war 2008. Rauflustig, intelligent, wie Tyler Durden aus Fight Club, nur ohne die Kapitalismuskritik. Entwickelt, immer noch vielversprechend, mit Luft immer weiter nach oben steigend, sehr stark.
Der 2007er war auch schon sehr weit, aber eben fast schon wieder zu weit für sein Alter. Orangenfruchtfleisch, saftspritzend und einer leicht zügelnden Herbe. Viel Trinkspass, bei dem aber mitschwingt: wie lange wird der noch so bleiben? Und: was kommt danach? Vielleicht ein guter Clos Lanson, um sich mit Clos Lanson bekanntzumachen.
Der 2006er Jungfernjahrgang hatte einen erstaunlich starken Holzdurchschlag, viel Gebäck, Gewürze, hellen Tabak, Shishabarcharakter, freundliche, optimistische Säure. Mit Luft kommt eine winzerige, sehr individuelle Räuchernote durch, die gar nicht wie großes Haus schmecken will, im Mund bleibt der Champagner dann aber doch wieder so geschmeidig wie ein ganz großer. Gelungener Auftakt und wenn sich alle nachfolgenden Jahrgänge als ähnliche Mixturen und Wundertüten entpuppen, hat Lanson da etwas prachtvolles an den Start gebracht, mit ca. 195 €/Flasche in der Liga eines Clos des Goisses ziemlich gut und klug positioniert.
Fazit: Nachdem ich einige ältere Lansonjahrgänge seit 1971 getrunken habe und vor allem den 1971, 1976 und 1979 überaus gut, ja phänomenal fand, bin ich ziemlich sicher, dass der Clos Lanson mit ähnlicher Langlebigkeit ausgestattet in einigen Jahrzehnten noch so manche Weinrunde sehr erstaunen und entzücken wird.