Gentleman's Library: Champagner

Ingo Swoboda

Fackelträger, 2009

239 Seiten

€ 24,95

ISBN: 978-3-7716-4412-3

 

Ein beachtlicher Anteil berufstätiger Männer zwischen 19 und 39 hat zur Zeit nichts wichtigeres zu tun, als einem seltsamen Gentlemanideal hinterherzuhecheln, über das sich kübelweise Spott, ätzendes Hohngelächter und anmaßende Kritik ausgiessen liesse. Und die darbende Buchindustrie freut's nicht wenig, schwellen doch seit Jahren die Grabbeltheken und Präsentierborde der Buchhandlungen an und ächzen unter ihrer kuriosen Last von Ratgebern, die für das adäquate Gentlemandasein scheinbar weithin klaglos als unbedingt erforderlich empfunden werden. So einfach und bekloppt das Thema ist, es gibt genügend Käufer. Die Dienstleister der Kniggeindustrie sind beredte Zeugen der entweder nur gespürten, oder sei's drum, von mir aus der tatsächlichen Verwahrlosung, Verrohung, wenn nicht gar Verrottung des Sittlichkeitsempfindens und seiner Gegenbewegung in Form des neuzeitlichen Gentlemantums. Darüber kann man sich ausgiebig und in schön gesetzten Worten ärgern und in vielen deutschen Haushalten ist ein lauter werdendes Murren ob der Gentlemanraserei unserer jungen Männer bereits deutlich vernehmbar und wird lauter werden und sich dermaleinst Bahn brechen, oder auch nicht.

Das Gentlemanthema jedenfalls, das ist einer seiner Vorzüge und gibt ihm die unwahrscheinliche Facettenhaftigkeit eines Insektenauges, lässt sich mit so vielen Ikonen abendländischer Genusskultur in eine unheilvolle Allianz drängen, dass auch der letzte Trittbrettfahrer seiner dazugehörigen papiernen Gemütsverfassung den Anstrich einer kundigen und längst überfälligen Würdigung verleihen kann, ohne dabei negativ aufzufallen. So palavern die Autoren ungezwungen über Zigarre, Cognac, Kragenstäbchen, Herrenarmbanduhren und alte Sportmobile und verzapfen dabei ganz schön was weg.

Kein Wunder, dass der Champagner nicht ungeschoren davonkommt. Die Gentleman's Library des Fackelträger-Verlags konnte Ingo Swoboda für sich gewinnen. Ich gebe zu, ich habe mit einigem Unbehagen den Verfassernamen auf dem Umschlag gelesen, steht der doch sonst für zeitloseres Schreiben. Die Aufmachung des Buchs jedenfalls ist nett, ein dreiseitiger Silberschnitt, Lesebänzl, schlichtes, unverspieltes Layout, dickes Papier, hübsche Aufnahmen. Nach einem angenehm kurzen Vorwort von Silvia Lafer legt Swoboda los. Und nach genau siebzehn Zeilen ist jeder Anflug von Sorge und Voreingenommenheit verflogen. Die pralle Lebensfreude und Lust an der guten Küche taucht gleich zu Beginn in Form des fabelhaften Monsieur Fernand Point auf, jenes legendären Kochgotts, der sein Tagewerk gern mit einem Glas Champagner begann und es auch gern damit beendete. Und dazwischen auch gern mal ein Glas trank, so dass sein Bedarf an Magnums nicht unerheblich war. Im Anschluss macht Swoboda klar, dass Champagner nichts für Kleingeister ist, die ihr Leben der Suche nach einer billigeren Alternative gewidmet haben (S. 17) und damit liegt er goldrichtig. Überhaupt liegt er immer dann goldrichtig, wenn er seiner Erzähllust freien Lauf lässt, denn dann gelingen ihm aphorismenhafte Sentenzen und die einprägsamsten Schilderungen. Passagen wie die obligatorische und zumeist stinklangweilige Kurzgeschichte des Champagners meistert Swoboda vor allem wegen seines unaufgeregten, stellenweise freundlich-ironisch durchbrochenen Erzählstils. Als einer der wenigen Autoren schwärmt er nicht von lieblichen Weinbergshügeln oder Ähnlichkeiten mit der römischen Campagna, sondern findet einen viel besseren Zugang: die an sich reizlose Champagne ist Teil der France profonde, sie bildet mit ihrer lokalen Küche und ihrem Wein die bodenständige und reichhaltige Basis, für die spätere Verfeinerung an Fürstenhöfen und in Sterneschuppen. Einmal in die Region eingeführt, geht es im Schnelldurchlauf durch die Untergebiete der Champagne, wobei Swoboda etwas lapidar darauf hinweist, dass an der Aube mehr und mehr Pinot Blanc zu finden sei. Denn das ist keine Selbstverständlichkeit, wie sie z.B. für Rheinhessen oder die Pfalz kaum der Rede wert wäre. Immerhin dürfte ein Großteil der Leserschaft immer noch davon ausgehen, dass Champagner nur aus den drei Rebsorten Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier hergestellt werden darf. Schwamm drüber.

Auf S. 64 hätte dem Lektorat auffallen dürfen, dass AOC-Produkte über den Verzehr hinaus weniger eine mystische, als eine mythische Bedeutung für viele Franzosen haben. Aber dem Lesevergnügen tut das keinen Abbruch, gekonnt führt der Verfasser den Leser durch die Tücken der Gesetzgebung und des Markenschutzes. In den Kapiteln 3 und 4 geht es dann langsam zur Sache, sehr behutsam impft Swoboda die Gentlemen mit technischen Informationen zur Champagnerproduktion und klärt dann erst einige der süßen kleinen Verkostungsgeheimnisse des Champagners – ein Herrschaftswissen, das die Champenois leicht nachvollziehbar in vier Kategorien unterteilen. Taktisch klug kommt er daraufhin auf die Frauen zu sprechen. Nicht die, die der Gentleman unausgesetzt nonchalant bezirzt, sondern die großen Frauen, resp. Witwen der Champagne. Da gibt es manches zu erzählen, denn zwei der bekanntesten von Ihnen, Lily Bollinger und Barbe-Nicole Ponsardin, waren überaus beeindruckende Persönlichkeiten. Über Swobodas Empfehlung, Champagner nicht in größeren Mengen einzulagern, kann man sicher streiten – den meisten Novizen ist damit aber letztlich gut geraten. Ähnlich kann man die Empfehlung sehen, Champagner nicht stehend, sondern liegend zu lagern, wobei die überwiegende Zahl der Stimmen in der Fachwelt davon ausgeht, dass stehende Lagerung vorzuziehen ist.

Wertvolles Partywissen gibt Swoboda dann auf S. 109 preis: wer anhand der alterungsbedingten Korkenform eines Champagners mit Juponne oder Cheville die richtige Bezeichnung parat hat, dürfte nicht nur in Günther Jauchs Ratesendung ein heisser Kandidat für die Millionenfrage sein. Ein kleiner Wermutstropfen ist der Ausrutscher auf S. 120: Jahrgangschampagner liegt von Gesetzes wegen mindestens drei Jahre auf der Hefe, nicht vier, wie bei Swoboda geschrieben steht. Eine freundliche Handreichung ist hingegen die Jahrgangstabelle, die dann noch kommt. Wie Jahrgangstabellen nunmal so sind, geben sie meist nur sehr pauschal Antwort auf die Frage, ob ein bestimmter Wein aus einem bestimmten Jahr kaufens- oder trinkenswert sein könnte. Die von Swoboda verwendete Tabelle hat den großen Nachteil, dass sie in sehr champenoisfreundlicher Auslegung praktisch jedes dort genannte Jahr für mindestens gut erklärt. Als Kaufratgeber taugt sie deshalb nicht. Was sie hingegen vermittelt, ist ein Eindruck von den Erntebedingungen und Entwicklungspotentialen der verschiedenen Rebsorten über die letzten Jahrzehnte hinweg. Gerade ausgewiesene Stillweintrinker, die geneigt sind im Champagner eine weniger ernstzunehmende Spielart ihres Lieblingsgetränks zu sehen, können mit solchen Tabellen vielleicht etwas mehr anfangen.

In Kapitel 6 stellt Swoboda die verschiedenen Flaschenformate vor und erklärt, welches Format Sammlerherzen höher schlagen lässt und welches nicht. Dabei hätte er erwähnen können, dass Grossformate jenseits der Dreiliterbuddel nicht flaschenvergoren werden müssen, sondern regelmäßig transvasiert werden. Macht er nicht, macht aber nichts. Das Buch schließt mit einer Vorstellung empfehlenswerter Biowinzer und bekannter, für den Ruhm des Champagners maßgeblich verantwortlicher Erzeuger. Mein großes Kompliment gilt der gelungenen Auswahl an biodynamisch arbeitenden Winzern – diesen Pionieren so viel Platz einzuräumen ist alles andere als selbstverständlich. Vor allem stehen deren Champagner geschmacklich oft in einem scharfen Kontrast zu denen großer Häuser. Dieser Spagat ist Swoboda vorzüglich gelungen!

Mein Fazit: in dem Spannungsfeld zwischen Gentlemanwichtigtuerei und eingängiger, gleichzeitig seriöser Weinschreiberei macht Swobodas Champagnerbuch wohltuend wenig Zugeständnisse an den Zeitgeist. Auch wenn manche Passagen wie ein Entschärfungsversuch allfälliger Kritik an einem – von mir – als unnötig empfundenen Genre wirken, ist der Champagnerband der Gentleman's Library ein gelungenes Werk. An Klarheit, lakonischem Witz und Gehalt dürfte es von anderen Gentlemanbüchern kaum übertroffen werden. Dem Autor, dessen Freude am Champagner ganz ohne große Gesten auskommt und vollkommen natürlich wirkt, sei's gedankt.