Eine ganz neue Winzervereinigung, deren Logo dem der (nicht nur) Münchner Bier-, bzw. Weininseln sehr ähnelt, hat sich für die Grands Jours in der Champagne den Sonntagnachmittag und einen sonnigen Platz in meinem Herzen gesichert. Nicht so sehr im homoiopathischen Sinne eines similia similibus curentur sind der Ähnlichkeiten noch weitere: beim Namen der Truppe, die als "Des Pieds Et Des Vins" firmiert, drängt sich zumindest mir als sprachenübergreifendes Homoioteleuton immer gleich Steinbecks "Of Mice and Men" auf. Ohne dass es deshalb gleich zu Todesfällen kommen muss, ist das vielleicht gar nicht mal so abwegig, wie wir gleich sehen werden.
Nach neunzig Jahren zeigte sich das Bois Joli auf halber Strecke zwischen Reims und Epernay 2014 erstmals wieder in neuem Glanz. Bis dahin war der Laden ein eher beliebiger Schuppen am Wegesrand, an dem man immer nur möglichst schnell vorbei zum nächsten Ziel seiner cruise'n'booze Tour sauste. Der von Herrn Jolibois gegründete Laden nahm sich der Pieds et Vins Winzer gern an und wird das nicht bereut haben.
Die einzelnen Winzer stelle ich nach und nach etwas ausführlicher vor, an dieser Stelle genügt es sicher, wenn ich die ergreifendsten Cuvées skizziere. Bei manchen Neuentdeckungen muss ich mich sowieso erst noch vor Ort vergewissern, dass der Eindruck, den ich auf der Probe gewonnen habe, nicht nur einmaliger Natur war, sondern mindestens in seiner Grundtendenz bestätigt wird. Für praktisch alle Winzer gilt: die Mengen sind sehr klein, vielfach gerade mal an die 10000 Flaschen pro Jahr, manchmal sogar deutlich weniger. Exklusivität ergibt sich so ganz von selbst.
Champagne Barrat-Masson kommt aus Villenauxe, etwas unterhalb von Sézanne und auf der Nord-Süd-Achse von Epernay über die Côte des Blancs bis nach Troyes leigt der Ort grob spiegelbildlich zu Vitry-le-Francois. Ähnlichen Überraschungscharakter hat der Chardonnay von dort. Der Parcellaire "Les Margannes" aus dem Erntejahr 2011, non dosé, kommt förmlich aus einer anderen Welt, der Mund fühlt sich an, wie mit einem Heliumballon gefüllt, der plötzlich zerknallt und wie eine Kreidesplitterbombe gegen die Backen querschlägt. Famos.
Bleiben wird doch, bzw. gehen wir noch etwas weiter in den Süden, zu Champagne Robert Barbichon aus Gyé-sur-Seine, zwischen Les Riceys und Essoyes. Thomas Barbichon macht einen guten Réserve 4 Cépages aus 70PN 10M 10PB und 10CH, dessen Dosage kleinere Unebenheiten wegbügelt und einen sympathischen Champagner entstehen lässt. Besser noch, wenngleich etwas rustikal, mit Wildkirsche, Malz und einer herbfröhlichen Art ist der mit 6 g/l dosierte Rosé de Saignée.
Champagne Rémi Leroy aus Meurville, wieder etwas nördlich von Essoyes, immer noch in der Aube, gelegen, kenne ich seit meinem ersten oder zweiten Troyes-Besuch (leider viel zu spät und viel zu oberflächlich). Gekauft habe ich meine ersten Flaschen damals im Crieurs de Vin, nicht beim persönlichen Check vor Ort. Das persönliche Kennenlernen ging dafür umso leichter während der Pieds et Vins vonstatten, wo mir der strenge, gespannte, düstere Brut Base (2010) mit 6 g/l besser als der 2009er gefiel und noch eine Nummer besser war die Basis 2011 mit nur noch 3 g/l.
Der Ruf von Champagne Etienne Calsac aus Avize ist stellenweise schon auf die rechte Rheinseite herübergedrungen und wer dem Klang der Kreide aus Grauves lauschen will, sollte sich die beiden Versionen der L'Échappée zu Gemüte führen. Die gibts mit 6 und mit 2 g/l dosiert (Traubenmostkonzentrat), der Mix ist bei beiden 95CH 5PN und das Erntejahr ist jeweils 2010. Grauves, das wegen seiner Lage auf der Hügelrückseite der Côte des Blancs vor allem für seine Säure und in Teilen für besondere Langlebigkeit bekannt ist, gibt dem Chardonnayerzeuger aus Avize einen besonderen Dreh.
Champagne Corbon, auch aus Avize, macht einen Champagner mit 35 Jahre alter Solera, der für Solerachampagnerfreunde eine echte bereicherung im Portfolio darstellen wird. Mir war er etwas zu weich geraten. dafür habe ich mich umso leidenschaftlicher in den Absolument Brut verliebt. 50CH 25PN 25M aus der 2008er Ernte, 0 g/l Dosage, im Februar 2015 dégorgiert – ein Traum von einem Hammer von Champagner. Einer der ganz großen Überrascher des Wochenendes.
Aus Cumières kommen immer mehr schöne Erzeugnisse. Yann Vadin von Champagne Vadin-Plateau zum Beispiel gehört nach meiner jüngsten Wahrnehmung auch dazu. Nicht alle seine Champagner gefallen mir, was vor allem an der für mich zu hohen Dosage liegt. Aber seine Cuvée Aurelie aus der Lage Chêne la Butte, ein reinsortiger Chardonnay, im Ei vergoren, hat schon ganz gute Substanz. Und die Cuvée Y aus der Einzellage Bois des Jots, 100PN aus dem Fass, zeigt, wohin die Reise einmal gehen könnte, wenn Yann sich zu mehr Präzision und weniger Zucker entschließt.
Nichts zu deuteln gab es bei Champagne Aurélien Lurquin aus Romery, nur wenige Kilometer hinter Saint Imoges gelegen. Der Meunier 2013 non dosé ohne BSA war so rasend schnell, so blitzeschleudernd furios und ungestüm wie ich die Rebsorte noch selten erlebt habe. Das hier ist Schach, nicht Dame.
Champagne Thomas Perseval aus Chaméry, neben Ecueil, dem heimlichen Gravitationszentrum der Champagne, habe ich erstmals in der Epicerie au Bon Manger in Reims getrunken. Dort wurde ich noch nie enttäuscht, bzw. wenn, dann nur weil die eine oder andere Flasche nicht mehr verfügbar war. Thomas Perseval also macht das, was ich leider einen geilen Saufstoff nennen muss. Das gilt schon für den Tradition aus 45PN 45M 10CH aus 2012er Ernte ohne Dosage und noch viel mehr für den zu meinem großen Ärger ausverkauften Drittelmix Grande Cuvée aus den Lagen La Masure, La Pucelle und Le Village; wieder 2012er Ernte, wieder Nulldosage, noch geilerer Saufstoff.
Von Chamery weiter nach Norden fahrend gelangt man irgendwann, d.h. recht schnell sogar, nach Gueux. Bevor man dort ankommt, liegt Vrigny auf der Strecke, wo der unglaubliche Guillaume Sergent für den eponymischen Champagne Guillaume Sergent verantwortlich zeichnet. Dieser Champagner ist der zweite ganz große Überrascher des Wochenends geworden. Aus zwei Parzellen stammt der Les Prés Dieu, ein 100CH Extra Brut, der wie eine naturtrübe Apfelsaftschorle mit einem Spitzer schwarzer Johannisbeere schmeckt, Kuchenteig, Streusel, gute Butter und trotz aller Omazutaten eine Finesse und Leichtigkeit, rabiate Power und jugendliche Unbekümmertheit, so explosiv wie Volleyball im Minenfeld.
Sehr philosophisch wurde es mit dem schon länger in meinem Glas wirkenden Champagne Stroebel von Timothée Stroebel aus Villers-Allerand. Dessen einfachen Héraclite aus 100M kenne und schätze ich, die Roséversion davon habe ich kennengelernt und schätze sie nun, aber der eigentliche Donnerstoß ist der Logos d'Héraclite, ein Rosé de Saignée aus 100PN, 2005er Ernte, Brut Nature. Nur 814 Flaschen gibt es davon und gefühlt müssen es zehnmal so viele sein, deren Extrakt Stroebel eingefangen und auf sein kleines Kontingent konzentriert hat wie Tomatenmark in der Tube. Reife Kirsche, Eau de Vie, Schlehenfeuer, Erdbeerpurée, Himbeere, Zimt, Nelke, schwarzer Pfeffer, betäubende Würze. Von wegen Heraklit, der Dunkle. Das hier ist illuminaughty.
Champagne Mouzon-Leroux aus Verzy erfreut sich in Deutschland schon einiger Beliebtheit, in Billy Wagners nobelhart & schmutzig gibt es zum Beispiel den Atavique aus 60PN 40CH, der zu 20% Fass gesehen hat und mit 3 g/l dosiert ist. Das ist die Einstiegsdroge. Der Ineffable und vor allem der Rosé de Saignée L'Incandescent aus 100PN, 100% Fass, mit 4 g/l dosiert, ist ein ungeheures Kraftpaket und einer der Rosés, die kunstfertig und höchst unterhaltsam zwischen Frucht und Holz, weiniger Gemütlichkeit und champagneriger Ungeduld pendeln.