Weiter geht die Reise entlang der großen Bar. Die nächste Station ist Veuve Devaux, bevor zum Schluss zwei Mitspieler der Winzertruppe Terres et Vins de Champagne kommen, über die ich im Rahmen der Verkostungsberichte von den großen Frühjahrsverkostungen noch mehr zu sagen haben werde.
VII. Veuve Devaux
Die große Cooperative der Aube gehört mit Co.Ge.Vi, der ältesten Champagner-Genossenschaft, zur Alliance Champagne. Unter deren Dach befinden sich außerdem die Union Auboise und Covama, die mit Marken wie Champagne Pannier, Champagne Jacquart, Champagne Montaudon und Champagne Collet operieren. Ein Riesenladen also, der 2500 ha Rebfläche kontrolliert. Marie Gillet und Kellermeister Parisot waren so freundlich, mir Teile dieses Reichs zugänglich zu machen.
Das ist im Leben hässlich eingerichtet/Daß bei den Rosen gleich die Dornen stehen.
Deshalb geht es zuerst an die Vins Clairs, den Zahnschmelz etwas zurückstutzen. Das ist jedenfalls immer meine Grundbefürchtung. Im Idealfall präsentieren sich die Grundweine dann viel zahmer als gedacht und sind für Rieslingtrinker nicht selten richtiggehend trinktauglich.
Bei den Blanc de Noirs aus Riceys mit und ohne BSA fielen mir lakritzige, süßholzige und Noten von Cassis auf, stets umwölkt von einem mentholischen Einfluss, teilweise mit feinkörnigem Salz, insbesondere der allererste Vorlauf der ersten Pressung, also im Ergebnis ein Anteil von vielleicht 200 Liter, war bei aller feingliedrigen frucht doch sehr salzig.
Der Chardonnay war recht umgänglich, gleich, ob aus Montgueux, Chouilly, Montaigu oder sonstwo in der Champagne. Gutmütig, weich, mit reifer Zitrone, etwas banane und dem Frühstücksapfelkompott von Danone sehr ähnlich, das ich wenig zuvor verspeist hatte.
Die Reserven aus dem Fuder waren da schon deutlich komplexer. Beim Mix aus 55PN 45CH schien mir das Holz noch etwas zu üppig, aber da der Wein hintenrum wie ein Ballon aufging, ist er dort wo er jetzt ist, gut platziert und wird sich dermaleinst als wohlbalancierter Reservewein erweisen. Ganz anders eine Solera aus Chouilly-Chardonnay, 1995-2012, die nicht im Fuder sondern im Tank heranwächst. Hier hat sie viel Raum für grosse aromatische Flexibilität, der Wein wird so weich und soleratypisch, wie angestrebt, schon jetzt zeigt er sich mit feiner Spannung und köstlicher Nuss. Eine später angelegte Solera Cuvée "D" von 2002-2012 mit 40CH 60PN entpuppte sich als sehr femininer Wein, chambollehaft, in der Nase ein feines Parfum, im Mund weich und säureschwach, das Holz nur als Idee merklich, ohne technische Funktion.
Bei den fassvinifizierten Weinen gab Riceys sich als sportliche Joggerin, Banane und Fruchtzucker sind die passenden Energielieferanten, das Holz strukturiert und in der Nase fühlt sichs wohlig warm an. Die fassvinivizierten Montgueux hielten sich leider nicht besonders gut, grillierte Süß-Salzigkeit herrschte vor und wurde von einem Chinakohltönchen nicht gerade positiv untermalt. Da muss sich noch was tun. Viel getan hat sich beim elegantesten der Weine, der von einem für Eleganz bekannten Terroir stammt, nämlich aus Urville, und mich sogleich an die Weine von Drappier erinnerte, bei denen genau diese geschliffene und polierte Eleganz ein bestimmendes Wesensmerkmal ist. Der Pinot aus der Vallée de la Seine 2008 hingegen stammte aus einem der am frühesten ausreifenden Sektoren und ließ das auch schmecken. Muskat und eine verschlafene Weiblichkeit schienen mir hier prägend. Nördlich von Urville tendiert die Eleganz in Richtung atärkerer Fruchtigkeit; südlich, auf dem Hochplateau zeigt der Pinot wieder vermittelnde eigenschaften und in Riceys stehen sich Frucht und Kraft gegenüber.
Ganz interessant finde ich immer wieder, wie viele Anregungen die Champagne aus der Bierindustrie übernimmt. Dort wie hier wird Tangentialfiltration und Jetting angewandt, was im fertigen Produkt wahrscheinlich niemanden interessiert. A propos fertiges Produkt: als nächstes kommt bei Devaux das Degorgierdatum aufs Etikett, was ich sehr begrüße.
Champagnes:
1. Cuvée "D" Extra Brut
Feine, wohlige Wärme, das jodige, meinetwegen mineralische, salzige Element macht den Champagner zu einer Empfehlung bei Speisen ohne jegliche Sauce. Raffinierterweise merkt man nichts vom eingesetzten Holz, positiv dürfte wohl auch der Einfluss von Reserveweinen ohne BSA zu werten sein.
2. Cuvée "D" Brut
Der Chmpagner wird von Grillaromen beherrscht und ist mit 8 g/l dosiert, das macht ihn rundlich und gut, da er trotz allem nicht zu hoch dosiert erscheint.
3. Cuvée "D" Rosé
Ein Assemblagerosé, die Rotweinzugabe liegt bei 10-12%, der Pinot dafür stammt aus Riceys und Neuville. Der Rosé "D" ist immer ein jahrgangschampagnerg, aktuell 2008 aus hälftig CH/PN, ein Drittel bis zur Hälfte davon ist ohne BSA. Das ergibt eine Buttergebäcknase, lecker frisches Backofenbrot, außerdem ersetzt der Champagner den roten Fruchtaufstrich beim Frühstück. Wieder sind mit 7 g/l höhere Dosagewerte erreicht, als ich bevorzuge, aber die ansprechende, sogar etwas scheue Nase und das helle, schwache, ja hilfeheischendes Rosé mit weissem Charakter versöhnt mit dem unbotmäßigen technischen Wert. Insgesamt ist der Rosé frisch bis unschuldig, mit herzlichem Griff.
4. Millésime 2002 en Magnum, dég. Ende 2012
Die Normalflasche ist schon bei 2005 angekommen, daher war es schön, diesen in der Aube gut gelungenen Jahrgang nochmal probieren zu können. Hälftig PN/CH, zeigt er sich reif und entwickelt, mit erstem Kastanienhonig und getrockneten Blüten, vor allem Kamille, was mir nicht so arg zusagte; ich würde den Champagner noch etwas liegen lassen.
VIII. Olivier Horiot
Wer meine Notizen verfolgt, weiss, dass ich Horiot schon länger im Blick habe, mit den Jahrgängen vom Anfang der 2000er Jahre aber gehadert habe. Nach mehreren ins Land gegangenen Jahren und Ernten hat sich das geändert. Bei meinem jüngsten, aber beileibe nicht letzten Aube-Besuch habe ich einen Blick in das Reich von Horiot geworfen und bin zusätzlich beruhigt. Dort läuft alles bestens. Die Frühjahrsverkostungen in der Champagne sind mittlerweile leider weit davon entfernt, getreue Lagebilder zu liefern, einfach weil es dort zu voll und drängelig ist. Für mehr als eine grobkörnige Momentaufnahme reicht es nicht; wenn man aber die Summe der Verkostungseindrücke zusammennimmt, ergibt sich sehr wohl ein brauchbares Bild, das sich insbesondere schärft, wenn man die deutlich verbesserten Einkaufsmöglichkeiten nutzt, die der Onlinehandel bietet. Denn dank einiger engagierter Händler bekommt man heute mühelos Champagner nach Hause geliefert, die früher unbedingt eine Tour vor Ort erforderten. Da mir die ruhige Nachverkostung besonders heißer oder besonders wackliger Kandidaten sehr wichtig ist, freue ich mich natürlich sehr über diese Entwicklung.
Eine verdienstvolle Hilfe beim Terroirverständnis bietet Horiot mit seinen Stillweinen an. Den südlich ausgerichteten "En Valingrain" kann man dabei als den Grand Cru und den ostexponierten "En Barmont" als Premier Cru verstehen. Der Valingrain 2009 ist leicht, elegant, mit Kirsche, Cassis, Blüten, Malz, Nüsschen und zum Schluss hin Süßholz, manches Belgische Bier könnte so duften. Fruchtiger und um eine Spur einfacher gestrickt ist der Barmont, mich erinnern beide entfernt an Barolo und Barbaresco. En Valingrain hat 2010 als Besonderheit einen weißen Coteaux Champenois hervorgebracht, der sich aus Chardonnay, versehentlich vom Père Horiot gepflanzt, und Weißburgunder zusammensetzt. Schmatzt sich buttrig und karamellig vom Gaumen weg und ist mit mäßiger Säure ausgestattet, ganz ähnlich Badischem Weißburgunder aus der Dr. Heger Klasse, dachte ich mir beim probieren.
1. Cuvée Sève Rosé de Saignée 2007 Extra Brut
Pinot Noir aus Fassvinifikation, der ab 2008 aus der Lage Barmont stammt. Dieser hier ist immer noch sehr beerig, hat aber auch händevoll Rosenblüten, phenolische und nussige Töne gehen darin fast völlig unter, der Champagner wirkt auf mich wie persisches Pistazien-Rosenblüteneis. Mit Luft wird er dann auch sehr lasziv, eine sofortige Verführungsgarantie gibt es aber nicht, der Rosé 2007 ist dann doch mehr vom Typ trojanisches Pferd oder Langsamwirker.
2. Cuvée Sève Blanc de Noirs 2008 Brut Nature
Die weiße Version des Sève dampft sich, im Glas angekommen, erstmal aus wie jemand, der nach 20 Minuten 95°C-Sauna in den Schnee hinaustritt.Speck, Rauch und Nussmix, Räuchermandeln, Ingwer, Zitronengras und tonisierende Herbe. Ein Champagner von der Aube in denkbar guter Form!
3. Cuvée 5 Sens 2009 Brut Nature
Arbane, Pinot Blanc, Pinot Meunier, Pinot Noir und Chardonnay, fassvinifiziert und über ein Jahr dort drin gelassen, um sich zu vereinigen. Der resultierende Champagner ist saftig und trägt reichhaltige rote Äpfel mit sich herum, außerdem Blütenblätter, darunter wieder Rose und wie so oft in diesen Zusammenstellungen alter Rebsorten habe ich den Eindruck, im Konzert zu sitzen, wo jede rebsorte eine Solopartie spielen darf und sich sonst als teamplayer beweisen soll. Nicht allen gelingt das immer so gut, wie hier.
4. Cuvée Métisse Noir et Blancs Extra Brut
80PN 20PB, 2006er Basis, damals noch im kleinen Fass vinifiziert, jetzt ins Fuder übergesiedelt; der Reservewein stammt aus Solera, die Dosage liegt bei 2 g/l. Schönes easy drinking, wenn man zB an Horiots Wuzzler kickert. Nashibirne, Litschi, Apfel; als Siegestrunk genauso gut, wie wenn man verloren hat und den Schmerz zu lindern sucht.
IX. Marie-Courtin
Die Aube ist bekannt für ihre starken Pinots, die Chardonnays aus dem nächst Chablis gelegenen Champagne-Teilgebiet kennt man hingegen seltsamerweise kaum. Von Pinot dominiert sind gewöhnlich auch die Champagner von Dominique Moreau, die unter dem Namen ihrer Großmutter derzeit heftig reüssiert: als Hommage an die Ahnin heißt das Haus „Marie-Courtin“. Die Formel für den brausenden Erfolg ist sorgsame sélection massale im Weinberg, wo konsequente Biodynamie stattfindet, während die Holzfassvinifikation mit weinbergseigenen Hefen weitestgehend interventionslos erfolgt. Unverfälscht ist daher auch die Präsentation ihrer Champagner, ganz ohne tünchende Dosage.
Dominique Moreaus kleines Weingut an der Seine verfügt über Weinberge mit schöner Ostexposition, 6 Ar liegen am begehrten oberen Hügelrand, rechteckig darunter erstrecken sich die weiteren 2 Hektar. Bei einem so kleinen Betrieb gibt es nicht dauernd sehr viel Neues zu berichten; aber doch: etwas Arbane hat Dominique neu gepflanzt, die Rebsorte gibt freilich nur sehr wenig Ertrag von unter 2000 kg/ha. Man kennt die Champagner von Dominique hier noch nicht sehr gut, dabei macht sie alles richtig. Der Einsteiger ist rasant und messerscharf, die Concordance kommt völlig ohne Schwefel aus, Efflorescence und Eloquence sind Zeugnisse großer Weinbereitungskunst, die in keinem Augenblick verkrampft oder gezwungen wirkt.
1. Eloquence
Schöngeister, Humanisten und Angeber kennen Aristophanes als einen der großen griechischen Komödienschreiber, dessen Spott demaskiert. Ganz gleich, wo man sich nun selbst intellektuell ansiedelt, der Eindruck, den der Blanc de Blancs „Eloquence“ von Marie-Courtin macht, dürfte bei jeden ehrlichen Menschen mit einem Funken Weinverstand derselbe sein: Fassungslosigkeit und offenmündiges Staunen über den – und hier bediene ich mich bei dem genau zu diesem Zweck erwähnten Aristophanes – likymnischen Glutblitz unter den Champagnern und seine mehr als unverblümte Art. 100CH aus hälftig 2010 und 2009, 2009 hat Fassausbau genossen, 2010 war nur im Stahl; als reinsortiger Chardonnay stellt die Eloquence eine Ausnahme im Portfolio der Champagner von Marie-Courtin dar; doch bleibt die Dame dahinter ihren Prinzipien treu. Das erklärt den weihnachtskometenhaften Einschlag dieses Champagners am Gaumen, festlicher und natürlicher zugleich kann man gar nicht trinken. Feinste Holznoten bergen einen goldenen Schatz reifer Äpfel, Orangen und Gewürze, Säure strahlt selbst durch den dicksten Weihnachtsbraten noch hindurch und veredelt gestopfte wie ungestopfte Foie. Der Champagner hat außerdem eine Ladung gezuckerter Kräuter in der Nase, Rosmarin, Thymian fallen mir dazu ein, die leichte Zuckeranmutung ist fraglos auf den Extrakt des undosierten Champagners zurückzuführen. Sehr raffiniert und aus dem Hinterhalt wirken Rosenwasser, Faludeh, und Verbene auf den verblüfften Gaumen ein. Muss man probiert haben.
2. Resonance
100PN aus 2011, non dosé, aus dem Stahl, ist dieses Spitzenjahr frei von Krankheiten; der Ertrag lag bei Marie-Courtin zwischen 4600-9500 kg/ha und ergab diesen schlanken, glatten, erst im Hals vernachlässigbar hitzigen Champagner, der mit typischem Malzbonbon nicht gerade um sich wirft, aber doch sehr artig spielt. Agrumes, Nektarine und Ingwer schärfen den Champagner gekonnt auf. So geht ein gelungener Einstiegschampagner.
3. Efflorescence
100PN, der Ausbau erfolgt für elf Monate in gebrauchten 228 l Fässern aus Burgund. Dem 2009er nimmt man gern sein feines Holzaroma ab und erfreut sich an der brillanten, schlanken, schimmernden Säure darunter, denn die notwendige Frucht bleibt voll erhalten und ganz am Ende hat das Holz einen wärmenden Einfluss.
4. Concordance
100 ungeschwefelter PN aus 2010; das ist ein nur entfernt nussiger wein mit etwas oxidativem Ton, der kein Luftton ist. Delikat, vielschichtig, sonderbar im positiven Sinne.