Champagne Ruinart lud nach Essen. Nicht in die Résidence, nicht zum Nelson Müller (der die Schote für diesen ausgiebigen Auswärtslunch aber offensichtlich gern verließ), sondern in das Grillhaus Bistecca, dessen understatement (u.a. Pétrus 1961 en Magnum im begehbaren und verglasten Weinklimaschrank) man sich ähnlich ausgeprägt vorstellen kann, wie vom Grill Royal in Berlin. Frederic Panaiotis, seit 2007 chef de cave bei Ruinart stellte seine jüngsten Babies vor, bzw. genaugenommen sind es natürlich gar nicht seine, sondern die seines Vorgängers: Dom Ruinart Blanc 2002 und Dom Ruinart Rosé 1998, mit einer kleinen Entourage der beiden jeweiligen Vorgängerjahre.
Vor, während und nach dem Lunch gab es viel zu erzählen. Eine schöne Neuerung ist nach Jahren endlich durchgesetzt, die Jahrgangschampagner von Ruinart werden künftig ihr Dégorgierdatum auf dem Rückentikett oberhalb des Barcodes in der Form "DGT JJJJ/MM" tragen. Das Dégorgierdatum jahrgangsloser Champagner kann man weiterhin auf Anfrage bei Ruinart erfahren, dazu muss man lediglich die Lotnummer mitteilen. Hierbei gibt es eine nicht unwichtige Einschränkung: Flaschen, die vor 1992 dégorgiert wurden, lassen sich über die Lotnummer leider nicht bestimmen. Da müssen Etiketten, Füllstand und andere Kriterien herhalten.
Interessant fand ich auch, dass Ruinart so wie alle großen Erzeuger eine ziemlich strenge Nachhaltigkeitspolitik integriert hat. So wird selbst das Stromsparverhalten der Büromitarbeiterinnen jährlich evaluiert. Einen wesentlich bedeutsameren Posten macht aber das Wasser- und Umweltressourcenmanagement, CO2-Footprint (nicht: die Bläschen im Champagner), sowie die energetische Optimierung der Produktionsstätte(n) aus. Nicht nur bei Ruinart ist man heute in der Lage, den Frischwasserverbrauch je produzierter Flasche anzugeben – das ist schon bemerkenswert, wird aber praktisch überhaupt nicht kommuniziert. Deshalb mache ich das immer wieder. A propos Flasche: da ist Ruinart natürlich etwas im Nachteil, die kürzlich vorgestellte leichtgewichtige neue Standardflasche wird man dort nicht so schnell einführen können. Dafür ist das bauchige Format zu sehr mit dem Namen Ruinart verbunden. An einer Leichtversion des bauchigen Modells wird derzeit gearbeitet.
Unumwunden kam Fred Panaiotis auf das Problem der Flaschenvarianzen und auch des Korks zu sprechen. Seiner Meinung nach ist der ideale Verschluss nicht Kork, nicht Dreh & Plop, sondern der bewährte Kronkorken. Schließlich tut der während der gesamten zweiten Gärung seinen zuverlässigen Dienst unter ziemlich anstrengenden Rahmenbedingungen. Schade, dass sich diese richtige Ansicht bis jetzt nicht auch in den entsprechenden verordnungsgebenden Gremien durchsetzen konnte. Ein anderes Problem ist das der Oxidation; viele Flaschenvarianzen lassen sich nach Panaiotis' Meinung auf fehlendes oder schlechtes Sauerstoffmanagement zurückführen. Ein Blick rüber in die Bierindustrie sei da hilfreich. Von dort kommt bekanntlich die Jetting-Technologie, die man bei Ruinart mittlerweile ebenfalls erfolgreich anwendet.
Ein letztes Sorgenkind, von dem man in der Champagne fast nie etwas hört, ist die Botrytis. In den Crus der Côte des Blancs spielt die kaum eine Rolle, aber in der Vallée de la Marne eben doch. Da haben die fetteren Böden ein anderes Drainageverhalten und in den Seitentälern findet sich die Edelfäule schon in merklicherem Ausmaß, ebenso teilweise in der Montagne de Reims, wo es dann nicht 'nur' die Pinot Meunier, sondern den noblen Spätburgunder trifft und den Winzer verdrießt. Ein Flächenphänomen ist die Nobefäule nicht, wie Fred Panaiotis relativierte, aber man muss sie im Blick haben, wie die Gesundheit der Trauben insgesamt an vorderster Stelle zu stehen habe, noch vor Säure und Dosage. Auch das gestand er dabei freimütig ein: früher habe er gedacht, Säure sei essentiell wichtig für ein langes Champagnerleben; Jahrgänge wie 1947, 1959 und 1976 haben gezeigt, dass das nicht zwingend so ist – beim 2003er Dom Pérignon werden bekanntlich genau diese Jahrgänge gern ins Feld geführt, um dem säurearmen 2003er Dom ein langes Leben vorherzusagen; zu Unrecht, wie ich meine.
Während der erkenntnisreichen Zeit, die ich mir mit Fred Panaiotis gesichert hatte, konnte ich mir einige Gläschen vom Opener genehmigen, der sich sehr leicht und für meinen Geschmack geradezu wässrig zeigte. Als Apéritif sicher schön, mir aber zu sommerlich und unverbindlich.
Opener: Blanc de Blancs NV
Dann gab es Essen.
I. Carpaccio vom Wildsteinbutt, Garnelen, Kräuterschaum, dazu
1. Dom Ruinart Blanc 2002, dég. im Februar 2011
2. Dom Ruinart Blanc 1996 en Magnum
Beim Dom Ruinart Blanc 2002 kommen 72% des Chardonnays aus den Grand Crus der Côte des Blancs, vorwiegend aus Chouilly und Avize, 38% der Chardonnays kommen aus den Grand Crus Sillery und Puisieulx in der Montagne de Reims; Mailly ist auch mit drin, spielt aber keine herausgehobene Rolle. BSA. Mit 6,5 g/l ist er erstaunlich knapp dosiert. Beim Dom Ruinart Blanc 1996 kommen 60% des Chardonnays aus den Grand Crus der Côte des Blancs, vorwiegend aus Avize, Cramant und Le Mesnil, 40% der Chardonnays kommen hauptsächlich aus den Grand Crus Verzenay, Sillery und Puisieulx in der Montagne de Reims. BSA. Mit 10 g/l ist er erstaunlich hoch dosiert.
Reduktiv, treibend, schon ganz vorn im Mund unverhohlen kraftvoll und dann mit Wucht den Aromapfropfen aus Cashewkern, blanchierten Mandeln, Marille und Yuzu in den Rachen schiebend. Buttrige Malonoten, runde Säure und ein sahniges 2002er Mundgefühl. Ganz anders dagegen der 1996er aus der reifeverlangsamenden Magnum. Brettharte Säure, von feinster Konditoren-Buttercrème nur knapp gezügelt; weit hinten andeutungsweise Champignon. Dass der mit 10 g/l dosiert ist, meint man nicht, daher eine sinnreiche Lektion für Dosagedogmatiker, die meinen, nur Extra Brut sei das Wahre und verhelfe dem natürlichen Champagnercharakter allein zur vollen Geltung.
Zum mutig gesalzenen Kräuterschaum hatte es der 96er einfacher, als der harmoniesuchende 2002er. Der fand seinen idealen Partner in der weitestgehend naturbelassenen Garnele, mit dem Carpaccio waren beide Champagner gut.
II. Gebratene Jakobsmuschel, Fenchelsalat, Safransauce, dazu
1. Dom Ruinart 1996 en Magnum
2. Dom Ruinart 1998
Beim Dom Ruinart Blanc 1998 kommen 66% des Chardonnays aus den Grand Crus der Côte des Blancs, vorwiegend Avize, Cramant und Le Mesnil, 34% der Chardonnays kommen aus den Grand Crus Verzenay, Sillery und Puisieulx in der Montagne de Reims. BSA.
Hier hatten wir eine Flasche vom 98er, die extrem reduktiv ausgefallen war und eine andere 98er, die sich in Normalform zeigte. Die erste war mindestens eine Stunde lang reinste Austernkiste. Dahinter tat sich nicht viel, ein paar Zitronenspritzer höchstens, die in Richtung des 96ers wiesen. Außerdem Holz, das im Dom Ruinart eigentlich gar nicht vorhanden sein kann, da es keine Verwendung findet. Sparkling Chablis. Die Vergleichsflasche war runder, geöffneter, candyhafter, verspielter, weicher, hatte viel mehr Biscuit, unaufdringliches Brioche, Aprikose. Diese erhebliche Flaschenvarianz ließ sich nicht recht zufriedenstellend erklären. Tröstlich immerhin, dass sich der erste superreduktive Dom Ruinart mit Luft immer weiter der Normalflasche annäherte.
Die reduktive Flasche hatte mit ihrem Muschelkutterduft einen gewissen Heimvorteil bei der St. Jacques, der 96er konnte dazu auf Augenhöhe brillieren und kam darüber hinaus mit Fenchel und Safran besser zurecht. Der beste Allrounder war die Normalflasche vom 98er.
III. Wildlachstartar, Crème fraîche, Kaviar, dazu
Dom Ruinart Rosé 1998
Basis ist mit 85% der weiße Dom Ruinart, dem ein burgundisch – mit pigeage – zubereiteter Pinot Noir aus Sillery, Verzy und Verzenay zugegeben wird. BSA. Mit 5 g/l sogar Extra Brut dosiert.
Weiches Tannin, Ringelblume, kandierte Blütenblätter, fritierte Kapuzinerkressenblüte, herbe Kaffernlimette, Erdbeere, Himbeere, Waldboden. Warmer, weicher, anschmiegsamer Champagner, dessen niedrige Dosage sehr klug gewählt ist, weil der Champagner dadurch nicht an seinen eigenen Aromen erstickt. Einer der wenigen 98er, dem ich lange und aufregende Reife zutraue.
Schmeckte, wie nicht anders zu erwarten, sehr gut zum Wildlachs auf Kartoffelpuffer, blühte enorm kontrastreich zur Crème fraîche auf und vereinnahmte selbst den zu fruchtigem Rosé oft schwierigen Kaviar.
IV. Kalbsfilet "Rossini", Trüffeljus, Kartoffel-Millefeuille, dazu
1. Dom Ruinart Rosé 1996
2. Dom Ruinart Rosé 1990 en Magnum
Basis des 96er Dom Ruinart Rosé sind mit 84% die Chardonnay Grand Crus der Côte des Blancs und der Montagne de Reims im Verhältnis 55/45, dazu kommen 16% Pinot Noir aus Verzy und Verzenay. BSA.
Basis des 90er Dom Ruinart Rosé sind mit 83% Chardonnay Grand Crus, dazu kommen 17% Pinot Noir aus Verzy und Verzenay. BSA.
Der 96er Dom Ruinart Rosé prunkt mit Wildkirsche, Vetiver, Zitronengras, sehr pfiffig eingesetzter Säure, die enorme Spannung erzeugt und ihre Aromakameraden geschickt umschlängelt. Und was macht der 90er? Der kommt mit einer Eingangsnote von Milchkaffee und weißer Schokolade, Mandelkrokant und edlen Tropfen in Nuss. Dann schält sich eine nicht endenwollende kandierte Orangenschale ab, Ingwer, agrumes, ein sorgfältig gehegtes Pilzbeet kommt zum Vorschein und das alles mit hypnotisierender Laszivität. Der sexieste Wein des Menus und mein Wein des Tages.
Der 96er Dom Ruinart Rosé trinkt sich weiterhin herrlich zur Kartoffel und zeigt sich als ein Champagner der mehr als alles andere eine stärkehaltige Speise benötigt, um sich daran auszutoben. Säugetierprotein ist dafür genauso geeignet. Der 90er Dom Ruinart Rosé braucht sich nicht austoben, er lässt sich ausführen und legt dabei einen großen Auftritt hin. Zur Leber so selbstverständlich und nonchalant wie mit dem Trüffeljus, dem Trüffel selbst und natürlich ganz unbeschwert im Wechselspiel mit dem Kartoffel-Millefeuille.
V. Mangosorbet
Zum erfrischenden Mangosorbet brauchte ich keinen Champagner, da waren mir zwei Triple-Espressos lieber.
Übrigens:
Im Jahr 2029 wird es einen denkwürdigen Champagner aus dem Hause Ruinart geben, über den Fred Panaiotis jetzt schon nachzudenken begonnen hat. Eine Wiederholung des L'Exclusive, den es zum Jahr 2000 gab, wird es aller Voraussicht nach nicht geben. Ob es sich stattdessen um einen reinen Jahrgangschampagner oder um eine Solera handeln wird, ist noch nicht absehbar.