Jedes Chapitre hat seine höchst eigenen Denkwürdigkeiten. Mal sind es die Champagner, mal die prominenten Gäste, die versammelten Sterneköche oder der Ort des Geschehens. Was alle Chapitres gemeinsam haben, ist die bombastische Stimmung, die sich Jahr für Jahr im Laufe eines gepflegten Dîners am Tisch entwickelt und in den aberwitzigsten, hier nicht zu erörternden Situationen kulminieren kann, aber nicht muss. Dieses Jahr war der offizielle Teil des Chapitres aufgrund der vielen bekannten und befreundeten Gesichter direkt ein Heimspiel. Hätte ich nicht am nächsten Tag schon um die Mittagszeit wieder in Essen sein müssen um dort drei verschiedene Seminare am Stück zu leiten, wäre ich auch nicht bereits um kurz vor 5:00 Uhr zu Bett gegangen, sondern hätte die After-After-Party noch weiter perpetuiert und die Grenzen des menschlich Machbaren verschoben. So wurde daraus erstmal nichts, schön war's trotzdem.
I. Apéritif
1. Lanson Extra Age Blanc de Blancs
Der Startapéritif kam aus dem Keller von Jean-Paul Gandon und basiert auf 2005er Chardonnay mit Reserven aus 2004 und 2003. Gegenüber dem einfachen als Black Label bekannten Non Vintage reift er etwas länger, was ihm, da Lanson auf BSA verzichtet, etwas mehr Weichheit und Fülle verleiht. Zu einem richtigen Multi Vintage im Stile von Grand Siècle oder Krugs Grande Cuvée reicht es indes nicht. Wer Apfelblüte, Lemon Curd und Mandelnoisette mag, ist hier gut aufgehoben.
2. Pommery Apanage Rosé en Magnum
Rauchiger, würziger, natürlich mit erheblich mehr rotem Fruchtanteil und einer magnumtypisch überlegenen Attitüde folgte mit leicht wippendem, vom fast hälftigen Chardonnayanteil beschwingtem Gang der Rosé von Pommery, den ich nicht unbedingt besser fand, selbst auf Mittelstrecke und dort hinzutretender Pinotweinigkeit nicht. Mich sprach die professionelle Frische des Blanc de Blancs von Lanson mehr an.
3. Alfred Gratien Millésime 1999
Einen deutlichen Zahn zu legte daraufhin der handdégorgierte 99er Alfred Gratien, den ich nur ungern verlässlich nennen will, weil mir das zu gutsherrlich klingt. Gleichzeitig ist Alfred Gratien kein Champagner, dem man besondere Sexyness nachsagt, andere haben es da leichter. Warum, ist mir nicht klar. Denn die Champagner von Alfred Gratien sind mir in den letzten mindestens zehn Jahren noch nicht ein einziges Mal negativ, dafür praktisch immer positiv aufgefallen. Diesen Abend dasselbe. Leicht kompottige Aromen, Druck und Säure, ein Champagner, der aufmerksam werden lässt.
4. Cuvée William Deutz 1998 en Magnum
Der Alfred Gratien 1999 war arg dicht dran, am William Deutz. Der hatte merklich Mühe, sich des barriquevinifizierten Verfolgers zu erwehren und musste alle Register seiner Prestigewürde ziehen, d.h. vor allem in den Bereichen Eleganz, Komplexität, Aromenbreite bei gleichzeitiger Präzision in den Außenbereichen und unmerklich tragender Säure glänzen. Da war er teilweise so ununterscheidbar eng neben dem Alfred Gratien, dass die Entscheidung, welcher der beiden Champagner mir an dem Abend besser gefiel, reine Gefühlssache ist.
II. Menu aux Champagnes
Norman Fischer vom Hotel-Restaurant La Terrasse (* GM) lieferte saubere Arbeit ab, ohne bei den regulären Gängen Kapriolen zu schlagen. Die kamen dann in schmackhaftester Weise beim Dessertoverkill.
1. Foie Gras mit geeistem Ziegenjoghurt und Süßholz, dazu Drappier Millésime Exceptionnel 2002 en Jéroboam
Wie gut hätte hier der Pommery Rosé zum Ziegenjoghurt gepasst, sich mit dem Süßholz paaren können und der Foie Gras Paroli geboten – zum Glück waren die Apéritifchampagner noch nicht völlig ausgetrunken, so dass der erste Gang kein Reinfall wurde, da der an sich gute 2002er Drappier hierfür zu zahm und hilflos wirkte.
2. Limfjord-Auster pochiert mit Blumenkohl und Zitrone, dazu Nicolas Feuillatte Blanc de Blancs 2005
Der Chardonnay mit dem wogenden Wiegeschritt, einer etwas reichlicher ausgestatteten Walzerdebütantin nicht unähnlich. Passte besonders gut zum Blumenkohl, von der Auster ganz zu schweigen. Die Zitrone ersetzte die im Champagner von mir vermisste Säure so gut, dass die Zusammenstellung als stimmig durchging.
3. Kaisergranat mit Birne, Bohne und Speck, dazu de Saint Gall Blanc de Blancs Orpale 1998
Den Speck gab es als Crumble, was ich als Unart empfinde. Sonst war der Gang gut, höchstens der Granat für meinen Geschmack zu weich. Der de Saint Gall, der für sich genommen nicht zu den schillerndsten Champagnerpersönlichkeiten gehört, trat zu den Speisen nicht mit dem Anspruch an, allem einen genialischen Überzug zu verleihen, sondern bot solide Unterhaltung. Apfeltarte, ein frischer Mürbeteig, ein herbes finish.
4. Kalbsrücken, Boudin Noir, Minilauch, dazu Moet et Chandon Grand Vintage 1995
Der Kalbsrücken war fein, die französische Blutwurscht etwas aufwendig in Teig eingepackt und dadurch erst nach dem Auslösen voll schmeckbar. Beides passte sehr gut zum reifen 95er, der sich immer mehr als Schläfer des Jahrzehnts erweist und nun erst so richtig aufzutauen beginnt.
5.1 Dessertvariationen "Erde", dazu Veuve Clicquot Rare Vintage 1988
Ein sehr hartes Rennen lieferte die Veuve ihrem sieben Jahre jüngeren Konzerngeschwisterchen. Die guten Desserts habe ich gesondert davon weggenascht, nicht nur, weil ich Desserts und Champagner ungern kombiniere, sondern vor allem weil der Vergleich zwischen Moets 95er und Veuves 88er so fesselnd war.
5.2 Dessertvariationen "Frucht", dazu Duval-Leroy Lady Rose Sec
Sehr glücklich war ich mit der Kombination des nicht genügend süßen Lady Rose und den überreichlich vorhandenen Desserts. Es ist doch in Wirklichkeit so, dass Champagner besser noch zu essighaltigen Speisen schmeckt – das wird jeder sofort bestätigen, der einen robusten Bauernchampagner zu einem ebenso robusten Salade Perigourdine mit einer Vinaigrette, die ernstgenommen werden will, verzehrt hat -, als zu Süßem. Warum trotzdem immer wieder Champagner und Desserts kombiniert werden, begreife ich nicht. Wahrscheinlich, weil dann eh schon alles egal ist und seriöse Gourmets in diesem Stadium schon entschlummert, mit der Zigarre, ihrer Tischnachbarin oder jedenfalls anderem zugange sind, als Champagner und Dessert gleichermaßen? Ich bin ehrlich überfragt. Den Lady Rose habe ich trotzdem gern getrunken und zwar zu einer schönen Davidoff Millennium Blend Robusto, was diesen Teil des Abends bestens beschloss.