Immer im Oktober ist das Grand Chapitre des Ordre des Coteaux de Champagne. An mein erstes Grand Chapitre erinnere ich mich noch sehr lebhaft, es fand ebenfalls im Adlon statt und endete infernalisch, nicht nur, weil am selben Abend im Club Felix die Afterparty der Venus stattfand.
Also voller Vorfreude die Klamotten gepackt. Da ich am Vorabend des Grand Chapitre in Heidelberg einen kleinen Auftritt in der Schlossgastronomie von Martin Scharff, manchem sicher noch aus der Wartenberger Mühle bekannt, zu bestreiten hatte, wurde die Anzugtasche mit Smoking, Schuhen, Krimskrams und Wechselwäsche für eine Woche ziemlich schwer. Da ich es nicht einsehe, mein Gepäck bei Inlandsflügen aufzugeben, wurde der Transport zur Belastungsprobe. Blutige Handinnenflächen und Schneidersitz in der Businessclass, weil die vor mir stehende Anzugtasche keinen Platz für noch so kurze Stummelbeine erlaubte, sind noch das geringste. Aber egal.
Eine Köche-Trias aus Hendrik Otto vom Lorenz Adlon Esszimmer (18/**, nach Stationen im
Haerlin , Brenners und der Traube Tonbach), dem Küchenoberhaupt des China-Club im Adlon Chef Tam und seiner Exzellenz Harald Wohlfarth bestritt den gastlichen Teil des Abends.
Der Aperitif war denkbar leicht gehalten, Hendrik Otto beschränkte sich auf ein Garnelencarpaccio mit Limonenschmand, gelierte Tomatenglace und Chili; Tatar vom Rottstocker Saibling, grüne Gemüsesauce und Joghurtschaum; Wachtelei, Kartoffelstampf, Senfsauce und Saiblingskaviar. Zu alledem gab es Nicolas Feuillatte Chardonnay Brut 2006, eigentlich als Vor-Aperitif, aber ich hatte mich nicht nur vorher schon mit dem geschmeidigen Zeugs angefreundet, sondern mir auch noch ein gut gefülltes Glas gesichert, um es zusammen mit den Apérokleinigkeiten zu probieren. Dazu gab es außerdem Alfred Gratien Brut Rosé, mit dem ich etwas länger, d.h. sicher so über drei bis fünf Gläser ins Gebet gehen musste, Billecart-Salmon Blanc de Blancs Grand Cru Brut en Magnum, der sich widerstandslos einfügte, Cattier Blanc de Noirs Brut, der in einem chardonnaylastigen Umfeld die dunkle Seite der Macht vertrat und de Saint Gall Blanc de Blancs Premier Cru Brut en Magnum, eine ganz gelungene Ausgabe, nachdem de Saint Gall bei allen Bemühungen doch immer nur irgendwo in den hinteren Reihen steht und von vielen Sommeliers pflichtschuldigst verkauft wird, wahre Begeisterungsstürme aber noch nicht erregt hat. Wirklich falsch machen kann man bei so einer Auswahl küchenmäßig wahrscheinlich nichts, vor allem den Saibling aus der Zucht des Rottstocker Forellenhofs von Matthias Engels und Susanne Finsterer (die beiden Quereinsteiger haben den Betrieb erst vor drei Jahren übernommen) bereitete Vergnügen. Kartoffelstampf und Wachtelei mag sowieso jeder gern; aromatisch gut ineinander verschränkt war das Carpaccio mit seinen verschiedenen Komponenten und der Chilinote.
Dann ging dass Menu in zwei Akten los. Hendrik Otto lieferte in der ersten Szene Salat von Roter Bete, getrocknete Beeren, Puntarella, Traube, Walnüsse und Buchweizen an den Tisch, dazu gab es Bollinger Special Cuvée en Magnum. Dagegen war nichts einzuwenden. In einem guten Veganrestaurant hätte ich mich über diesen etwas müslihaften Gang vielleicht sogar gefreut. Aber: nichts einzuwenden reicht bei zwei Sternen nicht, da hilft der schönste und zuverlässigste Bollinger nichts. Schwacher Auftakt also, leider. Es folgte in der zweiten Szene ein geschmortes Spanferkelbäckchen, Polenta, Zitrone und geräucherte Paprika, dazu gab es Lanson Noble Cuvée Rosé. Damit war die Scharte nicht ganz ausgewetzt, denn selbst wenn ich unbesehen mehr von der Schweinebacke nachgeordert hätte, Polenta und Paprika überzeugten mich dazu nicht. Wohl aber der wenig beachtete Lanson Noble Cuvée Rosé, der letztlich wie Beppo am Ende des ersten Akts von Leoncavallos Bajazzo die Situation entschärft.
Etwas zwiespältig sah ich dem zweiten Akt entgegen. Der begann mit Chef Tams signature dish, einem Wasabi Prawn mit Sojasauce und Thaimango. Davon hätte ich den ganzen Abend weiterfuttern können. Ähnlich muss es den Deutschen gegangen sein, als die ersten Chinarestaurants eröffnet hatten und das Volk sich erst an Nummern und später an Buffets überfraß. Zum Glück ist das vorbei und die Vietnamesen, die zum Schluss die Chinarestaurants immer geführt haben, bekennen sich heute zu ihrer eigenen, sehr starken Küche. Also war ich versöhnt und vor allem vom dazu gereichten Delamotte Blanc de Blancs Brut 2007 erheblich befeuert, Delamotte war mir in den letzten drei Jahren mehrmals als unangenehm hoch dosiert oder sonstwie zu süß aufgefallen, blieb aber hier völlig im Rahmen und wird sich auf eine Nachinspektion gefasst machen müssen. Auf Chef Tam folgte die Inszenierung von Harald Wohlfahrt, Confierte Heilbuttschnitte, Ananas-Mangochutney, Duftreiscreme, Kaffirlimette, Macadamia und Thaicurry. Spätestens wenn ich Kaffernlimette irgendwo lese, ist es um mich geschehen, so sehr mag ich die. Gespannt war ich auf die Verbindung mit Louis Roederer Edition Starck Brut Nature 2009, der ganz frisch auf den Markt gekommen ist und, selbst nicht ganz leicht, den nicht ganz einfachen 2006er ablöst. Allseitige Entwarnung, die Kombination war gut und mehr als gut, sie gab Satisfaktion. Der Aromenzauber von Harald Wohlfahrt, die Schwingungsfähigkeit des Champagners, das war schon von Format. Deshalb konnte mich die Jakobsmuschel mit Kartoffelmousseline, Seeigelkaviar und Champagnersauce nicht schockieren, denn weder Jakobsmuschel noch Seeigel gehören in irgendeiner Form zu meinen Lieblingen. Sehr wohl gehört aber der Champagner, Pommery Louise Brut Nature 2004, zu meinen Lieblingen und verbesserte den schwierig gewordenen Stand von Hendrik Otto merklich. Einerseits nahm sie den Faden auf, den der Roederer schon vorgesponnen hatte, andererseits hüllte sie Muschel und Kartoffel strukturbildend ein. Das half beiden, sich aromatisch weiter hervorzuwagen, was wiederum zu einer besseren Einbindung von Kaviar und Sauce führte. Als nächstes war die Perlhuhnbrust von Hendrik Otto dran, sie wurde serviert mit grünem Spargel, Estragon Buttersauce und Kalbsglace, dazu gab es Moet et Chandon Grand Vintage Rosé en Magnum, was von vorn bis hinten passte, auch wenn es nicht besonders originell wirkte. Dieser Rosé war für mich nicht nur für die Dauer von drei Gläsern sondern auch darüber hinaus wahrscheinlich sogar der Wein des Abends, worüber ich mich gar nicht genug verwundern konnte, was ich aber keinem verriet. Einen mächtigen Kontrahenten hätte der Rosé in Gestalt des Deutz Cuvée William Deutz 1999 en Magnum gehabt, der mit einem Dessert von gedörrten Sauerkirschen, Basilikumeis, Topfen und gesalzenem Schokoladencrumble serviert wurde. Leider war der arme Deutz hier denkbar schlecht untergebracht und wollte unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zum Dessert passen, das Hendrik Otto in sich sehr gelungen zusammengestellt hatte. So verlor der Champagner durch seine ungünstige Positionierung und durch den Verlust des Bundesgenossen litt auch die Speise, die an dem Abend aber, zusammen mit dem Garnelen Carpaccio zum besten gehörte, was Hendrik Otto auf den Tisch gestellt hat.
Für die hinzukombinierten Champagner konnte von den Köchen keiner etwas, die gehorchen bei einem Grand Chapitre anderen Regeln, was man bis in alle Ewigkeit wird hinnehmen müssen, fürchte ich.