Zum Abschluss der Verkostungsreise gab es die gerade erst zur zweiten Gärung in der Flasche angesetzte Assemblage 2011 des Piper Heidsieck Brut und die schon in Flaschen befindliche Assemblage 2010 des Charles Heidsieck, dessen 2011er Assemblage noch nicht endgültig feststeht und deshalb nicht probiert werden konnte. Das, was bei den Vins Clairs an vereinzelten Elementen und Eigenschaften herauszuschmecken war, zeigte sich nun in Summe. Der Geist des kupferrötlicher schimmernden Piper-Heidsieck gegenüber dem des tiefer gelbgoldenen Charles ist mir pikant-würzig vorgekommen, mit Apfel-Zwiebel-Confit, Mangochutney, viel blumigem Dekor und diskreter Säure. Kakaotrüffeliger, schmelziger und feinkörniger war dagegen der Charles, dem seine längere Standzeit natürlich zugute kam. Nahtlos angeknüpft haben wir die fertigen Champagner probiert, zu denen man nach einer solchen Studie ein ganz anderes Verhältnis gewinnt.
Die Champagner:
1. Piper-Heidsieck Brut
An die 100 Crus wandern in den Piperstandard, mit ca. 65% überwiegend Pinot Noir von der Aube und aus der Montagne de Reims. Chardonnay macht 15-20% aus, Pinot Meunier ca. 15%. Der Reserveweinanteil ist nicht so hoch, in der Vergangeheit war dafür auch gar nicht genügend Masse da; er liegt bei etwa 20%. Der Champagner ist fruchtig, entwicklungsfreudig, mit Aromen von Palmiers und Croissant, etwas Birne und nordeuropäischem Obst. Die hochsommerliche Blumennote, die ich bei den Grundweinen immer wieder wahrgenommen habe, fand ich beim Champagner nicht mehr so deutlich, aber immer noch in zarter Ausprägung wieder.
2. Charles Heidsieck Brut
Drittelmix mit ca. 40% nicht nur jungem Reservewein, mit 11 g/l dosiert. Exakt gleiche Vinifikation wie Pipers Standadrbrut und trotzdem ist das Produkt so völlig anders. Toffee, Buttercrème, südliches Obst, Aprikose, Mandelkerne., goldener Toast. Harmonisch, spätsommerlich.
3. Piper-Heidsieck Rare 2002
70CH 30PN, mit 11 g/l dosiert. Brotrinde und Malz treffen gelbe Kiwi und Ananas, torrefaction meets smoothie.
4. Charles Heidsieck Blanc des Millenaires 1995
100CH aus Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil-sur-Oger und Vertus, dosiert mit ca. 12 g/l
Die Kulmination des Charles-Stils mit Stoßrichtung Burgund. Haferflocken und Aronia, eine Konditoreiauslage voll süßer Schweinereien, dazu ein erfrischender, die Süße vergessen lassender Schluck Tonic Water mit Yuzu im Hintergrund.
5. Piper-Heidsieck 2004
55PN 15CH 30PM.
Tonisch und athletisch, wie Régis eingangs bei den Montagne-Chardonnays bemerkte. Noch nicht sehr weit entwickelt, schmeckt der Champagner mit seiner milden Weizenkleiearomatik sogar irgendwie gesundheitsfördernd.
6. Charles Heidsieck Brut Vintage 2000
55CH 45PN, dosiert mit ca. 10 g/l.
Nach dem Blanc de Millenaires, der die Konsistenz von Kalbsbries hatte, wirkt der 2000er Vintage wie ein Stück gebratener Kalbsleber. Dichter, intensiver, gedrängter im Aroma, aber auch einseitiger, nicht so wechselspielbegabt. Trotzdem ein schöner Champagner, dessen erfrischender, fast minziger Ausklang überrascht und erfreut.
7. Piper-Heidsieck Brut Sauvage 1982, dég. Anfang der Neunziger
Was Überraschung und Freude betrifft, so hatte Régis mit diesem Schätzchen meinen Nerv genau getroffen. Eine vor kurzem getrunkene Scharzhofberger Spätlese 1991 von Egon Müller hatte dieselbe betörende ménage à trois von Süße, Säure und Firne. Pilz, Eukalyptus, weißer Pfeffer, saftiger Pfeifentabak, in der Ferne etwas Sherry. Wenn man bedenkt, dass dieser Champagner undosiert geblieben ist, damals keinen BSA durchlaufen hat und sich dann heute trotzdem noch so ultrafrisch präsentierte, kann man getrost die immer wieder aufkommenden Bedenken hinsichtlich der Reifefähigkeit von Brut Nature Champagner über Bord werfen und hinter sich lassen.