Die Mains du Terroir sind größer geworden und umgezogen, vom Theatre in den überdachten Wochenmarkt von Epernay, wo ich sonst gerne statt des französischen Hotelfrühstücks schöne Hähnchenschlegel verzehre.

 

Dieses Jahr waren mehr Winzer denn je zu besuchen, ich habe mich deshalb auf eine Auswahl beschränken müssen. Die war nicht völlig willkürlich, sondern wohldurchdacht und länger vorbereitet. Mehrere Winzer konnte ich schon im Vorfelkd besuchen und bei einigen bin ich durch häufigeres Vorab-, bzw. Nachverkosten schon ganz gut im Bilde.

 

Bei Champagne Aspasie aus der Vallée de l'Ardre gab es in den letzten Jahren für meinen Geschmack nicht genug Action, was den Cépages d'Antan (mit 9 g/l dosiert, was ihm etwas von der Beschleunigung nimmt) nicht beschädigt, in der Auseinandersetzung mit anderen Altrebenchampagnern, von denen es schließlich immer mehr brauchbare bis herausragende gibt, aber eben auch nicht nach vorne bringt. Der 2009er Jahrgang profitierte von der auf 2 g/l reduzierten Dosage. Der Brut de Fût mit seinen 8 g/l und dem leicht schläfrigen Holzeinsatz, bei angenehm langer Griffigkeit hätte über eine Reduzierung sicher auch nicht klagen können.

 

Champagne Maxime Blin operiert dicht an der für mich kritischen Grenze von 10 g/l und bedarf deshalb meiner Beobachtung; seiner Carte Blanche, der Grande Tradition und der Cuvée Maxime Blin tut das keinen Abbruch. Jedoch: der undosierte Blanc de Blancs Millésime 2013 war schon jetzt das, was ich mir von den anderen Cuvées wünschen würde. Ungetüncht, sehr elegant, nicht unzüchtig und nicht von unschicklicher Nacktheit. In vier Jahren wird er, mit höchstens drei Gramm dosiert, sicher ein schönes Beispiel für einen gelungen vinifizierten Jahrgangschampagner aus einem nicht ganz einfachen Jahr gelten dürfen. Wenn Maxime sich bei seinen anderen Cuvées dazu entschließen sollte, die Dosage herabzusetzen, würde mich das riesig freuen.

 

Von de Sousas Brut Réserve habe ich nur kurz gekostet, um mir danach drei Ausfächerungen von de Sousa genauer zu beschauen, die man gar nicht einem einzigen Winzer zuordnen würde, sondern drei völlig verschiedenen. Der Klassiker von de Sousa ist die Cuvée des Caudalies aus Solerachardonnay der Orte Avize, Oger und Le Mesnil, deren erstaunliche Weichheit über das erhebliche Potential des Champagners hinwegtäuscht. Die Cuvée Umami 2009 hat an Fett zugelegt und zeigt jetzt alle Aromen wie in einem Konkavspiegel vergrößert. An die guten Pferdeknackwürste vom Kaspar Wörle erinnert mich zunehmend die Cuvée Mycorhize, so fettarm, fleischig und intensiv ist der Champagner. Sanftmütig, aber nicht im minderen Sinne stoisch, saftig, lang und ohne jedes Chardonnayklischee.

 

Und wieder nähern wir uns Eric Rodez, der nach Jahren nun endlich die Aufmerksamkeit zu bekommen scheint, die ihm zusteht, jedenfalls in Deutschland. Die Vins Clairs des Jahrgangs 2013 waren die helle Freude. Der Chardonnay öffnete sein Nussherz und zeigte die kraftvoll darin pulsierende Wildkirsche, der Pinot Noir daneben elegant, zurückhaltend und fein wie russischer Zobel, aber unwahrscheinlich kraftvoll auch dieser Wein. Die Champagner sind kleine Denkmäler. Der Blanc de Blancs aus 2008, 07, 06, 05, 04, 03 war so vollmundig, vorbildlich und weit weg vom Klischee, dass man fast eine neue Kategorie innerhalb des Genres für ihn aufmachen müsste. Der Blanc de Noirs aus den gleichen Jahren mit Ausnahme des 2003ers, der hier durch 2002 ersetzt wurde, ruht buddhistisch in sich selbst, ein Pinot, der völlig unaufgeregt sich seiner Schönheit selbst bewusst ist. Sowas gelingt nur ganz selten, einen ähnlichen Eindruck hatte ich nur einmal bei einem  Domaine Prieuré-Roch Chambertin Clos de Bèze, den ich (natürlich, möchte ich fast meinen) in der Champagne getrunken habe. Die neue Dosage Zéro aus 30CH 70PN, gemixt aus 2006, 05, 04 und 02 hat völlig richtig keinen Zucker zugesetzt bekommen, weil auch diese neue Cuvée im perfektionistischen Rodez-Stil so gebaut ist, dass alles notwendige bereits aus den verwendeten Grundweinen genommen werden kann und Zugaben des Winzers weitestgehend unnötig, ja störend erscheinen. Die Cuvée des Grands Vintages aus 05, 04, 02, 00, 99, 98 zeigt das ganz deutlich und befindet sich JETZT auf Nöchstniveau. Eine vollere Ausprägung von Jahrgangskomplexität habe ich in einem Multivintage noch nicht erlebt. Anders ja, aber nie so, dass einzelne Merkmale greifbar werden und zu sprechen scheinen. Die Empreinte de Terroir Champagner von Eric Rodez aus dem Jahr 2003 gehören wie die Vorgänger aus dem Jahr 1999 als Pinot und als Chardonnay zu den Denkwürdigkeiten des Champagnergeschäfts und zu den Champagnern, die man getrunken haben muss, um ernstlich mitreden zu können. Archetypischer geht es eigentlich nicht, ohne Abstriche zu machen.

 

Ein alter Bekannter ist natürlich auch Janisson-Baradon, dessen Toulette als Vin Clair schwer Eindruck bei mir gemacht hat. Der hätte für mich allein schon das Tagesziel markieren können. Der Extra Brut, den ich mir auch gern im neuen Laden von Cyril genehmige, mitten in Epernay am Kreisel, dort, wo es zu den großen Häusern hinauf geht, der griff nach Kräften in die dargebotenen Aromenangebote und weil er aus Pinot und Chardonnay gleichermaßen besteht, machte er den Übergang zu den sprudelnden Toulette, Conges und Tue Boeuf 2006 leicht. Am weitesten stach der Toulette 2006 heraus und nahm damit dem von mir für eine ganze weile favorisierten Tue Boeuf wieder Punkte ab, der unter Conges firmierende Meunier kommt da nicht ganz mit, gehört aber zu den stärksten Meuniers der Region. Anschauen kann man sich die Reben übrigens ganz einfach vor Ort, den Chemin de Conges erreicht man, indem man einfach rechts am Anwesen von Janisson-Baradon vorbei nach oben geht und sich dann hakenförmig nach links wendet, als quasi Richtung hinterer Garten des Hauses, dort stehen auch die Trauben vom Nachbarn Leclerc-Briant.

 

Die Terminator-Champagner von Penet-Chardonnet wirken auf mich, wie aus der Zukunft, wie aus einer Zeit, in der man mit überlegenen Werkzeugen um ein Vielfaches präziser arbeiten kann, als heute. Der Reserve Grand Cru Extra Brut aus 70CH 30PN ist mit leichten 3 g/l dosiert und wirkt deshalb stramm, ohne großes Gepäck, stahlig und mit einem Hauch von blanchierter Mandel. Die Cuvée Parcellaire Les Fervins aus Verzy ist ein 2009er Champagner, mit 70PN 30CH, mit etwas zeitlichem Abstand wirkt er süßlicher auf mich, als vor wenigen Monaten noch. Am beeindruckendsten ist der Pacellaire Les Epinettes, ein Verzy Grand Cru 2009 aus 100% Pinot Noir, dessen Aroma von gesalzenen Nüssen mir doch sehr dicht an dem zu liegen scheint, was man das Terroir von Verzy nennen könnte. Formal noch höher anzusiedeln ist die Cuvée Diane Claire, Grand Cru Brut Nature 2002 mit zwei Dritteln Pinot Noir und einem Drittel Chardonnay, alles aus Verzenay. Hier kommen Butter, Hefe, Honig, Seide, Balsam, Akazien und Apfel in einen Bottich, woe sie kundig vermengt werden und in schönster Balance am Gaumen begeistern. Und dennoch: wenn ich gefragt werden würde, ich würde den Epinettes vorziehen.

 

Mit die schönsten Vins Clairs hatte das junge, in Deutschland schon gut eingeführte Talent Sélèque dabei. Sein Meunier aus Pierry, Les Gouttes d'Or und sein Rosé de Saignée, beides 2013er hatten allerbeste Anlagen. Vanillekipferle, Krokant und Traubenmost hier, Mandel, Frische und Schlürfigkeit da – und das schon nur beim Vin Clair! Comédie 2008 war brotig, mälzelte etwas und hätte nicht höher als mit den hier verwendeten 4 g/l dosiert sein dürfen. Partition 2008 und 2009 sind saftig, flott, ja rockig (2008), bzw. klarer, klassischer, förmlicher (2009). Einmal mehr wird hier gelten, dass der 2008er ruhig liegen darf, bis der 2009er seine Vorzüge voll verausgabt hat und sich auf dem absteigenden Ast befindet – das sieht Sélèque ganz ähnlich, weshalb er den Verkauf der 2008er gestoppt hat und erst in ca. fünf Jahren wieder aufnehmen will, mit Spätdegorgements. Überhaupt nicht kindsköpfisch, rebellisch oder aufmüpfig war der 2009er Rosé de Saignée, der auf mich saftig mit leichtem Halskratzen, sonst aber herbfrisch und ziemlich erwachsen wirkte.