Der Wein, die Rebe und die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise

Nicolas Joly

Verlag Gebrüder Kornmayer, 2. Auflage, Mai 2009

156 Seiten

15,40 €

ISBN: 978-3-938173-46-6

 

Am 19. März 2010 steht die dicke Clos de la Coulée de Serrant-Probe von Uwe Bende an. Nicolas und Virginie Joly stellen ihre Jahrgänge 1977, 1979, 1983, 1986, 1987, 1988, 1989, 1990, 1994, 1995, 1997, 2002, 2003, 2005, 2007, 2008 in der Bochumer Gesellschaft Harmonie von Daniel Birkner vor. Da heißt es, sich vorbereiten. Und das fällt zum Glück nicht schwer, denn Nicolas Joly macht nicht nur Weine, über die man spricht, sondern er spricht auch aus seinen Büchern zum Genießer.

 

Nun kann man von Rudolf Steiner, dem – nicht nur – geistigen Vater der von Joly praktizierten biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise halten, was man will; aber was sich nicht ins Lächerliche und Unglaubwürdige ziehen lässt, ist der besondere Charakter der von Nicolas und Virginie Joly erzeugten Loire-Weine. Die Auseinandersetzung mit der Produktionsphilosophie, wie sie von Joly in Buchform gegossen wurde, ist daher vielversprechend. Ans Werk, also!

 

Joly erläutert zunächst die Stellung der Weinrebe in der Landwirtschaft. Dabei wird schon früh deutlich, dass die in seinem Ansatz enthaltene Kritik an der modernen Landwirtschaft immer auch eine Kritik an der heutigen AOC-Praxis in Frankreich ist. Ähnlich wie Victor Hugo seinen Miserables-Helden Jean Valjean unter der Identität des Monsieur Madeleine ein Loblied der Brennessel singen lässt, sieht auch Joly die verborgenen Qualitäten dieser Pflanze. Bei der Brennessel bündele sich die Kraft in der Mitte, weder dringen die Wurzeln nämlich tief ins Erdreich, noch streben ihre äußeren Extremitäten zum Licht. Vielmehr dränge sich alles im mittengelagerten Blatt zusammen. Das wiederum mache die Brennessel zu einem Helfer für äquivalent gelagerte Organe wie in diesem Fall das menschliche Herz und letztlich nehme deshalb auch die Rebe gern Brennesseltee oder -Jauche an. Dieses einführende Beispiel illustriert bereits ganz gut einen Teil der antroposophischen Denkweise. Es verwundert deshalb nicht, wenn Joly auf die Agrochemie einteufelt: die chemische Keule vernichte erst mit dem sogenannten Unkraut, den Schädlingen und Mikroorganismen das Leben im Boden und der dann überhaupt erst notwendige Industriedünger treibe den Teufel mit dem Beelzebub aus, ja noch schlimmer: moderne Pflanzenschutzpräparate setzten sich nicht nur abwaschbar außen auf der Pflanze, sondern in ihrem Saft ab. Eine Entwicklung, die auch von den Vollwertlern wortreich beklagt wird.

 

Der Abschnitt zu den Ortsenergien ist recht knapp gehalten, mündet aber in der programmatischen Aussage, dass der Winzer in der Entbindungsstation Weinkeller die Wahl hat, ob er "wine maker" oder "nature assistant" sein will. Auf den folgenden Seiten gibt sich Joly als Terroirist zu erkennen, wohlwissend, dass der Begriff verwaschen, beinahe anrüchig geworden ist. Nach dem Rundgang durch den Folterkeller der konventionellen Vinifikation geht es pfeilgrad wie in der "Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreutz" in die oberen Etagen der Kraft-, Schwingungs-, Harmonie- und Formenlehre. Dass Joly keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ganz bewusst das genaue Gegenteil davon schreibt, muss einem natürlich klar sein. Da das Werden, Sein und Vergehen des Weins als einer überaus komplexen Chemikalie den vereinigten naturwissenschaftlichen Kräften und Bemühungen bis heute nicht zur Gänze offenliegt, spricht nichts gegen alternative und hier im besten Sinne unkonventionelle Erklärungsversuche. Der einzige Maßstab kann in diesem Fall der Erfolg sein. Und da der Erfolg für Joly spricht, gilt es, seinen Ausführungen aufmerksam zu folgen – auch wenn sie in weiten Teilen schlichtweg unbelegbar sind, was insbesondere wissenschaftsgläubigen Zeitgenossen ein schwer zu entfernender Dorn im Auge sein dürfte, wie Joly freimütig etwa auf S. 105 bekennt.

 

Praktische Ausführungen kommen zum Schluss des Buchs. Joly gibt kurz wieder, was Rudolf Steiner bei den Keyserlings auf Gut Koberwitz anstellte und erklärt die Wirkung der biodynamischen Präparate. Gleichsam augenzwinkernd kommt er dann noch auf das berühmte Kuhhorn und die Dynamisierung zu sprechen, wobei im Ergebnis geht es der Biodynamie darum, den landwirtschaftlichen Betrieb ganzheitlich, als organisches, von Kreisläufen geprägtes und in die Verwebung von Mikro- und Makrokosmos integriertes Wesen zu verstehen, andererseits sind die Methoden, mit denen in der biodynamischen Landwirtschaft Wirkung erzielt werden soll, in der Nähe homöopathischer Ansätze zu Hause.

 

Fazit: So sehr man mit einer Affinität für naturwissenschaftlich geprägtes Denken geneigt ist, die Biodynamie ins Lächerliche zu ziehen und ihre Vertreter verächtlich zu machen, so verkehrt wäre diese Art der Kritik gleichzeitig. Den Konflikt zwischen (dem Nichtvorhandensein von) wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Dafürhalten von Anwendern der Steinermethoden kann Jolys Buch nicht lösen. Überzeugender dürften da schon seine Weine oder die anderer Vertreter der biodynamischen Lehre sein. Joly punktet in seinem Büchlein über den Wein, die Rebe und die biodynamische Wirtschaftsweise vor allem mit seinem leicht wegzulesenden Schreibstil, Abzüge gibt es für das verschwörungstheoretisch anmutende ständige wettern gegen die agrochemische Industrie. Insgesamt ein Buch, das den Einstieg in die Materie erleichtert, aber noch nicht sektiererisch daherkommt.