Dank Winzerprominenz und Grand Cru Status sowie zwingender Straßenführung kommt man in der Champagne unweigerlich nach Avize, weshalb es gut ist, dort ein paar Namen zu kennen. Zum Ensemble der All Stars gehören Selosse, de Sousa und sagen wir ruhig noch Agrapart. Zu den nicht ganz so bekannten Adressen zählen Assailly und Pierre Callot, zu den praktisch gänzlich unbekannten gehört Veuve Lanaud, was vor allem deshalb erstaunlich ist, weil die Lage des Hauses in der Ortsmitte, direkt am Place Léon Bourgeois, doch sehr prominent ist. Also hin.
Bewirtschaftet werden dort 12 Hektar in vierzehn Crus, überwiegend Chardonnay, versteht sich. Bei Lanaud geht es familiär zu, wie man es aus der Champagne kennt, doch ist der Erzeuger kein Récoltant-Manipulant. Das heißt, es dürfen Trauben zugekauft werden, um den Bedarf zu decken. So machen es die großen Häuser, aber das will Lanaud nicht sein; und tatsächlich ist es so, dass Trauben nur von Familienmitgliedern zugekauft werden, was eine besondere Kontrolldichte erlaubt.
Kennengelernt habe ich die Champagner von Lanaud im herrschaftlichen und deshalb unter den Winzern nicht ganz unumstrittenen Gebäude des Syndicat Général des Vignerons in Epernay. Dort stellte der polyglotte Carl Edmund Sherman einige der Champagner des Hauses vor und hatte meine Aufmerksamkeit in dem Augenblick, als ich eine Feuerstein- und Schwarzpulvernote wahrnahm, die mich zusammen mit einer reduktiv-jodigen Note mental mitten hinein in die Seeschlacht von Trafalgar versetzte und die ich später in viel stärkerer Form nochmal bei einem ganz anderen Schäumer wahrnehmen sollte, dem indischen Sparkling "Sula" nämlich. Von den Fähigkeiten der Lanaudschen Carte Blanche affiziert, spürte ich den anderen Cuvées des Hauses an Ort und Stelle und später noch bei anderer Gelegenheit nach.
1. Carte Blanche
66CH 17PN 17PM
Fleischoh, aber nicht im Sinne von gekochtem Fleisch, würzig, mit Feuerstein, Schwarzpulver und reduktion. Außerdem mit einer leichten Süße ausgestattet, die den Champagner zum Standardaushängeschild des Hauses macht.
2. Reserve
Drittelmix
Schlanker, feiner, eleganter, als die Carte Blanche und auf der hauseigenen Skala adäquat angesiedelt.
3. Cuvée de Cinquaintenaire Blanc de Blancs
Ananas, Räuchernoten. Pikante, schöne Kombination.
4. Carte Noire Blanc de Blancs
100CH von alten Reben
Etwas erstaunt war ich schon, als ich erfuhr, dass sich hinter der Carte Noir ein Blanc de Blancs verbergen soll. Aber gut. Konzentrierter als die Ananascuvée war er, mit weniger Säure als die Cuvée de Cinquantenaire, was auch wieder vollkommen schlüssig ist, angesichts der alten Reben – schlüssiger jedenfalls als der Cuvéename.
5. Cuvée de Cinquantenaire Rosé
90CH 10PN
Erdbeerchen, gekühlte Butter und Toast geben bei diesem Champagner den Ton an.
6. Cuvée Marie-Josephine
50CH 50PN aus Jahrgangs- und Lagenselektion, im Holzfass ausgebaut
Widmungscuvée an die Gründerin des Hauses, soll der Champagner möglichst ausgewogen sein, so die Idee. Er ist gelbfruchtig, mit Marille, Pfirsich, Vanillekipferl. Das ist nicht wirklich gleichgewichtig, entzückt aber mit seinem etwas altmodisch anmutenden Zuckerbäckertouch. Die Cuvée gibt es auch als Jahrgangschampagner, die von mir probierten Jahrgänge 2002 und 2008 sind von sehr ähnlicher Machart, wobei 2002 naturgemäß etwas weiter entwickelt ist und der Idee des ausgewogenen Champagners dennoch näher kommt.
9. Cuvée des Petrosses 2004
100CH aus Einzellage in Chouilly
Weiß ist die Farbe der Trauben, weiß ist der Charakter des Champagners, ganz passend zu seiner Herkunft aus dem Gänseort Chouilly. Apfel- und Lindenblüten, Iris, auch Honig, milde Säure, Litschi, vielleicht eine Spur Kreide.