Der Halsnasenorgienarzt verschrieb harte Gönnung auf dem Domänenweingut Schloss Schönborn in Hattenheim. Pünktlich zum Anpfiff des Rheingau Gourmet Festivals sollte da der Rheingau(er Sekt) auf die Champagne treffen. Weinwissers Beckustateur hatte sich eigens angekündigt, um nach unzähligen Stillweinen, die beruflich zu verkosten waren, ein wenig Entspannung beim Schaumwein zu finden. In der flammneuen, dankenswerterweise von Betriebsleiter Christian Valk eigens zum Austoben zur Verfügung gestellten Vinothek, fanden sich also die Headbangers und Headbangerinnen aus dem Europäischen Wirtschaftsraum, bzw. der EFTA ein.
Los ging’s mit Bardong Chardonnay 2007 und Bardong Chardonnay 2006, deren Reihenfolge ich in letzter Sekunde doch noch gegen den Zeitstrahl gerichtet habe, so dass der weichere, weniger dichte 2007er mit seinem zarten Johannisbeerduft den Anfang machte und das Feld bereitete für den völlig anders gearteten, billardkugelrunden 2006er, der so wonnig glänzte wie einst die Glatze von Benny Hills Sidekick Jackie Wright. Obwohl wir es mit Chardonnay zu tun hatten, hatte nicht nur ich sofort die Empfindung von Rheingauer Riesling. Weniger im Sinne einer Rebsortenatypizität, sondern in meinen Augen mehr als Regionaleigenheit zu verstehen (um das Wort Terroir zu vermeiden). Dem stand gegenüber Pierre Moncuits Chardonnay Hugue de Coulmet Premier Cru, ein Champagner aus dem Sézannais. Pierre Moncuit kennt man als Erzeuger aus Le Mesnil und erwartet automatisch eine Art trinkbare Backpfeife. Genau das passiert nicht. Weil der Hugues de Coulmet sanftmütig ist, nicht so ein verkommener Abkömmling eines uralten Adelsgeschlechts, sondern wohlerzogen und fein. So durfte es weitergehen.
Im Pinotlager trat Solter H Pinot Cuvée 2001 an, ewig und schonend in der Flasche gereift, daher bei Öffnung geradezu alterslos, obwohl Toffee, Nuss und Malz deutliche Hinweise geben. Leboeuf Brut Grand Cru aus Ay war konzentrierter, Veilchen und dekoratives Gestrüpp spielen bei diesem Champagner immer eine gewisse Rolle. Von schräg gegenüber, jenseits des Bahndamms, lieferte der Barth Ultra einen modernen Rheingauklassiker, den mittlerweile praktisch jeder kennt, der sich mit der Materie auseinandersetzt. Gänzlich unbekannt ist hingegen der Champagne Pierre Baillette Blanc de Noirs Coeur de Craie Premier Cru Extra Brut (2009). Wer sich das Vorderetikett ansieht, wird noch keinen Verdacht schöpfen, doch wer das Rückenetikett studiert, wird stutzen und sich dann erinnern: sehen so nicht auch die Rückenetiketten von Alexandre Chartognes Champagnern aus? Ja, tun sie. Das ist schließlich der Mann von Périne Baillette. Und der Champagner? Toll! Aus dem unscheinbaren Premier Cru Trois Puits direkt vor einem der Gewerbegebiete von Reims, bevor es Richtung Montagne geht, gibt es ja einige sehr schöne Erzeugnisse. Das hier gehört zu den schönsten. Behutsamer Holzeinfluss, elegant-verschmitzte Pinotstilistik. Viel ist von den 500 Flaschen die es davon mal gab, sicher nicht mehr da. Den Rest bin ich geneigt, komplett zu kaufen.
MILF hier, MILF da, MILF überall. Reif ist in, will ich damit sagen. Auch beim Schaumwein. Deshalb sollte ruhig Solter nochmal ran, mit dem Riesling Reserve Brut 2001, einem sauguten Sekt aus dem Berg Roseneck.Was jedermann leicht nachprüfen kann, ist die pralle Obstaromatik, die man bei einem Sekt dieses Alters schon gar nicht mehr erwartet. Von Firne, die beim Rieslingsekt ja noch viel umstrittener ist als beim Stillwein, keine Spur. Perfekt wäre es jetzt, wenn man den Sekt auch noch kaufen könnte. Kann man aber praktisch nicht mehr. Leider. Tristan H. Brut Mature aus 55CH und 45PN aus dem Jahr 2012, jetzt extra dégorgiert und eigens mit deutschem Rückenetikett versehen, war auf den ersten Blick nicht ganz so anstellig. Das sind die Sachen von Tristan aber nie, vom Brut Traditon mal abgesehen. Eigentlich sind seine vielen unterschiedlichen Champagner sogar Karaffenkandidaten, was der Mature nach längerem Planschen im Glas bestätigte.
Peter Weritz brachte einen 2007er Rieslingsekt aus dem Barrique mit, der mir vor allem im direkten Vergleich mit dem Bardong-Chardonnay nochmal sehr gut gefallen hätte. Der war freilich aus. Hervorzuheben beim unetikettierten 2007er ist der gewandte Umgang mit dem Holz, dessen schützender Einfluss dem Wein offenbar sehr gut getan hat (ähnlich händelt das in der Champagne Vincent Charlot). Gerade beim Riesling ist Holz kein einfaches Thema und in Verbindung mit Sekt sowieso nur etwas für Könner. Mit dem Solter Riesling Reserve 2008 fand sich ein ausgezeichneter Spielgefährte, der den basso continuo Holzeinflüssen blanchierte Mandeln entgegensetzte, bei den zitrusfrischen und bei den kandierten Noten zeigten beide Sekte viel Koloratur. Der 2013er Sekt vom Gastgeber rundete das Ganze passend ab und empfahl sich für eine Nachbesichtigung.
Nach der reinen Sektlehre sollte die Champagne noch einmal zeigen dürfen, was dort so geht. Mir schien ein Meunierflight passend. Chartogne-Taillet Lettre de Mon Meunier (2010) 4 g/l Fassausbau in 225l-Fässern (3 bis 4 x belegt), 10 hl/ha aus den Parzellen Barres (franc pieds), Beaux sens, Alliées, Mont agé, Paccas in Merfy; 500 Flaschen insgesamt. Enormes Zeug, obwohl aus der Not geboren: kurz vor der Lese pumpten Regenfälle die Trauben massig auf. Die Parcellaires konnte Alexandre sich also abschminken; stattdessen selektierte er mit harter Hand und setzte diese feine Cuvée in die Welt, die es so schnell nicht wieder geben wird. Das Süchtigmachende von richtig gutem Gin Tonic, erfrischend wie bester Whisky Sour und einzigartig, wie nur guter Champagner es sein kann. Janisson-Baradon Conges 2006 schien mir daneben etwas schwermütiger, nicht so mitreißend, sondern rational, wohldurchdacht, ohne aber konstruiert oder elaboriert zu wirken.
Zum Ende hin schlugen wir noch einige Haken. Mit Bardong Reserve 1998 ging es tief hinab in die Vergangenheit und es ist zu glauben, wie frisch dieser Sekt jedes einzelne Mal ist, dass ich ihn im Glas habe. Buttercrème, Lemon Curd, Tannennadelsirup, Balsamik, aber kein fettleibiger Charakter. Der komplett andere Tarlant BAM! wirkte beinahe verwandt und dem Sekt näher, als der von mir erst im letzten Jahr entdeckte Champagne Guillaume Sergent Chjardonnay Les Prés Dieu, der auf mittlerweile bekannt hohem Niveau Chardonnaygenuss zelebrierte.
Ganz zum Schluss gab es dann noch zwei große Klassiker, Perrier-Jouet Belle Epoque 1983 und Charles Heidsieck Blanc des Millénaires 1985. Die Belle Epoque hatte ich mir erst wenige Wochen zuvor in Mainz als schöne Partnerin für den ebenfalls kurz zuvor noch einmal zur Auffrischung direkt bei Charles Heidsieck genossenen Blanc de Millénaires ausgedacht; und siehe, die Kombination war stimmig. Die Belle Epoque in wahnsinnig sexyer Hochform, der Charles etwas rauchiger, röstiger. So muss man sich ein aufgedrehtes Pärchen vorstellen, das in den Goldenen Zwanzigern von einem rauschenden Fest in seine efeuumrankte Ostküstenvilla zurückkehrt.