An die vierzig Städte in Deutschland nennen sich Stetten, aber nur eine davon liegt im Donnersbergkreis und erlaubt Winzern den bequemen Zugriff auf gleich drei Anbaugebiete, Nahe, Rheinhessen und Pfalz. Stillweinfexe wissen, was das heisst; ich war bei Boudier & Koeller, der Trägerrakete des guten Geschmacks. Über die beiden Jungens, ihr geschichtsträchtiges Weingut und ihre Neuverpflichtungen in Keller und Küche wurde schon reichlich von besser dazu Berufenen geschrieben (CaptainCork, Drunkenmonday/Nico Medenbach, Vinositas/Joachim Kaiser); ich kann mich deshalb kurz fassen, allen Lorbeer als berechtigt bestätigen und mich selbst für die Entscheidung beglückwünschen, die Gastfreundschaft der Hausherren rechts und links der Hauptstraße in Stetten für eine Champagnerprobe in Anspruch genommen zu haben, auf der nicht nur tüchitg getrunken, sondern mit ebensoviel Fleiß gesäbelt wurde.
Eingeleitet wurde mit einem Blanc de Noirs von Boudier & Koeller, der sicher manchem Champagnerkellermeistr noch Tränen der Rührung in die Augen treiben könnte; es folgte der geschichtsträchtige Müller-Thurgau Mathilde von Tuszien, sprich Toskana, in die man sich unter zig Feigenbaumarten und angesichts eines herrlichen Exemplars von Paradiesvogelbaum sowieso gefühlsmäßig versetzt fühlen konnte. Der M-T von Boudier & Koeller wäre zu schade für Cola weiß und das will was heißen, denn eigentlich gehören nach meinem Empfinden alle Müller zur Vollendung ihres irdischen Daseins in die Cola, wenn nicht gleich in den Ausguss. Der Müller von Boudier & Köller soll weder in das eine noch in das andere, sondern nur mit geschlossenen Augen getrunken werden, wer mag, mit einem der scheinbar immer gefragten Geschichtsschmöker auf dem Schoss. Die Cuvée Prestige von Serge Mathieu läutete den Übergang zur eigentlichen Champagnerzeitreise ein. Der Prestige erwies sich dabei als passendes Bindegleid zwischen dem unverschnörkelten Stil der Gastgeber und den ersten feinen Bläschen, die zum Essen serviert wurden und aus Gründen der Nahtlosigkeit zur Hälfte ihrerseits aus der Aube stammten.
Tartar mit Beef Tea und Ingwer Gelee, dazu gab es Drappier Grande Sendrée 2006 und Cattier Clos du Moulin 2006
Die Champagner nahmen vertauschte Rollen ein, die Grande Sendrée kam als Aubeplayer und hätte daher die Rolle der robust geratenen Pinotcuvée mit weniger bedeutsamem Anteil Chardonnay innegehabt, während der Clos du Moulin Athletik, Konzentration und Sportlichkeit eines Premier Cru mit alten reben in der nördlichen Montagne de Reims hätte verkörpern sollen. Hätte. Denn in der Blindverkostung würden sicher weit über 90% die Champagner genau umgekehrt zuordnen, so mein Kalkül. Das ging auf und die beiden Champagner spalteten die Trinkerschaft sofort klar in zwei Lager. Crèmig, sahnig, weich, mit milchigem Toffee, das war der ruhevolle Clos du Moulin, den man mit etwas Konzentration vielleicht noch als Premier Cru hätte zurodnen können, aber die Aufgabe ist wahrhaftig nicht leicht. Vor allem das geschichtliche Erbe dieses 50PN 50CH Mix, der als ältester Clos der Champagne überhaupt gilt, macht die Zuordnung problematisch. Die Grande Sendrée wäre solo wahrscheinlich leichter zu erkennen gewesen, im Zusammenspiel mit dem Clos du Moulin brauchte es schon sehr viel Trinkerfahrung, am besten mit beiden Cuvées, um klare Unterscheidungen treffen zu können. Zum Beef Tea und zu den Ingwerwürfeln passten jedenfalls beide Champagner sehr gut und bei dieser Aromatik auf dem Teller habe ich dem Clos du Moulin sogar deutlich den Vorzug geben müssen.
Seeteufel mit Zucchinispaghetti und Paprikasabayon, dazu Taittinger Collection Vasarely 1978 Taittinger Collection Masson 1982
In erstklassiger Verfassung war Taittingers Vasarely 1978, die Plastikhülle hat also nicht nur einen künstlerischen, sondern auch einen für die Reifung förderlichen Mehrwert. Gut schonmal, das zu wissen. Richtig toll wird es dann beim Geschmack. Fizzy, drahtig und aufgekratzt war der 78er, formal ja eigentlich das unterlegen Jahr. Nur war hier so viel Kohlensäure und springlebendiges Leben drin, dass egal wer es danach schwerhaben musste. Dieser egalwer war die Collection 1982, die viel müder, langsamer, schwerer und oxidativer antrat. Meh Karamell, mehr Sherry, weniger Bläschen, warf der jüngere Flightpartner in die Waagschale und wurde deshalb von den meisten teilnehmern für zu leicht befunden. Mit dem Essen, das vor allem bei der Paprika fordernd war, schlug sich der behende und viel freier agierende Vasarely ebenfalls deutlich besser.
Als entr’acte hatte ich die Champagner von Benedicte Leroy vorgesehen. Grundidee und Analyse sollten es werden, das heißt: einmal den Rebsortenmix, um die Annäherung an Ruppert-Leroy zu ermöglichen und dann die einzelnen Rebsorten, kompromisslos bis zum Ende durchvinifiziert, um den Genotyp zu erkennen. Benedicte, die heute über vier Hektar gebietet, hat die Phase, in der wertvolles Rebland früher zum Schafeweiden verwendet, bzw. die Trauben an die Kooperative abgeliefert wurde, was zwar nicht aufs selbe rauskommt, aber zumindest eine Kontrolleinbuße bedeutet, 2009 radikal beendet. Seit sie sich selbst um die Trauben kümmert, hat sie einen irrsinnigen Aufstieg verzeichnet. Noch vor drei Jahren kannte, von den Nachbarn im malerischen Essoyes abgesehen, kein noch so champagnerinteressierter Mensch ihre Erzeugnisse, heute finden sie sich in den feinsten Kellern Europas und bald der ganzen Welt.
Ruppert-Leroy Fosse-Grely Brut Nature
80PN 20CH
Nach der Tankgärung folgt eine Hefelagerzeit von 6 Monaten, in der Flasche gibt es zwei Jahre Hefekontakt. An dem Champagner ist kein Schmuck, kein Schnörkel und keine einzige unnötige Kleinigkeit, sondern alles ist Konzentration auf die unter Höchstdruck miteinander verschweißten Komponenten. Das lässt den Champagner wie ein nicht ganz fertig bearbeitetes Werkstück aussehen, dem jede Verfeinerung fehlt und so empfinde ich das auch. Man kann förmlich noch die Schweißnaht zwischen den beiden Rebsortenklötzen sehen, auch wenn man aromatisch keine Übergänge oder Unebenheiten wahrzunehmen vermag. Etwas ist doch da, das sich gegen die totale Vermählung wehrt und damit Spannung erzeugt.
Ruppert-Leroy Martin Fontaine Blanc de Blancs Brut Nature
Der Chardonnay macht klar, dass er kein Verschnittpartner sein will. Gegen jede Art von Vermählung würde er wütend protestieren. Das ist, in milderer Form, das was im Fosse Grely die Spannung ausmacht. Mit dem Martin Fontaine ginge das nicht, eine Cuvée würde dem Winzer wohl um die Ohren fliegen. Was der Chardonnay dagegen sehr gerne mag, sind reduktive, salzige und jodige Noten, ein Austernfrühstück mit bergeweise Zitronen wäre für ihn nicht nur kein Problem, sondern er hinterlässt auch dasselbe Gefühl im Mund.
Ruppert-Leroy Les Cognaux Blanc de Noirs Brut Nature
Nicht ganz so kämpferisch und wütend ist der Pinot Noir. Aber ein Hauch von sibirischem Bärenjäger wohnt auch ihm inne. Grimmig, dicht verpackt, dabei von praxiserprobter Funktionalität und ohne sinnlosen Ballast, wärmend wie ein gemütliches Feuerchen, aber nicht verbrennend, wie wenn man zu nah ans feuer drankommt; an Kälte und Einsamkeit gewöhnt, aber mit einem Auge für das Schöne, für Blumenwiese, vereinzelt wachsende Beerenfrüchte und das gegen Herbs ansetzende Fett wildlebender Tiere.
Die Pause füllte ein kleines Apfel-Kirsch Sorbet, denn der Gaumen sollte präpariert und geklärt sein, für Großes.
Krug 2003
gehört fraglos zum besten, was das Jahr herzugeben hatte. So unbelastet, schlank und rassig hätte ich mir noch Anfang des Jahres Krug 2003 nicht vorzustellen gewagt. Doch wurde ich eines bessern belehrt und konnte den Teilnehmern meiner kleinen Verkostung avec fierté et dignité den neuen Krug vorstellen. In Champagnerkreisen hat sich rumgesprochen, dass 2003 ein Jahr ist, das man guten Gewissens überspringen kann und speziell beim Chardonnay kann man das wahrscheinlich gut verallgemeinern. Für Krug 2003 heißt das, dass die Cuvée völlig anders gebaut werden musste, als die beiden Vorgänger 2000 und 1998, in denen Chardonnay eine tragende Rolle spielte. 2003 gabs nur winzige Mengen ausgereifter und brauchbarer Chardonnays, im diesjährigen Krug hat es für schmale 25% gereicht. Der Rest ist Pinot Meunier (25%) und Pinot Noir. Heftige Ansage also. Und heftiger Stoff, dem man die Problematik hinter seiner Entstehungsgeschichte gar nicht glauben will. Der 2003er Krug ist ein geschmacklicher Ritt auf der Kanonenkugel, bei dem das Jahr nicht einen Moment lang verleugnet wird und die Aromen dennoch so frisch sind, dass ich mich beim Trinken immer wieder gefragt habe, ob ich wirklich den richtigen Jahrgang gegriffen oder nicht am Ende durch einen irren Zufall sogar schon den 2004er im Glas habe. Hinkommen könnte es ja, so schlank und elegant wie der 2003er wirkt, mit wenig Nuss und Apfel, für Krugverhältnisse, dafür mehr Zitrus, Ingwer und frischem Wacholder. Warum der in England schon nach wenigen Stunden ausverkauft war, erschließt sich mir deshalb trotz aller Vorbehalte gegenüber dem Jahrgang. Der passte natürlich ohne dass das besonderer Erwähnung bedurft hätte gut zum folgenden Gang
Rinderfilet Spargelgemüse und kleine gebratene Zitronenkartoffeln, dazu passten aber auch:
Pommery 1945, der sich spitzenmäßig gehalten hatte, viel Sherry, eine Anung von Restprickeln, viel Milchschokolade und etwas Kaffee ins Spiel brachte. Für mich zusammen mit Vasarely 1978 und Krug 2003 einer der drei Champagner des Abends.
Perrier-Jouet Belle Epoque 1979 wollte erst nicht ganz so schön aufgehen und zierte sich gehörig, obwohl ich weiß, was für ein braves Mädchen das eigentlich sein kann. War sie dann auch, aber nicht ohne den Wermutstropfen einer rumpeligen Eröffnungsphase.
Pommery Louise 1988 wollte es der Belle Epoque eigentlich nicht gleichtun, war aber von der selbstbewussten Zickigkeit der älteren Cousine immerhin beeindruckt genug, um mich beim ersten Reinriechen erstmal an Kork denken zu lassen. Der Eindruck schwand zum Glück schnell und entpuppte sich als eine eher dem Jahrgang zuzuschreibende säuerliche Erdigkeit mit Krustentiercharakter, Land und Meer in ganz eigener Interpretation also.
Das Dessert lässt sich immer nur schwer mit Champagner begleiten, deshalb gab es zu
Creme brûlée mit Minze und Erdbeersalat einen
Champagne Charlot Côteaux Champenois Rouge 2005 und danach erst den bekanntermaßen guten Gosset Celebris 2002. Den Charlot Rotwein habe ich vor Ort probiert und war ganz überwältigt davon, wie ein 2005 von der Omi, die damals noch das Sagen hatte, im Tank vergessener Pinot Meunier (!) als Stillwein performen kann. Vor allem zur Crème brûlée eine zwar nicht naheliegende, aber sehr eingängige Kombination. Der Celebris putzte zum Schluss alles aus, was den Gaumen noch nicht verlassen hatte und schärfte mit seiner gefühlvoll tonangebenden Art die langsam wegnickernden Sinne für die weiteren noch anstehenden Sabragen.
Im freien Ausklang gab es von Champagne Tristan H. die viel zu früh aus dem Reifeschlaf gerissene Cuvée "Iseult", deren eigenwillige aber freundliche Art auch nach ausgiebigem Mahl noch zu gefallen wusste. Von Marie-Courtin habe ich danach die Eloquence geöffnet, um die nun schon teilweise zum mittlerweile laufenden Fussballspiel spitzenden Kämpen bei der Stange zu halten;mit Boizel, Tarlant Brut Zéro, Drappier Blanc de Blancs Signature, Molitors Wehlener Sonnenuhr Kabinett, dem Stettener Riesling von Boudier & Koeller, und ganz zum Schluss einem kräftigen Château Rieussec 1990 nahm der Abend dann ein schönes Ende, ungeachtet des Fussballresultats.