Champagne Mercier, ein Haus der LVMH-Gruppe, das in Deutschland praktisch nicht vertreten ist, war diesjähriger Gastgeber des Verkostungsabends "Soirée des Grandes Cuvées"; organisiert wurde der Abend nun schon zum vierten Mal von den Schülern des Lycée Viticole de la Champagne, die auch den Guide Veron herausbringen. Im Salle du Centenaire des Pavillon Mercier, ziemlich am Ende der Avenue de Champagne in Epernay fand die Vorstellung der für diesen Abend ausgewählten Cuvées durch Vertreter oder Inhaber der verschiedenen Häuser statt.
Zu probieren gab es Prestigecuvées, die teils mehr, teils weniger oder auf Deutschland bezogen sogar überhaupt nicht im Rampenlicht stehen.
1. Veuve Fourny et Fils Clos du Faubourg Notre-Dame 2002, dég. Sep. 2012
100CH, mit rund 4 g/l dosiert.
Charles-Henry und Emmanuel Fourny haben die Trauben dieses Clos bis 1990 immer den Jahrgangsschampagner des Hauses wandern lassen und sich seither erst eine handvoll Male (1993, 1996, 1998, 2000 und ganz aktuell eben 2002) dazu entschließen können, die Ernte gesondert als Clos im (alten) Holz zu vinifizieren und als Extra Brut (bis auf den 2000er, der hat überhaupt keine Dosage erhalten). Was ein starker Auftakt. Mit diesem Champagner im Glas wusste ich, dass die Nachfolger es sehr schwer haben würden und genau so war es, bei hochkarätiger Besetzung. Seidig, zart, aber mit nobler Distanz. Nüsse, weiße Mandeln, reife weiße Früchte, die so verführerisch wirken, wie ein schneeweißer Frauenhals im Film immer auf die zum Biss ansetzenden Vampirgentlemen. Kaum Holznoten, die im Aromenwirbel sowieso keine bedeutende Rolle spielen; viel Spannung bezieht der Champagner aus der selbstbewussten Säure, die zusammen mit Gebäcknoten und dicker, knackiger Amarenakirsche für viel Beschäftigung am Gaumen sorgt, bevor sich zum Schluss ultrafeine Milchkaffeenoten zeigen.
2. Collet Esprit Couture, dég. Dez. 2012
40CH 50PN 10PM, 2006er Basis, mit 8 g/l dosiert.
Der Auftritt des Kooperativenchampagners war danach kaum mehr mitreißend. Das mag an der höheren Dosage, an der Rebsortenmischung oder an einer Mehrzahl anderer Faktoren liegen; jedenfalls gefiel mir der mollige Charakter des Collet nicht nachhaltig. In der Nase Pfirsichpüree, kalkig-mineralischer Staub und Bergamotte, zuckrig überformt und etwas parfumiert. Im Mund schlaffer als der Fourny, was mit Luft nicht besser wird. Störend wirkte auf mich die gar nicht mal unsaubere, aber ungeschickt an den weichen Mundeindruck anschließende Herbe. Wirklich maßgeschneidert war da nichts.
3. Veuve Clicquot La Grande Dame 2004
PN aus Verzyund Verzenay, CH aus Le Mesnil, Oger und weniger aus Vertus, mit 8 g/l dosiert
Wasser- und Honigmelone, etwas Lychee, Maiglöckchen und Iris, außerdem Bienewachs, Gurkenschale und dezenter Kastanienhonig. Im Mund ein Champagner, der sich bis zur Zungenmitte professionell aufreizend wie eine käufliche Dame entblättert. Ab der Zungenmitte fehlte mir dann Substanz, die ich bei anderen 2004er Grande Dames schon feststellen konnte. Das dürfte normale Schwankungsbreite sein, bringt die Grande Dame aber nicht aus dem Windschatten der Fournywitwe.
4. Gosset Celebris 2002
52CH 48PN, mit 5 g/l dosiert.
Der fünfte Jahrgangscelebris nach 1988, 1990, 1995 und 1998. Offiziell wird er zur diesjährigen Vinexpo vorgestellt, aber für einen Vorabeindruck hat Gosset zur Soirée ein paar Fläschelchen bereitgestellt. Auch hier ein leicht wachsiger Eindruck, wie bei der Grande Dame, aber darüber hinaus auch die reiferen Noten von Veilchen, Muscovadopfeffer, Ananas und die betörende Duftmischung von Apfel und Birne, wie sie in den besten Calvados Domfrontais zu finden ist. Im Mund findet sich nochmal die sehr reife Limonennote, die auch in der Nase gründe Akzente setzte, außerdem Mirabelle und ein Gefühl, wie Jasmintee. Dafür dass Gosset für seine frischen Champagner bekannt ist und für BSA-losen Champagner, der besonders pfiffige Säure enthalten kann, wirkt er dennoch nicht ganz so agil wie der Fourny und muss sich nach Wettstreit auf hohem Niveau geschlagen geben.
5. Mailly Grand Cru Les Echansons 2002
3/4PN 1/4CH zu 100% aus dem Bordeauxbarrique, mit 6 g/l dosiert.
Erdig bis mineralisch, mit Lohe, Fenchelsamen und kräuterigen, aus der Kerbelecke stammenden Noten, außerdem gelbe Pflaume und Piment. Im Mund zeigt sich ein wenig brauner Kandiszucker, der den Champagner aber nicht unnötig beschwert. Im Gegenteil, er hebt förmlich sofort von der Zunge in Richtung Gaumen ab und bleibt dort, mit einem Nachgeschmack von Pflaumenwein. Auf mich wirkt der Champagner wie eine gute Alternative zu den berühmteren Prestigecuvées großer Häuser, denn er bereitet enormen Trinkspaß, ist unanstrengend und ein gutgelaunter Unterhalter.
6. Charles Heidsieck Blanc des Millenaires 1995
Das war der Champagner, der den Fourny in seine Schranken wies. Toast, Reife und Noblesse, im Kupferkessel vor sich hinschmelzende Schokolade, Ghee, Ingwerstäbchen, agrumes, schwarzer Pfeffer; dazu eine schlanke, sexy züngelnde Säure und ein tadelloses Auftreten. Power und Kontrolle, Balance, Alterslosigkeit und Riesenpotential. Äußerst starker Champagner.
7. G.H. Mumm René Lalou 1999
50PN 50CH
Milde Nase mit weißem Nougat und Birnenkompott. Wie Birnenmost aus dem Tonkrug, kühl serviert nach einer langen Fahrradtour. Kaum etwas kann besser schmecken, aber trotzdem: hohes Ansehen hat diese Art der Erfrischung nicht. Ähnlich ist es mit dem 99er Rene Lalou, der bei aller Güte leider nicht, wie vielleicht beabsichtigt udn wie bei guten Dom Pérignons vorbildlich umgesetzt, perfekt balanciert, sondern bloß indifferent wirkt, wobei die Herbe im Abgang natürlcih kaum weiterhilft.
8. Henri Giraud Fut de Chene Multivintage
2005er Basis (60%)
Äpfel, Kräuter und Zitronengras, Heu, eine charmante Holznote, krachledern und lautstimmig, aber nicht lärmig. Menthol, Anis, Picknickstimmung, Vibration und Komplexität. Das ist der dritte Champagner des Abends, der mich hinreißt und wieder ein völlig anderes Kaliber, verglichen mit Fourny und Blanc des Millenaires. Der Champagner zwingt Krustentiere, Schinken und Käse herbei, wirft behende mit Blüten um sich, wirkt trotz seiner ausgeprägten Süße unbeschwert. Über die Champagner von Giraud an anderer Stelle mehr, denn eine Woche nach der Soirée war ich dort auf der Spur des Argonner-Eichenholzes.