Die Sommerchampagner-Reihe setze ich mit einem Nicht-Champagner von einem Champagnerhaus fort, den man in Deutschland schwer oder gar nicht bekommt, weil er offiziell nicht importiert wird. Er gehört, anders als manches Erzeugnis des Mutterhauses, zu den bemerkenswerten Sprudlern und ist deshalb hier gut aufgehoben.
1. Mumm Napa Cuvée DVX Brut 2000
50PN 50CH, mit 1% Dosageliqueur.
Knapp 15% Holzausbau. Wirkt auf Anhieb nicht wie Champagner, sondern wie sehr guter Sparkler. Wenig, aber dauerhaft vorhandene, eher untergründig wirkende Säure. Gleichzeitig reif und frisch. Das sprach für einen Schäumer mit langem Flaschenlager und noch nicht sehr weit zurückreichendem Dégorgement. Üppig dosierter Grosshausstil. Musste meiner Vermutung nach aus einem säurearmen Jahr oder heißer Gegend mit regelmäßig sehr reifem Lesegut stammen, denn für ein spätes Dégorgement fehlte die aggressive Vitamin-C-Aromatik. Dass es sich schließlich um den bei uns seltenen Mumm Napa DVX handelte, freute mich sehr. Vielleicht könnte man Ludovic Dervin noch empfehlen, weniger laktische Noten zuzulassen, oder die Dosage etwas herabzusetzen (für die Schleckermäulchen gibt es ja eigens eine DVX Santana mit höherer Dosage).
2. Marc Hébrart Brut Premier Cru
75PN 25CH. 12,5 ha Pinots aus Mareuil-sur-Ay, Avenay Val d'Or, Bisseuil, Chardonnays aus Chouilly und Oiry.
Apfelspass vom stückigen Apfelmus und frischer Hefezopf. Ein Pinotchampagner, der wie Blanc de Blancs duftet und schmeckt. Würde es sich um einen Blanc de Blancs gehandelt haben, wäre ich nicht enttäuscht gewesen, so war ich sogar beeindruckt, denn dass man von einer Cuvée mit diesem Rebsortenverhältnis so in die Irre geführt wird, ist immer wieder verblüffend und lehrt einen auch nach langen Jahren der intensiven Champagnerverkostung immer wieder Demut. Unter Chardonnaygesichtspunkten ist bemerkenswert, wie dieser Champagner dem Apfelthema in einer seiner einfachsten Formen so lohnende Facetten abgewinnt.
Weiter entlang der Marne geht es zu
3. Yves Ruffin Brut Premier Cru Élaboré en Foudre de Chêne
75PN 25CH.
3ha in Avenay Val d'Or und Tauxières. Bioanbau seit 1971, dem Jahr nach Gründung der Domaine. Ausbau der Grundweine in Eichen- und Akazienholz. Drei Jahre Hefelager.
Die 2009er Grundweine waren alle verschlossen, geheimnisvoll und kryptisch, die aktuelle gamme dagegen ziemlich vielversprechend. Der Eindruck bestätigt sich bei diesem sehr guten Champagner, der zu den besonderen Tips in der Champagne gehört. Schattenmorellen und Sandelholz, außerdem Hagebutte, Quitte, Sanddorn. Viel gesunde, aber nicht unangemessen auftrumpfende Säure, die ohne biologischen Säureabbau vielleicht genervt hätte, dazu krachendes Fruchtfleisch und ein klärendes Gaumengefühl.
Einmal um die Montagne herum und wir kommen zu
4. Henri Chauvet, Brut Réserve
60-70PN 30-40CH. Drei Jahre Hefelager. Mathilde und Damien Chauvet bewirtschaften 8,4 ha in Rilly-la-Montagne Premier Cru. Davon sind Pinot Noir: 6,20 ha, Pinot Meunier: 0,50 ha und Chardonnay: 1,70 ha.
Der Champagner ist nicht sehr fruchtig, höchstens zu Beginn etwas zuckerwattig und mit einer Andeutung heller Früchte, sonst herb und kraftvoll. Ich fürchte, der Brut Réserve war zu frisch dégorgiert, denn Reifepotential traue ich dem Champagner zu. Warum? Weil die Herbe für mich nicht fehlerhaft war, sondern Ausdruck der Cuvée an sich. Deshalb denke ich, dass dieser jahrgangslose Champagner genug Rückgrat hat, um ein paar Jährchen in der Flasche zu überstehen und in dieser Zeit ein Flaschenbouquet zu entwickeln, das unabhängig von Primärnoten einen schönen Champagner abgibt.
Dann geht es in das Massif St. Thierry, wo Selosseschüler Alexandre Chartogne wartet
5. Chartogne-Taillet, Cuvée Sainte-Anne
60CH 40PN, Basisjahrgang 2006 mit 20% Reservewein aus 2005 und 2004.
Dieser Standard-Brut gehört zu den kräftigeren, herberen Winzerchampagnern. Hier überwiegt nicht der Eindruck von überirdischer Leichtigkeit, sondern der von sorgfältigem Winzerhandwerk. So wie ich beim Fiacre die hervorragende Vermählung und sahnige Weichheit schätze, finde ich bei dieser Eingangscuvée die softe Dominanz der etwas herben Spätburgunder gegenüber der nicht quirligen, aber den Eindruck von Beweglichkeit vermittelnden Chardonnays gelungen. Wie ein schwimmendes Fundament legt sich der Chardonnay auf die Zunge und lässt darauf ein schnörkel- aber nicht schmuckloses Burgunderaromenbauwerk seinen Halt finden.
Vom Massif herunter Richtung Marne stoßen wir auf
6. Jean-Francois Launay, Cuvée Grain de Folie
Winzer aus Arthy, einem Örtchen in der Vallée de la Marne, in Richtung Paris direkt hinter Daméry gelegen.
Die Cuvée fällt zunächst wegen ihrer Aufmachung ins Auge, ganz im Stil beispielsweise der Belle-Epoque trägt sie nicht nur ein schnödes Etikett, sondern ist mit einer Teilrückenansicht einer Art-Déco-Schönen serigraphiert, die ein lächerlich kleines Champagnergläschen genießerisch in der Hand und gegen einen traubenüberrankten Hintergrund hält. Das ließ mich einen femininen, leichten, aufgrund seiner Herkunft meunierfruchtigen Champagner erwarten, doch das Exterieur täuscht. Im Glas war der Champagner garconnemäßig rank und drahtig, von einer listig wirkenden Art. Die schlanke Säure wirkte durchdringend und beinahe stechend, wie der Blick des tuberkulosegeschwächten Etikettenzeitgenossen Franz Kafka. Das überraschte mich und ich brauchte einige Zeit, um mich damit anzufreunden. Bis zum Schluss wurde der Champagner in kleinen Schritten besser, ein abschließendes Urteil habe ich mir aber nicht bilden können. Werde ich im Auge behalten.
Etwas abseits ist in Chalons-en-Champagne eines der am wenigsten bekannten großen Häuser beheimatet. In Châlons machte die französische Königsfamilie auf der Flucht vor den Revolutionären kurz Halt und ließ sich wenige Kilometer weiter östlich in St. Menehould der Legende nach noch ein letztes mal die berühmten Schweinsfüsse servieren – so erzählt es uns jedenfalls Alexandre Dumas in seinem Grand Dictionnaire de la Cuisine.
7. Joseph Perrier, Cuvée Royale
35CH 35PN 30PM, drei Jahre Hefelager. Reservewein teilweise im 600l-Holzfass.
Mittelschwerer Wein, leider hatte ich ihn etwas zu warm im Glas. Die Trauben kommen ganz überwiegend aus der Vallée de la Marne. Minimale, an manche nicht ganz so gute Winzerchampagner erinnernde Chlornote, sonst fruchtig mit mineralischem Beiwerk, ausgeglichene Aromatik von noch jungem Champagner, fest in der Struktur, mit Flaschenreife sicher noch interessanter und ganz sicher ein guter Begleiter für Pieds de Cochon a la Sainte-Menehould.
Zu guter Letzt darf es auf dem Rückweg nach Epernay einer der schönen Einzellagenchampagner von Leclerc-Briant sein,
8. Leclerc-Briant Blanc de Blancs "La Croisette"
Biodynamischer Chardonnay aus der nach Osten ausgerichteten Einzellage La Croisette (0,37 ha). Sympathisches Detail: am hochwertigen Korkspiegel lacht die biodynamische Leclerc-Briant-Sonne samt Erzeugernamen an Stelle des immer gleichen "Grand Vin de Champagne" Schriftzugs.
Der Champagner ist ein stürmischer Geselle. Ideale Optik für Perlagefreaks, im ganzen Glas wild spiralige und feine Perlenketten. Beginnt mit verhaltener leicht mürber Apfel-Aprikosennase und rennt dann los. Überwiegend gelbfruchtig, nicht mit überschiessender Säure, vollreif, etwas exotisch. lustiges Zigeunermoll. Ein Champagner, dessen Herkunft aus dem Rotweinörtchen Cumières sich an der orientalisch-exotischen nicht schwabbeligen, aber gegenüber Côte des Blancs Chardonnays etwas fetteren Aromatik festmachen lässt.