Wer sich noch an Erich Fromms Warnung vor dem Konsumidiotismus erinnern kann oder auch, weil zu jung, nicht und sich aber dennoch oder gerade deshalb ohne Beschwer der freien, resp. ggf. der käuflichen Liebe hingab oder -gibt, weiß im allgemeinen und schätzt dementsprechend, ahnt es möglicherweise unter Umständen auch nur und weiß am Ende genau deshalb nicht zu schätzen, liegt aber aus unerfindlichen Gründen dennoch goldrichtig mit der gefühlsmäßig, d.h. biochemisch-hormonell oder nur eins von beiden oder ganz anders oder wie auch immer vermittelten Affirmation, um die unverbrüchliche, wenngleich ephemere, nicht aber unbedingt fragile, sondern bisweilen denkbar robuste und regelrecht greifbare, bei jedem wiederum anders erlebte und wahrgenommene Schönheit des jeweils subjektiv-intimsten, einerseits individuellen, doch gleichzeitig in vollkommen harmonischer Wechselwirkung andererseits, stattfindenden Moments allerhöchster, himmlischster Süße.
Die Propheten einer ganz besonderen unter allen irdischen Manifestation der Süße, die ohne antagonistische Säure nicht sein kann oder jedenfalls allzu profan, um nicht zu sagen platt wirkt, ganz im Widerspruch also zu dem griechisch-mythologischen Vorbild der Göttertochter Harmonia stünde, die sogleich als gemeinsame Tochter von Kriegsgott Ares und Liebesgöttin Aphrodite wie kein besser geeignetes sagenhaftes Sinn- und Leitbild herangezogen werden wird, jene Propheten also sind die Rieslingwinzer der Mosel.
Einige von ihnen haben sich im Klitzekleinen Ring zusammengetan und auf der diesjährigen siebenten Tafelrunde zu Traben-Trarbach ein überwiegend staunenswert gutes Jahr 2010 in Flaschen abgeliefert. Da es mir bei der stattgehabten Kontrolle ganz wesentlich um die gerade schon angesprochene Harmonie zu tun war, die nicht etwa zu verwechseln ist mit Balance oder einer allzufrüh oder schlimmer noch allzu heftig durch beispielsweise Doppelsalz-Mostentsäuerung in den Wein hineingezwungenen Gerad-, bzw. vielmehr leider wohl unaufmüpfigen bis buttrig-scheintoten Flachheit, habe ich mich vornehmlich um die feinherben, fruchtigen und um die dezidiert süßen Weine bemüht.
I. Daniel Vollenweider, Traben-Trarbach
1. Schimbock 2009
Hart, herb, hefig, stark. Kein Wein für schwache Gemüter und im Grunde nichts für besinnungslose Schleckermäuler wie mich. Anspruchsvolle, wenn nicht schon intellektuelle Aromatik, ein Wein, am Ende, der schlauer ist als sein Trinker?
2. Wolfer Goldgrube Kabinett 2010
Hefig, primärfruchtig, etwas limonadig, bei herrschsüchtiger, leicht bockender 2010er-Säure.
3. Kröver Steffensberg Auslese 2010
Öliger, mit ernsterer, zügelnd wirkender Herbe und von Puffreis abgemilderter, bzw. sanft domestizierter Säure. Dieser Wein ist ein Kandidat für ausgeprägt schöne Altersjahre, wie der hohe Dimethylsufidantei ankündigtl, der so sagt es die Literatur, für die Mischung aus Puffreis und Popcorn in der Nase hauptverantwortlich sein dürfte und als flüchtige Schwefelverbindung das Reifebouquet mitprägt.
Sugardaddy's Glue Kid:
4. Wolfer Goldgrube Auslese 2010
Die Auslese startet mit einer Portion Klebstoff in der Nase und am Gaumen mit wohlgeratener, sehr properer Säure, das macht aus ihm trotz der nicht ganz unproblematischen Uhunote einen fidelen Wein, der zum Glück ganz ohne Hefe und Primärnoten auskommt und der darüber hinaus nicht von melancholischer Herbe gebremst wird. Gut, lang, fein, frisch, löst aber weder Herzrasen, noch den unter Klebstoffschnüfflern gefürchteten sudden sniffing death aus.
5. Schimbock Auslese 2009
Diesmal nicht ganz so sehr mein Kollektionsliebling wie sonst. Herber, schweißiger, abgearbeiteter, nicht mit der nonchalanten Mühelosigkeit von früher und mit einer weniger attraktiven Säure ausgestattet hat er den Sexappeal einer Zwangsprostituierten, deshalb warte ich lieber auf den 2010er Schimbock.
II. Weiser-Künstler, Traben-Trarbach
Meine erste Begegnung mit dem Wein von Weiser-Künstler hatte ich bei der Tafelrunde im Jahr 2009. Da war ich nicht besonders begeistert. Mittlerweile dafür umso mehr. Aus dem käsigen Backfisch ist ein sehr selbstbewußtes kleines Biest geworden.
1. Ellergrub Spätlese 2008
Feiner, geheimnisvoller Petrolschleier,der auf starke Sonnenexposition und damit erhöhten Carotinoidgehalt hindeutet. Eine braungebrannte Urlaubsbekanntschaft also, mit leicht sonnenöliger aber nicht glitschiger Haut, darauf ein feinschmirgeliger Sand haftet, der wiederum unverschmierte, provokante Herbe vermittelt.
Sugardaddy's Bustiest Babe:
2. Steffensberg Auslese 2010
Zuerst saftiger roter und grüner Apfel, später Heilkräuter und frisches Leinentuch. Pumperlgsund und prall, dabei nicht bäurisch. Eher der Typ Daheimgebliebene, die sich im Englischen Garten nicht nur der Sonne hingibt.
3. Ellergrub Beerenauslese 2010
Petrol, Aprikose, Säure sind hier geschmackvoll und stilsicher arrangiert. Ein Wein der sehr aufgeklärt und gleichzeitig trotz seiner sehr traditionellen Zutaten ganz unverkitscht wirkt. Noch eine Münchner Dirndlschönheit, die sich allerdings souverän im Hörsaal der juristischen Fakultät bewegt.
III. Staffelter Hof, Kröv
Vom Staffelter Hof sind die trockenen Weine meist stärker als die fruchtigen Schätzchen. So war es wahrscheinlich auch dieses Jahr. Ich habe aber aus Zeitgründen und um im Thema zu bleiben nur die süßen Sachen probiert.
1. Paradies feinherb 2010
An der herben Ausrichtung des feinherben Paradieses kann man ablesen, dass die Sympathien des Winzers im Bereich des durchgegorenen Weins zu Hause sind. Wirkte aber sowieso noch etwas unfertig und wird wahrscheinlich erst frühestens um Weihnachten herum zu schmecken beginnen.
2. Kröver Letterlay Kabinett feinherb 2010
Auch die Letterlay ist arg frisch, hefig und unfertig. Wirkt aufgedreht, wenn nicht hibbelig.
Eine Spätlese gab es leider nicht, das wäre wahrscheinlich genau das richtige gewesen zwischen der unruhigen Letterlay und dem schüchternen Steffensberg.
3. Kröver Steffensberg Auslese 2010
Leicht geraten und zwar nicht wässrig aber dünner als sonst, so dass man schon etwas genauer aufpassen muss, was man da schmeckt. Dass es sich um eine Auslese handelt, nimmt man dem Wein noch ab, leider ist sie nach meinem Dafürhalten zu blass. Etwas mehr Farbe um die Nasenspitze stünde ihr gut zu Gesicht.
Sugardaddy's Lush Life Lady:
4. Kröver Steffensberg Trockenbeerenauslese 2010
Petrol, Uhu, Aprikose, Säure. Gehalt, Präsenz, Struktur, Stimmigkeit, Komplexität sind alle da. Daher gewiss ein guter Wein, doch fehlt mir der entscheidende Funke, das Quentchen an geheimnisvoller Unbestimmbarkeit oder Überraschung, die geniale Sekunde, der letzte Impuls.
IV. Martin Müllen, Traben-Trarbach
Bisher kannte ich nur den vinologisch wie geographisch singulären Hühnerberg von Müllen, der dieses Jahr erneut meine Sympathien quasi gewaltsam an sich reißt.
1. Kröver Letterlay Spätlese feinherb 2009
Aperol, Hefe, Steine und eine leicht alkoholische Note.
2. Kröver Kirchlay Auslese 2010
Eierschale und Rosinen, wenig Säure, ein viel langsamerer Wein, als die feinherbe Spätlese. Braucht sehr viel Luft.
Sugardaddy's Favourite Chick:
3. Trarbacher Hühnerberg Beerenauslese 2010
Wieder einer meiner Favoritenweine. Apfel, Ananas, Puffreis. Maßvolle Säure, die gemessen am Volumen, das der Wein hat, gleichwohl beträchtlich sein muss. Bei diesem Wein ist alles auf Zukunft getrimmt, gleichzeitig steht er felsenfest im Jetzt. Kann man mit alt werden.
V. Weingut O., Traben Trarbach
Letzte Woche noch habe ich den Ungsberg "Bikiniblick" 2010 seiner Bestimmung zugeführt und dachte mir, dass der ja noch ganz schön unruhig ist. Ob's am frivolen Blick vom Ungsberg in das bikinireiche Freibad von Traben liegt? Und ob die anderen Weine vom Weingut O. aus dem Jahrgang ebenso unruhig sein würden?
1. Trarbacher Ungsberg Kabinett feinherb 2010
Der Ungsberg 2010 ist ein Wein, der noch nicht weiß, wo er hingehört und schon gar nicht, wo er mal hin will. Wenn sich das pubertär-hefige Element verflüchtigt hat, wird es Zeit für eine ernsthafte Standortbestimmung, dann muss die Entscheidung fallen, ob Mann oder Frau, Macho oder Zicke.
2. Trarbacher Ungsberg Spätlese 2010
Schnaufender, stampfender, beladener, als der Kabinett. Der Kabinett entspricht Musik von Lady Gaga, das hier ist Beth Ditto.
Sugardaddy's Roissy Girl:
3. Trarbacher Ungsberg Auslese 2010
Im Auslesebereich ist das Weingut O. von, sofern man bei einem so jungen Weingut davon reden kann, stupender Zuverlässigkeit und traumwandlerischer Sicherheit. Das ist Ungsberger für die Bikinizone. Sauscharf, aber pariert auf's Wort.
In der Fortsetzung geht es unter anderem weiter mit den Weinen von Thorsten Melsheimer, der ca. so groß ist wie Roman Niewodniczanski. Auch Immich-Batterieberg wird eine Rolle spielen.