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Dom Ruinart vertikal getrunken

A. Blancs:

I. 1981

Dem 81er hatte das Haus ein neues, nicht mehr ganz so überfrachtetes Etikett spendiert. Ob sich das auf den Champagner ausgewirkt hat? Man weiß es nicht. Überfrachtet wirkt an diesem athletischen, aber nicht asketischen Typ nichts. Drahtig und sehnig, Grapefruit und Toastbrot, ein isotonisches Getränk für Genießer, ideal nach dem Fressmarathon oder einer langen Rotweinprobe.

II. 1993

Kein sehr starker Dom Ruinart, man muss sich sogar fragen, was bei Ruinart in diesem Jahr passiert ist und für mich eng damit verknüpft ist die Frage, warum zum Teufel man keinen 95er Dom Ruinart bekommen kann. Der Champagner hat eine dürftige, allenfalls seltsam reife, aber überhaupt nicht ansprechende Nase. Und schmeckt einfach nur fertig. Meiden!

III. 1979

Mühelos überholt der 79er den 93er. Was ist da noch an Leben in diesem Champagner, ein bizzeln und sprotzeln, das reinste Fest. Dazu Milchkaffee, Toffee, ankaramellisierte Butter, englische Orangenmarmelade, so schön müssten alle reifen Champagner sein und vor allem die viel zu vielen viel zu gewöhnlichen Blanc de Blancs können sich bei diesem Reifeverhalten eine dicke Scheibe abschneiden.

IV. 1990

Ein Champagner, den ich mit Fragezeichen versehen hatte und auf den ich gespannt war. Die 1990er sind allgemein sehr früh – ich vermute ja: von Champagner-immer-viel zu-jung-Trinkern – enthusiastisch beschrieben worden. Und wahrlich, das timing war nicht schlecht: die Abfolge 1988-1989-1990 spielte guten Kellermeistern phantastisches Material in die Hände, viele 88er sind heute bombig, von den 89er hört man nicht mehr viel, weil sie wahrscheinlich überwiegend getrunken wurden, und 1990 nimmt eine gewisse Sonderstellung ein. Bis zum Jahreswechsel 1999/2000 waren die damals teilweise flammjungen 90er weit überwiegend in einer sehr guten Form. Danach tauchten viele ab, manche tauchten nie wieder auf, andere sind noch untergetaucht, andere kommen langsam in der nobel-zurückhaltenden Zeremonien-Gewandung großer Champagner wieder an die Oberfläche. Dieses Abtauchen wird bei anderen Weinen selbstverständlich hingenommen, bei Champagnern jedoch fast immer und vor allem von Bordeaux-Leuten zunächst mit Irritation quittiert. Völlig zu Unrecht, wie ich meine. Beim Dom Ruinart 1990 wusste ich nicht, in welcher Form ich ihn antreffen würde. Die Antwort hätte Conrad Ahlers kurioser Weise schon 1962 gewusst: "bedingt abwehrbereit"! So wie der 90er Rosé sich mit einer nicht altersuntypischen Gemütlichkeit rund und weich zeigte, war auch der weiße Dom Ruinart 1990 jenseits seiner midlife crisis wieder aufgetaucht. Leichte Bindegewebsschwäche, mäßig ausgeprägte Antriebsstärke, abgeschliffene Reiss- und Schneidezähne, erste Anzeichen einer Osteoporose. Damit will ich nicht sagen, dass der Champagner im Eimer war, so schwach wie der 93er war er lange nicht. Er war mehr der Typ Business Angel, also der gestandene Manager, der die gröbsten Stürme des Lebens hinter sich gebracht hat und jetzt sein umfangreiches Wissen weitergibt. Denn an Aromenfülle war kein Mangel. Jetzt trinken.

VI. 1988

Ein unerwartetes Kopf-an-Kopf Rennen gab es mit dem 1988er Dom Ruinart. Von schlankerer Anlage und bei den Rosés mit etwas mehr als einer Nasenspitze vorn, war hier der Gegensatz zwischen reifem, aufgeplustertem, farbenfrohem 90er Chardonnay und vorbildlichem, säurestarkem, reichlich bissigem, in der Jugend sogar giftigem Blanc de Blancs gut zu sehen. Im Vordergrund Kaffee und Röstaromen, dicht dahinter eine agile, mineralische Zitrussäure und ein feiner Schmelz. Ich glaube nicht, dass sich da noch sehr viel ändern wird, insbesondere weiß ich nicht, ob mit weiterer Flaschenreife noch eine zusätzliche Aromenschicht hinzutreten wird. Wenn er sich so noch etwas hält, ist das schon eine sehr gute Leistung. Traumhaft wäre dieser Champagner natürlich in einer mit Champignons und Waldboden angereicherten Form. Wird man ja sehen, ob das noch kommt.

VII. 1996

Der erste Dom Ruinart mit dem jetzt aktuellen abgerundeten Etikett. Kann man im Moment nicht viel zu sagen, finde ich. Hart, aber nicht abweisend, sehr viel Zitrusfrische macht sich am Gaumen breit, dahinter kommt noch nicht viel zur Geltung. Anknüpfungspunkte für ein gutes Reifeverhalten könnte die etwas undurchdringliche, milchige Crèmigkeit sein. Milchig empfinde ich hier vor allem im Sinne einer dicken, süsslichen Milchcrème, nicht im Sinne einer abgeflachten und breitgewalzten Aromatik, die auf übertriebenen Säureabbau zurückgeht. Der Champagner befindet sich offensichtlich noch im Puppenstadium, wo er gern die nächste Jahre bleiben darf, wenn es der guten Sache dient.

 

B. Rosés:

I. 1979

Ein Etikett so elegant wie die Holzstiche und Schnitzmotive von lustigen Biertrinkern in Opas Kellerbar. Stets als Assemblage-Rosé mit knapp 20% Stillwein aus Verzenay und Verzy, das Grundgerüst ist reiner Chardonnay. Schon ein sehr reifer Rosé, der mit viel kandierter Frucht, Orangeat, Amarena-Cocktail-Kirschen und einer insgesamt süsslichen Art, wie sie die älteren Herrschaften gern haben, zu überzeugen versuchte. Positiv hervorzuheben ist die enorme Präsenz, die der Champagner hatte und die sehr reichhaltige, das Alter und die vereinzelt trocknend wirkenden Sherrytöne etwas vergessen lassende Aromatik.

II. 1982

Diesen Dom Ruinart gab es zum Glück schon mit dem geringfügig aufgehübschten Etikett. Ebenfalls ein sehr rüstiger Rosé. Frühverrentete Lehrer, die im Garten ihre Kirschen vor dem Raub der Vögel beschützen, können nicht dynamischer sein. Gedeckter Kirschkuchen mit guter Schlagsahne, dazu Schwarztee. Gut möglich, dass der hohe Pinot-Anteil sich im Alter typischerweise mit dieser Kirschnote bemerkbar macht. Fällt mir erst jetzt auf.

III. 1986

Reifer, als ich vermutet hätte, vielleicht liegt's am Jahrgang. Während ich bei den beiden Vorgängern mit der Kaffeekränzchenstilistik gut zurecht kam, hätte ich mir hier Abwechslung oder zumindest eine jugendlichere Interpretation gewünscht. Doch statt einer aufgepeppten Version von gedecktem Kirschkuchen und Tee gab es nun Schwarzwälder Kirsch, Dänische Buttercookies, Mandelkrokant, Mürbeteigkuchen und Jacobs Krönung mit Kirschwasser. Sehr schön, einerseits, dass da noch so viel Spiel war, anstrengend andererseits, so viele, leider zum Teil schon etwas angetrocknete Aromen im Mund zu haben.

IV. 1985

Frischer, griffiger, frecher und mal wieder eine Bestätigung für die Langlebigkeit und Qualität des Jahrgangs war der 1985er. So simpel und unraffiniert es klingt: Rote Grütze (natürlich die mit dem guten Überseerum) mit Vanillesauce im Pfannkuchenwrap beschreiben es ganz gut.

V. 1990

Aus der Normalflasche war er mit viel Freude trinkbar, bei diesem Champagner lohnt sich aber die Anschaffung in Magnums, denn der Magnumeffekt ist hier scheinbar besonders stark ausgeprägt. Entwicklungsfreudig, wobei das Tempo, mit dem die Fruchtparade vorbeizieht teilweise etwas hektisch und überstürzt wirkt. Typisch für Dom Ruinart Rosé und beim 90er besonders stark ausgeprägt ist die weinige, deutlich vom Spätburgunder geprägte Art. Weiche Aromen von Kokos, Mandel und Milchschokolade, erfrischende Komponenten vom Erdbeer-Rhabarber Kompott. Aus der Magnum ist die Entwicklung langsamer, genussvoller.

VI. 1988

Auf Augenhöhe mit dem 90er. Gebuttertes Rosinenbrötchen, eine Auswahl verschiedener Fruchtmarmeladen, Toastbrot und Kaffee – bei diesem Champagner erkennt auch der Letzte die Bedeutung des Worts Champagnerfrühstück. Einziger Wermutstropfen: in der Normalflasche gewinnen nach Luftzufuhr süssliche, kräuterige Aromen und eine alterstypische eindimensionale Säure etwas zu schnell die Oberhand.

VII. 1996

Blind würde man sagen: erstens Blanc de Blancs und zweitens untrinkbar. Wer ihn jetzt öffnet, sollte ein Freund stark gepfefferter Austern mit etwas zu viel Zitronensaft sein. Daneben finden sich noch einzelne, verloren wirkende rote Johannisbeeren und ätherisch feine, bzw. ätherisch kleine Mengen reifer Himbeeren. Erinnert mit etwas Gewöhnung (oder Einbildung, schwer zu sagen) an Molke mit Erdbeer-Himbeer-Maracuja Geschmack. Jedenfalls ein gutes Zeichen für später.

ProWein-Champagner: Nachlese Teil II

IX. Besserat de Bellefon

Auch hier selbst zu später Stunde noch freundlich Bewillkommnung und Vorführung der neuen, superschicken Lackholzkiste, in der sich die gamme stilgerecht präsentieren lässt.

1. Cuvée des Moines Blanc de Blancs

Ein zuverlässiger und immer wieder auf sehr hohem Niveau angesiedelter Champagner ist der Blanc de Blancs von Besserat de Bellefon. Schafgarbe als Hinweis auf eine flüchtige Säure vermochte ich darin weniger wahrzunehmen, als mir im Gespräch angekündigt wurde. Dafür reife Aprikosen und weisse Pfirsiche, mit Luft entfalteten sich tatsächlich noch ein paar gebrannte Mandeln und kandierte Früchte, der Säurewert blieb auf dem Teppich.

2. Cuvée des Moines Millésime 2002

Sahnig, stoffig, lockend, mit einer an Bienenwachs erinnernden Nase und sehr milder Textur. Wie schon der Blanc de Blancs war dieser Champagner kein Säuregigant. Tarurig hat mich das nicht gemacht, denn für Säure ist der Jahrgang sowieso nicht berühmt. Eher schon für eine lange, balancierte, sehr elegante Art. Die war hier etwas gehemmt und wirkte schüchtern, erholt sich aber bestimmt in den nächsten Jahren.


X. Francoise Bedel

Vincent Bedel nahm sich sehr viel Zeit, um die außergewöhnlichen Champagner seiner Mutter vorzustellen. Die Biodyn-Zertifizierung erfolgte 2001, nachdem Francoise und Vincent 1996 ein dramatisches Schlüsselerlebnis hatten. Dabei wurde vor allem Francoise klar, dass Leben und Arbeit bei ihr aus der Blanace geraten waren. Der Arzt Robert Winer, dem die Familie einen Hommage-Champagner widmet, ist der Impulsgeber für die vollkommene Umstellung von Lebensstil und Arbeitsweise gewesen.

1. Origin'elle 2004

78PM 13CH 9PN. Saftig und glatt, in der Nase hagebuttig, apfelpektinig, auch Fenchel, mit Kräutern und etwas exotischer Frucht. Machte einen warmen, wohligen Eindruck von altgewordenem Apfel. Am Gaumen wenig Angriffsfläche meiner Meinung nach der morbideste von allen Bedel-Champagnern

2. Dis, Vin Secret 2003 Brut Nature

86PM 8PN 6CH. Klassischer und schöner dagegen der Dis, Vin Secret, trotz des schwierigen Jahres. Aufgrund der hohen Reifegrade war bei diesem Champagner keine Dosage nötig, wie sich nachher beim dosierten Dis, Vin Secret zeigen würde. Merklich waren die fortgeschrittenen, reifen Aromen von Trockenobst und eine leicht alkoholische Note.

3. Entre Ciel et Terre 2002 Brut Nature

100% Pinot Meunier. Sehr spielfreudig zeigte sich der Entre Ciel et Terre. Hinter dem pudrigen Make-Up versteckte sich eine überraschend hervorschnellende Säure, die man einem reinen Meunier nicht ohne weiteres zutraut. Apfel, Hefezopf und allererste Anlagen für eine toastige Röstigkeit, dazu etwas Lemon Curd. Stattlicher Champagner.

4. Entre Ciel et Terre 2002 Brut

Erwartungsgemäss etwas gedämpfter, ich will nicht sagen verwaschener, waren die Aromen beim brut dosierten Entre Ciel et Terre. Immer noch ein schöner Champagner, der viele Champagnerfreunde sehr positiv überraschen dürfte, aber wenn man ihn als brut nature getrunken hat, wird man den dosagelosen Champagner bevorzugen. Wirkte am Tag davor und in einem anderen Kontext (nämlich gegenüber dem Dis, Vin Secret 2000 und 2003) besser.

5. Dis, Vin Secret 2003 Brut

Hier dasselbe. Gegenüber der dosagelosen Ausgabe einfach ein Haufen mehr an reifen, teilweise überreifen Aromen und kein bisschen übriggebliebener Säure. Lässt den Champagner langsam, fad und müde wirken, was schade ist.

6. Robert Winer 1996, dégorgiert im Oktober 2008

88PM 6CH 6PN. Einer Gesamtsäure von 8,01 g/l stehen hier 6,9 g/l Restzucker gegenüber, freies SO2 lässt sich mit lächerlichen 13 mg/l nachweisen. Das Öffnen der hanfstrickverschlossenen Flasche mit dem eigenwilligen Etikett lässt die Reise beginnen. Die fernöstliche Reisgebäcknase deutet noch nichts von der ungeheueren Kraft dieses Champagners an. Die kommt erst im Mund voll zur Geltung. Das ist kein harmloses tackling mehr, sondern ein rabiater bodycheck. Wie ein mittlerer Sekiwake verstopft der Champagner erstmal den Mund, bevor er mit einiger Anstrengung der Geschmacksnerven sinnvoll getrunken werden kann. Grapefruit, Pitahaya, Granatapfel, Kumqat und Physalis rumpeln erbarmungslos in den Schlund und lassen einen aufgerührten Trinker zurück.

Am Tag zuvor hatte ich auf der Renaissance des Appellations bereits folgende Champagner von Bedel probiert:

7. Dis, Vin Secret 2000

Fortgeschrittene, aber nicht unangemessene Reife. Mit Kandiszucker lackierter Apfel trifft es wohl ganz gut. Unter der knusprigen Karamellzuckerschicht lag ein warmer, mürber Apfel mit einem sehr appetitlichen Fruchtfleisch.

8. Âme de la Terre 1998, dég. Juni 2008

24PM, 35PN 41CH. Mit 11,9 g/l dosiert, bei 4,55 g/l Säure. Was war zu erwarten? Dass der Champagner fruchtig sein würde, weil leicht pinotdominiert und weil die Chardonnays von Bedel keine besonders fordernde Säure entfalten. Was noch? Dass die Frucht mir zu plakativ sein würde und der Dosagezucker mir zu hoch vorkommen würde. Und dann noch, dass das späte Dégorgement dem Wein etwas zusätzliches Leben einhauchen würde, worüber ich mir aber noch nicht ganz sicher war. Genau so war der Champagner am Ende. Eigentlich schade, denn in der langen Lagerphase hätte doch etwas viel besseres draus werden können – die Cuvée Robert Winer hatte es vorgemacht.


XI. Fleury

Fleury ist mit revolutionären Methoden vertraut. 1901 gehörte Fleury (gegründet 1895) zu den ersten Winzern der Region, die gepfropfte, reblausresistente Pinot-Noirs pflanzten. Während der Wirtschaftskrise von 1929 gehörte Fleury dann zu den ersten Erzeugern, die ihre Trauben wieder selbst vinifizierten und nicht mehr zu Schleuderpreisen an die großen Häuser verkauften. Im Jahr 1970 war Fleury einer der ersten ökologisch arbeitenden Winzer. Die Umstellung auf biodynamisch erfolgte schrittweise seit 1989, damit ist Fleury wiederum einer der ersten biodynamisch arbeitenden Winzer in Frankreich. Schon am Vortag auf der Renaissance des Appellations probiert.

1. Brut Tradition Blanc de Noirs

Vollmundiger, gutmütiger Champagner.

2. Brut Prestige Fleur de l'Europe

Gewöhnungsbedürftiges Etikett. 85% Pinot-Noir und 15% Chardonnay. In Nase und Mund dann nicht ganz so gewöhnungsbedürftiger, kräftiger, dichter, nicht sehr komplexer Champagner.

3. Rosé de Saignée Brut

Nach den beiden behäbigen, ordentlichen weissen Champagnern kommt beim Rosé eine kleine Überraschung, der Champagner ist von einer gewissen Eleganz und Leichtigkeit, die man gemeinhin mit Rosé-Champagner verbindet, vom Hausstil aber nicht unbedingt erwartet.

4. Millésime 1995, dég. 2009

Wie praktisch immer bei Fleurys Jahrgängen 80% Pinot-Noir 20% Chardonnay. Deutlich ist das Pinotübergewicht, aber der Chardonnay setzt sich mannhaft zur Wehr. Unterstützung erhält er vom späten Dégorgierzeitpunkt, das gibt ihm einen Frischeturbo. Im Moment sehr schön zu trinken, vielleicht die nächsten drei Jahre noch auf diesem Niveau, dann dürfte der Champagner abbauen. Interessanter Kandidat für eine Gegenüberstellung normaler Dégorgierzeitpunkt ./. spätes Dégorgement.


XII. Franck Pascal

Monsieur Pascal war wieder selbst am Stand und erklärte seine Champagner, die es demnächst mit neuen Etiketten zu kaufen gibt. Zur Biodynamie kam er über das Militär. Dort lernte er chemische Kampfstoffe kennen und war später ganz frappiert, als er auf der Weinbauschule eine ähnliche Wirkweise von Pestiziden, Herbiziden und allen möglichen anderen -ziden auf lebende Organismen kennenlernte. Folgerichtig beendete er 1998 den Einsatz von Chemikalien und Düngemitteln im Weinberg.

1. Cuvée Prestige Equilibre 2003

Drittelmix, der mit backenzusammenziehendem Süssholz anfängt und die schwarze, von Holunderbeersaft, Brombeeren und Cassis geprägte Aromatik durchhält. Wirkt bereits ganz zugänglich.

2. Cuvée Prestige Equilibre 2002

Drittelmix, mit 4,5 g/l dosiert. Viel enger, verschlossener, mineralischer als der 2003er. Kein Champagner, der jetzt oder innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre viel Freude bereitet und im Moment nur sehr trainierten Champagnerfreunden gefallen dürfte. Wenn alles gutgeht, ändert sich das demnächst, der Champagner ist einfach noch viel zu sehr in sich selbst verdreht.

3. Cuvée Tolérance Rosé

Nach den beiden Jahrgängen wirkte der Rosé fruchtig, unausgezehrt, ausgeruht und wie zu Scherzen aufgelegt. War er in Wirklichkeit natürlich nicht, da war sein vom Sagesse ererbtes Naturell und die schwer entzifferbare Handschrift des Winzers davor. Unter den Rosés unserer Zeit sicher einer der interessantesten. Nichts für Hedonisten.


XII. Philipponnat

Die Champagner von Charles Philipponnat sind immer ein Gläschen wert, waren am Stand leider sehr sehr kalt.

1. Royal Reserve

Jugendlich, unbekümmert, frisch und fruchtig plätscherte der Standardbrut ins Glas. Dahinter steckt überwiegend Pinot-Noir, ca. ein Drittel Chardonnay und ca. ein Viertel Pinot Meunier. Der Reserveweinanteil kann auf bis zu 40% klettern und wird im Soleraverfahren gewonnen. Biologischer Säureabbau ist für diejenigen Grundweine, die bei Philipponnat ins Holz dürfen, kein Thema. Unter anderem deshalb stecken sie die 9 g/l Dosagezucker gut weg. Für ein großes Haus wäre das übrigens nicht besonders viel, doch ist Philipponnat kein grosses Haus, sondern eher ein großer Winzer. Das sieht man allenthalben an der sehr sorgfältigen, am Detail orientierten Vinifikation. Wie es sich für gute Winzer gehört, trägt jede Flasche das Dégorgierdatum auf dem Rückenetikett. Immer wieder eine Freude und in Deutschland ein noch immer viel zu unbekanntes Haus.

2. Grand Blanc Millésime 2002

Dieser Champagner ist in Teilen ein Clos des Goisses. Dort stehen nämlich ein paar Chardonnayreben, die nachher einen Teil der Wirkmacht des Clos des Goisses ausmachen. Zu 15% stammen die Chardonnays dieses Weins ebenfalls aus dem Clos des Goisses. Der Rest kommt überwiegend aus der Côte des Blancs. Im Stahltank bekommen diese Weine ihren Schliff und ihre chablismässige Statur, wobei es auch in diesem Champagner Anteile gibt, die im Holzfass waren und keinen BSA mitgemacht haben. In der mit 5 g/l dosierten Cuvée merkt man von alledem nicht viel. Ich war zum Beispiel viel mehr damit beschäftigt, über den Chardonnay aus dem Clos des Goisses nachzudenken und ob ich den beim nächsten Besuch mal als Grundwein probieren könnte. Denn irgendwas haben diese Trauben, was dem Champagner einen besonders weichen twist verleiht, eine träumerische Unschärfe nach der Art wie sie David Hamiltons Bilder berühmt gemacht hat.

3. Réserve Millésimé 2002

70% Pinot-Noir aus Ay und Mareuil, 30% Chardonnay aus der Côte des Blancs. Trotz seiner Dosage von 9 g/l ein lebhafter, frischer Champagner, der mir aus der Kollektion am gefälligsten vorkam. Datteln, Feigen, Aprikosen, weisse Schokolade und Limette halten sich hier spannungsvoll die Waage.

4. Cuvée 1522 Blanc Grand Cru 2002

Gedächtniscuvée anlässlich der Niederlassung der Familie in Ay. Folglich muss Pinot-Noir aus Ay mit 60% den Löwenanteil in der Cuvée bekommen. Warum der Rest Chardonnay aus Oger stammt, ist mir nicht klar. Ich finde das nicht konsequent; Philipponnat hätte viel lieber Chardonnay Grand Cru aus Ay nehmen sollen, das hätte viel authentischer zu der Cuvée gewirkt und außerdem traue ich Philipponnat ohne weiteres zu, mit den Trauben vernünftige Resultate zu erzielen. Im Bereich der von diesem Champagner bereits preislich anvisierten Kundschaft wäre das sicher auf große Entzückung gestossen. Mit 4 g/l dosiert und langem Hefelager ist der 1522 so etwas wie eine kleine Prestigecuvée. Schmeckt balanciert, pendelt sich aromatisch beim Khakisüppchen mit Pinienkernen und Ingwer ein.

5. Clos des Goisses Blanc 2000

70% Pinot-Noir und 30% Chardonnay. Wie bei allen Philipponnat-Champagnern geht es auch hier um Frische, Klarheit, Rasse und Stil, daher der bewährte Mix aus Stahltank und BSAlosem Fassausbau. Obwohl mit nur 4 g/l dosiert und zu kalt serviert, entfaltete der Clos des Goisses mühelos seine ganze Pracht. Kakao und Kirsche, Toastbrot und Powidl-Palatschinken, Kaisermelange, Germ- und Marillenknödel, die ganze Wiener Kaffeehauskultur in einem Champagner! Ein schöner Beleg dafür, dass der Clos des Goisses besonders in schwachen Champagnerjahren großartige Champagner liefern kann.

6. Royal Reserve Rosé

Ein Assemblage-Rosé mit 7-8% Coteaux Champenois. So leicht und lebensbejahend wie das zarthelle Rosa des Champagners schmeckt er, Erdbeer-Himbeeraromen werden von 9 g/l Dosagezucker recht vorteilhaft herausgehoben, eine hauchdünn unterlegte Tanninstruktur erinnert daran, dass der Champagner aus einem sehr distinguierten Haus kommt. Alles in allem dennoch kein besonders komplizierter Champagner.


XIII. Paul Goerg

Monsieur Moulin, den die Genossen bei Ruinart herausgekauft haben, stellte die Cooperativenchampagner und die neue, 2004 als Handelshaus gegründete Marke Prieur vor. Die Goutte d'Or aus Vertus stand bis vor kurzem unter der Leitung von Pascal Férat, der nach den jüngsten Querelen in der Winzerschaft die Führung des Winzerverbands übernommen hat. Unter dem Namen Paul Goerg treten die Genossen seit 1982 eigenständig am Markt auf, vorher teilten sie das Schicksal des unbekannten Saftlieferanten mit zahllosen anderen Kooperativen der Region.

1. Brut Tradition

60CH 40PN. Sehr leichter, mit seinen 8 g/l nicht hoch dosierter Champagner. Weinig und angenehm, etwas kurz.

2. Blanc de Blancs

Dem Tradition eng verwandt, mit mehr Dampf, mehr campheriger Säure und einem Beigeschmack von geschwenkter Butter. Nicht besonders groß.

3. Blanc de Blancs Millésime 2002

Stärker hervortretende Chardonnayeigenschaften, voluminöser Apfel, bei mäßigen Säuregraden. Wenn die Mitgliedsbetriebe ihre Lagen in den Premier und Grand Crus der Côte des Blancs haben – so scheint hier doch überwiegend das leichte, fruchtige Element verarbeitet zu werden. Geht beim 2002er in Ordnung.

4. Cuvée Lady Millésime 2000

85CH 15PN. Acht Jahre Hefelager. Ziemlich proper, dabei fast ein wenig divenhaft schwankend zwischen fruchtiger Herzlichkeit und spröder Mineralität präsentiert sich die Prestigecuvée der Genossen. So stellen sich die Mitglieder die perfekte Champagner-Winzerehefrau vor, geschäftlich diamanthart, aber reinen Herzens, rund, facettenreich, nach innen ausgeglichen und harmonisch. Gelungen.

ProWein-Champagner: Nachlese Teil I

I. Pol-Roger

Begrüßt vom freundlichen und gut gelaunten Laurent d'Harcourt ging es direkt medias in res. Der White Foil und sein junger Bruder Pure, beide als Drittelmix cuvéetiert waren die Starter. Nach einer Übergangsphase, in der sich der White Foil immer eine Spur zu süss präsentiert hat, ist mittlerweile scheinbar alles wieder im Lot. Der White Foil ist geschmacklich zur gediegenen Pinot-Eleganz eines racinggrünen Jaguar XJ6 zurückgekehrt. Der Pure hingegen ist eine Einladung an die Freunde englischer Sportwagentradition aus dem Hause Austin Healey, deren Zulademöglichkeiten bekanntlich sowieso nur auf ein Picknickgepäck in Form von zwei Flaschen Champagner nebst Gläsern beschränkt sind. Der 2000er Jahrgang bleibt mit seinem haustypischen 60% Pinotanteil im Glied, was nicht minder für seine sonstigen Eigenschaften gilt, womit ich ausdrücklich nicht sagen will, dass er stärker als andere Champagner aphrodisisch wirkt. Aber ein Landlord, der seinen volljährigen Sohn in das angesehenste Bordell der Hauptstadt mitnimmt, wird schwerlich auf einen Champagner dieses Schlages verzichten wollen. Seine Frau hingegen dürfte es sich, wenn sie nicht gerade zum Gin oder zur Gärtnerei neigt, derweil mit dem Gärtner und einer Flasche vom 2000er Rosé des ehrwürdigen Champagnerhauses bequem machen. Weil der nichts für reine Frauenkränzchen ist, sondern mit seinem Pinotgrundton auch Männer anspricht – und nicht nur die liebestollen. Eine völlig andere Geschichte ist der 99er Blanc de Blancs von Pol-Roger. Dieser Champagner, der früher nur als "Brut Chardonnay" verkauft wurde, ist so etwas wie der heimliche Star in der an sich schon illustren Kollektion. Man merkt's am Preis, aber vor allem am Geschmack und das am besten, wenn er reif ist. Der 99er war noch nicht reif, aber er war schon gut, obwohl er noch nicht Anlass zu der Hoffnung gibt, dass er die Höhen eines 88ers oder 89ers erreichen wird. Viel mehr Grund zur Freude und zum häufigen Anstaunen im perfekten Natursteinkeller haben Champagnerfreunde mit der Cuvée Sir Winston Churchill 1998. Die ist nicht so extrem wie 96, 90 oder 88, was ihr auch gar nicht stünde. Einen klassischen, guten, lange auf hohem Niveau haltbaren Winston dürfen wir meiner Meinung nach im 98er erblicken.


II. Jacquesson

Der stille Gigant aus Dizy musste natürlich mal wieder unter die Lupe genommen werden. Als Stéphane Gass von der Traube Tonbach und Gerhard Eichelmann an den kleinen Stand kamen, war der schmale Gang vollends verstopft und das Verkosten wurde zum Balanceakt. Gut, wenn man die Cuvées des Hauses schon ein bisschen kennt. Die Cuvée No. 734 erwies sich als so zuverlässig wie ein U-Bootsdiesel, was mich nicht wunderte. Ich bin nämlich offensichtlich nicht alleine mit dem Eindruck, dass diese immer nur geringfügig variierte Cuvée von Ausgabe zu Ausgabe besser wird. Über die anderen Champagner des Hauses werde ich eine gesonderte Notiz verfassen, weil ich beim nächsten Besuch in der Champagne bei den technischen Werten etwas nachfassen will.


III. Bruno Paillard

Wie jedes Jahr war Bruno Paillard mit einem viel zu kleinen Stand auf der ProWein, der überhaupt nicht die Bedeutung des Hauses in der Champagnerwelt abbildet. Der Standardbrut besteht zu 22% aus Pinot Meunier, 33% aus Chardonnay und 45% aus Pinot-Noir. Das ergibt ein leichtes Pinotübergewicht, dem der Holzfassausbau noch entgegenkommt. Paillards Kellermeister Robuchon arbeitet als Ausgleich mit einem Reserveweinanteil, der locker um die 40% liegen kann und bringt den dreißig Grundweinen seiner Cuvée damit die nötige Frische. Was nämlich manche gar nicht wissen: Reservewein ist nicht gleichbedeutend mit altem, kaputtem, oxidiertem Bodensatz aus leckgeschlagenen Fässern, sondern kann in vielen Fällen ein Frischekick für Cuvées aus säureschwachen Jahren (wie zuletzt 1997, 1999 und 2003) sein. Bei der stets sehr schön anzusehenden Rosécuvée scheint das leider nicht immer so gut zu gelingen, mir erscheint sie gelegentlich zu schwer, blütenbeladen, gar alkoholisch. Schuld sind dann die rot gekelterten Pinots aus den Toplagen des Hauses in Verzenay, Bouzy, Mailly und Les Riceys. Obwohl Monsieur Robuchon diese Weine manchmal sogar nur rosé ablaufen lässt, entfalten sie für meinen Geschmack einfach zu viel Wucht. Der Blanc de Blancs wiederum ist ein kleiner Leckerbissen mit nur ca. 4,5 bar Flaschendruck und wenig Reservewein. So kommt er zu einer besonders sahnigen Schaumkonsistenz, von der man leider nur dann etwas mitbekommt, wenn das Glas, die Temperatur und alle Umweltbedingungen tiptop sind. Ist das nicht der Fall, kann man immerhin eine vorbildliche Mineralität, einladende Apfelnoten und Mandelsplitter registrieren. Der 99er Jahrgang besteht zu 29% aus Pinot Meunier, 29% Chardonnay und 42% Pinot Noir. Damit handelt es sich von den Anlagen her um einen auf dem klassischen Standardbrut aufbauenden Champagner, nicht um eine Spezialcuvée. Diesem Irrtum kann man schnell unterliegen, wenn man auf die Künstleretiketten reinfällt, die seit dem 1981er (Gründungsjahr des Hauses!) den Jahrgangschampagner von Bruno Paillard schmücken. Die Künstlernamen sagen mir leider nichts, umso mehr dafür der Champagner. Reif, etwas frisch, aber säurearm und wahrscheinlich kein Langläufer. Im Moment jedenfalls gut zu trinken, mit seiner warmherzigen Fruchtigkeit und nur geringen Mineralität.


IV. Drappier

Im Messetrubel blieb nicht viel Zeit für mehr als für ein kurzes Händeschütteln mit Michel Drappier, wobei mir klar wurde, dass ich ihn bei nächster Gelegenheit in Urville aufzusuchen haben werde. Zu oft habe ich ihn nun mal hier, mal da, aber eben nicht in seinem eigenen Wirkungsbereich angetroffen, dabei sind seine Champagner so einprägsam, charaktervoll und sympathisch wie er selbst. Sein Blanc de Noirs Brut Nature folgt nicht der allgemeinen Mode, trotzdem liegt er gut am Gaumen an. Wir haben es hier entgegen der abschreckend wirkenden Etikettenangaben "Blanc de Noirs – Brut Nature" nicht mit einem Spezialistenchampagner zu tun, der nur ganz seltsamen Weinvögeln Freudentränen in die Augen jagt. Ungewöhnlich saftig und überhaupt nicht ausgetrocknet wirkt dieser Brut Nature. Ein Kunststück, das zu vollbringen vielen Trittbrettfahrern entlarvend schwer fällt. Ganz weich und schmeichelhaft war der Charles de Gaulle. Dieses Jahr ist zufällig das Charles de Gaulle Jahr schlechthin: vor 120 Jahren wurde der Panzergeneral geboren, vor 70 Jahren richtete er seinen berühmten Appell an die Franzosen und vor 40 Jahren verstarb er in Colombey-les-Deux-Églises, nur wenige Kilometer vom Sitz seines Lieblingswinzers Drappier entfernt. Die Hommagecuvée ist friedliebend, weich, ganz säurearm und von großer Typizität für die warme Aubegegend. Der Rosé, dessen ehemalige Bezeichnung sich von der Lage Val des Démoiselles ableitete, zog andere Saiten auf. Das Saignée-Fräulein war aufreizend schnippisch und etwas frech, nicht die Spur anstrengend, auch kein bisschen wabbelig oder von überhitztem Gemüt. Gravitätischer war hingegen die Grande Sendrée Blanc 2002, ein Ausnahmewein in dieser Preisklasse, obwohl ich ihn auch schon besser getrunken habe. Ich glaube nicht, dass dieser schöne Jahrgang bereits seinem Ende entgegenschreitet, er dürfte vielmehr langsam abtauchen und sich auf die Wandlung vorbereiten, die mit jedem neuen Reifestadium einhergeht. Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen in ein, zwei Jahren.


V. Bauget-Jouette

Die Halle war praktisch leer, nur Monsieur Bauget war noch tapfer am Stand und erklärte die Hausphilosophie. Die ist auf Kontinuität ausgerichtet, so dass Jahrgänge selten sind, was man vor allem an der Prestigecuvée bemerken kann, die dem Multi-Vintage Konzept von Krug und Laurent-Perrier folgt. Angenehm frisch, mit 60% Chardonnay und gut 30% Meunier ausgestattet, trat die Carte Blanche auf. Äpfel, Reineclauden und ein Duft nach frischgewaschener Bettwäsche, gefolgt von einem eher süssen, gefälligen Mundeindruck, den ein Säurehaken am Ende vor dem Abgleiten ins Kitschige rettet. Enger und härter war der Extra Brut. Optimal wäre für meinen Geschmack ein geringfügig abgespeckter Carte Blanche oder ein etwas aufgehübschter Extra Brut. Der Assemblage-Rosé in der hübschen Rosenmusterflasche besteht aus 55% Chardonnay und 25% Pinot Meunier, der Rest ist Pinot Noir. In der transparenten Flasche sieht das natürlich schick aus und schmeckt sogar noch besser. Trotz des hohen Stillweinanteils bleibt der Champagner elegant, feinfruchtig und sehr verführerisch, was für die hohe Qualität des Chardonnays spricht. Der musste sich als Blanc de Blancs 2004 auch noch in Reinkultur zeigen und schnitt nicht ganz so gut ab. Die Anlagen waren zwar komplett vorhanden, aber nie bis ins letzte ausgebaut. Etwas mehr Kompromisslosigkeit würde ich mir von Bauget-Jouette wünschen, dann bekäme auch der BdB meinen ganzen Segen. Zum Schluss war die Cuvée Jouette dran, eine jahrgangslose Cuvée du Fondateur. Hälftig aus Chardonnay und Pinot Noir vinifiziert, wird dieser Champagner im pompösen Geschenkkarton präsentiert. Ebenso pompös schmeckt er dann tatsächlich. Crèmig und mundfüllend, fast ein wenig holzig, mit einer Andeutung von Al Capone's Cognac-Dipped Cigars.


VI. Henriot

Monsieur Huray stellte mit adäquater Begeisterung in der Esprit-Arena die Champagner von Henriot aus. Von der Irritation, die Stanislas Henriot mit seinem überraschenden Rücktritt von der Geschäftsführung ausgelöst hatte, war nichts zu merken. Erklärungen dazu gab es ebensowenig. Dabei wäre es sehr interessant gewesen zu erfahren, was an der Spitze dieses bedeutenden Hauses vor sich geht. Joseph Henriot, der lange die Geschicke von Veuve Clicquot geleitet hatte, übergab 1999 seinem Sohn Stanislas die Zügel seines eigenen expandierenden Champagnerhauses – zu Henriot gehört außerdem der Chablis-Spezialist William Fèvre und das Burgunderhaus Bouchard Père et Fils. Vom Genuss des klassisch-herben Brut Souverain konnte mich das alles nicht abhalten. Mir kam der Champagner zunächst verhalten und etwas wässrig vor, mit Luft füllte er diese Lücken später noch gut aus, wie Zaubertinte erschien aus dem Nichts ein filigranes Flechtwerk aus spröder Mineralität und viskoser Zitronigkeit. Der Blanc de Blancs heisst bei Henriot Pur Chardonnay und stammt von den großen Weinbergen der Champagne, darunter Chouilly, Avize, Le Mesnil und Vertus. Weniger als 5 mg/l freies SO2, 4,9 g/l Säure und pH 3,14 finden sich in diesem knackigen Stöffchen, das zum besinnungslosen Trinken schneller verführt, als einem recht sein kann. Ähnliche Machart zeigte der 98er Vintage. 51% Pinot Noir, 49% Chardonnay, alles wieder aus sehr guten bis exzellenten Lagen, 4,9 g/l Säure, bei einem pH-Wert von 2,95 kündigten ein gegenüber dem Chardonnay erhöhtes Marschtempo an und hielten es durch.


VII. Bollinger

Am Bollinger-Stand ein Plätzchen zu finden, ist nicht leicht, dennoch hat es dieses Jahr wieder geklappt – wegen Termindrucks konnte ich mir leider nicht die aktuellen Ayala-Champagner zu Gemüte führen. Zur Special Cuvée notiere ich fast immer nur noch semper idem und seit es den jahrgangslosen Rosé von Bollinger gibt, verdient er sowieso das größere Maß an Aufmerksamkeit. Denn noch kann man zu diesem Champagner wenig sagen. Außer vielleicht, dass er gut schmeckt. Aber langsam: bevor ich eine neue Cuvée nicht über die ersten Reifestadien hinweg beobachtet habe, fällt mir die Einordnung immer schwer. 62% Pinot Noir, 24% Chardonnay, 14% Meunier, 5% still vinifizierter Pinot Noir aus der Côte aux Enfants, eine Dosage von 10 g/l, 4,1 g/l Gesamtsäure helfen als technische Werte nur bedingt weiter. Deutlich ist, dass die pinotige Cuvée wegen des niedrigen Säurewerts und ihres Dosagezuckers nicht gerade als Leichtbauchampagner geplant gewesen sein kann. Das entspricht voll und ganz dem Bollinger-Stil. Überraschend ist, dass der Champagner nicht annähernd so fleischig und schwer wirkt, wie die Konstruktion vermuten lassen könnte. Im Gegenteil, nur die delikatesten, zartesten Pinots scheinen Eingang in den Rosé gefunden zu haben. Insofern ist absehbar, dass die weitere Beobachtung dieses Champagners kein allzu hässliches Geschäft sein wird. Man könnte Bollinger zur gelungene Grande Année 2000 beglückwünschen. Meiner Meinung nach wäre das zu kurz gesprungen. Denn Bollinger hat schon mit den Grande Années 1997 und 1999 gegen alle jahrgangsbedingten Schwierigkeiten Champagner herausgebracht, die Lob verdienen. Unter den dreien ist der 2000er Primus. Nicht nur, dass er über die den beiden anderen ebenfalls eigene Eingängigkeit verfügt, er ist darüber hinaus ein Champagner, der einer etwas längeren Zukunft und Reifefähigkeit entgegenblicken dürfte. Überragend, selbst für Feinde des Roséchampagners, war die Grande Année Rosé 2002. Fein, aber wirklich sowas von fein, dass ich die Lobeshymne der Revue du Vin de France gut verstehen kann- dort erhielt die 2002er Grande Année volle 20/20 Punkte. Wer sich jetzt noch nicht mit dem Stoff eingedeckt hat, sollte zügigst zur Tat schreiten, sonst lassen uns Franzosen, Briten und Japaner nichts mehr davon übrig.


VIII. Nicolas Feuillatte

Pierre Hartweg strahlte am Tag der Verabschiedung von Frau de Keyser eine Engelsruhe aus und schenkte auch im härtesten Getümmel geduldig aus. Los ging es mit dem Brut Extrem', einem Champagner, der seinen sprechenden Namen wie kaum ein zweiter verdient hat. Gegenüber dem noch vor kurzem getrunkenen Vorgänger, einem 96er Blanc de Blancs, war der jetzt unter dem Etikett Brut Extrem' verkaufte Champagner einerseits von seiner Grundanlage her viel zahmer, andererseits konnte man die Verwandtschafte anhand der aggressiven Grundstimmung gut nachvollziehen. Ich denke, der jetzige Brut Extrem' wird nicht so lange brauchen, wie sein Vorgänger, um trinkbar zu werden und ich weiss nicht, ob er dann ebensoviel Spass machen wird. Zum polarisieren ist er natürlich schon jetzt ideal. Blanc de Blancs Grand Cru und Blanc de Noirs Grand Cru sind keine Lagenchampagner mehr, dadurch haben sie leider ein wenig von ihrem guten Potential eingebüsst. Jetzt nur noch solide. Sehr gern hatte ich die Cuvée 225 Blanc Vintage 1999 im Glas, ein Holzfasschampagner nach der Art, wie große Häuser sie gern machen. Üppig, weinig, in der Welt zu Hause und zur Zeit sehr ausgewogen zu trinken. Auf eine augenzwinkernde Art charmant wirkt der Champagner wegen seiner doch eher krachledernen, in einen feinen Loden gehüllten Herkunft. Getoppt wurde das Vergnügen von einer überaus starken Cuvée 225 Rosé Vintage 2002. Die war wesentlich brachialer, als die Jahrgangscousine von Bollinger und konnte in puncto Eleganz sicher nicht mithalten. Das dürfte aber auch nicht im Sinne des Erfinders sein, die Cuvée 225 Rosé ist vielmehr in einem engen Bezug zu ihrem Bruder, dem 99er Holzhackerbuam zu sehen. Dralle, authentische Erotik wie beim Trachtenstrip in der noblen Starnberger Bauernstube vom Allgeier-Sepp. Züchtig und etwas unterkühlt wirkte neben dieser prallen Lebensfreude die Palmes d'Or Blanc 2000. Dennoch sollte man diesen Champagner nicht unterschätzen. Im letzten Jahr hat mir eine 96er Palmes d'Or en Magnum gezeigt, wie mächtig dieser Champagner mit Flaschenreife aufdrehen kann. Bei diesem Champagner bin ich sehr vorsichtig, was meine Prognosen betrifft, denn die letzten Jahrgänge dieser Cuvée zeigten sich höchst unterschiedlich bis unberechenbar. Leider etwas zu kalt kam die entzückende Palmes d'Or Rosé 2002 ins Glas, die Mischung erinnerte an den süßen Duft von Freesie und Nachtkerze, mit Temperatur und Luft kam die ganze unvermeidliche Beerenbande dazu. Im Mund schien mir der Champagner zuerst, ich vermute temperaturbedingt, flach und wässrig, auch etwas klebrig, dann entwickelte sich eine griffigere, den Gaumen schon stärker fordernde Weinigkeit, die den Champagner auf Jahre hinaus bewegungsvoll und entwicklungsfreudig erscheinen lässt.


Jahrgangsverkostung 1996 – 2006

Im Nachgang zur ProWein 2010 hier ein paar Notizen von Champagnerverkostungen und Champagnern, die mir bemerkenswert erscheinen.

A. Zu den Pflichtterminen gehört die Champagnerverkostung des Meininger Verlags

Sascha Speicher führte die derzeit gut erhältlichen Jahrgangschampagner und ihre Eigenheiten vor. Einzig für 2001 hätte ich mir z.B. Vilmarts Coeur de Cuvée gewünscht, das Jahr blieb leider unbesetzt.

I. Champagne Henri Mandois Blanc de Blancs Premier Cru 2005

Ich will gegenüber Mandois nicht als der Meckeronkel dastehen und sehe mich bei deren Jahrgangschampagner doch immer wieder in diese Rolle gedrängt. Zuletzt fiel mir beim 2002er in Normalflasche und Magnum auf, dass er viel zu schnell reift, altert und sich von dieser Welt verabschiedet, nun schon wieder beim 2005er. Pierry, Chouilly und Vertus, von wo die Trauben für diesen Champagner nämlich kommen, sind nicht die Pflaster für alterslose Chardonnays, das weiss ich selbst. Wenigstens ein bisschen Frische, Zitrus oder Apfel darf man aber als argloser Trinker schon erwarten. Und was bekommt man stattdessen? Ein reifes, mürbes Gemisch aus teigigem Hefezopf mit Mandelsplitter und Zitronat.

II. de Saint Gall Blanc de Blancs Premier Cru 2004

Die Edellinie der Champagnergenossen gewinnt in Deutschland immer mehr Bedeutung. Das liegt vielleicht daran, dass Champagner wie dieser beim Publikum sehr gut ankommen. Leicht, frisch, elegante Mineralität, um die 10 g/l dosiert und ein völliger no-brainer, wie man so schön sagt. Mir war er für einen 2004er ausserdem etwas zu mehlig geraten.

III. Louis Roederer Vintage 2003

An ein Katastrophenjahr wie 2003 soll man nur Könner lassen. Roederer hat die Herausforderung angenommen, das Ergebnis begeistert nicht, lässt sich aber trinken. Kalkig, von seiner weißen Blütenaromatik etwas an Weissburgundercuvées erinnernd, insgesamt recht dick und herb, stellenweise brotig und mit ein paar Röstnoten angereichert. Sascha Speicher nannte das den Geschmack der – theoretisch – weltbesten Cava und damit hatte er recht.

IV. Besserat de Bellefon Cuvée des Moines Mill. 2002 – siehe auch B. IX. –

Praktisch die Prestigecuvée des Hauses, das mir schon seit zwei, drei Jahren immer wieder positiv auffällt und sich langsam, stetig und mit viel Fingerspitzengefühl nach oben vorarbeitet. Bienenwachs, leichte Säure, milde Süße, für 2002 auffallend rund und weich, was meiner Meinung nach am Crémantcharalter des Champagners liegt. Dadurch geht die Ausziselierung der empfindlichen Säurespitze verloren, dafür ist die frucht etwas breiter aufgestellt, der letzte Schub fehlt noch, dann hat dieser Champagner das zeug für eine höhere Liga – wenn ich das Getuschel und Gedruckse bei Besserat de Bellefon richtig gedeutet habe, müssen wir auf die entsprechende Cuvée auch gar nicht mehr lange warten.

V. Veuve Devaux D de Devaux Mill. 2000

Ein pinotbetonter Champagner aus einem pinotfreundlichem Jahr, aus pinotdominierter region, von einem Haus, bzw. einer Aube-Genossenschaft, die viel mit Pinot arbeitet. Gute Voraussetzungen, um die Typizität des jahrgangs herauszuarbeiten. Herbe, kräftig und weinig war der Champagner aus der "D"-Serie des Hauses. Moderner, gut gemachter Champagner, bei dem vielleicht nur der Preis noch ambitionierter ist, als die Geschäftsleitung.

VI. Alfred Gratien Vintage 1999

Klug war es, auf ein Haus zuzugreifen, das ohne biologischen Säureabbau arbeitet. Alfred Gratiens 99er zeigte sich delikat röstig, mit einer für das Haus schon fast obszönen Freizügigkeit, bzw. Süffigkeit. Mir kam er ungewöhnlich säurearm vor, selbst verglichen mit dem bis dahin vermarkteten 97er.

VII. Pol-Roger Cuvée Sir Winston Churchill 1998 – siehe auch unter B. I. –

Lang, klassisch und mit einer sehr admiralischen Säure, der Champagner ist wie ein Gastgeber alten Schlages, vom ersten Augenblick bis zur Verabschiedung fühlt man sich ungezwungen wohl. Griffige Weinigkeit, lebhaftes Spiel, die für SWC typische, lebhaft inszeniert Mischung aus fleischigem Pinot und rassigem Chardonnay ist beim 98er so gut gelungen, wie schon seit einiger Zeit nicht mehr: 96 ist trotz seiner Zugehörigkeit zum Königshaus noch viel zu jung, höchstens ein aufstrebender Korvettenkapitän verglichen mit dem 98er. Der 95er könnte in den nächsten Jahren noch einen Karrieresprung machen, der 93er wird es niemals in die Admiralität schaffen, beim unruhigen 90er wird man abwarten müssen und der 88er ist der reinste Freibeuter.

VIII. Bollinger R.D. 1997, dég. 3. Sep. 2008 – siehe auch unter B. VII. –

Einer der geistvollsten und schlemmerigsten Champagner des Jahrgangs. Der Freigabezeitpunkt ist perfekt gewählt, denn die 97er Grande Année, die ihrerseits eine für die Jahrgangsbedingungen höchst begeisternde Performance abgeliefert hat, beginnt so langsam, an ihre Grenzen zu stossen. Die Staffelübergabe an den R.D. ist naht- und problemlos, sanfte Kaffee- und Röstaromen, auch eine Andeutung von Cognac, feine Würze, jedoch ungewöhnlich wenig Säure für einen R.D. Man merkt, dass der Kellermeister alles aus dem Champagner herausholt, was das Jahr ihm mitgegeben hat. Sehr respektabel; dass der Champagner gleichzeitig so unangestrengt schmeckt, steigert das Vergnügen noch.

IX. Duval-Leroy Femme de Champagne 1996 en Magnum

Schwierigschwierigschwierig. In der Normalflasche war die 96er Femme über Jahre hinweg in einer quasi prämenstruellen Rührmichnichtan-Verfassung. Mittlerweile hat sie das abgelegt und sie gehört seither zweifellos zu den glitzerndsten Schönheiten des Jahrgangs. En Magnum wirkte sie etwas migränig und verspannt. Ein buttriger, weicher, aber nicht fahler Teint, reif-karamellige Grundierung, weil dieser Champagner jetzt nunmal einfach soweit ist, dass man sich drüber hermachen sollte, aber leider mit einer unbeweglichen, wie von Botox starr gehaltenen Mimik, die ihm nicht steht. Im Moment wohl einfach besser aus der Normalflasche oder mit sehr viel Luft.

X. Bruno Paillard N.P.U. 1995, dég. Okt. 2006 – siehe auch unter B. III. –

Mein Favorit – N.P.U. steht selbstbewusst für nec plus ultra – schmeckt, als würde man eine Miniatur-Starbucksfiliale am Gaumen in die Luft sprengen. Haselnussirup, Zimt, Toffee, Crème, Sahne, Kaffee, auch after-coffee mints, erst dicht gepackt, dann in herrlichem Durcheinander hemmungslos durch die Gegend gefeuert.

Rési reloaded – Mit dem Fernseh in der Résidence

Beim Essen gefilmt zu werden ist gar nicht weiter schlimm, wenn man sich seiner Umgangsformen nicht schämen muss, oder wenn es einem sowieso egal ist. Oder aber, wenn das Fernsehteam dank fortgeschrittener Kameratechnik dezent im Hintergrund bleiben und dem sorglosen Schlemmer trotzdem auf die Gabel blicken kann. So war es letzten Dienstag in der Résidence, Essen-Kettwig.

O.1 Amuse Gueule: Frühlingsrolle, Selleriecréme auf Pumpernickel und Walnusscrème im Knusperröllchen

– Die Frühlingsrolle war mundgerecht, dicht, aber nicht zu dicht gepackt und daher angenehm bissfest;

– Die Selleriecrème als Würfel mit ca. einem Zentimeter Kantenlänge auf der Pumpernickelscheibe stand aromatisch im richtigen Verhältnis zum Brot, war mir aber als Kontrast zwischen wabbeliger Crème und festem Brot etwas zu weit auseinander;

– Die Walnusscrème im Knusperröllchen lag wieder auf meiner Wellenlänge, fluffige Crème, die intensiv nussig, aber nicht ranciohaft schmeckte, das Knusperröllchen harmonierte gut.

 

O.2 Gruss aus der Küche: Hummer-Fenchel-Variation

– einmal im Wan-Tan gebacken, mir zu sehr an die Frühlingsrolle angelehnt, aber geschmacklich gut;

– mit Fenchel-Tagliatelle, leicht säuerlich, wie beim Sushi-Rettich, als Appetitmacher ausgesprochen gklug platziert;

– als Tartar war mir der Hummer zu unsichtbar, ich habe ihn lieber in größeren Stücken;

– als gestreifte Terrine wiederum gingen Hummer und Fenchelcrème eine überaus schmackhafte einander spielend leicht ergänzende Kombination ein.

 

O.3 Zweiter Gruss aus der Küche: Tomatenessenz mit Gemüserauten

Das war das Signal für die Geschmacksnerven, die nächsten fünf Stunden unter Höchstspannung zu arbeiten. Die Essenz kam sozusagen als Blanc de Noirs, also nur als weiss abgepresster Saft aus den Tomaten, mit einem leicht rötlichen Schillern und war so konzentriert, so aromatisch, dass am Gaumen die schönste Sommersonne schien.

 

Währenddessen gab es Champagne Robert Moncuit Blanc de Blancs Grand Cru 2004. Am besten schmeckte er zur Frühlingsrolle und zum Wan-Tan-Hummer, auch zum Sellerie-Pumpernickel und zu den anderen Variationen mit Fenchel brillierte der Champagner, auch mit der Tomate hatte der champagner keine Mühe und das, obwohl die beiden sonst als geschworene Feinde gelten. An seine Grenze stiess er jedoch sehr klar, als er es mit der leicht süssen Walnusscrème aufnehmen musste, dafür fehlte ihm das nötige Alter und die dann sich langsam herausbildende nussige Aromatik reifer Chardonnays. Anzulasten ist das nicht dem Winzer, nicht dem hervorragenden Sommelier Herrn Voigt, sondern mir, denn ich hatte den Champagner mitgebracht.

 

I. Zweierlei vom geräucherten Chinook-Lachs mit Topinambur und Wildkräutern, dazu ein 2009er Klüsserather Riesling vom Weingut Kirsten, auf Wunsch der Ehefrau Inge von Geldern durchgegoren

Für einen jungen Riesling war der Klüsserather herausfordernd golden, mit aromatisch breiter Schulter und einem herbsüssen Restzuckerschwänzchen. Zum Topinambur mit seiner süsslichen Aromatik passte das schonmal sehr gut. Aber um den Topinambur ging es nicht, der Riesling sollte sich zum Lachs beweisen. Dessen Filet war wahrhaft königlich. Wer sich auf Empfängen und Buffets beim Lachs immer zurückhält, weil er sich vor den Hormonschleudern aus Aquakultur fürchtet, kann beim Chinook beherzt rein- und zubeissen, der Unterschied ist so groß wie der zwischen altem Badeschwamm und Kalbsbries. Dazu der Reisling und die eröffnung des Abends war gesichert.

 

II. Sautierter Skrei im Feldsalatsud, mit Lardo, konfierter Kartoffel und Senfsauce, dazu Rudolf May, Silvaner Spätlese trocken "RECIS" 2007

Kabeljau, bzw. eben Skrei ist und bleibt ein schmackhafter Fisch, den früher nur Kinder, Engländer und arme Leute gegessen haben. Daraus einen schmackhaften Gang zu kreieren, geht so: Den Kabeljau mit guter Butter auf der Haut anbraten, einen nur optisch draufgängerischen, aromatisch dafür umso delikateren Feldsalatsud zubereiten, der sich mit einer nicht zu senfigen Senfsauce optimal für das zarte Skreifleisch eignet, fertig. On top kam dann noch der leicht knusprige Lardo mit der konfierten Kartoffel und ganz on top der Silvaner von Rudolf May, der wie massgeschneidert für diesen Gang war.

 

Z.1 Den Übergang machte ein zartfaseriges, nussig-aromatisches, gesundfleischiges Bäckchen vom Ibericoschweinderl auf gebratener Tomate. Dazu tat der Silvaner weiterhin gut und zeigte bei aller Konzentration und Tiefe willkommene Durstlöscherqualitäten.

 

III. Langostino mit karamellisiertem Blumenkohl und Trüffelscheiben, Frühlingsmorcheln und Dörraprikosen, dazu Domaine de Chatenoy, Menetou-Salon, Cuvée Pierre-Alexandre 2007

Wenn ich Menetou-Salon höre, stelle ich mir unwillkürlich immer eine seltsame Mischung aus dem Sioux-Häuptling von Karl May und dem Spitzenchampagner aus dem Hause Laurent-Perrier vor. Einen champagnerschlürfenden Indianer also, was irgendwie nicht passen will. Was jedoch sehr gut passt, ist Langostino und dieser Wein. Der war nämlich erst ganz sachte pfeffrig und andeutungsweise holzig, entwickelte eine kühl buttrige, ja speckige, auch ein wenig burgundische Stilistik, blieb lang, kühl und ohne Säure im Mund, so dass er mich von seinem ganzen Wesen an ein in dunklen und kühlen Regionen des Meeres herumwanderndes Krustentier erinnerte. Butter, Speck und Pfeffer riefen den Langostino leibhaftig auf den Plan und die zutage getretene Seelenverwandtschaft war das reinste Freudenfest, gekrönt noch von dem konzentrierten Dörraprikosengeleewürfel, von dem ich mir zu jedem Happen vom Langostino eine mikrometerdünne Scheibe herunterschnitt, wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war, mich an der Kombination der Geleescheiben mit Blumenkohl und Trüffel zu laben.

 

Z.2 Vor der Jakobsmuschel gab es noch Pulposalat mit Brunnenkresse, die den Gaumen wieder etwas klärten, was vor allem an der reinigenden, auch den Appetit wachhaltenden Schärfe der Brunnenkresse lag.

 

IV. Jakobsmuschel mit Kirschtomate, Kräuterfocaccia und Basilikumkresse, dazu Kruger-Rumpf Blanc de Noirs vom Spätburgunder, Spätlese trocken 2008

Kruger-Rumpfs 2008er Grosse Gewächse gehören zu meinen Lieblingen dieses Jahrgangs. Grosse Freude war deshalb gesichert, als Herr Voigt den Blanc de Noirs von Kruger-Rumpf vorschlug. An diesem Gang gefiel mir am besten die Basiliumkresse, die der Jakobsmuschel zusammen mit der Kirschtomate zu einer lebendigen Aromatik verhalf. Wie erwartet sehr gediegen dazu der Blanc de Noirs, dem es gelang, die entlegeneren Aromen der Kräuterfocaccia herauszukitzeln.

 

V. Medaillon und Tartar von der Gelbflossenmakrele mit Erbsenallerlei, dazu Churchview Estate, Margaret River unoaked Chardonnay 2007

Das Medaillon von der Gelbflossenmakrele war einer der Höhepunkte des Menus. Besser hätte man es nicht zubereiten können, das relativ feste Fleisch hätte schon für sich allein stehen können und genau deshalb habe ich es getrennt von den Beilagen genossen. Der Chardonnay dazu war mir leider zu lasch, ich wüsste aber aus dem Stand auch nicht, was mir ausser Sake oder Pils besser hätte gefallen können.

 

VI. Cherry Valley Entenbrust mit Rote-Bete-Ravioli, Pak-Choi und Belugalinsen, dazu Domaine de la Martinelle (Beaumes de Venise) Rouge 2008

Ein anderer Höhepunkt des Mahls war der Entengang. Auf die Garkunst von Henri Bach ist Verlass, so dass ich das Entenfleisch nicht noch weiter belobhudeln will. Worauf es mir hier im Gegensatz zur Makrele ankommt, ist die Kunst der Beilage. Das Türmchen von der Roten Bete und der kleine Ravioli mit Roter-Bete-Füllung waren trotz ihrer ja eigentlich erdnahen natur zusammen mit der Ente dem Himmel schon sehr nah. Die Reise wäre aber nicht anzutreten gewesen ohne den roten Beaumes de Venise, eine Gegend, aus der ich bis dahin nur Süssweine getruinken habe. Allein hätte mir dieser Rotwein auch gar nicht geschmeckt, fruchtig war er, erdig, trocken, nicht uncharmant, etwas mehlig, sehr bodennah. Flügel wuchsen ihm erst, als er der Kombination von Ente und Roter Bete den letzten Schliff gab.

 

Wenn mir in einem Restaurant die Sauce besonders gelungen erscheint, dann nehme ich davon gern ein Espressotässchen für den Sologenuss. Hier musste ich ein Tässchen mit dem sensationellen Sesamjus haben, das ich in winzigen Schlückchen zusammen mit dem schon ganz irrational gut dazu passenden Beaumes de Venise wegschlürfte. Perfekt war an dieser Sauce alles, hervorheben muss ich die einzigartige Konsistenz der Sesamkerne. Die waren exakt bissfest, nicht mehr mehlig oder hart, aber auch noch nicht durchgeweicht und matschig, auch keine Abstufung irgendwo dazwischen, sondern exakt auf den Punkt. Sowas macht mich als Sesamfreund glücklich.

 

VII. Geschmorte und kurzgebratene Short Rib vom Angus-Rind mit Poweraden und Perlzwiebelpurée, dazu Côtes de Bourg, Château Falfas "Le Chevalier" 2005 ca. 2/3 Cabernet-Sauvignon und 1/3 Merlot von achtzig Jahre alten Reben, biodynamisch erzeugt

Dieser Wein scheint mir nicht geeignet, im Alleingang den Ruf einer in Vergessenheit geratenen Appellation zu restaurieren. Dazu erscheint er mir zu außergewöhnlich und untypisch für die Region, die ich aber – im Vertrauen – gar nicht besonders gut kenne. Zum geschmorten Rind, das ich mühelos noch Stunden lang hätte essen können, machte sich das Perlzwiebelpurée besonders gut, zum gebratenen Stück gefiel mir die Babyartischocke, deren Name so frappierend an ein isotonisches Getränk erinnert, besser.

 

VIII. Wölkchen von der Passionsfrucht, Sesamkrokant, Kokosnusseis und Zuckerblüte, dazu eine 2006er Riesling Beerenauslese von der Disibodenberger Klostermühle

Zum Passionsfruchtwölkchen hätte ich zu gerne und ganz gegen meine Gewohnheit und Vorliebe eine ältere Fleur de Passion von Diebolt-Vallois getrunken. Herr Voigt hatte aber eine – wahrscheinlich – bessere Idee. Er trug den Hauswein der großen deutschen Energierechtskanzlei Becker Büttner Held auf, deren Namenspartner Christian Held steht hinter diesem Weingut. Dass die Kollegen nicht nur etwas von Energie- und Infrastrukturrecht verstehen, wird schnell klar. Sonntägliches Toastbrot mit dick Butter und Honig drauf, dazu ein schöner Ceylon-Tee – oder ein Schluck vom Disibodenberger, dessen galoppierende Säure nach einem längeren Mahl jeden Schnaps ersetzt. Für das Passionsfruchtwölkchen war das schon eine Herausforderung, Sesamkrokant und Kokoseis dagegen verstanden sich auf Anhieb blendend mit dem Wein.

 

IX. Pitahayacrème mit Knallbrause, weißem Kaffeeeis und Schokobecher

Peta Zeta heisst die Knallbrause. Nun weiss ich es endlich, werde es mir aber wiederum nicht merken können, fürchte ich. Zur Pitahaya, die zu meinen Lieblingsfrüchten gehört, passte sie, so wie sie zu fast allen Desserts gut passen mag. Die Pitahayacrème war indes sehr delikat, mir wäre sie ohne Knalleffekt lieber gewesen. Auch Wein mochte ich dazu nicht kombinieren. Das konnte man schon eher mit dem weissen Kafeeeis machen, das sich ebensogut allein schön wegschlotzen liess. Der Schokobecher, so winzig er letztlich war, kam mir zu dem Zeitpunkt schon sehr mächtig vor. Zur BA passte er besser, als Pitahaya und Kaffeeeis.

 

X. Himbeertörtchen, Orangen-Brombeer-Törtchen, Physalistörtchen und Chilipraliné

Die Törtchen wollte ich eigentlich gar nicht mehr. Zwei Dinge brachten mich dennoch dazu, davon zu probieren. Einerseits: die völlig absurde Überlegung, wenn ich etwas frisches, fruchtiges nehmen würde, hätte das vielleicht eine erfrischende Wirkung und ich könnte mich danach noch dem Käse zuwenden. Andererseits: ausgerechnet die angebotenen Sorten gefielen mir alle sehr gut, einzig die Schokotrüffeltorte liess ich aus. Vielleicht hätte ich davon ein Stückchen nehmen sollen, die Törtchen waren überzeugend. Himbeere, wie ich sie aus meiner Kindheit in Erinnerung habe, Brombeeraroma wie von den Sträuchern die damals direkt neben den Himbeeren standen, Physalis und Orange, die gute Laune verbreiten. Völlig überrumpelt vom plötzlichen Ende meiner gastrointestinalen Aufnahmefähigkeit musste ich auf den Käse dann leider verzichten und trollte mich rüber in den Club B. Und was sich dort noch ergab, darüber bald mehr an dieser Stelle und in der Champagnerdepesche!

Bio-Champagner verkostet – Teil II

VIII. Benoit Lahaye, Champagne Benoit Lahaye

Grundweine:

1. Les Monts de Tauxières

Pinot-Noir aus dem Holzfassl. Voll und weinig, mit viel profilgebender Säure und einem Duft wie in der Sauna nach dem Aufguss.

 

2. Les Grosses Pierres

Pinot-Noir und Chardonnay von achtzig Jahre alten Rebanlagen. Sehr anstrengend. Steine, Steine, Steine, nichts als Steine, darunter auch ein paar Feuersteine. Dann auch noch die viele Säure und das ganze in einen Aromenmantel klassischen Zuschnitts gesteckt – ich bin auf den Champagner gespannt.

 

3. Bouzy Rouge 2009

Herb, mit einem leichten Restprickeln. Erinnert an abgestandene Cherry Coke.

 

Champagner:

1. Rosé de Macération 2007

Reife Kirsche, die ich ja schon vom Bouzy Rouge kannte, nur eben nicht als Colanorgerl, sondern in einem duftigen Kirschkuchen verarbeitet, der ganz ohne Schokolade auszukommen scheint. Im Mund noch sehr aggressiv und sauer und noch – oder vielleicht für immer? – kein Spassgewächs.

 

2. Brut Nature Grand Cru

90PN 10CH. 2007er Basis, mit 2006er und 2005er. Bromjodidnase, erinnert an Krankenhausflur. Im Mund sehr viel schlanke Säure, Geschmack von sehr gutem Verjus. Griffig, mit Apfelpektin, erst gegen Ende leicht mürbe.

 

3. Coteaux Champenois Bouzy Rouge 2007

Am Samstag zuvor gefüllt; nicht unproblematisch. Nussig, mit Kirsche, aber auch einer Tendenz in Richtung Eichelpudding und Pinzgauer Käse.

 

IX. Vincent Laval, Champagne Georges Laval

Wenn es eine lebende Vorlage für Kapitän Haddock aus Tim und Struppi gibt, dann ist es Monsieur Laval. Der hat seine 2,5 ha am Fuss der Abtei von Hautvillers, im schönen Cumières. So wie Kollege Bliard überlässt auch Laval der Natur die Entscheidung darüber, ob seine Weine einen BSA durchlaufen, oder nicht. Jedenfalls steckt er sie gern ins 300l-Fass, wo sie sich wohlzufühlen scheinen.

 

Grundweine:

1. Chardonnay Les Chênes Premier Cru 2009

Kein ganz so saures Kaliber wie die Mesnilchardonnays, aber mit Ambitionen in diese Richtung. Klassisches Format, das hohe Erwartungen schürt.

 

2. Pinot-Noir Les Hautes Chèvres Premier Cru 2009

Fein gemahlene Haselnusssplitter und viel unterlegte Säure. So könnte Hanuta für Erwachsene schmecken.

 

3. Cumières Rouge 2009

Veilchen, Rosenblätter, alles, was floral ist. Sonst eher kurz, dafür griffig.

 

Champagner:

1. Cumières Premier Cru Brut Nature

2006er. 50CH 25PN 25PM. Dégorgiert im Mai 2009 und damit einer der wenigen schon eingegliederten Champagner. Für einen Brut Nature schon recht schmeichelhafte, beinahe handzahme Aromatik, ganz ohne Kaktusgefühl am Gaumen. Gleichzeitig herb, mit Verbene und Zitronenmelisse unterlegt, wie sich vor allem mit mehr Luft zeigt.

 

2. Cumières Premier Cru Brut Nature 2002 en Magnum

Derselbe Mix wie der 2006er, im Februar 2009 dégorgiert. Fein, weich, haselnussig, mittelgewichtig. Ich bin mir nicht sicher, ob der Champagner jahrgangstypisch ist oder ob sich hier schon ein Magnumeffekt bemerkbar macht. Mit Luft zeigt er sich durchweg schlank, am Zungenrand teilweise fast wässrig, im Kern dagegen konzentriert.

 

3. Les Chênes Premier Cru Brut Nature 2004

100CH. 1776 Flaschen gibt es von diesem Stoff, das ist immerhin genau doppelt so viel, wie es noch vom 2002er gab. Der erste Schluck war trocknend und sandig, beim zweiten Schluck blieb noch das Gefühl, als würde der Gaumen mit einem Frotteetuch abgerubbelt, der dritte Schluck hätte eigentlich schon das rohe Fleisch freilegen müssen – aber siehe! Nichts dergleichen, sondern eine balsamische, an Marillenkernöl erinnernde, leicht apfelige, kühl-minzige und glatt auslaufende Chardonnayigkeit, die ich nicht erwartet hätte kam zum Vorschein. Ungewöhnlicher Start für einen bilderbuchmäßigen Blanc de Blancs, der mit jeder Minute immer noch eine Schippe mehr auflegte; beobachten, bzw. reifen lassen und nicht zu kalt trinken!

 

X. David Léclapart, Champagne David Léclapart

Im Vorfeld für mich bereits ein Highlight der Verkostung war der Champagner von Leclapart. Juhlin hat volle 98 Punkte für den 2004er Apôtre gegeben und nicht nur er gehört zu den Umjublern dieses völlig unselossemäßigen Winzers mit gerade einmal 3 ha in Trépail. Die Champagner sind immer Blanc de Blancs, tragen stets ihren Jahrgang mit Stolz, durchlaufen die malolaktische Gärung und werden nicht dosiert.

 

Grundweine:

1. Amateur 2009

Die Trauben der zugrundeliegenden Parzelle waren komplett im Stahltank. Der Wein schmeckt sehr mostig, wirkt etwas steif, wie ein zu grell angestrahltes Kunstwerk wird hier der nackte Chardonnay zur Schau gestellt und klingt herbbitter aus.

 

2. Artiste 2009

Der Grundwein von zwei Parzellen war halb im Fass und halb im Tank. Hier macht sich eine erste individuelle Regung in Form frischer Säure bemerkbar, sonst bleibt der Grundwein schwierig, ebenfalls sehr mostig und seltsam unnatürlich, wie unter dem Vergrößerungsglas.

 

3. Apôtre 2009

Grundwein von nur einer Parzelle, der komplett im Holzfass war. Dabei handelt es sich um ca. 15 Jahre alte, mit Puligny belegte Fässer. Sehr viel Kraft und Frische kommt da durch, holzig im Sinne der typischen Holzfassaromatik wirkt der Wein keinesfalls, auch nicht wirklich burgundig, vielmehr am Ende leicht metallisch.

 

Champagner:

1. Amateur 2006

Wenn ich nicht gewusst hätte, dass der Amateur kein Holz gesehen hat, hätte ich schwören können, dass diese warme, buttrige Tönung vom Holz kommt. Wie Milchschaum füllt der Champagner den Mund aus und setzt am Gaumen seine Spotlights, die im Gegensatz zum Grundwein nichts grelles mehr haben. In dieses warme, sehr gediegene Ambiente hinein knallt dann eine brettharte, nicht endenwollende Attacke vom Chardonnay und lässt einen verblüfften Trinker zurück. Daran ändert auch ein zweites und drittes nachprobieren nichts, dieser Champagner ist kompromisslos und ein wenig rätselhaft. Wieder ein Kandidat für die Langstrecke.

 

2. Artiste 2005

Ganz anders dagegen ist der Artiste. Langsam, säureärmer, weiniger, in sich geschlossener. Trotz des teilweisen Holzfassausbaus riecht und schmeckt der Artiste überhaupt nicht holzig, nur der leicht salzige Schmelz könnte das Fass verraten. Gleichzeitig ist dieser dezente, Neugier weckende Schmelz nicht stark genug, um sicher auf Holz zu tippen, er könnte auch ganz andere Erklärungen haben. Und so kreisen die Gedanken um den Schmelz dieses Champagners, der eigentlich gar nicht so sehr die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will, mit seiner ruhigen und diskreten Art aber dennoch im Mittelpunkt steht.

 

3. Apôtre 2004

Das Flaggschiff der Kollektion erinnert anfangs entfernt, wirklich entfernt an die Champagner von Vilmart. Völlig unaufgetakelt und ohne Tamtam kommt der Wein daher, ist weinig und rund, hat fassweise beste Sahne an Bord, gute Butter ist dabei, aber – und das erweist sich bei der Verkostung als schwierig – auch ein halbes Kalkgebirge. Dass aus diesem Kalkgebirge kein Steinbruch wird, sondern Skulpturen von höchster Plastizität und Originalität, daran besteht kein Zweifel. Ich frage mich nur: wann? Denn im Moment ist der Wein zwar erkennbar gross, aber noch so unübersichtlich und bei allem Vorschusslorbeer so schwierig, dass ich ihn jetzt lieber noch nicht beurteilen möchte.

 

XI. Pascal Leclerc, Champagne Leclerc-Briant

Pascal Leclerc-Briant macht immer BSA mit seinen stahltankvergorenen Weinen, weil der Wein dadurch eine höhere biologische Stabilität erhält und weniger Schwefel braucht. Seine Champagner liegen deshalb zwischen 6-7 mg/l SO2. Soziales Engagement ist ihm ebenfalls nicht fremd: auf dem Weingut arbeitet er mit einem Resozialisierungsprojekt für Menschen in schwierigen Verhältnissen zusammen.

 

Grundweine:

1. Cuvée de Reserve 2008/2009

Dieser buttrige Wein wirkte wie eine leere Zuckerwattemaschine, in die jemand paar Marshmallows hineingeworfen hat. Null Säure. Ging so.

 

2. Chardonnay La Croisette Epernay 2009

Hier dann der reinste Chablis Premier Cru Montée de Tonnerre. Herb, kalkig, leicht fruchtig mit Apfel-Birne-Marille.

 

3. Pinot-Noir Les Quatrièmes Verneuil 2009

Dieser Weinberg liegt weit, weit im Westen, praktisch schon auf dem Flughafen Charles de Gaulle. Auch dieser Wein war buttrig, zeigte etwas Kirsche, aber sonst wenig Frucht, klang minimal salzig aus und machte dann die Vorhänge wieder zu.

 

Champagner:

Die teils braune Etikettenfarbe hat Pascal Leclerc-Briant gewählt, weil sie der Bodenfarbe im Erntegebiet entspricht, Champagner mit grünem Etikett sollen hingegen biologische Frische und dynamisches Auftreten ankündigen.

 

1. La Ravinne Brut

2006er und 2005er, Blanc de Noirs von Pinot-Noir aus Verneuil, mit 6 g/l dosiert, wie die folgenden Champagner von Leclerc-Briant im Dez. 2009 dégorgiert. Aromtaisch schwer zu fassen, mineralisch und kalkig, auch mit etwas Frucht und wenig Säure, wirkte ausdrucksschwach, düfte aber einfach nur zu kalt gewesen sein.

 

2. La Croisette Brut

Blanc de Blancs, daher mit grünem Etikett -> Frische. Basis hier wieder 2006 und 2005, Dosage betrug 5 g/l. Waldmeister machte sich bemerkbar, ausserdem viele andere grünliche aber nicht unreife Noten. Säure habe ich nicht wahrgenommen, dafür wirkte der Champagner über die ganze Länge bemerkenswert frisch, auch kräuterig und sauber. Meiner Meinung nach zu jung.

 

3. Cuvée de Reserve Brut

70PN 30CH aus 06, 05 und 04. Mit 8 g/l dosiert. Dieser Champagner sagte mir gar nicht zu, weil er nur Anklänge von Lakritz zeigte und danach sofort die Schotten dichtmachte. Keine große Länge, keine kauzigen Eigenheiten, keine Schrullen, nichts. Zwiwschenfazit: keinesfalls jung trinken und sich langsam annähern.

 

XII. Bruno Michel

Grundweine:

1. Chardonnay Premier Cru Pierry 2009

Sehr chardonnayig, mit einem Eindruck wie von trockenen Holzspänen, überhaupt viel trockenem Holz, bei stachliger Säure. War witzigerweise gar nicht im Holz.

 

2. Pinot Meunier aus Moussy 2009

Grapefruit, exotische Früchte, Säurearmut lassen den jungen Meunier erkennen.

 

3. Rosé 2009

80% Pinot Meunier de Saignée mit 20% Chardonnaystillwein, also praktisch ein verkehrt herum gemachter Rosé d'Assemblage. Der Wein wurde klar vom Chardonnay dominiert, war aber nicht kratzbürstig, sauer oder übertrieben buttrig, sondern von einer prinzessinnenhaften, nur minimal zickigen Schmiegsamkeit.

 

4. Cuvée Blanche

Je hälftig Meunier und Chardonnay, zu 70% aus 2009, zu 30% aus 2008 und aus altem, ca. fünfzehn bis zwanzig Mal belegten Barrique. Mild, weinig, nicht wirklich säurearm, aber mit einer verdeckt operierenden Säure, die nicht an der Zungenspitze angreift, sondern nach dem trinken am Gaumen.

 

Champagner:

1. Cuvée Blanche Brut

Aus der Cuvée von Grundwein 4. Mit 8 g/l dosiert. Kleiner Waldbodenstinker, milde, morchelige Pilzaromen, elastische, gegenüber dem Grundwein sehr aparte Säure.

 

2. Cuvée Blanc de Blancs Premier Cru

2006er. Auch hier ein Stinkerle, das jedenfalls nicht vom Holz stammen kann, denn der Grundwein kommt aus dem Stahltank. Recht bald nach dem allerersten Eindruck öffnet sich ein gelbfruchtiges, von angemessen unterstützender Säure getragenes Bouquet, das sehr stark für Pierry-Chardonnay spricht.

 

3. Cuvée Rosé

Andouillette-Champagner. Beim ersten reinschnuppern meinte ich, gleich würden die berühmten Würstl aufgetragen, dann wich der charakteristische Innereienduft einer stahlig-rotfruchtigen, dabei schlank angelegten und verdauungsfördernden Cuvée mit hohem Trinkbarkeitskoeffizienten. Diesen Champagner würde ich jedem empfehlen, der erstmals in seinem Leben Andouillettes bestellt und etwas zum runterspülen braucht, bzw. einen Champagner sucht, dessen Aromatik mit dem Würstlduft versöhnt und sogar Lust drauf macht.

 

4. Cuvée Rebelle Extra Brut

2006er Basis. Je hälftig Chardonnay und Meunier von vierzig Jahre alten Reben, mit 2 g/l dosiert. Sehr griffiger, mit Tannin ausgestatteter Champagner, der lang am Gaumen bleibt und dort ich-weiss-nicht-was bekämpft, das aber mit Inbrunst.

 

XIII. Franck Pascal

Grundweine:

1. 80CH 20PN

Ob Monsieur Pascal da wirklich Chardonnay drin hat, oder ob er versehentlich die Salzsäure aus dem Chemiebaukasten seines Sohnes erwischt hat – ich bin mir nicht sicher. Scharf, brennend und rachenreinigend schmeckte der Grundwein jedenfalls.

 

2. 60PM aus 2008 und 20PM + 20PN jeweils aus 2007

Spontanvergoren, ohne Klärung, Schönung, Filterung und völlig ohne Schwefelzusatz. Dieser Wein strotzte vor Pfeffer und Muskat, hatte wie sein Vorgänger eine hohe Säurelast zu tragen, die ihn zur Essenz einer Limonen-Pfeffer-Sauce machte. Er wirkte dennoch viel ausgeglichener und schien, vielleicht wegen seines Reserveweinanteils, sich insgesamt auf einem guten Weg zu befinden.

 

3. Chardonnay sur argiles à calcaires dur

Der drite Säuerling im Bunde, zusammen mit Grundwein 2 liess er die besten Ambitionen erkennen.

 

Champagner:

1. Sagesse

57PM 38PN 5CH. Sans Dosage.

Naiv und mit dickem Pinselstrich angemalte Etiketten sind in der Champagne derzeit Mode. Überhaupt nicht naiv, sondern von brachialer Kraft und urschreistarker Säure war der Sagesse. Von der auf dem Etikett angekündigten Tugend ist dieser Champagner noch sehr weit entfernt, aber vielleicht hat sich Monsieur Pascal bei der Namenswahl nur am Euphemismus für die Erinyen als Eumeniden orientiert.

 

2. Tolérance Rosé

Aus Assemblage entstanden, bilden 96% Sagesse und 6% Pinot-Noir + Pinot Meunier die Cuvée. Immerhin sind hier als Referenz an den Namen der Cuvée großzügige 6 g/l Dosage enthalten. Weich und lang wirkt er dann im Vergleich mit dem puren Sagesse, aber am Ende auch etwas zehrend und lakritzig.

 

3. Harmonie Mill. 2005

100PM von vierzig Jahre alten Rebanlagen, mit 3,7 g/l dosiert. Ein merkenswerter Meunier, leicht und fruchtig, wie Meunier sein soll, aber mit einer für alte Reben typischen Konzentration und Besinnung auf den Rebsortenkern. Leider gegen Ende wieder etwas zehrend, wie ich es sonst nur von zu trockenem deutschem Sekt kenne.

Bio-Champagner verkostet – Teil I

 

I. Ardinat-Faust

1. Cuvée Brut

Ist ein supersüffiger Champagner zum weggluckern. Völlig anders als die meist sehr strengen, dosagelosen Bio-Avantgarde-Champagne. Moderner, trotzdem barock anmutender Trinkspass im altmodischen Gewand, das nicht jedermanns Sache ist. Gefiel mir sehr gut.

 

2. Blanc de Blancs Millésime 2004

Den süffigen Hausstil konnte man gut wiedererkennen, wegen der Konzentration auf den Chardonnay stand bei diesem Champagner die Säure stärker im Vordergrund. Flüssige Bonbonfüllung, Nimm2-Aromatik, schon mit ersten Reifeanklängen, mit intensiver werdenden rotfruchtigen Aromen.

 

II. André Beaufort/Jacques Beaufort

Das Haus ist seit Anfang der 90er Jahre in Ambonnay Grand Cru und an der Aube, in Polisy, vertreten. Die Keller sind getrennt, vermarktet wird zusammen. Die Grundweine werden im Stahltank vergoren und im Holzfass ausgebaut.

 

Grundweine:

1. Grand Cru 2009

80 PN, 20CH – das ist der Basismix des Hauses. Entwickelte Nase mit Zuckerwatteduft, am Gaumen pektinige Trockenheit.

 

2. Blanc de Blancs 2009 aus Polisy

In der Nase mineralisch und stahlig, am Gaumen zuvorkommend, ja servil. Angenehme, säurearme Frucht.

 

3. Blanc de Noirs 2009

Stahliger, etwas einfacher Pinot.

 

Champagner:

1. Grand Cru Mill. 2005

Mit 9 g/l dosiert, dégorgiert im November 2009. Hier kommen Dosage, Reifegrad und Konzentration zusammen und lassen den Champagner aus meiner Sicht doch sehr süß wirken. Andeutung von Laugengebäck in der Nase. Im Gegensatz zum Ardinat ist mir das aber zu anstrengend süss, etwas mehr Säure hätte dem Champagner sehr gut getan.

 

2. Mill. 2005 aus Polisy

Brausepulveraromatik und Ki-Ba zeichnen den sehr ansprechenden, auch eher süßen und offensichtlich noch ganz jungen Champagner aus. Bei dem sehe ich aber wegen seiner offensiveren Art mittelfristig mehr Potential, als beim Grand Cru, der wiederum langfristig die Nase vorn haben mag.

 

3. Grand Cru Mill. 2000

Auch im Nov. 2009 dégorgiert. Wieder etwas Laugengebäck, wieder recht süß und sehr deutlich mit dem 2005er Grand Cru verwandt, aber hier zeigt sich, wie diese Champagner sich mit der Zeit entwickeln. Sie werden nämlich zu schläfrig-süßen, einlullenden Boudoirchampagnern, die man nicht mögen muss, die aber einen ganz eigenen, morbid-erotischen Charme haben.

 

III. Françoise Bedel

Die Großmeisterin hatte einige ihrer überzeugendsten Grundweine ausgewählt, die zwar nicht zu ihren Cuvées passten, aber dennoch viel über ihre Arbeit verrieten.

 

Grundweine:

1. 100% Pinot Meunier aus dem Stahltank

Mandeln und Aprikosenkerne, niveacrèmig, mit einer Mischung aus Litschi und Pitahaya, sehr wenig Säure, wieder mal ein überrschandes und beeindruckendes Zeugnis von der Wandlungsfähigkeit dieser oft als einfältig abgetanen Traube.

 

2. 100% Pinot-Noir

Kirsche, dunkler Traubensaft, schärfende Acerola, leicht tanninig, ein Grundwein mit viel Rückgrat

 

3. 100% Pinot Meunier aus dem Holzfass

Das Holzfass entpuppt sich als gnadenloser Turbolader für den Pinot Meunier. Die Mandeln bleiben, aus den Aprikosenkernen wird ein hochkonzentriertes Marillenkernöl, die wenige verbleibende Säure ist rotzfrech und gibt dem Wein nochmals Schwung

 

Champagner:

1. Dis, Vin Secret, 2003, non dosé

86 OM 8 PN 6CH. Apfelmetamorphosen. Vornerum noch jung, knackig und grün, hintenrum der reinste Bratapfel mit Rumrosinennote und einer Aromatik, die entfernt an sehr guten Eierlikör erinnert.

 

2. Entre Ciel et Terre 2002

100PM. Weizenmehlnase. Dann ein geradezu klassisches Champagnerpanorama mit einer sehr langen, ausdauernden Säure und viel Lust an der Entwicklung mit Luft. Die sauberen, frischgewaschenen, an exzellente Duftseife erinnernden Aromen überwiegen. Mein Favorit aus dieser Kollektion.

 

3. Origin'elle 2004

78PM 9PN 13CH. Die lustigen Cuvéeeckdaten resultieren aus der mit aller Ernsthaftigkeit und Strenge vorgenommenen blinden Zusammenstellung der Cuvée. Die Assemblage ist also nicht festgelegt, sondern variiert von Jahr zu Jahr. Bei diesem säurearmen Champagner führte das zu einem Dufteindruck von runzlig gewordenem Cox Orange, am Gaumen war er mürbe, mehlig und mir etwas zu fad.

 

IV. Vincent Bliard

Bliard, der in Hautvillers zu Hause ist, hat keine festgelegte Malo-Politik, sondern überlässt die Entscheidung der Natur, was ich vollkommen richtig finde. Seine Grundweine baut er in Fässern mit 205 – 4600 l Fassungsvermögen aus.

 

1. Brut Prestige

50PM 30PN 20CH. 2006er Basis mit Reserve aus 2005 und 2004, dosiert mit 8 g/l, dég. Ende Februar 2010. Ein Champagner, der mich schon bei früheren Gelegenheiten angesprochen hat. Sofort sehr präsent und bis in die entlegensten Fasern erfrischend. So fühlen sich Blumen, wenn sie gegossen werden.

 

2. Rosé

2006er Basis, mit 8 g/l dosiert, Cuvée, wie der Prestige. Aus Assemblage entstanden, dazu verwendet Bliard Pinot Noir von 56 Jahre alten Reben, den er kalt mazeriert, um möglichst viel Frucht und Leichtigkeit zu erhalten. Das sollte er vielleicht mal überdenken, denn gegenüber dem Prestige wirkt der Champagner gedämpft und unnötig gezügelt. Könnte mehr bieten.

 

3. Grande Réserve Héritage

1997er, in alten Fässern ausgebaut, mit 6 g/l dosiert und erst im Februar 2010 dégorgiert. Voll, weinig, griffig und lang. Dabei trotz des sehr späten Dégrogements keine überbordende Jugendlichkeit und paradoxe Frische, sondern – vielleicht jahrgangsbedingt – schon jetzt eine reife, auf den Punkt gebrachte Art von Champagner, die sich nicht mehr lange halten wird. Sollte innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre getrinken werden, meint Bliard. Ich würde ihm ein kleines bisschen mehr geben, aber wir waren uns einig, dass die Champagnerbestandteile ab jetzt langsam auseinanderdriften werden.

 

V. Thierry de Marne, Champagne Frison Demarne

Dieses Haus existiert noch gar nicht. Das heisst, es existiert natürlich schon seit 2007, aber die ersten Champagner kamen im Juli 2009 in die Flasche, dürfen also frühestens ab November 2010 vermarktet werden. Ausgebaut wird im Barrique. Einen Grundwein habe ich probiert, ein Pinot Noir aus 2009. Der hatte eine leichte Lakritznase, war auch sonst kein Schwergewicht, hatte dementsprechend eine mittlere Säure und kam mir ganz geschmeidig, aber nicht bedeutend vor.

 

1. Chardonnay/Pinot-Noir non dosé, 2007er Ernte

Dégorgiert im Dezember 2009, wurde dieser Champagner inmitten seiner Entwicklung wachgerüttelt. Er gab sich kämpferisch, etwas aufgekratzt aber ich werte das als gutes Zeichen. Im Auge behalten!

 

2. Chardonnay non dosé, 2007er Ernte

Auch zu jung, auch mit Potential. Merklich war hier nur eine sehr vielversprechende Aromatik von rotem Johannisbeersaft – ein Fall für die Merkliste.

 

VI. Jean-Pierre Fleury, Champagne Fleury

Vom Biodynamiepionier habe ich nur den "Doux" getrunken, ein 1995er mit 52 g/l Dosagezucker. Diesmal gefiel er mir nicht so gut wie sein Vorgänger, der eine spritzigere Säure hatte. Trotzdem merkt man von den 52 g nicht so viel, wie man meinen könnte.

 

VII. Bertrand Gautherot, Champagne Vouette & Sorbée

Alle Champagner dieses shooting stars haben etwas Holz gesehen. Die Champagner stammen von einer Domaine auf der Domaine, wenn man so will, die beiden namengebenden Weinberge gehören Monsieur Gautherot, der die Kinder dort spielen lässt. Die machen das mit Hingabe, die Champagner sind alle extra brut oder non dosé, durchlaufen den BSA und zu meiner Freude geben die Kinder auch das Dégorgierdatum ihrer Champagner an.

 

Grundweine:

1. Fidèle 2009

100PN. Kirsche und Nuss, poliertes Edelholz, sauber, fruchtig, schlank, ein agiler, Fidelität ausstrahelnder Grundwein.

 

2. Blanc d'Argile 2009

100CH. Die milde, dünne Nase täuscht: im Mund geht die Dose mit den gelben Früchten auf, und gleichzeitig täuscht die einladende, sofort trinkbare Art dieses Chardonnays über die zugrundeliegende, tragende Säure hinweg.

 

3. Saignée de Sorbée 2009

100PN. Das könnte auch ein leichter Spätburgunder vom Mittelrhein sein. Zart, mit ein paar Rosenblättern und hemmungsloser, aber nicht aufdringlicher Säure.

 

Champagner:

1. Fidèle

Faktisch ein 2007er. Dégorgiert am 14. Dezember 2009. Die quietschvergnügte Fidelität hat sich hier sehr zum Vorteil des Champagners in eine längere, dabei auch rassigere Schönheit umgewandelt. Von der Pippi Langstrumpf zur jungen Nicole Kidman.

 

2. Blanc d'Argile

Faktisch wieder 2007er. Am 9. Dezember 2009 dégorgiert. Deshalb noch viel Ki-Ba und merkliches Holz. Schmeckte mir schon sehr gut, braucht aber noch viel Zeit, um wirklich auf die Probe gestellt werden zu können.

 

3. Saignée de Sorbée

Ein 2006er. Dégorgiert am 12. Januar 2010. Ein noch sehr unausgewogener Champagner, der in der Gaumenmitte plötzlich einen Buckel macht. Dabei kommt starkes Eau de Vie de Quetsch zum Vorschein, was mich denken lässt: hier handelt es sich um eine noch nicht ganz integrierte Versanddosage. Also später nochmal reinchecken.

Die Preisträger des Concours Générale Agricole

Die Ergebnisse des Concours Générale Agricole 2010 sind da. Die Wettbewerbsbedingungen der erstmals 1870 durchgeführten Prämierung stehen unter der Kontrolle des französischen Landwirtschaftsministeriums. An die 2000 Degustateure aus Weinwirtschaft, Gastronomie und privatem Interesse sind an der Prämierung beteiligt. Die Medaillenvergabe liegt mit einer Quote von 23% nicht so hoch, wie bei ähnlichen Wettbewerben, 8% erhalten im Durchschnitt Gold. Das ist noch weit von einer inflationären Preisvergabe entfernt, was zum Ansehen des Wettbewerbs beiträgt.

Unter den Jahrgangslosen haben dieses Mal Gold bekommen:

– Colin aus Vertus, mit seiner Cuvée Alliance, der Blanc de Blancs wurde noch mit Silber honoriert
– Fallet Dart aus Charly-sur-Marne, mit der Cuvée Grande Sélection und für den Rosé ebenfalls Gold
– Bernard Naudé, auch aus Charly und zusätzlich mit einer Bronzemedaille geehrt
– Leredde aus Crouttes-sur-Marne, mit seiner Cuvée Carte Blanche, sowie im Rosébereich noch einmal mit Gold
– René Collet aus Fontaine-Denis-Nusy, mit der Cuvée Empreinte de Terroir
– Beaumont des Crayères aus Mardeuil, mit ihrer Grande Réserve

 

Bei den Blanc de Blancs:

– Chassenay d'Arce aus Ville-sur-Arce setzten sich mit ihrem Blanc de Blancs 2002 durch und bekamen für ihren Rosé Bronze
– Doquet-Jeanmaire aus Vertus konnte mit seinem Blanc de Blancs 2002 überzeugen
– Guy Larmandier ebenfalls aus Vertus überraschte nicht mit seiner Cuvée Cramant Grand Cru
– Agrapart aus Avize brachte die Cuvée Terroirs mit Gold ins Ziel

 

Im Bereich der Demi-Secs

stahl

– Jacques Beaufort aus Ambonnay allen anderen die Schau, indem er mit Lot 97Pdeg und Lot 04Pdeg sowie Lot 98Adeg zweimal Gold und einmal Silber abräumte

 

Die Jahrgangschampagner sahen einige Cooperatives ganz vorne,

– Coopérative Vinicole de Colombé le Sec nahm Gold für ihren Charles Clément Millésime 2002 mit
– Coopérative de Fleury-la-Rivière setzte mit Erfolg auf Champagne F.P. Arnoult Millésime 2004
– Vazart-Coquart aus Chouilly erhielten für die Cuvée Grand Bouquet Millésime 2005 Gold
– Philippe Fourrier aus Baroville darf sich über Gold für seine Cuvée Millésime 2004 freuen
– Michel Furdyna, wieder aus Celles-sur-Ource, konnte für seinen Prestige Millésime 2002 Gold mitnehmen

 

Der Rosé

– Fallet-Dart hatten ja schon beim Jahrgangslosen Gold kassiert, hier dann nochmal
– Le Brun de Neuville aus Bethon auch mit Gold für den Rosé
– Leredde ebenfalls mit Doppelgold
– Gaec le Hordon aus Bouzy mit Champagne Maurice Vesselle Rosé gülden

 

Pannier aus Château-Thierry kam mit der Egerie Rosé auf Bronze, konnte sich aber noch mit dem 2004er Mill. eine Silbermedaille sichern. Beim Rosé des Riceys gab es kein Gold und nur einmal Silber für SCEA Val du Cel – Guy de Forez aus, natürlich, Les Riceys.

Zu den vollständigen Wettbewerbsergbnissen geht es hier.

Notizen von der Valentinstour in die Champagne

I. Fabrice Roualet, Premier Cru Extra Quality, Champillon

Nicht weit von Epernay, im malerischen Nest Champillon, ist Champagne Roualet zu Hause. Den Premier Cru Champillon kennt man eigentlich nur vom Blick aus dem oben am Hang gelegenen Relais & Châteaux Hotel-Restaurant Royal Champagne. Dieser mir bis dahin völlig unbekannte Champagner stellte sich mit seinen reifen, saftigen und vollmundigen Aromen als die richtige Wahl zum Gazpacho heraus. Allein genossen zeigte er sich etwas oxidativ und behäbig und es mangelte ihm an Säure.

 

II. Ariston Père et Fils, "Aspasie", Blanc de Blancs

Einzellagenchardonnay.

Der Champagner ist schlank und zitrusfruchtig, sauber, aber nicht sehr lang, keineswegs schwer. Mit Rose de Reims Biscuits und Erdbeereis hatte er erhebliche Schwierigkeiten und machte sich allein viel besser. Brouillet selbst ist ein Örtchen noch hinter Serzy-et-prin, also da, wo normalerweise nur noch Aliens landen oder Psychodramen gedreht werden.

 

III. Philippe Martin, Cuvée Special

70PN, 20-25CH, 5-10PM.

Der kleine Erzeuger ist im Premier Cru Cumières zu Hause und verfügt dort, sowie in den angrenzen Terroirs von Hautvillers und des Marnetals über 10 ha Rebfläche. Der Champagner kann sich nicht mit dem Authentis Cumières von Duval-Leroy messen, zeigt aber auch schon die kräftigen, erdigen Anlagen der Pinot Noirs aus diesem seit Jahrhunderten für seine Rotweine berühmten Ort. Unverspielt und herb, ist er sicher nicht jedermanns Sache.

 

IV. André Delaunois, Cuvée Royale

25PN, 25PM, 25CH, 25 Reservewein aus Drittelmix, drei Jahre Hefelager.

Aus den ca. 8 ha im Premier Cru Rilly-la-Montagne stammen die Champagner von Delaunois. Dieser hier hat gleich zwei Sternchen im Guide Hachette bekommen, Grund genug, ihn mal zu probieren. Mir gefiel der sterile, an Krankenhaus und Kühlschrank erinnernde Geruch nicht. Auch sonst kein Sonnenschein, am Gaumen mürbe, etwas müde, mit breit geratener Säure, nicht sehr lang, dafür ziemlich herb, am Ende mit Salbeinoten. Ob's ein Flaschenfehler war?

 

V. Daniel Moreau, Brut Carte Noir

50PN, 50 PM.

Im mittleren Marnetal, in Vandières, sitzt Daniel Moreau und hat auf der Jahrgangsbasis eines 2003ers mit Reservewein aus 2002 Champagner hergestellt, den ich nicht hätte haben müssen. Salzig und süss zugleich, mit einer Note von gekochtem Fleisch, die auch mit viel gutem Willen und jeder Menge Frischluft nicht verschwinden wollte.

 

VI. Carré-Guebels, Rosé

70CH, 30PN.

Sehr willkommen war mir daraufhin der Rosé von Carré-Guebels aus dem Premier Cru Trépail in der Montagne de Reims. Das Haus hat immerhin 22 ha, die zum Teil in der Aube liegen. Die sonst so balancierte Art des Rosé verschob sich hier zu Gunsten einer hervortretenden Säure, die den Blanc de Blancs dieses Erzeugers sehr probierenswert erscheinen lässt. Dass mir die Säure hier so pointiert vorkam, lag wahrscheinlich eher am Kontrast zum Vorgänger. Rosé mit weißer Seele habe ich mir notiert und werde den Champagner im Auge behalten.

 

VII. Remy Massin, Brut Tradition

100PN.

Dieser Erzeuger hat seine 20 ha südöstlich der Andouillettes-Hauptstadt Troyes. Der Blancs de Noirs ist männlich, kräftig und herb, lässt Tannin und Struktur durchscheinen, könnte aber ruhig noch etwas liegen. Ich denke, dass er nach 24 Monaten Flaschenreife eine positive Entwicklung gemacht haben wird.

 

VIII. Voirin-Jumel, Cuvée 555

Seit sechs Jahren vinifiziert Patrick Voirin diese Holzfasscuvée. Was als Experiment begann, gehört heute zur Spitze des Portfolios und wird von Tom Stevenson ebenso wie von Richard Juhlin mit Punkten überhäuft. Dabei hat der Name der Cuvée nichts mit der Größe des Holzfasses zu tun, sondern kommt aus der Zeit, in der die Häuser des Örtchens numeriert wurden. Der Fasskeller von Voirin-Jumel befindet sich im Haus mit der Nummer 555. Daher lag es nahe, für diesen Champagner, der an die traditionelle Herstellung im Holzfass anknüpft, diesen schlichten Namen zu wählen. Patrick nutzt insgesamt fünfzehn mehrfach belegte und aufgearbeitete Fässer aus Burgund, um den für diesen Champagner so typischen, aromatischen Holzton zu erzielen. Die Nase wird von charmanten Früchtebrotaromen, kandierten Früchten und sanften Röstnoten umschmeichelt. Melange aus Apfel und Mineral, Holz und Säure. Die zwischendurch aufscheinenden fülligeren Aromen bilden einen guten Hintergrund für die aromenfreudige Küche.

 

IX. Legras & Haas, Brut Tradition

20 – 25PN, 20 – 25PM, 50 – 60CH.

Das junge Haus aus dem Grand Cru Chouilly gehört schon zu den größeren und hat Négociant-Status, darf also Trauben zukaufen. Das erklärt, wie ein Familienbetrieb die stattliche Menge von bis zu 400000 Flaschen pro Jahr absetzen kann – viele davon freilich aufgrund einer für die Champagne nicht untypischen Lohnversektung im Auftrag großer Häuser. Der Brut Tradition ist, wie man es von einem Champagner aus dem nördlichen Zipfel der Côte des Blancs erwarten kann, mit einem überwiegenden Anteil Chardonnay vinifiziert. Der trägt aber nicht allzu dick auf, sondern gehört zu den sanftmütigeren Vertretern. Deshalb verträgt er sich gut mit den Pinotanteilen und wirkt dadurch meiner Meinung nach sogar eine Spur interessanter, runder und sogar komplexer, als viele einfache Blanc de Blancs aus der Côte des Blancs. Das ist übrigens etwas, was mir oft auffällt: die Standardbruts von Erzeugern aus Chardonnaygegenden profitieren davon, wenn ein Anteil Pinot enthalten ist. Zu Weissbrotstullen mit Senf und Blutwurst war dieser sozusagen hundsgewöhnliche Champagner ein gute Wahl, das Brot fand sich gut eingebettet, der Senf zischelte nicht dazwischen und die Blutwurst schmeckte in der Kombination nicht metallisch. Auch zum Jakobsmuschel-Cassoulet konnte der Champagner überzeugen. Cassoulet esse ich sehr gern zum Champagner, weil es, wenn es richtig gemacht wird, überaus aromatisch und würzig ist. Eine Herausforderung für jeden Wein und besonders für den Champagner. Dieser hier war gut gekühlt und brachte seine frische Chardonnaynote zum Einsatz, auch war die Prüfung gar nicht soo schwer, denn ein Jakobsmuschelcassoulet ist geschmacklich nicht ganz so brachial wie eines vom Lamm oder von der Gans. Schliesslich noch der Test zum "bleu" gebratenen Rinderfilet. Das war eindeutig die Grenze, mit der Kombination aus scharf angebratenem Rind aussen und rohem Fleisch innen kam der Champagner nicht mehr zurecht. Aber gut geschlagen hatte er sich für einen Standardbrut allemal.

Vermischte Champagnernotizen

A. Vilmart, Premier Cru Rilly-la-Montagne, Grand Cellier d'Or 2002

80CH, 20PN, 8-9 g/l dosiert, 10-monatiger Fassausbau, kein BSA. Der Maître weiss nicht nur, wie man Kirchenfenster kunst- und eindrucksvoll anmalt, sondern er kann auch ebensolchen Champagner machen. Die Nase ist schon ein Vergnügen, Aprikose, Marille, Walnuss und immer ein paar eingesprenkelte Zitrusfruchtakzente duften wie eine altwienerische Konditorei, im Mund kommt der Eindruck von Kokosnuss, natürlich auch wieder von saftig reifen Zitrusfrüchten, Bratapfel, Calvados und Mandelgebäck hinzu. Für einen 2002er schon ein ziemlich wuchtiges Geschoss, aber eins mit enormer Präzision. Tip: kaufen und lagern.

B. Jean Baillette-Prudhomme, Premier Cru Trois Puits, Vieille Cuvée

80 PN, 10CH, 10PM. Marie-France, die Witwe von Jean Baillette und ihre Töchter Laureen und Justine tragen die Firmenphilosophie weiter. Deren wichtigster Inhalt ist, mit einem hohen Anteil an Reserveweinen zu arbeiten, meist um die 50%. Das führt unweigerlich zu Champagnern mit stark entwickelten Aromen und der Gefahr allzuvieler Oxidationsnoten. In dieser Cuvée ist aber nichts schiefgelaufen, sondern alles ist an seinem Platz. Da nervt kein überreifer, raumgreifender Apfel, da ist noch genug Frische und jugendliche Säure, neben leicht grasigen und an Trockenkräuter erinnernden Noten finden sich getrocknete Aprikosen, Sternanis und eine Mineralität wie von gemahlenen Steinchen.

C. Marquis de Marmontel, Blanc de Noirs

Eine seltene oder untypische Art von Champagner musste ich da blind konstatieren. Das war mir nachher gar nicht recht, war doch die Flasche auf Empfehlung hin gekauft. Aber egal, nun musste dieser im Vergleich mit dem Goria Ferrer wasserhelle Blanc de Noirs eingeschätzt werden. Die Perlage war nur bemerkenswert hinsichtlich ihrer untypisch tumb-groben Bläschen. Zum Glück gebe ich auf Äußerlichkeiten und speziell die Bläschen nicht sehr viel, ein gutes Zeichen war es trotzdem nicht. In der Nase schwer einzuordnen, die weinige, auch etwas mehlige Art sprach für Pinot Noir, wobei ich auf einen Anteil im 80%-Bereich getippt habe. Im Mund nun auch nicht gerade everybody's darling, sondern ein etwas verstockter junger Adliger. Mittlerer Druck am Gaumen und ein immerhin sehr ordentlicher, mittellanger Säureteppich ohne Bruchkante am Schluss. Mit Luft und Zeit zog sich der ganze Champagner am Ende noch gerade, aber das Zeug zum Publikumsliebling hat er nicht.

D. Doquet-Jeanmaire, Coeur de Terroir 1996, dég. 6. Okt. 2008

60 CH, 40 PN Das Haus ging 2004 an Laurent-Perrier; der Junior Pascal Doquet führt einen Teil des Betriebs unter seinem in der Biowinzerszene schon jetzt ganz klangvollen Namen weiter. Im Glas also ein Champagner, dessen Grundweine seine Eltern im Jahr 1996 gelesen hatten, dessen Cuvée 1997 in die Flasche kam und nach einer luxuriösen Lagerzeit von elf Jahren dégorgiert wurde. Farblich noch sehr hell, in der Nase dagegen die eigentümlich reife Art noch nicht so lang dégorgierter älterer Jahrgänge. Diese Spötdégorgements sind ja alle ein wenig paradox angelegt, von der Feinhefe gegen Oxidation geschützt und aromatisch verfeinert, wenn nicht sogar überfeinert, wie ein Messer, dessen Klinge so lange scharf gewetzt wird, bis es mangels Masse schartig wird. Der als Terroirchampagner annoncierte Jahrgangsblubber hatte das angereifte, aber bei weitem noch nicht reife Auftreten einer schwangeren Vierzehnjährigen. Haselnuss, Milchschokolade und Äpfel konnte man erkennen, Säure war in gewissem Umfang da und trug dazu bei, dass der Champagner aromatisch nicht ins Infantile kippte. Mit Luft legte der Champagner merklich zu und füllte die noch vorhandenen Reifelücken gut auf.

E. Gerard Littière, Mill. 2004

Der Name Littière ist in Oeuilly allgegenwärtig, wenngleich in der champagnertrinkenden Öffentlichkeit nicht annähernd so bekannt wie der Name Tarlant. Dieser Jahrgangsvertreter war noch ersichtlich jung und keiner von den phantasievollen, geheimnisumwitterten oder gar magischen Champagnern. Solide gemacht, mit sauberem Lesegut, bisschen mineralisch, bisschen fruchtig, mit einer etwas angelernt wirkenden Eleganz, ohne besonders herausragenden Jahrgangscharakter. Man muss vielleicht dazu noch sagen, dass Jahrgänge wie 2002 und 2004 für die meisten Winzer und großen Häuser Fluch und Segen zugleich sein dürften. Denn diese leichten, ätherischen, elfenhaften Jahre werden in der Hand eines untalentierten, industriell oder nachlässig arbeitenden Kellermeisters schnell zu austauschbarer und gesichtsloser Ware. Nur derjenige, der erstens über erstklassiges Lesegut und zweitens über das notwendige feine Gespür für diese Art von Jahrgang verfügt, wird daraus sagenhaft langlebige, schwerelose Champagner komponieren können.

F. Voirin-Jumel BdB Cuvée 555 élevé en fûts de chêne

Die Cuvée hat ihren Namen nicht etwa vom Fassungsvermögen der für den Ausbau verwendeten Holzfässer; sondern daher, dass Cramant ein ganz kleines Nest mit nicht einmal tausend Feuerstellen ist. Die paar Häuschen wurden einfach fortlaufend durchnumeriert und der Sitz von Voirin-Jumel bekam die Nummer 555. Tochter Alice spricht sehr gut deutsch, was den Besuch vor Ort für viele Altsprachler komfortabler macht – und was Komfort betrifft, gehört Voirin-Jumel zusammen mit Eric Isselée zu den beiden einzigen Anbietern des Örtchens, die ein modernes Apartmenthaus für zehn und mehr Gäste anzubieten haben. Fragen lohnt sich, die Kurse sind human. Der Champagner zeigte sich zurückhaltend, mineralisch, mit spürbarem, aber unaufdringlichem Holz, Apfelaromatik und einigermassen eleganter, langer Säure. Kein Knaller, der auf Verkostungen erstaunte Gesichter hinterlässt, aber ein solider Holzfasslchampagner, der in ambitionierten Restaurants übers amuse gueule hinaus eine gute Figur zum Essen macht.

G. Lemaire-Rasselet Brut

Reif, oxidativ, etwas einfach, aber vollmundig. Der Winzer, der am westlichen Ortsausgang von Boursault in Richtung Oeuilly am Waldesrand wohnt, macht einen von einer flüchtigen Holzandeutung und beachtlichem Reserveweinanteil geprägten Champagner. Dem Dreimädelchampagner von Baillette-Prudhomme insofern nicht unähnlich, aber etwas grober gestrickt.