Back to Top

Tag Archives: biodynamisch

Unabhängige Winzer unter der Lupe – Aube: Champagne Fluteau, Gyé-sur-Seine

Fluteau, Gyé-sur-Seine

Über neun Hektar verfügt dieser unter anderem von Tom Stevenson sehr positiv bewertete Aube-Winzer, dessen amerikanische Ehefrau Jennifer einen Champagnerblog betreibt: http://champagnefluteau.over-blog.com/. Die Verwandtschaft kennt man auch: Biopionier Fleury aus Courteron.

1. Cuvée Prestige Blanc de Blancs

Mineralische, enge Nase mit Salmiakbonbon, das sich im Mund wiederfindet.

2. Cuvée Symbiose Millésime 2004

50PN 50CH.

Buttercrèmige Nase, ungewohnt griffiges, dabei sehr feinkörniges Tannin, immer noch balanciert, von herber Frische und mit ansprechendem mineralischem Druck, bei mittellangem Ausklang.

3. Cuvée Reservée

85PN 15CH.

"Sheer glugginess", sagt der Decanter (http://www.decanter.com/archive/article.php?id=121968). Hat er damit recht? Drei Wörter: er hat. Grasig, mit etwas Stachelbeere und Kiwi, ohne dass der Champagner wie ein verkappter Sauvignon-Blanc schmecken würde. Leider habe ich ihn sehr kalt getrunken, daher konnten sich die geschmeidigen, weichen und weinigen Pinotaromen nicht sofort mit der Würde und Eleganz aus dem Primäraromenkonzert lösen, wie es mit etwas Temperatur dann der Fall war.

4. Blanc de Noirs

100PN.

Auch wieder von primären Aromen, diesmal Banane und Kirsche dominiert, mit etwas Luft kalter Rauch wie von Mentholzigaretten, leider mit einer wenig ansprechenden, noch nicht direkt rapsigen, aber etwas unreif und minimal kratzig wirkenden Unkrautnote. Ich weiß, dass es Leute gibt, denen das gefällt – ich gehöre nicht dazu. Leider, wie alle Fluteau-Champagner, zu kalt getrunken, daher vielleicht das etwas getrübte Geschmacksbild.

5. Brut Rosé de Saignée

100PN.

Bildhaft gesprochen ein Bauernnase. Grobschlächtig, knollig, ja kartoffelig. Und dann: überreife Honigmelone, Beerenkompott, rote Grütze, dazu ausgeprägt hefige Noten, die sich mit Malzbier vermählen und an belgisches Kirschbier erinnern. Gehört vielleicht zu den robusteren Champagnern, mancher wird sagen: typisch für die Gegend, Bauernchampagner; für mich zeigt das esamtprogramm von Fluteau, dass man sich der Vorbehalte gegen die Aube wohl bewusst ist, die Herausforderung aber annimmt. Die Champagner scheinen, soweit ich das wegen der Temperaturprobleme beurteilen kann, alle mit einer geradezu ironischen Interpretation des Bauernchampagnerthemas auf die Flasche gebracht. Ein gut gangbarer Weg, um sich vom Image der Region zu emanzipieren. Wenn Fluteau so weitermacht, steht höheren Weihen nichts entgegen.

Unabhängige Winzer unter der Lupe – Aube: Didier Doué und Champagne Velut aus Montgueux

Didier Doué, Montgueux

Beim Örtchen Montgueux läutet im Kennerkopf sofort die Jacques Lassaigne-Glocke und das erst seit kurzer Zeit. Für die meisten, selbst gut informierten Champagnerfreunde ist Montgueux jedoch noch völlige terra incognita. Dabei ist der in mehrfacher Hinsicht abseits gelegene Ort landschaftlich überaus reizvoll und von seinen Weinbergen aus hat man eine herrliche Sicht auf die mittelalterliche Minimetropole Troyes. Die 5 ha von Didier Doué werden integriert, d.h. bei ihm quasi biodynamisch bearbeitet und über seine CO2-Bilanz macht er sich zudem noch Gedanken, weshalb die ausladenden Dachflächen der Wirtschaftsgebäude komplett mit Photovoltaikzellen bestückt sind. Seine Champagner sind setets Einzellagen-Champagner (Monocrus), die Böden verfügen teilweise über Silex-Einsprengsel, die auch das Terroir bei Ulysse Collin im Sézannais so sehr bereichern. Ecocert. Für einen Betrieb, der erst seit 1980 Champagner macht, höchst respektabel.

1. Brut Selection

80 CH 20PN, 2006er Basis mit Reserve aus 2005, 10 g/l Dosage.

Brioche mit Honig und Mandelsplittern, etwas hefiges, auch etwas hoch dosiertes Naturell. Insgesamt kräftig, kommt aber schnell aus der Puste.

2. Brut Prestige

60CH 40PN, 2005er Basis mit Reserve aus 2004 und 2002, 7 g/l Dosage.

Brioche, Honig und Mandeln, im Gegensatz zum Brut Selection angereichert durch freche Säure, druckvolle Mineralität, insegesamt viel mehr Leben, Ausdauer und Rasse. Tom Stevenson sah ihn immerhin gleichauf mit zwei so unterschiedlichen und schwergewichtigen Champagnern wie der Cuvée Louis von Tarlant und beispielsweise dem Clos Jacquin von Callot (http://www.wine-pages.com/guests/tom/fizz04_3.htm), von dem es gerade einmal tausend Flaschen gibt und den ich zufällig nur kurz nach Doués Champagner probiert habe.

3. Blanc de Blancs Millésime 2002

Mit 5 g/l dosiert.

Kraftvolle Steigerung zum Brut Prestige und zum Selection, für mich beginnt mit diesem Champagner das Portfolio von Doué hochklassig zu werden. Florale, vor allem aber auf die Silexeinsprengsel zurückzuführende tiefgründige Mineralität, die zum Kauen anregt, dazu wieder Brioche, außerdem hochelegant, weisser Pfirsisch und Nashibirne. Ein würdig vinifizierter 2002er.

4. Brut Nature

70CH 30PN, 2006er Jahrgang aus dem lieu dit le Corre.

Nackt und herzhaft, sprich drall, jedoch nicht plump oder hitzig, sondern mit einem kühlen, etwas distanzierten Habitus. Reizvoller Champagner, bei dem mir noch nicht ganz klar ist, warum er als Einzellage vinifiziert wurde, aber da es nicht meine letzte Begegnung mit Didier Doués Champagner sein wird, kann ich darüber in Zukunft ja vielleicht noch mehr lernen.

5. Rosé

85CH 15PN, 2006er Basis mit Reserve aus 2004, 10 g/l Dosage.

Selten finde ich eine Dosage von 10 g/l oder mehr angemessen oder gar schmackhaft. Bei diesem Rosé hat mich der Schleckermaulfaktor voll erwischt. Mandeln, Holz und Rauch umwehen den ersten Schluck, bevor sich eine tiefgründige, zwischen triefend-saftig und knisternd-knackig kandiert changierende Blutorangenaromatik entwickelt. Ein herbes, etwas dünnes finish tut der Freude keinen Abbruch.

 

Champagne Velut, Montgueux

Die sieben Hektar des Erzeugers sind größtenteils mit Chardonnay bestockt.

1. Brut Tradition

75CH 25PN

Einen beeindruckenden Start legte der Brut Tradition hin, was gemeinhin als gutes Zeichen gewertet werden darf. Schnelle, starke Entfaltung ausgeruhter und sehr motivierender, von schlanker Säure getragener Apfel-Birnenaromen am Gaumen. Als gälte es, mit einem Panzerregiment tief in den feindlichen Raum vorzudringen besetzt dieser Champagner die strategisch wichtigen Punkte an Zungenspitze und -rändern. Dazu passte die etwas starre, pektinige Rüstung des Champagners.

2. Cuvée Speciale, Blanc de Blancs

Nicht mehr ganz so aufregend und rapide arbeitet die Cuvée Speciale sich vor. Klar, limettig, frisch, mit einer ununterbrochenen, sauberen, Apfel und Birne duplizierenden Aromatik aber ohne den rechten Schwung, wie ihn der einfache Brut Tradition gezeigt hatte. Trotzdem eine überaus solide Leistung.

3. Rosé

100PN

Muffig, aber nicht korkig, erdig, im Kern etwas zu dick und unausgewogen, mit einem allzustark rot durchscheinenden Charakter war abschließend der Rosé.

Riesling Grosse Gewächse 2007

Karl-Heinz Frackenpohl hatte nach Engelskirchen geladen und es hat sich gelohnt, der Einladung zu folgen. Vielen herzlichen Dank an dieser Stelle dafür!

Die jeweiligen Flightsieger sind fett wiedergegeben.

Der Moselflight hatte die undankbare Aufgabe, das muntere Treiben zu eröffnen und tat sich leider etwas schwer.

I.1 Grans-Fassian, Trittenheimer Apotheke, alte Reben

Dicklich, konzentriert, zitronig, aber unfrisch und kurzatmig. Gefiel mir nicht besonders.

Meine Punkte: 87

Platzierung/Rundendurchschnitt: 36/88,33

I.2 von Schubert'sche Gutsverwaltung, Maximin Grünhäuser Abtsberg "Superior"

Erster Gedanke: Sponti? Zweiter Gedanke: Weinfehler? Bienenwachs und florale Töne, darunter immerhin eine recht frische Beerennase. Den Gedanken an einen in die Hose gegangenen BSA wurde ich dennoch nicht los. Im Mund dann sehr wenig und eher breiig-milchige Säure mit dünn gehäckselten Kräutern. Auch nicht mein Fall.

Meine Punkte: 86

Platzierung/Rundendurchschnitt: 35/88,85

I.3 Eitelsbacher Karthäuserhofberger Auslese trocken "S"

Der erste feinere, moseltypischere Wein des flights. Im Mund dichter und herber als gedacht, im Hintergrund minimales Petrol, Basilikum und Aprikose.

Meine Punkte: 88

Platzierung/Rundendurchschnitt: 30/89,77

I.4 Wegeler, Bernkasteler Doctor

Kalkig, pudrig, mit Melone und Drachenfrucht. Leicht pricklig, Minifirne, die von einer frischen Kräuterwürze eingehüllt wird. Schlanker, gleichzeitig schon gut entwickelter Wein.

Meine Punkte: 90

Platzierung/Rundendurchschnitt: 24/90,00

I.5 Reichsgraf von Kesselstatt, Josephshöfer

Wieder Bienenwachs, sonst sehr mineralisch, einfaches, nicht sehr anregendes Petrol, im Mund aprikosig, eher eng.

Meine Punkte: 88

Platzierung/Rundendurchschnitt: 25/90,00

I.6 von Othegraven, Kanzemer Altenberg

Corned Beef. Mit viel Luft immer noch eine diffuse, nur minimal fruchtige Nase. Am Gaumen irgendwie leer und ereignislos.

Meine Punkte: 86

Platzierung/Rundendurchschnitt: 33/89,62

I.7 van Volxem, Wiltinger Gottesfuss

Rund, knusprig, schlank, trotz seiner fröhlichen Art glatt, gepflegt, seidig und fein, merklicher Restzucker, der ihm wegen seiner dennoch herben, kernig-gesunden Art gut steht.

Meine Punkte: 90

Platzierung/Rundendurchschnitt: 18/ 90,92

I.8 Heymann-Löwenstein, Winninger Uhlen R

Tannenholz. Kühl, schieferig, vermittelt einen dunklen Eindruck. Im Mund geht der Wein recht weit auf, zeigt aber neben Butter und leicht alkoholischer Schärfe – noch – nicht viel.

Meine Punkte: 89

Platzierung/Rundendurchschnitt: 10/91,54

Cassoulet von weißem und grünem Spargel mit Scampi und gebackenem Estragon

Ein sehr gelungener flight und vielleicht der schönste des Abends war der nun folgende flight, in dem Rheinhessen zeigen konnte, wo der Rieslinghammer hängt.

II.1 Dönnhoff, Hermannshöhle

Mildes Mineral, crèmig, mit Orangenblüten; im Mund lebhaft, stoffig und griffig, stark, aber nicht schwer, wird leider schnell alkoholisch.

Meine Punkte: 88

Platzierung/Rundendurchschnitt: 31/89,77

II.2 Wittmann, Brunnenhäuschen

Sanddorn, Quittenmus, Vitamin C. Mit Luft entwickelt sich daraus wundersam eine Apfeltarte. Lang, dabei elegant und durchweg griffig. Die Verwandtschaft zum Morstein konnte man mehr raten, als allenfalls entfernt ahnen.

Meine Punkte: 90

Platzierung/Rundendurchschnitt: 20/90,65

II.3 Keller, Abtserde

Kork

II.4 Künstler, Hochheimer Hölle Goldkapsel

Viel Apfel, aber auch weißer Pfeffer, Kalk, Birnenchutney. Animierende, vitale Säure, etwas zu schnell weich ausgleitend.

Meine Punkte: 89

Platzierung/Rundendurchschnitt: 6/92,38

II.5 Keller, Morstein

In der Nase neben dem Früchtekorb vor allem Butter, Zucker, Karamell. Im Mund erneut eine höchst frugale Angelegenheit mit Birne, Apfel, Reineclaude. Saftig und lang.

Meine Punkte: 92

Platzierung/Rundendurchschnitt: 10/91,54

II.6 Wittmann, Morstein

Großer Wein. Zusätzlich zum Obstsalat sehr viel Mineral, nasser Stein, Moos, vielleicht am Ende auch schon die ersten Petrolnoten. Lang, vielschichtig, turbulent, überraschend und begeisternd.

Meine Punkte: 94

Platzierung/Rundendurchschnitt: 1/93,77

II.7 Keller, G-Max

Herb, mit Johannisbeere, Stachelbeermus, Rhabarber, außerdem eine körnige, an Dinkel oder Roggen erinnernde Nase. Auch viel Mineral. Gegenüber dem Morstein von Wittmann dichter gepackt, infanteristischer.

Meine Punkte: 93,50

Platzierung/Rundendurchschnitt: 2/93,54

II.8 Leitz, Rüdesheimer Berg Rottland, alte Reben, Goldkapsel

Bienenstich. Vollmundig, rund, dabei kraftvoll und herbfrisch. Nicht so bepackt wie der G-Max und ihm gegenüber etwas im Nachteil – alleinstehend würde er sicher besser abschneiden.

Meine Punkte: 91

Platzierung/Rundendurchschnitt: 14/91,31

Maischolle Finkenwerder Art mit Wirsinggemüse

Dieser flight hatte es nach den drei starken Schlussweinen des Vorgängers nicht leicht, hatte aber eine probentaktisch klug eingebaute Brücke in Form des Frauenbergs von Battenfeld-Spanier.

III.1 Wagner-Stempel, Heerkretz

Dick, wuchtig, mit Aprikose und Pfirsich, von pfälzischer Machart. Am Gaumen derselbe Eindruck, wird mit Luft etwas lakritzig, was ich nicht besonders schätze. Zum Essen dann eine sehr gute Sache, was den Wein gerettet, aber nicht über die 90 Punkte gebracht hat. Leider nicht mehr lange genug im Glas gehabt, um die weitere Entwicklung zu beobachten.

Meine Punkte: 89,5

Platzierung/Rundendurchschnitt: 32/89,69

III.2 Diel, Burgberg

In der Nase Pilze, vor allem Morcheln. Die schlanke, griffige, auch etwas spritige Art wird im Mund von einer etwas kaugummiartigen Konsistenz beherrscht, der Wein entzieht sich scheinbar dem Gaumen und bleibt dadurch unfokussiert. Habe ich auch schon eleganter getrunken.

Meine Punkte: 89

Platzierung/Rundendurchschnitt: 34/89,46

III.3 Battenfeld-Spanier, Frauenberg

Großer Wein. Tiefgründig, mit viel mineralischem Druck, offenbar der reinste Kalklolly. Pricklig, mit frischen Pilzen, Kombuchaaromatik.

Meine Punkte: 93+

Platzierung/Rundendurchschnitt: 8/91,92

III.4 Emrich-Schönleber, Monzinger Halenberg

Kalkig, pfeffrig, Paprikanoten, vielleicht auch etwas zu alkoholisch. Ohne seine pudrige, um kühlenden Ausgleich bemühte Art wäre er unter 90 gerutscht.

Meine Punkte: 90

Platzierung/Rundendurchschnitt: 19/90,92

III.5 Dönnhoff, Norheimer Dellchen

Apfel, Mandelsplitter, Buttercrème, fein, schlank und damenhaft bis hin zu einer spätkolonialen Limonadenhaftigkeit, die aber nicht ins kitschige abgleitet, sondern herb und griffig bleibt. Am Ende immer noch schnittig mit einer Spur von schwarzem Tee. Zeigt schon die gefährliche Schlotzigkeit der Dönnhoffweine.

Meine Punkte: 91

Platzierung/Rundendurchschnitt: 21/90,85

III.6 Schäfer-Fröhlich, Felseneck

Meiner Meinung nach Kork

Platzierung/Rundendurchschnitt: 16/91,00

III.7 Diel, Dorsheimer Goldloch

Anstrengender Wein. Zwischen Rumtopf, Bratapfel, überreifem Obst, Rumrosine und untypischer Altersnote kurvt der Wein herum, ohne zu kollidieren. Das spricht meiner Meinung nach dafür, dass seine positiven Komponenten den Schwerpunkt der Würdigung verdienen, daher trotz aller Bedenken 91 Punkte, die Runde sah es überwiegend anders.

Meine Punkte: 91, aber hart an der UTA vorbei

Platzierung/Rundendurchschnitt: 37/88,29

Geschmorte Kaninchenkeule mit Kartoffelstampf, sautierten Möhrchen und weißen Rübchen nach Mutter Frackenpohls Art

Sicher hat nach der vermehrt durchwachsenen bis negativen Kritik am Rheingau nicht jeder mit einem so starken flight gerechnet, wie er dann aus genau diesem Gebiet kam.

IV.1 Spreitzer, Hattenheimer Wisselbrunnen

Mostig, mit Jasminteenase. Klebrig, mit einer Mischung aus Kamille und Bienenwachs. im Mund düster, kraftvoll und dick. Wirkt etwas unausgeglichen.

Meine Punkte: 89

Platzierung/Rundendurchschnitt: 27/89,92

IV.2 Kesseler, Berg Roseneck

Wegen seiner massiv irritierenden flüchtigen Säure und seiner unruhigen, bizzligen Art von mir deutlich unter 90 gehalten. Wirkte mir in diesem Stadium allzu unruhig und eindimensional, könnte was draus werden, denn die Entwicklung mit Luft war sehr langsam, aber mit klarer Aufwärtsbewegung.

Meine Punkte: 88 mit viel Potential nach oben

Platzierung/Rundendurchschnitt: 11/91,54

IV.3 Robert Weil, Gräfenberg

Dünn, wässrig, verschlossen. im Mund schlank und etwas spritzig. So sexy wie ein isotonisches Getränk für Triathleten.

Meine Punkte: 89

Platzierung/Rundendurchschnitt: 29/89,85

IV.4 Schloss Johannisberg, Johannisberger

In der Nase überwiegend süße Kräuter wie man sie auf der Kirmes in Kräuterbonbonform bekommt. Auch im Mund viele Kräuter, dabei schlank und leicht, von einer seltsam verschatteten Süße.

Meine Punkte: 89

Platzierung/Rundendurchschnitt: 26/90,00

IV.5 Georg Breuer, Nonnenberg

Großer Wein. Ein harter Hund, der Jean Reno unter den Rieslingen. Erdig, mit Blüten aus der Natursteinmauer, Farne, fette, wuchernde Kräuter und im Mund geht die Post so richtig ab. Eine Prügelszene auf dem Dach einer rasenden New Yorker U-Bahn könnte nicht mitreißender sein.

Meine Punkte: 93

Platzierung/Rundendurchschnitt: 7/92,23

IV.6 Kesseler, Berg Schlossberg

Ebenfalls sehr starker Wein. Völlig andere Richtung, asiatischer, puristischer, so wie ein Parfum von Issey Miyake. Formosa Oolong, Earl Grey, Mangopurée. Schlank und rassig, betont zurückhaltende Säure.

Meine Punkte: 92,50

Platzierung/Rundendurchschnitt: 17/91,00

IV.7 Kühling-Gillot, Niersteiner Pettenthal

Nochmal starker Stoff. Wieder viel nasser Stein, Rotliegendes, das sonnenbeschienene Rheinufer, wie es lebt und pulsiert. Am Ende mit einem leichten Süßehaken, der minimal malzig ankommt.

Meine Punkte: 92

Platzierung/Rundendurchschnitt: 3/92,75

IV.8 Schloss Schönborn, Pfaffenberg

Konzentrierter, dicker, pfäffischer, verschmitzter Wein. Gummibärchen, Weingumminase. Mit Luft ausziselierter, mineralischer, ernster. Sicher nicht jedermanns Sache.

Meine Punkte: 91,50

Platzierung/Rundendurchschnitt: 23/90,15

Die Pfalz musste den Schließer geben, erledigte die Aufgabe allerdings mit Bravour – was nach den vorangegangenen Weinen eine beeindruckende Leistung ist.

V.1 Dr. Bürklin-Wolf, Gaisböhl

Schon mit relativ viel Petrol und eher wenig, aber stets präsenter und nicht völlig untergeordneter Säure. Von üppiger Statur. Buttrig, aber mir doch insgesamt noch etwas kurz.

Meine Punkte: 90

Platzierung/Rundendurchschnitt: 13/91,46

V.2 Mosbacher, Forster Ungeheuer

Gut trinkbarer, facettenreicher und ausgewogener Riesling aus der Honig-Orange-Familie; wirkt auf mich etwas frühreif, aber durchaus betörend.

Meine Punkte: 91,50

Platzierung/Rundendurchschnitt: 12/91,54

V.3 Christmann, Idig

Die Marshmallownase scheint einen reuelosen, kurzweiligen Rieslinggenuss ankündigen zu wollen, im Mund dagegen eine herbe, rapsige Angelegenheit, die noch sehr unfertig wirkt.

Meine Punkte: 89

Platzierung/Rundendurchschnitt: 15/91,23

V.4 Dr. Bürklin-Wolf, Pechstein

Hochgewachsen, rassig und schlank, Typ römische Patrizierin. Zitrusfrischer Mund, Bergamotte, aber auch ein anschmiegsamer, biegsamer, elastischer und spannungsvoller Körper und mineralischer Druck, der eine starke Zunge fordert.

Meine Punkte: 93

Platzierung/Rundendurchschnitt: 22/90,62

V.5 Reichsrat von Buhl, Kirchenstück

Saftige Orangennase, charmante Süße, erdiger, würziger, Bodenhaftung vermittelnder Ausgleich, sozusagen der Onkel Dittmeyer des flights.

Meine Punkte: 92,50

Platzierung/Rundendurchschnitt: 4/92,69

V.6 Keller, Hubacker

Hagebuttennase, Holzapfel, herb, kräftig und männlich, im Mund geschliffen, auch wieder apfelig, etwas hitzig.

Meine Punkte: 92,50

Platzierung/Rundendurchschnitt: 9/91,92

V.7 Ökonomierat Rebholz, Kastanienbusch

Gebrannte Kräuter, Vanille, Jod, eine etwas schwierig einzuschätzende Kombination. Mittelgewichtig, mit Potential nach oben. Zusammen mit Wittmanns Morstein und Christmanns Idig sicher noch einer der unfertigsten Weine des Abends.

Meine Punkte: 91

Platzierung/Rundendurchschnitt: 5/92,46

Erdbeer-Blaubeer-Salat im Mürbeteigschiffchen mit Vanilleschaum und Minze

Zum süßen Ende gab es noch

Dr. Bürklin-Wolf, Deidesheimer Kalkofen Riesling Beerenauslese 1959

Mokka, Pflaumenmus, Walnuss, Mandelkrokant, Sherry. Keine bezwingende Süße, sondern eine langsam metallisch werdende Art, die den Abstieg einleitet. Musste jetzt und konnte auch noch mit Freude getrunken werden. Passte sehr gut zu Blaubeere und Mürbeteig.

Meine Punkte: 91
nicht in der Rundenwertung

Notizen von der Champagerprobe: rund um die drei Jahreszeiten

Opener: Charles Heidsieck Mis en Cave 2000 en Magnum

Reims. Drittelmix. 1999er Basis mit 40% Reservewein, Dégorgement 2005.

Eines der letzten Werke von Daniel Thibault, der 2002 viel zu früh verstarb. Dégorgement demnach unter der Leitung seines Nachfolgers Regis Camus. Honig, Kaffee, Kakao, empyreumatische Noten. Fast schon zu seriös für das zwanglose warming up auf der sonnenbeschienenen Terasse mit Blick auf die Marksburg.

Kleine Vorspeisenauswahl, darunter Krabben-Espresso, geschmorte Champignons mit Salat von getrockneten Tomaten, Gurken-Kräutercrème mit Scampi. Vom seriösen, sehr gediegenen Charles Heidsieck konnte man zu der leichten Sommerkost nicht so viel erwarten, die beiden herbfrischen Champagner aus dem Starterflight passten da deutlich besser.

I.1 Tarlant, Brut Zéro

Oeuilly. Drittelmix. 2004er Basis mit fassgereiften Reserveweinen. Tirage im Mai 2005, Dégorgement im Juni 2007.

Erst eine Woche vorher hatte ich diesen jetzt wunderbar gereiften und langsam seinen Trinkhöhepunkt erreichenden Champagner im Glas und freute mich, ihn jetzt, bei knallender Sonne und unverbautem Blick auf Marksburg und Rhein erneut im Glas zu haben. Pure, griffige, unausgezehrte, natürlich-herbschöne Nacktheit.

I.2 Lamiable Extra Brut

Tours-sur-Marne Grand Cru. 60PN, 40CH. 5 g/l Dosagezucker.

Nicht ganz so nackt, sondern noch mit Strapsgürtel und Schleier angetan, zeigte sich Lamiable als Flightpartner wie eine etwas versautere Schwester des Zéro Brut. Das lag vor allem an der ausgeprägteren Saftigkeit, gross kaschiert war da nichts.

II.1 Robert Moncuit Blanc de Blancs Grand Cru Extra Brut

Le Mesnil. Dieser Champagner stammt aus den Grand Crus Oger und Le-Mesnil-sur-Oger, mit 4 g/l dosiert, 42 Monate Hefelager.

Sicher hätte ich auch Lamiable gegen Moncuit antreten lassen können, aber darauf kam es mir bei der Probenzusammenstellung nicht an. Moncuit war stattdessen der Auftakt für den Blanc-de-Blancs flight dieser Probe, die ich im wesentlichen um die Jahreszeitenchampagner von Pommery herum aufgebaut hatte, was immer wieder überraschende und lehrreiche Probenresultate liefert. Natürlich konnte der erste Champagner des flights nur ein karg dosierter Champagner sein, um nicht etwa nach dem Pommery, dessen Stilistik nunmal die eines großen Hauses ist, sauer zu wirken und einen gleitenden Übergang zu schaffen. Das gelang sehr gut. Noch mit Lamiables sündiger Aromenlast am Gaumen kam Moncuits reinigender Apfelspass, der alles verruchte von der Zunge spülte.

 

II.2 Pommery Summertime Blanc de Blancs

10 Crus, drei Jahre Hefelager.

Wie auf einer Süße-Leiter konnte deshalb der Pommery in der Probe aufsteigen und sich als Schlussstein eines Mikrovergleichs über zwei flights hinweg platzieren. Nach den extra brut dosierten Champagnern kam er mir etwas glitschig vor, präzise herausgearbeitete Aromen oder eine fokussierte Säure musste man vergeblich suchen. Wobei das ohnehin nicht die Stärken der Grande Marque Champagner sind, die Pommery ja repräsentieren und um die es hier verstärkt gehen sollte. So sah es denn auch die eine Hälfte der Runde und favorisierte den Pommery, während sich die andere Hälfte, mehrheitlich die Damen, über den Moncuit entzückte.

Lauwarmer Spargelsalat mit weißem und grünem Spargel vom Niederwerth war ein guter Einschub, denn es sollte mit einem Champagnertyp weitergehen, den man nicht einfach ansatzlos folgen lassen konnte. Zum Spargelsalat war klarer Favorit der Pommery, weil bei ihm keine Mésalliance zwischen Säure und Asparagin zu befürchten war, sondern eitel Sonnenschein.

III.1 Francoise Bedel, Dis, Vin Secret

Crouttes-sur-Marne. Biodynamisch. 2003er Basis, 86 PM 8 PN 6CH. 96% Stahltank, 4% Holzfassausbau.

Den 2003er Jahrgang konnte man ziemlich deutlich merken und am Tisch wurde die überreife, rosinige, mit Apfelchips, Bratapfel und Calvados angereicherte Aromatik teils sehr begrüßt, teils als viel zu alt und mürbe abgelehnt.

III.2 Pommery Wintertime Blanc de Noirs

75PN, 25PM u.a. aus den Grand Crus Aÿ, Bouzy, Mailly und Sillery. (90/100 Juhlin)

Anders als beim letzten Mal hatte der Wintertime nun gar keine Startschwierigkeiten, Madame Bedels weichhäutiger, etwas eunuchiger Champagner traf auf einen gut vorbereiteten, agilen Wintertime, der Röstnoten, roten Apfel, einige wenige Säurespritzer und allenfalls ganz leicht morbiden Charme eines reifen Playboys ausspielen konnte. Beide Champagner kamen mir wegen ihrer Konzentration und Süße wie gute, wenngleich sehr verschiedene Flightpartner vor.

Penne mit Kalbfleisch-Salbei-Röllchen in Cointreau waren als Zäsur beim Übergang von weiss auf rosé zur Stelle, obwohl für mich nicht zwingend erforderlich

IV.1 Pommery Springtime Rosé

Reims. 25CH, 60PN, 15PM, 30 Monate Hefelager.

Auffällig war bei diesem Rosé die sehr helle, zwiebelschalenfarbene Roséfärbung, die ihn neben dem Winzerrosé fast etwas alt aussehen ließ. Geschmacklich war er mit Rosinen, Feigen und Trockenfrüchten noch ganz in der Sphäre des Wintertime, konnte aber mit seiner demgegenüber leichteren Bauweise punkten.

IV.2 Maxime Blin Rosé

Winziges Weingut in Trigny, Massif St. Thierry. 100PN und Coteaux Champenois.

Kräftiges, rötliches Rosé, viel Kirschfrucht, Goji-Beere und eine leicht gerbstoffige Griffigkeit, die den kleinen Betrieb kennzeichnet. Geringfügig medizinal, was in diesem Zusammenhang – zum Salbei – sogar ganz gut passte.

V.1 Carré Guebels Premier Cru Vieilles Vignes avec ficelage traditionnelle

70CH, 30PN, 2003er Basis mit Reserve aus 2002. (** GH)

In Deutschland praktisch unbekannter Erzeuger, der sich in Frankreichs Fachpresse schon einige gute Bewertungen gesichert hat und dessen andere Champagner mir gut gefallen. Werde ich weiterhin im Auge behalten. Diese Cuvée von alten Reben ist sehr mineralisch, hat eine kühle Ausstrahlung und wirkt zunächst geschlossen und dicht wie ein Grantiblock. Mit Luft kommen Mandarinen, Nektarinen, Reineclauden und gelbe Johannisbeeren zum Vorschein, alles läuft bei diesem Champagner sehr geordnet und zeremonienartig streng ab. Champagner für Traditionalisten.

V.2 Leclerc-Briant Premier Cru Chèvres Pierreuses

Cumières Premier Cru. Einzellagenchampagner. 40PN, 40CH, 20PM. Biodynamisch.

Knallerwein. Auch hier kalter, nasser Stein als Grundton, dahinter ist auf Anhieb richtig viel Druck abrufbar. Im Gegensatz zum Carré-Guebels herrscht hier ein – positives – Geschmackschaos, alles schwirrt und fliegt durcheinander, flavour action painting am Gaumen.

Frische Erdbeeren mit Champagnerschaum, Minze und Amarettini, verbunden mit einer kleinen Pause, lenkten den Gaumen etwas ab

VI.1 Bernard Tornay Palais des Dames

Bouzy Grand Cru. 50PN, 50CH, 2004er Basisweine aus den Grand Crus Bouzy und Ambonnay. 10 g/l Dosagezucker.

Was mir bei Tornay immer gut gefällt, ist dieser stetige Haselnussgrundton, den man in seinen Champagnern immer wiederfindet. Das verleiht dem Stil einen leicht melancholischen touch, bei der Spitzenvuvée des Hauses auf eine sehr ansprechende Art verfeinert. Also nicht: depressive Stimmung einer alternden Diva, sondern bezaubernde Nachdenklichkeit einer Salonschönen.

VI.2 Pommery Millésime Grand Cru 2000

Trauben aus sieben Grand Crus. (86/100 Juhlin, 96/100 Wine Spectator)

Der passende Gigolo für unsere Salonschönheit wollte oder konnte sich nicht finden lassen, also musste adäquater Ersatz her. Pommerys 2000er Grand Cru, den ich frühzeitig belüftet hatte, übernahm den Job mit Bravour. Jede damenhafte Feinheit von Tornay konnte dieser Champagner mit einer geeigneten Geste erwidern, ohne dabei gestelzt zu wirken. Der feine Haselnussgrundton von Tornay wurde mit minimal stärkerer Röstung beantwortet, die am Gaumen langanhaltend schwebende, zart vibrierende Früchte-Blüten-Komposition von Tornay wurde von den festen Schritten des Pommery nie allein gelassen. Wiederum eine schöne Komposition und ein famoses Pärchen, die beiden.

Generation Champagner – Notizen von der Einsteigerprobe in Hackbarth’s Restaurant

A. Das Menu

I. Vorspeisenvariation: Tafelspitz-Salätchen, Bruschetta, gebratene Blutwurst, Lachstartar

Lachstartar und Bruschetta waren gut, berührten mich aber nicht so sehr wie die Blutwurst und das delikate Tafelspitzsalätchen. Die Blutwurst war kross, nicht zu gross, praktisch fettfrei gebraten und von einer confiseriehaften Zartheit, die ich ähnlich, aber natürlich abgewandelt beim feinfaserigen Tafelspitz wiederfand. Im Zusammenspiel mit den Gemüseschnipseln bot sich ein sehr appetitanregender Happen dar, der sich gut mit den ersten Champagnern vertrug.

II. Scampi-Tournedo und Scampi-Knusperstange

Weich, aber bissfest kam der kleine Schalenracker auf den Teller, in ungewöhnlicher Langform zusätzlich die Knusperstange mit Scampifüllung. Dazu passten die weißen Champagner des zweiten flights besser noch als die Rosés, ich begann bedenklich zu schwanken – zwischen dem Premier Cru von den drei Mädels aus Trois Puits und dem Holzfasschampagner von Voirin-Jumel, dessen leicht minzige Note im Gegensatz zum Schaumzuckererdbeer-Katjes-Joghurtdrops der Girls stand. Beide Champagner hatten Komponenten, die vorteilhaft zum Essen wirkten, am Ende schien mir der Voirin-Jumel eine Winzigkeit besser zu passen, vielleicht bin ich aber auch nur etwas konservativer, was solche Paarungen betrifft.

III. Zander auf seiner kross gebratenen Haut, dazu knackiger Hünxer Spargelsalat

Der Spargelsalat war so aromatisch, wie man das von frischem Spargel erwarten darf. Viel wichtiger noch war mir die Knackigkeit der Spargelspitzen und die ließ nichts zu wünschen übrig. Fast wie Rettich krachte der Spargel beim reinbeißen und das habe ich sehr gerne, wenn der Spargel blutjung und unverholzt ist. Das kleine Zanderstück passte dazu, als wäre der Zander allein zur Begleitung von Spargelsalat Teil der Schöpfung geworden. Das Gericht brachte ganz nebenbei die regionale Verwurzelung der hackbarth'schen Küche zum Ausdruck, Spargel vom Niederrhein, Zander aus demselben, mit einer abgestimmt gemüsigen, sehr harmonischen Vinaigrette konnte man diesen kleinen Gang schon ganz schön groß finden.

IV. Lämmchen mit Kräuterkruste

Kräftig-aromatisch war die Kräuterkruste, zartfleischig das Lamm. Besser noch als Champagner konnte zu dieser Speise nur noch ein roter Coteaux Champenois passen, den Jens freundlicherweise spendierte. Das Haus Bernard Tornay hatte diesen Stoff 2000 geerntet und vinifiziert. Leider hatten wir den Wein nicht rechtzeitig dekantieren lassen, denn als er ins Glas kam, brauchte er erstmal seine Zeit, um sich von dicken Schichten flüchtiger Säure und reinster Nagellackentfernernase freizuschütteln. Auch nach sehr viel Luftzufuhr wirkte der Spätburgunder jugendlich und quasi wie frisch gefüllt, von Flaschenreife in weiter Ferne keine Spur.

V. Armer Ritter

Eine der typischsten Ruhrgebietsnachspeisen überhaupt ist der Arme Ritter. Das macht es für die Küche, wie so oft bei weitverbreiteten Speisen, nicht leichter. Denn jeder kennt das Gericht von Oma, Mutter, Betriebskantine und Familienfesten, hat eine meist sehr fest gefügte Meinung dazu und ist nur schwer davon zu überzeugen, dass dieses Basisgericht die Aufmerksamkeit einer guten Küchenbrigade verdient. Ein ähnliches Schicksal teilen Schnitzel, Boeuf Tartare, Omelette und das gute alte Steak. Macht aber alles nichts, denn Jörg Hackbarth bekommt seinen Alten Ritter immer wieder so gut hin, dass man alle Bedenken darüber vergisst, sobald man den weichen, schmeichelnden Teig im Mund hat und die süßen Früchtchen auf der Gabel.

 

B. Die Champagner

I.1 Tarlant, Brut Zéro

Oeuilly. Drittelmix. 2004er Basis mit fassgereiften Reserveweinen. Tirage im Mai 2005, Dégorgement im Juni 2007.

Dieser Champagner ist ein deutlicher Beleg dafür, dass undosierte Weine nicht nur reifen können, sondern es mitunter sogar müssen. Noch vor wenigen Monaten war dieser Champagner, obwohl mittlerweile schon seit fast drei Jahren am Markt, fest verschlossen und wehrte sich gegen jeden Versuch einige charmante Noten herauszuschnuppern mit einer kräftigen Chlornase. Davon war jetzt nicht mehr viel zu spüren, der Champagner hat sich merklich entspannt und lieferte die längst fälligen Äpfelchen, eine fast joviale Weinigkeit und zum Schluss eine für manchen Probeteilnehmer unerwartete glycerinige Süße ab. An der Nacktheit dieses Champagners war nichts Anstößiges, im Gegenteil, mit Sandro Boticellis unmittelbar bevorstehendem 500. Todestag konnte dieser Champagner geradezu als eine Hommage an die Wiederkunft der Aktmalerei in der Renaissance gelten.

I.2 Robert Moncuit, Blanc de Blancs Grand Cru Extra Brut

Le Mesnil. Dieser Champagner stammt aus den Grand Crus Oger und Le-Mesnil-sur-Oger, mit 4 g/l dosiert, 42 Monate Hefelager.

Ein ganz anderer Champagnertyp war der Chardonnay von Robert Moncuit. Weil er unter anderen Vorzeichen stand: anders als in der Vallée de la Marne, wo sich die fruchtigen Meuniers und leicht zugängliche Pinot-Noirs tummeln, wachsen in Oger und Le-Mesnil eben die großen Chardonnay-Säuregeschosse. Lässt man die blank ziehen, wird die Stimmung im Glas schnell aggressiv. Eine ganz behutsame Dosage von gerade einmal 4 g/l kann da Wunder und vor allem ganz schön sexy wirken – vergleichsweise wie die reizende Wäsche von Agent Provocateur. In unserem flight bedeutete das, dass der Tarlant trotz Zérodosage süsslicher, reifer und eine geringe Spur vollmundiger schmeckte, als der Extra Brut von Moncuit. Wenn man das weiß und im Probenzusammenhang berücksichtigt, kann man beiden Champagnern besser gerecht werden. Der Moncuit war ein lehrbuchhafter Chardonnay mit geringer Dosage, der Tarlant ein Vorzeigevertreter für eine konsequent zu Ende geführte, pointierte Cuvée.

II.1 Jean Baillette-Prudhomme, Vieille Cuvée

Trois Puits Premier Cru, 80 PN, 10CH, 10PM, um die 50% Reservewein.

Das Dreimädelhaus von Marie-France und ihren bezaubernden Töchtern Laureen und Justine begann den zweiten flight mit diesem trotz des ungewöhnlich hohen Reserveweinanteils frischen, mit jugendlich-unbekümmerter Säure ausgestatteten Champagner, dessen wesentliche Aromenmerkmale ebenfalls aus der Kinderzeit stammen. Schaumzuckererdbeeren und Katjes-Joghurtdrops, mit mehr Luft allerdings sehr schnell ernster werdend und von anisigen, kräuterigen und rosinierten Aromen stärker geerdet. Vielleicht kein Champagner für die Ewigkeit, dennoch ein Trinkvergnügen, solo und in Begleitung.

II.2 Voirin-Jumel, Cuvée 555

Cramant Grand Cru. 2006er Basis mit Reservewein aus den vier Vorgängerjahren. Holzfassausbau in 15 verschiedenen, alten Burgunderfässchen.

Von Beginn an als Holzfasscuvée zu erkennen, ohne dass sich das Holz aufdrängt. Verräterisch dabei ist die leicht minzige, kühlend-balsamische Note, weniger eine für Stillweine typische Vanillearomatik oder Toast (der beim Champagner nämlich nicht zwingend vom Holzfass kommen muss). Gegenüber dem Mädchenchampagner mag er mit seiner zurückhaltenden Komplexität weniger launisch gewirkt haben.

Der Kern der Probe war ein Vergleich der für diese Zwecke wie gemachten und kommerziell sehr erfolgreichen Jahreszeitenserie von Pommery mit Winzerchampagnern der jeweils selben Gattung. Natürlich lässt sich eine Präferenz für Grande Marque oder Winzerchampagner nicht im Rahmen einer einzigen Probe herausschälen und mein didaktisches Konzept beschränkte sich auch nicht darauf. Mir ging es bei der Zusammenstellung dieser Probe darum, Einsteigern eine relativ sichere, stilistisch zuverlässige Bank in Form der Jahreszeitenchampagner anzubieten, von wo aus jeder für sich seine Geschmacksvergleiche mit den anderen Champagnern anstellen konnte und Gelegenheit haben sollte, die Champagner auf ihre Speisenverträglichkeit hin zu überprüfen.

III.1 Nominé-Renard, Brut Rosé

Villevenard. 50CH, 50PM. Stahltankausbau. Zwei Jahre Hefelager.

Der Roséflight wurde eröffnet vom zarten und im Wortsinne feinen Nominé-Renard Rosé. Klassisch war die Farbe, ein Rosé ohne rötlichkupferne Reflexe und ohne allzuviele Blautöne. Fein war vor allem das Aromengespinst, das wie an hauchdünnen Fäden hängend Molekülhaufen von Erdbeere und Himbeere aus dem Glas zog. Am Gaumen wirkte die feine Aromatik vor allem in Richtung auf ein vermehrtes Trinken hin, denn das schlückchenweise Aufblitzen der Aromen am Gaumen war nicht so sehr geeignet dort tiefe Abdrücke zu hinterlassen. Zu den Meeresfrüchten nicht gerade ideal, solo deutlich besser.

III.2 Pommery, Springtime Rosé

Reims. 25CH, 60PN, 15PM, 30 Monate Hefelager.

Sehr anders war im Vergleich dazu der zwiebelschalenfarbene, oeuil-de-perdrixige Rosé. Farblich fast blass neben dem Winzerchampagner, verhalf ihm die deutlich höhere Dosage zu einer entsprechend stärkeren Wucht und Nachhaltigkeit, Rosinen, Feigen, Trockenfrüchte ließen sich gleich reihenweise ausmachen. Hier standen sich also wieder zwei Champagner derselben Gattung aber aus einander völlig entgegengesetzten Lagern gegenüber, was sich in der Verkostungsrunde am Tisch geschlechterübergreifend gespiegelt hat.

Rotwein: Bernard Tornay, Coteaux Champenois Rouge Mill. 2000

Diesem von Jens gespendeten Wein hätte man sein Alter nicht im geringsten abgeschmeckt. Zuerst noch voll flüchtiger Säure und einer von Nagellackentferner verhunzten Nase, danach und bis zum Ende des tastings immer besser werdend. Freilich kein Schmeichler, auch kein besonders fruchtiger Wein, sondern viel Granit, ein Duft wie frischgemahlenes Korn, hin und wieder Cranberries, Sauerkirsche und Gojibeeren. So könnte roter Chablis schmecken.

IV.1 Pommery, Summertime Blanc de Blancs

10 Crus, drei Jahre Hefelager.

Der Blanc de Blancs von Pommery repräsentierte wieder einen bestimmten Typus von Chardonnay. Nicht großes Reifevermögen, meist ausgedrückt durch hyperarrogante Verschlossenheit in jungen Jahren, ist für diese Art von Champagner prägend, sondern eine freundliche, sonnige, vielleicht nicht dauerkaugummikauende, aber mit weissen Zahnreihen einladend grinsende Einstellung. Dieser Champagner ist somit wie der Texaner unter den Champagnern, ein gutgelaunter Redneck. Bei der Auswahl seiner Grundweine wird dementsprechend nicht eine überintellektualisierende, alles steuernde Säure wichtig gewesen sein, sondern ein belebendes, fruchtiges Element, wie es die Chardonnays aus dem Norden der Côte des Blancs, der Grande Vallée de la Marne und aus der Montagne de Reims zu bieten haben. Wenn das wirklich so ist, dann hat Pommerys Kellermeister Thierry Gasco seinen Job hervorragend erledigt.

IV.2 Thierry Bourmault, Sylver Class Blanc de Blancs Premier Cru

Cuis Premier Cru.

Im Vergleich mit dem breitgrinsenden Pommery ist der Winzerchampagner Ivy-League. Statt zum american football neigt dieser Kollege in seinem Innersten allerdings eher zum Rugby. Ein stürmisches Naturell kann man ihm nämlich ebenfalls nicht absprechen. Auch meint man bei der Sylver Class nicht etwa, seine Umwelt nur noch durch die Nickelbrille eines fleißigen Bibliothekgängers wahrzunehmen. Aber unmittelbar nach dem Pommery wirkt bei diesem Champagner alles etwas schärfer, spitzer, pointierter, kompromissloser. Das dürfte daher kommen, dass der Bourmault eben nicht auf eine Reihe unterschiedlichster Crus zurückgreifen kann, sondern nur auf die knapp 3 ha, die ihm in Cuis zur Verfügung stehen. Deren typischen Charakter bringt er ungefiltert in die Flasche. Mehr wollte ich mit dem flight übrigens gar nicht zeigen.

V.1 Francoise Bedel, Entre Ciel et Terre

Crouttes-sur-Marne. Biodynamisch.

Sahnig, mit Toffee, warmem Edelholz, Haselnuss und knusprigem Keks schwebte die große Dame der Biodynamie aus dem Glas. Bei der Probenzusammenstellung schwankte ich erst, ob ich den dosierten oder den undosierten Champagner von Bedel nehmen soll. Wie bei vielen guten Winzern – so z.B. bei Francis Boulard, der mir seinerzeit Madame Bedel aus Crouttes-sur-Marne und Madame Ledru aus Ambonnay empfohlen hatte, aber auch bei Benoit Tarlant oder Aurelien Laherte – kann man bei Frau Bedel beides bekommen. Ich finde die undosierte Version solo besser, im Vergleich mit dem Wintertime von Pommery wäre er mir aber zu hart vorgekommen. Deshalb gab es die dosierte Version und diese Entscheidung hat sich meiner Meinung nach als richtig herausgestellt.

V.2 Pommery, Wintertime Blanc de Noirs

75PN, 25PM u.a. aus den Grand Crus Aÿ, Bouzy, Mailly und Sillery. (90/100 Juhlin)

Der von Juhlin großzügig bepunktete Wintertime hatte enorme Startschwierigkeiten. Reduktiv, angebrannt, langsam, behäbig und ziemlich reizarm dauerte es eine Weile, bis der Champagner sich aus allen seinen wärmenden, aber nicht kleidsamen Schalen gepellt hatte. Nach einem kompletten Luftaustausch im Raum zeigte sich dann endlich eine Ahnung von Größe, jedoch nur von Ferne und von Zuckerkristallen etwas kitschig überdeckt. Beide Champagner würde ich gern noch einmal mit drei bis fünf Jahren Flaschenreife trinken, so war der Pommery leider etwas zu unbeholfen und selbst eiliges dekantieren hätte nicht mehr viel gerettet.

VI.1 Bernard Tornay, Grand Cru 2002

Bouzy Grand Cru. Spezialist für lange Reifung.

Tornay, der an diesem Abend der Madame Bedel aromatisch sehr nahestand, eröffnete den sechsten flight. Wieder eine behende, leichte Haselnussigkeit, die man in der Musik einem Chopin zuordnen würde, er hätte wahrscheinlich ein Polonaise in Moll dazu komponiert. Lange, eher wehmütig als schrill oder juchzend tirilierende Kaskaden, eine im Volksfrohsinn wurzelnde Lust an der Ornamentik und eine bei Tornay immer wieder zum Vorschein kommende Grundthematik, das Haselnussthema, machen diesen Champagner für mich zu einem Vertreter der Winzerfraktion mit besonders hohem Gespür für die Vermählung von Terroir und Stil des Hauses.

VI.2 Pommery, Grand Cru Mill. 2000

Trauben aus sieben Grand Crus. (86/100 Juhlin, 96/100 Wine Spectator)

Die Jahrgangs-Grand Crus von Pommery, egal ob von Fürst Polignac oder Thierry Gasco kreiert, sind moderne Klassiker und würde man sie Komponisten zuordnen, wären wir wahrscheinlich am ehesten bei Prokofjew. Zuerst wie der Wintertime, schlafmützig, langsam, schwierig, unbelebt, ja abweisend. Erst mit viel Luft wandelt sich die geradezu feindliche Aromatik in eine milde Melancholie um und wird immer schalkhafter, bis zum Schluss ein richtiger kleiner Tanzbär im Glas steppt. Für Juhlin ist das scheinbar nichts gewesen, daher die vergleichsweise harten 86 Punkte, dass der Wine Spectator enthusiastische 96 Punkte gibt, kann man erst verstehen, wenn man den Champagner in seiner Schlussphase erlebt hat. Ich würde zu diesem Zeitpunkt noch lange keine 96 Punkte geben, halte den Champagner aber für sehr entwicklungsfähig und deutlich über den sonst schwachen Jahrgang hinausweisend.

VII. Veuve Cliquot-Ponsardin, La Grande Dame 1995

Reims. 2/3 PN aus Verzenay, Verzy und Ambonnay und Aÿ 1/3 Chardonnay aus Avize, Oger und Le-Mesnil-sur-Oger.

Leider hatten wir bei diesem an sich wundervollen Champagner einen leichten TCA-Beigeschmack, der sich parallel zur Entwicklung der Witwenaromatik aufbaute. Mal schien er verschwinden zu wollen, mal schien er sich in Richtung einer herben Nussigkeit oder in ein Kastanienhonigaroma umwandeln zu wollen, wie man es vom Urlaub auf Korsika kennt. Aber immer funkte er störend dazwischen und ließ den filigranen wie den strukturgebenden Elementen dieses reifen Champagners keine Möglichkeit, sich endgültig und harmonisch zu verbinden.

ProWein-Champagner: Nachlese Teil II

IX. Besserat de Bellefon

Auch hier selbst zu später Stunde noch freundlich Bewillkommnung und Vorführung der neuen, superschicken Lackholzkiste, in der sich die gamme stilgerecht präsentieren lässt.

1. Cuvée des Moines Blanc de Blancs

Ein zuverlässiger und immer wieder auf sehr hohem Niveau angesiedelter Champagner ist der Blanc de Blancs von Besserat de Bellefon. Schafgarbe als Hinweis auf eine flüchtige Säure vermochte ich darin weniger wahrzunehmen, als mir im Gespräch angekündigt wurde. Dafür reife Aprikosen und weisse Pfirsiche, mit Luft entfalteten sich tatsächlich noch ein paar gebrannte Mandeln und kandierte Früchte, der Säurewert blieb auf dem Teppich.

2. Cuvée des Moines Millésime 2002

Sahnig, stoffig, lockend, mit einer an Bienenwachs erinnernden Nase und sehr milder Textur. Wie schon der Blanc de Blancs war dieser Champagner kein Säuregigant. Tarurig hat mich das nicht gemacht, denn für Säure ist der Jahrgang sowieso nicht berühmt. Eher schon für eine lange, balancierte, sehr elegante Art. Die war hier etwas gehemmt und wirkte schüchtern, erholt sich aber bestimmt in den nächsten Jahren.


X. Francoise Bedel

Vincent Bedel nahm sich sehr viel Zeit, um die außergewöhnlichen Champagner seiner Mutter vorzustellen. Die Biodyn-Zertifizierung erfolgte 2001, nachdem Francoise und Vincent 1996 ein dramatisches Schlüsselerlebnis hatten. Dabei wurde vor allem Francoise klar, dass Leben und Arbeit bei ihr aus der Blanace geraten waren. Der Arzt Robert Winer, dem die Familie einen Hommage-Champagner widmet, ist der Impulsgeber für die vollkommene Umstellung von Lebensstil und Arbeitsweise gewesen.

1. Origin'elle 2004

78PM 13CH 9PN. Saftig und glatt, in der Nase hagebuttig, apfelpektinig, auch Fenchel, mit Kräutern und etwas exotischer Frucht. Machte einen warmen, wohligen Eindruck von altgewordenem Apfel. Am Gaumen wenig Angriffsfläche meiner Meinung nach der morbideste von allen Bedel-Champagnern

2. Dis, Vin Secret 2003 Brut Nature

86PM 8PN 6CH. Klassischer und schöner dagegen der Dis, Vin Secret, trotz des schwierigen Jahres. Aufgrund der hohen Reifegrade war bei diesem Champagner keine Dosage nötig, wie sich nachher beim dosierten Dis, Vin Secret zeigen würde. Merklich waren die fortgeschrittenen, reifen Aromen von Trockenobst und eine leicht alkoholische Note.

3. Entre Ciel et Terre 2002 Brut Nature

100% Pinot Meunier. Sehr spielfreudig zeigte sich der Entre Ciel et Terre. Hinter dem pudrigen Make-Up versteckte sich eine überraschend hervorschnellende Säure, die man einem reinen Meunier nicht ohne weiteres zutraut. Apfel, Hefezopf und allererste Anlagen für eine toastige Röstigkeit, dazu etwas Lemon Curd. Stattlicher Champagner.

4. Entre Ciel et Terre 2002 Brut

Erwartungsgemäss etwas gedämpfter, ich will nicht sagen verwaschener, waren die Aromen beim brut dosierten Entre Ciel et Terre. Immer noch ein schöner Champagner, der viele Champagnerfreunde sehr positiv überraschen dürfte, aber wenn man ihn als brut nature getrunken hat, wird man den dosagelosen Champagner bevorzugen. Wirkte am Tag davor und in einem anderen Kontext (nämlich gegenüber dem Dis, Vin Secret 2000 und 2003) besser.

5. Dis, Vin Secret 2003 Brut

Hier dasselbe. Gegenüber der dosagelosen Ausgabe einfach ein Haufen mehr an reifen, teilweise überreifen Aromen und kein bisschen übriggebliebener Säure. Lässt den Champagner langsam, fad und müde wirken, was schade ist.

6. Robert Winer 1996, dégorgiert im Oktober 2008

88PM 6CH 6PN. Einer Gesamtsäure von 8,01 g/l stehen hier 6,9 g/l Restzucker gegenüber, freies SO2 lässt sich mit lächerlichen 13 mg/l nachweisen. Das Öffnen der hanfstrickverschlossenen Flasche mit dem eigenwilligen Etikett lässt die Reise beginnen. Die fernöstliche Reisgebäcknase deutet noch nichts von der ungeheueren Kraft dieses Champagners an. Die kommt erst im Mund voll zur Geltung. Das ist kein harmloses tackling mehr, sondern ein rabiater bodycheck. Wie ein mittlerer Sekiwake verstopft der Champagner erstmal den Mund, bevor er mit einiger Anstrengung der Geschmacksnerven sinnvoll getrunken werden kann. Grapefruit, Pitahaya, Granatapfel, Kumqat und Physalis rumpeln erbarmungslos in den Schlund und lassen einen aufgerührten Trinker zurück.

Am Tag zuvor hatte ich auf der Renaissance des Appellations bereits folgende Champagner von Bedel probiert:

7. Dis, Vin Secret 2000

Fortgeschrittene, aber nicht unangemessene Reife. Mit Kandiszucker lackierter Apfel trifft es wohl ganz gut. Unter der knusprigen Karamellzuckerschicht lag ein warmer, mürber Apfel mit einem sehr appetitlichen Fruchtfleisch.

8. Âme de la Terre 1998, dég. Juni 2008

24PM, 35PN 41CH. Mit 11,9 g/l dosiert, bei 4,55 g/l Säure. Was war zu erwarten? Dass der Champagner fruchtig sein würde, weil leicht pinotdominiert und weil die Chardonnays von Bedel keine besonders fordernde Säure entfalten. Was noch? Dass die Frucht mir zu plakativ sein würde und der Dosagezucker mir zu hoch vorkommen würde. Und dann noch, dass das späte Dégorgement dem Wein etwas zusätzliches Leben einhauchen würde, worüber ich mir aber noch nicht ganz sicher war. Genau so war der Champagner am Ende. Eigentlich schade, denn in der langen Lagerphase hätte doch etwas viel besseres draus werden können – die Cuvée Robert Winer hatte es vorgemacht.


XI. Fleury

Fleury ist mit revolutionären Methoden vertraut. 1901 gehörte Fleury (gegründet 1895) zu den ersten Winzern der Region, die gepfropfte, reblausresistente Pinot-Noirs pflanzten. Während der Wirtschaftskrise von 1929 gehörte Fleury dann zu den ersten Erzeugern, die ihre Trauben wieder selbst vinifizierten und nicht mehr zu Schleuderpreisen an die großen Häuser verkauften. Im Jahr 1970 war Fleury einer der ersten ökologisch arbeitenden Winzer. Die Umstellung auf biodynamisch erfolgte schrittweise seit 1989, damit ist Fleury wiederum einer der ersten biodynamisch arbeitenden Winzer in Frankreich. Schon am Vortag auf der Renaissance des Appellations probiert.

1. Brut Tradition Blanc de Noirs

Vollmundiger, gutmütiger Champagner.

2. Brut Prestige Fleur de l'Europe

Gewöhnungsbedürftiges Etikett. 85% Pinot-Noir und 15% Chardonnay. In Nase und Mund dann nicht ganz so gewöhnungsbedürftiger, kräftiger, dichter, nicht sehr komplexer Champagner.

3. Rosé de Saignée Brut

Nach den beiden behäbigen, ordentlichen weissen Champagnern kommt beim Rosé eine kleine Überraschung, der Champagner ist von einer gewissen Eleganz und Leichtigkeit, die man gemeinhin mit Rosé-Champagner verbindet, vom Hausstil aber nicht unbedingt erwartet.

4. Millésime 1995, dég. 2009

Wie praktisch immer bei Fleurys Jahrgängen 80% Pinot-Noir 20% Chardonnay. Deutlich ist das Pinotübergewicht, aber der Chardonnay setzt sich mannhaft zur Wehr. Unterstützung erhält er vom späten Dégorgierzeitpunkt, das gibt ihm einen Frischeturbo. Im Moment sehr schön zu trinken, vielleicht die nächsten drei Jahre noch auf diesem Niveau, dann dürfte der Champagner abbauen. Interessanter Kandidat für eine Gegenüberstellung normaler Dégorgierzeitpunkt ./. spätes Dégorgement.


XII. Franck Pascal

Monsieur Pascal war wieder selbst am Stand und erklärte seine Champagner, die es demnächst mit neuen Etiketten zu kaufen gibt. Zur Biodynamie kam er über das Militär. Dort lernte er chemische Kampfstoffe kennen und war später ganz frappiert, als er auf der Weinbauschule eine ähnliche Wirkweise von Pestiziden, Herbiziden und allen möglichen anderen -ziden auf lebende Organismen kennenlernte. Folgerichtig beendete er 1998 den Einsatz von Chemikalien und Düngemitteln im Weinberg.

1. Cuvée Prestige Equilibre 2003

Drittelmix, der mit backenzusammenziehendem Süssholz anfängt und die schwarze, von Holunderbeersaft, Brombeeren und Cassis geprägte Aromatik durchhält. Wirkt bereits ganz zugänglich.

2. Cuvée Prestige Equilibre 2002

Drittelmix, mit 4,5 g/l dosiert. Viel enger, verschlossener, mineralischer als der 2003er. Kein Champagner, der jetzt oder innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre viel Freude bereitet und im Moment nur sehr trainierten Champagnerfreunden gefallen dürfte. Wenn alles gutgeht, ändert sich das demnächst, der Champagner ist einfach noch viel zu sehr in sich selbst verdreht.

3. Cuvée Tolérance Rosé

Nach den beiden Jahrgängen wirkte der Rosé fruchtig, unausgezehrt, ausgeruht und wie zu Scherzen aufgelegt. War er in Wirklichkeit natürlich nicht, da war sein vom Sagesse ererbtes Naturell und die schwer entzifferbare Handschrift des Winzers davor. Unter den Rosés unserer Zeit sicher einer der interessantesten. Nichts für Hedonisten.


XII. Philipponnat

Die Champagner von Charles Philipponnat sind immer ein Gläschen wert, waren am Stand leider sehr sehr kalt.

1. Royal Reserve

Jugendlich, unbekümmert, frisch und fruchtig plätscherte der Standardbrut ins Glas. Dahinter steckt überwiegend Pinot-Noir, ca. ein Drittel Chardonnay und ca. ein Viertel Pinot Meunier. Der Reserveweinanteil kann auf bis zu 40% klettern und wird im Soleraverfahren gewonnen. Biologischer Säureabbau ist für diejenigen Grundweine, die bei Philipponnat ins Holz dürfen, kein Thema. Unter anderem deshalb stecken sie die 9 g/l Dosagezucker gut weg. Für ein großes Haus wäre das übrigens nicht besonders viel, doch ist Philipponnat kein grosses Haus, sondern eher ein großer Winzer. Das sieht man allenthalben an der sehr sorgfältigen, am Detail orientierten Vinifikation. Wie es sich für gute Winzer gehört, trägt jede Flasche das Dégorgierdatum auf dem Rückenetikett. Immer wieder eine Freude und in Deutschland ein noch immer viel zu unbekanntes Haus.

2. Grand Blanc Millésime 2002

Dieser Champagner ist in Teilen ein Clos des Goisses. Dort stehen nämlich ein paar Chardonnayreben, die nachher einen Teil der Wirkmacht des Clos des Goisses ausmachen. Zu 15% stammen die Chardonnays dieses Weins ebenfalls aus dem Clos des Goisses. Der Rest kommt überwiegend aus der Côte des Blancs. Im Stahltank bekommen diese Weine ihren Schliff und ihre chablismässige Statur, wobei es auch in diesem Champagner Anteile gibt, die im Holzfass waren und keinen BSA mitgemacht haben. In der mit 5 g/l dosierten Cuvée merkt man von alledem nicht viel. Ich war zum Beispiel viel mehr damit beschäftigt, über den Chardonnay aus dem Clos des Goisses nachzudenken und ob ich den beim nächsten Besuch mal als Grundwein probieren könnte. Denn irgendwas haben diese Trauben, was dem Champagner einen besonders weichen twist verleiht, eine träumerische Unschärfe nach der Art wie sie David Hamiltons Bilder berühmt gemacht hat.

3. Réserve Millésimé 2002

70% Pinot-Noir aus Ay und Mareuil, 30% Chardonnay aus der Côte des Blancs. Trotz seiner Dosage von 9 g/l ein lebhafter, frischer Champagner, der mir aus der Kollektion am gefälligsten vorkam. Datteln, Feigen, Aprikosen, weisse Schokolade und Limette halten sich hier spannungsvoll die Waage.

4. Cuvée 1522 Blanc Grand Cru 2002

Gedächtniscuvée anlässlich der Niederlassung der Familie in Ay. Folglich muss Pinot-Noir aus Ay mit 60% den Löwenanteil in der Cuvée bekommen. Warum der Rest Chardonnay aus Oger stammt, ist mir nicht klar. Ich finde das nicht konsequent; Philipponnat hätte viel lieber Chardonnay Grand Cru aus Ay nehmen sollen, das hätte viel authentischer zu der Cuvée gewirkt und außerdem traue ich Philipponnat ohne weiteres zu, mit den Trauben vernünftige Resultate zu erzielen. Im Bereich der von diesem Champagner bereits preislich anvisierten Kundschaft wäre das sicher auf große Entzückung gestossen. Mit 4 g/l dosiert und langem Hefelager ist der 1522 so etwas wie eine kleine Prestigecuvée. Schmeckt balanciert, pendelt sich aromatisch beim Khakisüppchen mit Pinienkernen und Ingwer ein.

5. Clos des Goisses Blanc 2000

70% Pinot-Noir und 30% Chardonnay. Wie bei allen Philipponnat-Champagnern geht es auch hier um Frische, Klarheit, Rasse und Stil, daher der bewährte Mix aus Stahltank und BSAlosem Fassausbau. Obwohl mit nur 4 g/l dosiert und zu kalt serviert, entfaltete der Clos des Goisses mühelos seine ganze Pracht. Kakao und Kirsche, Toastbrot und Powidl-Palatschinken, Kaisermelange, Germ- und Marillenknödel, die ganze Wiener Kaffeehauskultur in einem Champagner! Ein schöner Beleg dafür, dass der Clos des Goisses besonders in schwachen Champagnerjahren großartige Champagner liefern kann.

6. Royal Reserve Rosé

Ein Assemblage-Rosé mit 7-8% Coteaux Champenois. So leicht und lebensbejahend wie das zarthelle Rosa des Champagners schmeckt er, Erdbeer-Himbeeraromen werden von 9 g/l Dosagezucker recht vorteilhaft herausgehoben, eine hauchdünn unterlegte Tanninstruktur erinnert daran, dass der Champagner aus einem sehr distinguierten Haus kommt. Alles in allem dennoch kein besonders komplizierter Champagner.


XIII. Paul Goerg

Monsieur Moulin, den die Genossen bei Ruinart herausgekauft haben, stellte die Cooperativenchampagner und die neue, 2004 als Handelshaus gegründete Marke Prieur vor. Die Goutte d'Or aus Vertus stand bis vor kurzem unter der Leitung von Pascal Férat, der nach den jüngsten Querelen in der Winzerschaft die Führung des Winzerverbands übernommen hat. Unter dem Namen Paul Goerg treten die Genossen seit 1982 eigenständig am Markt auf, vorher teilten sie das Schicksal des unbekannten Saftlieferanten mit zahllosen anderen Kooperativen der Region.

1. Brut Tradition

60CH 40PN. Sehr leichter, mit seinen 8 g/l nicht hoch dosierter Champagner. Weinig und angenehm, etwas kurz.

2. Blanc de Blancs

Dem Tradition eng verwandt, mit mehr Dampf, mehr campheriger Säure und einem Beigeschmack von geschwenkter Butter. Nicht besonders groß.

3. Blanc de Blancs Millésime 2002

Stärker hervortretende Chardonnayeigenschaften, voluminöser Apfel, bei mäßigen Säuregraden. Wenn die Mitgliedsbetriebe ihre Lagen in den Premier und Grand Crus der Côte des Blancs haben – so scheint hier doch überwiegend das leichte, fruchtige Element verarbeitet zu werden. Geht beim 2002er in Ordnung.

4. Cuvée Lady Millésime 2000

85CH 15PN. Acht Jahre Hefelager. Ziemlich proper, dabei fast ein wenig divenhaft schwankend zwischen fruchtiger Herzlichkeit und spröder Mineralität präsentiert sich die Prestigecuvée der Genossen. So stellen sich die Mitglieder die perfekte Champagner-Winzerehefrau vor, geschäftlich diamanthart, aber reinen Herzens, rund, facettenreich, nach innen ausgeglichen und harmonisch. Gelungen.

Renaissance des Appellations

I. Ngeringa Vineyards

Biodynamisch seit 1980

1. Assemblage Red Adelaide Hills 2007

Syrahbasis mit Pinot Noir, Sangiovese und Tempranillo, ein süffiger Roter, der mir mit einer gewissen Unbekümmertheit gegenüber den in Europa für die rebsorten typischen Rebstandorten hergestellt zu sein scheint. Vom Syrah kommt eine angenehme Kakaonote, Pinot, Sangiovese und Tempranillo steuern einen vielfach durchbrochenen, fruchtig-floralen Umhang bei.

2. Pinot-Noir Red Adelaide Hills 2007

Ziemlich europäisch, ja frnzösisch wirkt dieser Pinot. Frucht ja, aber nicht wie bei unseren Badischen Pinots, stattdessen mehr Mineralität und kräuterige, auch erdige Würze. Stattliche Säure und kraftvolles Tannin sorgen für Struktur, ohne dass der Wein konstruiert wirkt.

3. Syrah Red Adelaide Hills 2006

Nachdem ich diesen Syrah im Glas hatte, wünschte ich mir eine umgekehrte Probenreihenfolge , dann hätte ich den Blend ganz zu Beginn vielleicht besser einsortieren können. Holz, Schoko, Früchtemus und softes, aber lauerndes Tannin. Ein mittelgewichtiger, kätzischer, spannungsvoller Wein. Obacht geben, wie sich das Weingut entwickelt!

 

II. Chateau de Roquefort

Biodynamisch seit 1995. Kenne ich, seit ich dem 1999er Rubrum verfallen bin, dessen buchstäblich vielsagendes Etikett mich damals begeistert hat. Umso größer die Freude, als in den wenigen Jahren, in denen es seither wieder welchen gab, die Qualität immer wieder aufs Neue grandios war. Bei drunkenmonday steht, anhand der von Jahrgang zu Jahrgang unterschiedlich gestalteten Dudeln der abgebildeten Etikettenschönheit könne man die weingutseigene Einschätzung des Rubrum ablesen – das schreit nach einer Vertikalen!

1. Blanc Les Genets 2009

Clairette und Rolle machen diesen Wein zu einer Mischung aus flüssigem Fruchtfett und kalter Lava, bei dem man sich über einen gewissen Suchtfaktor im Klaren sein sollte, wenn man die Flasche öffnet.

2. Rosé Corail 2009

Sehr gewöhnlich kam mir der Corail vor. Fette, buttrige Art mit aufgesetzter Erdbeer-Himbeer-Krone. Wirkt wie das stereotypische dicke Mädchen mit dem guten Herz in amerikanischen Teenyromanzen.

3. Gueule de Loup 2007 – 2008

Ein blend aus zwei Jahrgängen. Der eine verkörpert das aparte Löwenmäulchen, der andere den schlimmen Wolfsrachen. Eine irriterende Mixtur jedenfalls, die mir nicht gefällt. Zu unausgeglichen, zu unruhig, für mich der erste Wein mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Vielleicht legt sich das mit dem Alter.

4. Rouge Les Mures 2006

Nicht recht froh wurde ich mit dem Brombeerwein. 40% Grenache, 25% Carignan, 20% Syrah, 5% Cinsault, 5% Mourvèdre, und 5% Cabernet-Sauvignon sind drin. Alles alte Reben, alles ohne Schnickschnack sorgfältigst vinifiziert. Im Normalfall alles Garanten für einen bombigen Wein. Und trotzdem stimmte was nicht mit dem Kollegen. Nicht, dass da was gefehlt hätte oder, andersrum, dass er überladen gewirkt hätte. Vielleicht ist das einfach nicht meine Art von Wein, soll's ja geben.

5. Rouge La Pourpre 2006

Ein selten produzierter Wein ist der Pourpre, der wie alle Roquefort-Weine ein nicht nur stimmiges oder schönes, gelungenes oder stylishes Etikett hat, sondern DAS Chefetikett. Dieser Wein ist mehr, als eine technische Spielerei und am besten vielleicht nur vor biodynamischem Hintergrund zuverstehen: Syrah und Carignan, die beiden Counterparts des Weins, reifen genau entgegengesetzt. Nur wenn beide zur gleichen Zeit voll ausreifen, macht Raymond de Villeneuve den Porurpre. Und im Gegensatz zum Gueule de Loup ist ihm mit dem Pourpre ein Wein gelungen, der einen sofort in seinen Bann zieht. Der Wein zu Jean Reno in den purpurnen Flüssen. Unfassbar, dass der für 20 EUR regelrecht verschleudert wird! Kaufzwang!

 

III. M. Chapoutier

Biodynamisch seit 1991

1. Chante-Alouette 2006

Weißer Hermitage, bzw. die Rebsorte Marsanne sagt mir gar nichts, weil ich mich damit nie beschäftigt habe. Die Weine von Chapoutier sind insofern Fluch und Segen. Segen, weil dieser Chante-Alouette so frühlingshaft zwitschert und zum Leichtsinn verführt, zwischen Kamille und Orangenblütte, Quittenmus, kühler Minze, der Schärfe von Pinienkernen, dem Aroma aller mir bekannten Melonensorten und saftiger Nektarine findet sich wahrhaft genau das, was einen trockenen Weißwein zum Geschmacksfeuerwerk macht. Das ist gleichzeitig der Fluch dieses Weins, der mein Augenmerk so bezwingend und hypnotisch auf sich zieht.

2. De l'Orée 2006

Nochmal Marsanne, diesmal aus Ermitage. Ätherischer, strenger; Bienenwachs und Birne, mit einer prickligen, eine seriöse Munterkeit ausstrahlenden Art dann der De l'Orée. Wirkte gedankenverlorener, antiker (nicht antiquierter) und weihevoller, als der Chante-Alouette. Wegen seiner unverspielten Art und der offenbar zur Rebsortentypizität gehörenden, hier aber noch geringeren Säure sprach mich der Wein nicht im selben Maß an, wie der Chante-Alouette. Ganz ohne unangebrachtes Parker bashing: sehr gestaunt habe ich über Parkers 99 Punkte für diesen Wein. Ich wusste gar nicht, dass der so subtile Weine überhaupt wahrnimmt.

 

 

IV. Zind-Humbrecht

Biodynamisch seit 1997

1. Muscat Goldert Grand Cru 2007

Roch und schmeckte wie ein Riesling, der zu lange und zu dicht neben dem Apfelmost gestanden hat. Nicht mein Fall.

2. Riesling générique 2007

Solider, nicht besonders eindrucksvoller Gutsriesling.

3. Riesling Rangen de Thann Grand Cru Clos St. Urbain 2007

Kernig, tiefgründig und fett, aber nicht wabbelig, sondern von der festen, an Schweineschwarte erinnernden Sorte. Dazu Orangensaft mit scharf wirkendem Vitamin C. Schon sehr fordernd.

4. Riesling Brand Grand Cru Vieilles Vignes 2007

Gegenüber dem Rangen nicht so schwer und anstrengend, viel breiteres Fruchtspektrum, immer noch mit viel Säure, die hier jedoch harmonischer eingebettet ist und nicht alle anderen Aromen übertüncht. Schmelzig.

5. Pinot Gris Rotenberg 2006

Seltsam flüchtige Säure, derselbe etwas faulig-viezige Geruch wie beim Goldert, kein Vergnügen.

6. Gewuerztraminer Clos Windsbuhl 2006

Pricklig, etwas herb, kratzig wie ein zu enger Rollkragenpullover, das Säurefinish versöhnt nicht wirklich. Gehört zu den ernstzunehmenden Gewuerztraminern, ist aber auch nicht mein Fall.

7. Pinot Gris Clos Windsbuhl Vendange Tardive 2002

Das hier ist mein Wein, so gut habe ich Pinot Gris noch selten oder nie getrunken. Dramaturgisch perfekt, mit einer verspielten Exposition aus Puffreis, Popcorn, Karamell, Erdnussbutter und einer schleichend langsam untergemischten Säure, die den Wein zusammen mit minerlaischen Anklängen sogar kurzfristig trocken erscheinen lässt. Dann Verstrickung mit Weinbergspfirsich und Nektarine, Komplikation, Spannungsanstieg, Climax, Katharsis und schwupp, am Ende klingt der Wein so unschuldig und süss aus, als wäre vorher nichts gewesen. Sehr raffiniert. Top-Wein.

 

V. Domaine Kreydenweiss

Biodynamisch seit 1989

1. Andlau "Au Dessus de la Loi" Riesling 2008

Die helle Freude, Riesling wie aus besseren Zeiten. Kreydenweiss bringt Crème und Rasse, Butter und Säure unter einen extrem schicken Hut. Keine zu dick aufgetragene Frucht, kein mineralisches Gepolter, eine Säure, die ihren Platz kennt und ihre Rolle perfekt spielt, was will man denn mehr.

2. Clos du Val d'Eléon "L'Âme de la Terre" Riesling /Grauburgunder 2006

Rauchig, etwas stinkig, mit etwas Akazienhonig und Birne. Durchgegoren, knochentrocken; getrennt vinifiziert wäre vielleicht eher was nach meinem Geschmack daraus geworden. So war ich hin- und hergerissen zwischen Neugier, wie sich der Wein entwickelt und Ablehnung.

3. Wiebelsberg "La Dame" Grand Cru Riesling 2007

Apfel, Pektin, Weinbergpfirsich, Honigmelone. Leicht kalkig, mit einem gut dazu passenden Spritzer lime juice. Sehr apart. Kann noch.

4. Kastelberg "Le Château" Grand Cru Riesling 2007

Einerseits vollmundig, mostig, erinnert an Waffeln mit Calvados und gleichzeitig eine minimal salzige, zur Knackigkeit beitragende Note.

5. Kritt "Les Charmes" Pinot Blanc 2008

Blüten und Trockenkräuter ergeben hier einen süsslichen, vom üblichen Patchouli-Neroli-Rosenwassergewaber weit entfernten Duft, der mich durchaus anspricht. Im Mund erfrischend, nicht gerade schlank. Fett aber auch nicht. Proper würde ich sagen, mit einer Säure, die wie ein Stützstrumof wirkt. Gut.

 

VI. Weingut Fürst Makashvili

Biodynamisch seit 2009

1. Grand Cru Akhoebi 2007

90% Rkatsiteli, 6% Mtsvane, 4% Khikhvi

Alttestamentarisch, grummelnd, sehr langsam und behäbig, so ähnlich muss man sich wahrscheinlich norwegische Gebirgstrolle vorstellen. In der Nase eine Mischung aus Scotch und Apfelessig, am Gaumen krallt sich dann ein Tannin fest wie ein abgestürzter Bergsteiger am Felsvorsprung. Zum Schluss versöhnliche Süsse. Ein elementares Erlebnis.

2. Grand Cru Tsarapi 2007

100% Rkatsiteli

Geradezu tänzerisch leicht wirkt danach der Rkatsiteli. Der passende Wein zur ersten Stripshow nach dem Ende der Sintflut, als die Frauen noch Hasenfellbikinis trugen.

3. Grand Cru Akhoebi 2006

100% Saperavi

Pfeffernase. Und zwar nicht nur bisschen, sondern richtig. Dass ich nicht vor Schreck reingeniest habe, liegt nur an der alles wieder nach innenziehenden, kräuterig-herben bis medizinalen Bitterkeit und dem Hasenfell, das sich auf Mund und Zähnen ausbreitete. Als hätte ich eine von den Urzeittänzerinnen bei lebendigem Leibe verspeist und es gar nicht gemerkt. Schwieriger, aber auch beeindruckender Wein.

 

VII. Movia

Biodynamisch seit 1989

1. Sauvignon-Blanc 2007

Angenehmer, internationaler Stil. Kann man nicht meckern, wird man aber auch nicht bejubeln.

2. Veliko Belo 2005

Ribolla, Pinot Gris, Sauvignon-Blanc

Weich und buttrig, aber nicht klischeehaft. Erinnert, bei sehr milder Säure, ein bisschen an reinsortigen Viognier. Gelungen.

3. Lunar 2007

100% Ribolla

Säurearm und mehlig. Nicht mein Fall.

4. Puro Rosé 2002

60% Pinot Noir, 30% Chardonnay, 10% Ribolla. Vierjähriger Ausbau der Grundweine im Holz, mis en bouteille 2006, dégorgé à la volée.

Bis auf die nur sehr schwach ausgeprägte Säure ist hier alles richtig gemacht worden, schon das öffnen gleicht einer Zeremonie und dürfte in manchen Restaurants zum Kult werden. Im Auge behalten.

 

VIII. Cascina degli Ulivi

Biodynamisch seit 1985. Italienischer Biodynamie-Pionier, mit einem schönen Portfolio. Bezahlbare Weine voller Leben, die das ganze Streben der Biodynamiker sehr lebendig wirken lassen. Dringende Empfehlung abseits ausgelatschter Pfade!

1. Bellotti Bianco 2008

Diesen Wein aus 100% Cortese gibt es mit zwei unterschiedlichen Etiketten. Das eine weist ihn ganz klassisch als Gavi aus, das andere, sehr fortschrittlich gestaltete, nicht. Ohne Schwefelzusatz. Der Wein selbst ist spritzig, stahlig und viel origineller, als ich gedacht hätte. Keiner von diesen fürchterlichen, austauschbaren Sommersonneterrassenweinen, auch wenn die zitronige Aromatik ihn dafür empfiehlt. Hier merkt man zusätzlich mindestens eine Komplexitätsstufe mehr, was vom Akazienholzfass herrühren mag. Sehr schön.

2. Filagnotti DOCG 2006

Der Wein hat auf dem Etikett einen niedlichen Hundi, bei dem ich von weitem zuerst dachte, es sei ein Eisbär. Die Reifung der hier verwendeten Cortesetrauben in Akazienholzfässern verleiht ihm eine auf Anhieb etwas irriterende Note, die mich erst nicht recht begeistern konnte. Mit mehrmaligem reinschnuppern und annippen gewöhnt man sich daran und findet es am Ende sogar gut.

3. Montemarino 2007

Dieser sehr konzentrierte Wein meldete sich mit einem äußerst appetitlichen Erdnussduft an. Lebhaft und sehr dynamisch war das zitronig-limettige Element, gebändigt nur von einem hölzernen Rahmen. Zu meiner großen Freude glitt der Wein nie ins kitschig eichenüberholzte ab, obwohl er eine ganze Weile darin verbracht hat. Stattdessen Konzentration, Kraftentfaltung und immer, wenn das Holz anfing, sich bemerkbar zu machen, eine neue aufmerksamkeitheischende Duft-, bzw. Geschmackskomponente. Sehr schöner Wein.

4. Bellotti Rosso 2008

Ein Mix aus Barbera (60%) und Dolcetto (35%), sowie 5% unbestimmter anderer Rebsorten. Auchn hier kein Schwefelzusatz und Ausbau in französischer und slowenischer Eiche. Spontangärung versteht sich von selbst. Handzahme, aber nicht zahnlose Säure und nicht sehr viel Gewicht, trotzdem straff genug, um nicht durchzuhängen. Normalerweise kann ich mit Dolcetto und Barbera nicht viel anfangen, weil mir die Weine oft zu gedämpft vorkommen. Das war hier nicht so. Der Wein war beweglich, ansprechend, agil, wie ein sehr gelehriger Welpe bei den ersten Trainigsstunden in der Hundeschule.

5. Mounbè Barbera 2005

85% Barbera, 10% Dolcetto und 5% Ancellotto. Frische Nase mit einem Hauch flüchtiger Säure, im Vordergrund stehen aber dunkelbeerige Aromen, auch eine etwas moosige Note, Haselnuss und Kirsche. Am Gaumen erst etwas Tannin, das angenehm nachfedert. Dann ein, zwei drei Wellen von Früchten, auch der Eindruck, gerade saftigen Kuchen zu essen war kurz da. Dass der Wein für gerade mal 12 € zu haben ist, kommt mir schon fast lächerlich vor.

6. Nibiô Dolcetto 2006

Sellerie und Brühwürfel kriegen erst mit viel Luft die sagenhafte Metamorphose zu Schattenmorelle und Pflaumenmus mit einer Untermalung von Aprikosenkernen hin. Am Gaumen wirkt das dann recht herb und pelzig, dabei sehr lang und über die ganze Länge schwierig, voller Ecken und Kanten, als müsste man einen Rubiks-Würfel im Mund zusammensetzen.

7. Passito

Kirschig, Feigen, Kastanienhonig, das alles kommt sehr dick und konzentriert aus dem Glas. Herbstlich und reif wirkt der Wein und legt sich wie ein Latexbelag an den Gaumen, von wo er dann gar nicht mehr weg will. Besser zum Essen als solo.

Clos de la Coulée de Serrant 1964 – 2008

Degustation Clos de la Coulée de Serrant 1964 – 2008 am 19. März 2010

Weinforum Ruhrgebiet mit Nicolas und Virginie Joly, organisiert von Uwe Bende, dem dafür ewiger Dank gebührt.

 

Opener: Confrèrie des Chevaliers du Tastevin, Chantal Michelot, Meursault 1978

Ein Champagner aus diesem Jahrgang oder zumindest aus dem Bereich plusminus drei Jahrgänge hätte sich sehr ähnlich gezeigt. Als erstes dachte ich tatsächlich an eine 81er Belle Epoque, die verblüffend, bzw. eben doch gar nicht so verblüffend ähnlich schmeckte. Reif und entwickelt, aber noch mit angriffslustiger Säure. Schmeckte mir zum Essen.

 

A. Clos de la Coulée de Serrant

 

I.1 1964

Gleich der Starter im Startflight wäre eine weitere Anreise als die von Essen nach Bochum wert gewesen. Viel verblüffender, als die Champagnerähnlichkeit des Meursault war die Jugendlichkeit dieses doch schon gereift wirken sollenden Serrant-Weins. An Altersmilde, Reife und Mäßigung war jedoch nicht zu denken, der Wein wirkte unwahrscheinlich jutgendlich. Dazu trug sicher die erst bei jüngeren Joly-Jahrgängen abflachende Säure bei – bis 1990 haben die Weine keinen BSA durchlaufen. In der Nase reife, weiche Maulbeere, am Gaumen saftige Moosbeere; Milchkaffee und vereinzelte Toffeeanklänge. Aufmerksamkeit heischend immer wieder die knackige, aber nicht stachlige Säure, von der ich mir vorstellen kann, dass sie vor paar Jahren noch wesentlich aggressiver und anstrengender war. Bis zum letzten Tropfen hell scheinend, klar, transparent und lang. Einer meiner Favoriten des Abends. Punktemäßig bequem bei 94, eher 95.

 

I.2 1977

Schwierig dagegen die Nase des 1977ers. Metallisch und bluttriefend, laut Joly aus einem der schwächeren Jahre. Im Mund angebuttert, mit lebhafter, properer Säure, knisternd karamellig, ja leicht salzig, am Ende etwas herb und insgesamt der schlankste Wein des flights, der alles in allem sehr gehaltvolle und konzentrierte Weine versammelte.

 

I.3 1979

Wiederum anders die Nase des 1979ers. Ein Korb frischer Austern, jede Menge Jod und herbes Meerwasser. Am Gaumen zunächst eine kompromisslose Wiederholung dieses Eindrucks, nur quälend langsam entblättert sich der Wein und lässt eine zarte, nackte Säure schutzsuchend durchschimmern. In zehn Jahren, so auch die Einschätzung von Joly, ist der Wein vielleicht ein bisschen weiter.

 

II.1 1983

Milde, zurückhaltend mineralische Nase, Kinderlakritz und Zitronensaft, aber ohne einen medizinalen Eindruck zu erwecken. Der hellste Wein des flights. Schlank, mit sehr langer, überschiessender Säure.

 

II.2 1985

Dunkler als der 83er, mit metallischer wirkender Nase, im Mund dagegen spannungsvoll, trotz einer gewissen Alkohollast. Mit Luft zeigt sich, dass die runde, noble Säure ein gutes Gegengewicht zum Alkohol abgibt, der Wein schien mir die meiste Komplexität im flight zu besitzen.

 

II.3 1986

Dichte, konzentrierte, dadurch fast schon wieder tümmelige Nase, die zwar mehr zu bieten hat, als der 83er, aber hinter dem 85er zurückbleibt. Dunkelster Wein des flights. Im Mund schöne, weiche Stilistik, buttrig, auch kräuterig, weich und verschmust. Wenn man es so sehen will, kann man das auf die einsetzenden Effekte der Biodynamie zurückführen, ähnlich, nur nicht ganz so verschlafen gab sich bereits der 85er und dieses Stilistik setzt sich in den Grundzügen fort. Gegenüber den harten, daher immer noch sehr jugendlich wirkenden Weinen aus der Zeit vorher haben die biodynamischen Weine an Dignität gewonnen.

 

III.1 1987

Sehr hell nun dieser Wein, den Jahrgang hält Joly für solala. Mir gefiel die ausgeprägte Verbenenaromatik überaus gut, dazu noch Ingwer, mit seiner Mischung aus Schärfe und zitroniger Frische, eine dünne Schicht Kalkpuder darüber, fertig ist die kleine Erfrischung für Zwischendurch.

 

III.2 1988

Dunkler als der 87er dann dieser Wein. Zusammen mit 86, 99 und 2002 ein Jahrgang mit niedriger Hitze, wenig Regen und geringem Ertrag. In der Nase zeigten sich Kräutertee, Fenchel und Sellerie, mit Luft eine schlanke, melissige Zitronigkeit. Mit noch mehr Luft zeigt sich die ganze vollendete Schönheit des Weins, der nach innen wie nach außen sehr konzentriert, aber nicht verspannt wirkt. gegenüber dem 89er eleganter, subtiler, ausdauernder und mit jedem Atemzug frischer Luft immer noch besser und facettenreicher. Mein Liebling in diesem flight und vielen 88er Jahrgangschampagnern nicht unähnlich.

 

III.3 1989

Der dunkelste Wein des flights, laut Joly Jahrgangskonditionen wie 1983. Hier konnte man sich einbilden, einen weiteren Schritt auf der Biodynamieleiter nach oben erklommen zu haben. Jedenfalls zeigte sich der Wein mit einer völlig anderen Aromenstruktur in der Nase. Sehr rotbeerig, wie Rote Grütze oder eine von diesen köstlichen rotschaligen Birnen, weich, aber noch nicht teigig. im Mund derselbe Eindruck von roten Früchten und einer müde werdenden Säure, mit zunehmender Luft geht der Wein leider langsam den Bach runter. Gegenüber dem 88er also etwas schwächer und trotz seines sehr einnehmenden Anfangseindrucks unterlegen.

 

Scampi mit Roter Bete und Brunnenkresse, dazu IV.1 und IV.2

 

IV.1 1990

Anfangs metallisch und verschlossen, mit Luft und zum Essen dann immer runder, intensiver und animierendere Mischung aus alkoholischem Gewicht, Aromenkonzentration und einer das alles tragenden Leichtigkeit. Pendelt sich irgendwo zwischen dem 85er und dem 88er ein. Erster Jahrgang, der den biologischen Säureabbau durchgemacht hat.

 

IV.2 Grivelet Père et Fils, Abzug Vaucher, Chablis 1952

Erinnerte mit seiner metallischen Nase und dem mürbe gewordenen Fruchtfleisch an etwas zu alten Blanc de Noirs Champagner, da war mir der 90er Serrant lieber.

 

V.1 1994

Der spannendste flight war meiner Meinung nach dieser hier. Drei Weine so verschieden wie nur irgend möglich. Der 94er mit einer Zitronen-Kernseifen-Nase, sehr adrett, sauber und hygienisch rein, dabei nicht steril, sondern luftig und stets balanciert. Für mich der Wein der Mitte. Mittlere Säure, mittleres Aroma, mittlere Länge und Konzentration.

 

V.2 1995

In der Nase erstmal nur Bienenwachs, dann eine ganze Abfolge grüner, weisser, roter, gelber Tees. Im Mund zu Beginn Wachs, das sich in Richtung Apfel entwickelt und ein Sträusschen Thymian, Oregano und Pizzagewürzmischung mitnimmt. Mit Luft die schönste Entwicklung im flight und 92+ Punkte sicher wert.

 

V.3 1997

Dieser Kollege aus einem Hitzejahr blendete erst mit reifer, toastiger, röstiger Gaumencourtoisie, schob botrytisverwöhnte weiße Schokolade, Honig, Rumkandis und schokolierte Früchte nach, verzögerte seine Enttarnung sogar mit kecker Acerolasäure, driftete dann aber doch in Richtung Äppelwoi und älteres Nussaroma ab. Sicher ein schmackhafter Wein, insofern mit dem 89er recht eng verwandt, aber gleichzeitig der Wein mit dem geringsten noch verbliebenen Reifepotential, was letztlich wahrscheinlich auf die erstmalig aufgetretene Botrytis zurückzuführen ist.

 

VI.1 Ropiteau Frères Bienvenues Batard-Montrachet 1975

Buttergebräunter Apfel, braune Butter, Honig, etwas Sherry, leichte Alterssüße, insofern schon angealtert, aber noch auf der guten Seite, sogar mit einer röstig-kratzigen Facette, die gut zum Essen passte.

 

VI.2 Olivier Leflaive St. Aubin Premier Cru En Remilly 1996

Mischung aus Erbsensuppen- und Erdnussnase, im Mund dafür reichhaltig, buttrig, mit reifem Apfel und etwas Quittenmus.

 

VII.1 2002

Ein Wein des Lichts, der von einem Wein der Hitze gefolgt werden sollte. Für mich überwiegend mineralisch und jodig, einige frische Austern dürften dabei gewesen sein, die nach und nach mit einer Limetten-Pfeffer-Mischung beträufelt werden. Ein Wein, der sofort Lust auf mehr, viel mehr macht und mit jedem Schluck mehr zeigt. Aus Limette wird Orange, aus Orange entwickelt sich Granatapfel, dank hoher Griffigkeit rutscht der Wein nicht ins Kitschige ab. Einer meiner Lieblinge des Abends und mit Sicherheit auch in den nächsten jahren ein Wein mit viel Potential. Aus dem Stand 93 Punkte mit viel Möglichkeit nach oben.

 

VIII.2 2003

Anstrengende 15,5% vol. alc. zeigt der Tacho an. Die nase bekommt davon erstmal nix mit. Sorglos, zwar nicht leicht, aber munter und apfelig ist der Wein, wie ein gedeckter Apfelkuchen im Sommer. Im Mund wäre mit etwas Prickeln so mancher Winzer an der Côte des Blancs sehr stolz auf diesen Wein. Die Stahligkeit vom Anfang wird leider schnell durch eine alkoholische, auch holzige Art verdrängt, die mich an weissen Portwein erinnert. Baut dann leider schnell in Richtung ältlicher Scotchigkeit ab.

 

IX.1 2005

Erdnussnase. Warm, etwas spritig und etwas schwermütig, vielleicht der richtige Wein für einen Saunaabend im tiefsten winterlichen Finnland.

 

IX.2 2007

Zuckerwattenase mit Toffee, Milchkaffee und Kandis. Am Gaumen hohl, oberflächlich und leer, die ersten Schlucke sind enttäuschend, der Wein so komplex wie eine zerplatzende Seifenblase. Mit Luft gewinnt er dann an Stabilität und fängt sich immer besser ein. Deutlich zu jung.

 

IX.3 2008

Weinig. mit viel Volumen und eingesperrt wirkender Kraft. Gesunde, sehr selbstbewusste Herbe wie exzellenter Birnenschaumwein und mit Luft kommt immer mehr Schwung in den Wein. Kann man jetzt schon mit mehr Freude trinken, als den 2007er, sollte aber noch liegen.

 

B. Burgunderparty

 

X.1 Domaine Baron Chénaud, Remoinesset Père et Fils, Givry 1978

Minzig, leicht balsamisch, Kräutersträusschen, darunter Wildkirsche und ein gelinde wärmender Alkohol.

 

X.2 Flouch Fils Chambolles-Musigny 1917

Kork.

 

X.3 Nuits St. Georges 1945

Duftet wie eine Mischung aus Napoli-Sauce mit getrocknetem Sellerie, Knallbonbon und Brühwürfel; mit süsslicher Note. Liess sich trinken und auf 45 hätte ich ihn nicht geschätzt, war aber wesentlich schwächer als der Clos de Vougeot.

 

X.4 Moillard-Crive(?) Clos de Vougeot 1945

Ein langsam erwachender Riese, oder zumindest Halbriese. Nachdem der sandige, ungelenke erste Eindruck verflogen ist, steht da ein machtvoller, saftiger, sehr fitter Wein im Glas.

 

X.5 Jean-Claude Boisset Beaune Premier Cru Les Grèves 2006

Nussige Nase, Cashewkerne, Mandeln, Erdnüsse. Trankn sich unbeschwert und gut.

 

X.6 Nuits St. Georges 1947

Mandelaroma, Sauerkirsche, glatte, botoxfreie Haut mit einer verschmitzten, ausdrucksstarken Mimik. Jede Filmdiva dieses Jahrgangs kann sich ein Beispiel an dem Wein nehmen.

 

X.7 SA Huet Vouvray Le Haut-Lieu Le Mont Moelleux 1961

Überwiegend nussig und nicht besonders, bzw. schon allzu moelleux.

Rési reloaded – Mit dem Fernseh in der Résidence

Beim Essen gefilmt zu werden ist gar nicht weiter schlimm, wenn man sich seiner Umgangsformen nicht schämen muss, oder wenn es einem sowieso egal ist. Oder aber, wenn das Fernsehteam dank fortgeschrittener Kameratechnik dezent im Hintergrund bleiben und dem sorglosen Schlemmer trotzdem auf die Gabel blicken kann. So war es letzten Dienstag in der Résidence, Essen-Kettwig.

O.1 Amuse Gueule: Frühlingsrolle, Selleriecréme auf Pumpernickel und Walnusscrème im Knusperröllchen

– Die Frühlingsrolle war mundgerecht, dicht, aber nicht zu dicht gepackt und daher angenehm bissfest;

– Die Selleriecrème als Würfel mit ca. einem Zentimeter Kantenlänge auf der Pumpernickelscheibe stand aromatisch im richtigen Verhältnis zum Brot, war mir aber als Kontrast zwischen wabbeliger Crème und festem Brot etwas zu weit auseinander;

– Die Walnusscrème im Knusperröllchen lag wieder auf meiner Wellenlänge, fluffige Crème, die intensiv nussig, aber nicht ranciohaft schmeckte, das Knusperröllchen harmonierte gut.

 

O.2 Gruss aus der Küche: Hummer-Fenchel-Variation

– einmal im Wan-Tan gebacken, mir zu sehr an die Frühlingsrolle angelehnt, aber geschmacklich gut;

– mit Fenchel-Tagliatelle, leicht säuerlich, wie beim Sushi-Rettich, als Appetitmacher ausgesprochen gklug platziert;

– als Tartar war mir der Hummer zu unsichtbar, ich habe ihn lieber in größeren Stücken;

– als gestreifte Terrine wiederum gingen Hummer und Fenchelcrème eine überaus schmackhafte einander spielend leicht ergänzende Kombination ein.

 

O.3 Zweiter Gruss aus der Küche: Tomatenessenz mit Gemüserauten

Das war das Signal für die Geschmacksnerven, die nächsten fünf Stunden unter Höchstspannung zu arbeiten. Die Essenz kam sozusagen als Blanc de Noirs, also nur als weiss abgepresster Saft aus den Tomaten, mit einem leicht rötlichen Schillern und war so konzentriert, so aromatisch, dass am Gaumen die schönste Sommersonne schien.

 

Währenddessen gab es Champagne Robert Moncuit Blanc de Blancs Grand Cru 2004. Am besten schmeckte er zur Frühlingsrolle und zum Wan-Tan-Hummer, auch zum Sellerie-Pumpernickel und zu den anderen Variationen mit Fenchel brillierte der Champagner, auch mit der Tomate hatte der champagner keine Mühe und das, obwohl die beiden sonst als geschworene Feinde gelten. An seine Grenze stiess er jedoch sehr klar, als er es mit der leicht süssen Walnusscrème aufnehmen musste, dafür fehlte ihm das nötige Alter und die dann sich langsam herausbildende nussige Aromatik reifer Chardonnays. Anzulasten ist das nicht dem Winzer, nicht dem hervorragenden Sommelier Herrn Voigt, sondern mir, denn ich hatte den Champagner mitgebracht.

 

I. Zweierlei vom geräucherten Chinook-Lachs mit Topinambur und Wildkräutern, dazu ein 2009er Klüsserather Riesling vom Weingut Kirsten, auf Wunsch der Ehefrau Inge von Geldern durchgegoren

Für einen jungen Riesling war der Klüsserather herausfordernd golden, mit aromatisch breiter Schulter und einem herbsüssen Restzuckerschwänzchen. Zum Topinambur mit seiner süsslichen Aromatik passte das schonmal sehr gut. Aber um den Topinambur ging es nicht, der Riesling sollte sich zum Lachs beweisen. Dessen Filet war wahrhaft königlich. Wer sich auf Empfängen und Buffets beim Lachs immer zurückhält, weil er sich vor den Hormonschleudern aus Aquakultur fürchtet, kann beim Chinook beherzt rein- und zubeissen, der Unterschied ist so groß wie der zwischen altem Badeschwamm und Kalbsbries. Dazu der Reisling und die eröffnung des Abends war gesichert.

 

II. Sautierter Skrei im Feldsalatsud, mit Lardo, konfierter Kartoffel und Senfsauce, dazu Rudolf May, Silvaner Spätlese trocken "RECIS" 2007

Kabeljau, bzw. eben Skrei ist und bleibt ein schmackhafter Fisch, den früher nur Kinder, Engländer und arme Leute gegessen haben. Daraus einen schmackhaften Gang zu kreieren, geht so: Den Kabeljau mit guter Butter auf der Haut anbraten, einen nur optisch draufgängerischen, aromatisch dafür umso delikateren Feldsalatsud zubereiten, der sich mit einer nicht zu senfigen Senfsauce optimal für das zarte Skreifleisch eignet, fertig. On top kam dann noch der leicht knusprige Lardo mit der konfierten Kartoffel und ganz on top der Silvaner von Rudolf May, der wie massgeschneidert für diesen Gang war.

 

Z.1 Den Übergang machte ein zartfaseriges, nussig-aromatisches, gesundfleischiges Bäckchen vom Ibericoschweinderl auf gebratener Tomate. Dazu tat der Silvaner weiterhin gut und zeigte bei aller Konzentration und Tiefe willkommene Durstlöscherqualitäten.

 

III. Langostino mit karamellisiertem Blumenkohl und Trüffelscheiben, Frühlingsmorcheln und Dörraprikosen, dazu Domaine de Chatenoy, Menetou-Salon, Cuvée Pierre-Alexandre 2007

Wenn ich Menetou-Salon höre, stelle ich mir unwillkürlich immer eine seltsame Mischung aus dem Sioux-Häuptling von Karl May und dem Spitzenchampagner aus dem Hause Laurent-Perrier vor. Einen champagnerschlürfenden Indianer also, was irgendwie nicht passen will. Was jedoch sehr gut passt, ist Langostino und dieser Wein. Der war nämlich erst ganz sachte pfeffrig und andeutungsweise holzig, entwickelte eine kühl buttrige, ja speckige, auch ein wenig burgundische Stilistik, blieb lang, kühl und ohne Säure im Mund, so dass er mich von seinem ganzen Wesen an ein in dunklen und kühlen Regionen des Meeres herumwanderndes Krustentier erinnerte. Butter, Speck und Pfeffer riefen den Langostino leibhaftig auf den Plan und die zutage getretene Seelenverwandtschaft war das reinste Freudenfest, gekrönt noch von dem konzentrierten Dörraprikosengeleewürfel, von dem ich mir zu jedem Happen vom Langostino eine mikrometerdünne Scheibe herunterschnitt, wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war, mich an der Kombination der Geleescheiben mit Blumenkohl und Trüffel zu laben.

 

Z.2 Vor der Jakobsmuschel gab es noch Pulposalat mit Brunnenkresse, die den Gaumen wieder etwas klärten, was vor allem an der reinigenden, auch den Appetit wachhaltenden Schärfe der Brunnenkresse lag.

 

IV. Jakobsmuschel mit Kirschtomate, Kräuterfocaccia und Basilikumkresse, dazu Kruger-Rumpf Blanc de Noirs vom Spätburgunder, Spätlese trocken 2008

Kruger-Rumpfs 2008er Grosse Gewächse gehören zu meinen Lieblingen dieses Jahrgangs. Grosse Freude war deshalb gesichert, als Herr Voigt den Blanc de Noirs von Kruger-Rumpf vorschlug. An diesem Gang gefiel mir am besten die Basiliumkresse, die der Jakobsmuschel zusammen mit der Kirschtomate zu einer lebendigen Aromatik verhalf. Wie erwartet sehr gediegen dazu der Blanc de Noirs, dem es gelang, die entlegeneren Aromen der Kräuterfocaccia herauszukitzeln.

 

V. Medaillon und Tartar von der Gelbflossenmakrele mit Erbsenallerlei, dazu Churchview Estate, Margaret River unoaked Chardonnay 2007

Das Medaillon von der Gelbflossenmakrele war einer der Höhepunkte des Menus. Besser hätte man es nicht zubereiten können, das relativ feste Fleisch hätte schon für sich allein stehen können und genau deshalb habe ich es getrennt von den Beilagen genossen. Der Chardonnay dazu war mir leider zu lasch, ich wüsste aber aus dem Stand auch nicht, was mir ausser Sake oder Pils besser hätte gefallen können.

 

VI. Cherry Valley Entenbrust mit Rote-Bete-Ravioli, Pak-Choi und Belugalinsen, dazu Domaine de la Martinelle (Beaumes de Venise) Rouge 2008

Ein anderer Höhepunkt des Mahls war der Entengang. Auf die Garkunst von Henri Bach ist Verlass, so dass ich das Entenfleisch nicht noch weiter belobhudeln will. Worauf es mir hier im Gegensatz zur Makrele ankommt, ist die Kunst der Beilage. Das Türmchen von der Roten Bete und der kleine Ravioli mit Roter-Bete-Füllung waren trotz ihrer ja eigentlich erdnahen natur zusammen mit der Ente dem Himmel schon sehr nah. Die Reise wäre aber nicht anzutreten gewesen ohne den roten Beaumes de Venise, eine Gegend, aus der ich bis dahin nur Süssweine getruinken habe. Allein hätte mir dieser Rotwein auch gar nicht geschmeckt, fruchtig war er, erdig, trocken, nicht uncharmant, etwas mehlig, sehr bodennah. Flügel wuchsen ihm erst, als er der Kombination von Ente und Roter Bete den letzten Schliff gab.

 

Wenn mir in einem Restaurant die Sauce besonders gelungen erscheint, dann nehme ich davon gern ein Espressotässchen für den Sologenuss. Hier musste ich ein Tässchen mit dem sensationellen Sesamjus haben, das ich in winzigen Schlückchen zusammen mit dem schon ganz irrational gut dazu passenden Beaumes de Venise wegschlürfte. Perfekt war an dieser Sauce alles, hervorheben muss ich die einzigartige Konsistenz der Sesamkerne. Die waren exakt bissfest, nicht mehr mehlig oder hart, aber auch noch nicht durchgeweicht und matschig, auch keine Abstufung irgendwo dazwischen, sondern exakt auf den Punkt. Sowas macht mich als Sesamfreund glücklich.

 

VII. Geschmorte und kurzgebratene Short Rib vom Angus-Rind mit Poweraden und Perlzwiebelpurée, dazu Côtes de Bourg, Château Falfas "Le Chevalier" 2005 ca. 2/3 Cabernet-Sauvignon und 1/3 Merlot von achtzig Jahre alten Reben, biodynamisch erzeugt

Dieser Wein scheint mir nicht geeignet, im Alleingang den Ruf einer in Vergessenheit geratenen Appellation zu restaurieren. Dazu erscheint er mir zu außergewöhnlich und untypisch für die Region, die ich aber – im Vertrauen – gar nicht besonders gut kenne. Zum geschmorten Rind, das ich mühelos noch Stunden lang hätte essen können, machte sich das Perlzwiebelpurée besonders gut, zum gebratenen Stück gefiel mir die Babyartischocke, deren Name so frappierend an ein isotonisches Getränk erinnert, besser.

 

VIII. Wölkchen von der Passionsfrucht, Sesamkrokant, Kokosnusseis und Zuckerblüte, dazu eine 2006er Riesling Beerenauslese von der Disibodenberger Klostermühle

Zum Passionsfruchtwölkchen hätte ich zu gerne und ganz gegen meine Gewohnheit und Vorliebe eine ältere Fleur de Passion von Diebolt-Vallois getrunken. Herr Voigt hatte aber eine – wahrscheinlich – bessere Idee. Er trug den Hauswein der großen deutschen Energierechtskanzlei Becker Büttner Held auf, deren Namenspartner Christian Held steht hinter diesem Weingut. Dass die Kollegen nicht nur etwas von Energie- und Infrastrukturrecht verstehen, wird schnell klar. Sonntägliches Toastbrot mit dick Butter und Honig drauf, dazu ein schöner Ceylon-Tee – oder ein Schluck vom Disibodenberger, dessen galoppierende Säure nach einem längeren Mahl jeden Schnaps ersetzt. Für das Passionsfruchtwölkchen war das schon eine Herausforderung, Sesamkrokant und Kokoseis dagegen verstanden sich auf Anhieb blendend mit dem Wein.

 

IX. Pitahayacrème mit Knallbrause, weißem Kaffeeeis und Schokobecher

Peta Zeta heisst die Knallbrause. Nun weiss ich es endlich, werde es mir aber wiederum nicht merken können, fürchte ich. Zur Pitahaya, die zu meinen Lieblingsfrüchten gehört, passte sie, so wie sie zu fast allen Desserts gut passen mag. Die Pitahayacrème war indes sehr delikat, mir wäre sie ohne Knalleffekt lieber gewesen. Auch Wein mochte ich dazu nicht kombinieren. Das konnte man schon eher mit dem weissen Kafeeeis machen, das sich ebensogut allein schön wegschlotzen liess. Der Schokobecher, so winzig er letztlich war, kam mir zu dem Zeitpunkt schon sehr mächtig vor. Zur BA passte er besser, als Pitahaya und Kaffeeeis.

 

X. Himbeertörtchen, Orangen-Brombeer-Törtchen, Physalistörtchen und Chilipraliné

Die Törtchen wollte ich eigentlich gar nicht mehr. Zwei Dinge brachten mich dennoch dazu, davon zu probieren. Einerseits: die völlig absurde Überlegung, wenn ich etwas frisches, fruchtiges nehmen würde, hätte das vielleicht eine erfrischende Wirkung und ich könnte mich danach noch dem Käse zuwenden. Andererseits: ausgerechnet die angebotenen Sorten gefielen mir alle sehr gut, einzig die Schokotrüffeltorte liess ich aus. Vielleicht hätte ich davon ein Stückchen nehmen sollen, die Törtchen waren überzeugend. Himbeere, wie ich sie aus meiner Kindheit in Erinnerung habe, Brombeeraroma wie von den Sträuchern die damals direkt neben den Himbeeren standen, Physalis und Orange, die gute Laune verbreiten. Völlig überrumpelt vom plötzlichen Ende meiner gastrointestinalen Aufnahmefähigkeit musste ich auf den Käse dann leider verzichten und trollte mich rüber in den Club B. Und was sich dort noch ergab, darüber bald mehr an dieser Stelle und in der Champagnerdepesche!

Bio-Champagner verkostet – Teil II

VIII. Benoit Lahaye, Champagne Benoit Lahaye

Grundweine:

1. Les Monts de Tauxières

Pinot-Noir aus dem Holzfassl. Voll und weinig, mit viel profilgebender Säure und einem Duft wie in der Sauna nach dem Aufguss.

 

2. Les Grosses Pierres

Pinot-Noir und Chardonnay von achtzig Jahre alten Rebanlagen. Sehr anstrengend. Steine, Steine, Steine, nichts als Steine, darunter auch ein paar Feuersteine. Dann auch noch die viele Säure und das ganze in einen Aromenmantel klassischen Zuschnitts gesteckt – ich bin auf den Champagner gespannt.

 

3. Bouzy Rouge 2009

Herb, mit einem leichten Restprickeln. Erinnert an abgestandene Cherry Coke.

 

Champagner:

1. Rosé de Macération 2007

Reife Kirsche, die ich ja schon vom Bouzy Rouge kannte, nur eben nicht als Colanorgerl, sondern in einem duftigen Kirschkuchen verarbeitet, der ganz ohne Schokolade auszukommen scheint. Im Mund noch sehr aggressiv und sauer und noch – oder vielleicht für immer? – kein Spassgewächs.

 

2. Brut Nature Grand Cru

90PN 10CH. 2007er Basis, mit 2006er und 2005er. Bromjodidnase, erinnert an Krankenhausflur. Im Mund sehr viel schlanke Säure, Geschmack von sehr gutem Verjus. Griffig, mit Apfelpektin, erst gegen Ende leicht mürbe.

 

3. Coteaux Champenois Bouzy Rouge 2007

Am Samstag zuvor gefüllt; nicht unproblematisch. Nussig, mit Kirsche, aber auch einer Tendenz in Richtung Eichelpudding und Pinzgauer Käse.

 

IX. Vincent Laval, Champagne Georges Laval

Wenn es eine lebende Vorlage für Kapitän Haddock aus Tim und Struppi gibt, dann ist es Monsieur Laval. Der hat seine 2,5 ha am Fuss der Abtei von Hautvillers, im schönen Cumières. So wie Kollege Bliard überlässt auch Laval der Natur die Entscheidung darüber, ob seine Weine einen BSA durchlaufen, oder nicht. Jedenfalls steckt er sie gern ins 300l-Fass, wo sie sich wohlzufühlen scheinen.

 

Grundweine:

1. Chardonnay Les Chênes Premier Cru 2009

Kein ganz so saures Kaliber wie die Mesnilchardonnays, aber mit Ambitionen in diese Richtung. Klassisches Format, das hohe Erwartungen schürt.

 

2. Pinot-Noir Les Hautes Chèvres Premier Cru 2009

Fein gemahlene Haselnusssplitter und viel unterlegte Säure. So könnte Hanuta für Erwachsene schmecken.

 

3. Cumières Rouge 2009

Veilchen, Rosenblätter, alles, was floral ist. Sonst eher kurz, dafür griffig.

 

Champagner:

1. Cumières Premier Cru Brut Nature

2006er. 50CH 25PN 25PM. Dégorgiert im Mai 2009 und damit einer der wenigen schon eingegliederten Champagner. Für einen Brut Nature schon recht schmeichelhafte, beinahe handzahme Aromatik, ganz ohne Kaktusgefühl am Gaumen. Gleichzeitig herb, mit Verbene und Zitronenmelisse unterlegt, wie sich vor allem mit mehr Luft zeigt.

 

2. Cumières Premier Cru Brut Nature 2002 en Magnum

Derselbe Mix wie der 2006er, im Februar 2009 dégorgiert. Fein, weich, haselnussig, mittelgewichtig. Ich bin mir nicht sicher, ob der Champagner jahrgangstypisch ist oder ob sich hier schon ein Magnumeffekt bemerkbar macht. Mit Luft zeigt er sich durchweg schlank, am Zungenrand teilweise fast wässrig, im Kern dagegen konzentriert.

 

3. Les Chênes Premier Cru Brut Nature 2004

100CH. 1776 Flaschen gibt es von diesem Stoff, das ist immerhin genau doppelt so viel, wie es noch vom 2002er gab. Der erste Schluck war trocknend und sandig, beim zweiten Schluck blieb noch das Gefühl, als würde der Gaumen mit einem Frotteetuch abgerubbelt, der dritte Schluck hätte eigentlich schon das rohe Fleisch freilegen müssen – aber siehe! Nichts dergleichen, sondern eine balsamische, an Marillenkernöl erinnernde, leicht apfelige, kühl-minzige und glatt auslaufende Chardonnayigkeit, die ich nicht erwartet hätte kam zum Vorschein. Ungewöhnlicher Start für einen bilderbuchmäßigen Blanc de Blancs, der mit jeder Minute immer noch eine Schippe mehr auflegte; beobachten, bzw. reifen lassen und nicht zu kalt trinken!

 

X. David Léclapart, Champagne David Léclapart

Im Vorfeld für mich bereits ein Highlight der Verkostung war der Champagner von Leclapart. Juhlin hat volle 98 Punkte für den 2004er Apôtre gegeben und nicht nur er gehört zu den Umjublern dieses völlig unselossemäßigen Winzers mit gerade einmal 3 ha in Trépail. Die Champagner sind immer Blanc de Blancs, tragen stets ihren Jahrgang mit Stolz, durchlaufen die malolaktische Gärung und werden nicht dosiert.

 

Grundweine:

1. Amateur 2009

Die Trauben der zugrundeliegenden Parzelle waren komplett im Stahltank. Der Wein schmeckt sehr mostig, wirkt etwas steif, wie ein zu grell angestrahltes Kunstwerk wird hier der nackte Chardonnay zur Schau gestellt und klingt herbbitter aus.

 

2. Artiste 2009

Der Grundwein von zwei Parzellen war halb im Fass und halb im Tank. Hier macht sich eine erste individuelle Regung in Form frischer Säure bemerkbar, sonst bleibt der Grundwein schwierig, ebenfalls sehr mostig und seltsam unnatürlich, wie unter dem Vergrößerungsglas.

 

3. Apôtre 2009

Grundwein von nur einer Parzelle, der komplett im Holzfass war. Dabei handelt es sich um ca. 15 Jahre alte, mit Puligny belegte Fässer. Sehr viel Kraft und Frische kommt da durch, holzig im Sinne der typischen Holzfassaromatik wirkt der Wein keinesfalls, auch nicht wirklich burgundig, vielmehr am Ende leicht metallisch.

 

Champagner:

1. Amateur 2006

Wenn ich nicht gewusst hätte, dass der Amateur kein Holz gesehen hat, hätte ich schwören können, dass diese warme, buttrige Tönung vom Holz kommt. Wie Milchschaum füllt der Champagner den Mund aus und setzt am Gaumen seine Spotlights, die im Gegensatz zum Grundwein nichts grelles mehr haben. In dieses warme, sehr gediegene Ambiente hinein knallt dann eine brettharte, nicht endenwollende Attacke vom Chardonnay und lässt einen verblüfften Trinker zurück. Daran ändert auch ein zweites und drittes nachprobieren nichts, dieser Champagner ist kompromisslos und ein wenig rätselhaft. Wieder ein Kandidat für die Langstrecke.

 

2. Artiste 2005

Ganz anders dagegen ist der Artiste. Langsam, säureärmer, weiniger, in sich geschlossener. Trotz des teilweisen Holzfassausbaus riecht und schmeckt der Artiste überhaupt nicht holzig, nur der leicht salzige Schmelz könnte das Fass verraten. Gleichzeitig ist dieser dezente, Neugier weckende Schmelz nicht stark genug, um sicher auf Holz zu tippen, er könnte auch ganz andere Erklärungen haben. Und so kreisen die Gedanken um den Schmelz dieses Champagners, der eigentlich gar nicht so sehr die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will, mit seiner ruhigen und diskreten Art aber dennoch im Mittelpunkt steht.

 

3. Apôtre 2004

Das Flaggschiff der Kollektion erinnert anfangs entfernt, wirklich entfernt an die Champagner von Vilmart. Völlig unaufgetakelt und ohne Tamtam kommt der Wein daher, ist weinig und rund, hat fassweise beste Sahne an Bord, gute Butter ist dabei, aber – und das erweist sich bei der Verkostung als schwierig – auch ein halbes Kalkgebirge. Dass aus diesem Kalkgebirge kein Steinbruch wird, sondern Skulpturen von höchster Plastizität und Originalität, daran besteht kein Zweifel. Ich frage mich nur: wann? Denn im Moment ist der Wein zwar erkennbar gross, aber noch so unübersichtlich und bei allem Vorschusslorbeer so schwierig, dass ich ihn jetzt lieber noch nicht beurteilen möchte.

 

XI. Pascal Leclerc, Champagne Leclerc-Briant

Pascal Leclerc-Briant macht immer BSA mit seinen stahltankvergorenen Weinen, weil der Wein dadurch eine höhere biologische Stabilität erhält und weniger Schwefel braucht. Seine Champagner liegen deshalb zwischen 6-7 mg/l SO2. Soziales Engagement ist ihm ebenfalls nicht fremd: auf dem Weingut arbeitet er mit einem Resozialisierungsprojekt für Menschen in schwierigen Verhältnissen zusammen.

 

Grundweine:

1. Cuvée de Reserve 2008/2009

Dieser buttrige Wein wirkte wie eine leere Zuckerwattemaschine, in die jemand paar Marshmallows hineingeworfen hat. Null Säure. Ging so.

 

2. Chardonnay La Croisette Epernay 2009

Hier dann der reinste Chablis Premier Cru Montée de Tonnerre. Herb, kalkig, leicht fruchtig mit Apfel-Birne-Marille.

 

3. Pinot-Noir Les Quatrièmes Verneuil 2009

Dieser Weinberg liegt weit, weit im Westen, praktisch schon auf dem Flughafen Charles de Gaulle. Auch dieser Wein war buttrig, zeigte etwas Kirsche, aber sonst wenig Frucht, klang minimal salzig aus und machte dann die Vorhänge wieder zu.

 

Champagner:

Die teils braune Etikettenfarbe hat Pascal Leclerc-Briant gewählt, weil sie der Bodenfarbe im Erntegebiet entspricht, Champagner mit grünem Etikett sollen hingegen biologische Frische und dynamisches Auftreten ankündigen.

 

1. La Ravinne Brut

2006er und 2005er, Blanc de Noirs von Pinot-Noir aus Verneuil, mit 6 g/l dosiert, wie die folgenden Champagner von Leclerc-Briant im Dez. 2009 dégorgiert. Aromtaisch schwer zu fassen, mineralisch und kalkig, auch mit etwas Frucht und wenig Säure, wirkte ausdrucksschwach, düfte aber einfach nur zu kalt gewesen sein.

 

2. La Croisette Brut

Blanc de Blancs, daher mit grünem Etikett -> Frische. Basis hier wieder 2006 und 2005, Dosage betrug 5 g/l. Waldmeister machte sich bemerkbar, ausserdem viele andere grünliche aber nicht unreife Noten. Säure habe ich nicht wahrgenommen, dafür wirkte der Champagner über die ganze Länge bemerkenswert frisch, auch kräuterig und sauber. Meiner Meinung nach zu jung.

 

3. Cuvée de Reserve Brut

70PN 30CH aus 06, 05 und 04. Mit 8 g/l dosiert. Dieser Champagner sagte mir gar nicht zu, weil er nur Anklänge von Lakritz zeigte und danach sofort die Schotten dichtmachte. Keine große Länge, keine kauzigen Eigenheiten, keine Schrullen, nichts. Zwiwschenfazit: keinesfalls jung trinken und sich langsam annähern.

 

XII. Bruno Michel

Grundweine:

1. Chardonnay Premier Cru Pierry 2009

Sehr chardonnayig, mit einem Eindruck wie von trockenen Holzspänen, überhaupt viel trockenem Holz, bei stachliger Säure. War witzigerweise gar nicht im Holz.

 

2. Pinot Meunier aus Moussy 2009

Grapefruit, exotische Früchte, Säurearmut lassen den jungen Meunier erkennen.

 

3. Rosé 2009

80% Pinot Meunier de Saignée mit 20% Chardonnaystillwein, also praktisch ein verkehrt herum gemachter Rosé d'Assemblage. Der Wein wurde klar vom Chardonnay dominiert, war aber nicht kratzbürstig, sauer oder übertrieben buttrig, sondern von einer prinzessinnenhaften, nur minimal zickigen Schmiegsamkeit.

 

4. Cuvée Blanche

Je hälftig Meunier und Chardonnay, zu 70% aus 2009, zu 30% aus 2008 und aus altem, ca. fünfzehn bis zwanzig Mal belegten Barrique. Mild, weinig, nicht wirklich säurearm, aber mit einer verdeckt operierenden Säure, die nicht an der Zungenspitze angreift, sondern nach dem trinken am Gaumen.

 

Champagner:

1. Cuvée Blanche Brut

Aus der Cuvée von Grundwein 4. Mit 8 g/l dosiert. Kleiner Waldbodenstinker, milde, morchelige Pilzaromen, elastische, gegenüber dem Grundwein sehr aparte Säure.

 

2. Cuvée Blanc de Blancs Premier Cru

2006er. Auch hier ein Stinkerle, das jedenfalls nicht vom Holz stammen kann, denn der Grundwein kommt aus dem Stahltank. Recht bald nach dem allerersten Eindruck öffnet sich ein gelbfruchtiges, von angemessen unterstützender Säure getragenes Bouquet, das sehr stark für Pierry-Chardonnay spricht.

 

3. Cuvée Rosé

Andouillette-Champagner. Beim ersten reinschnuppern meinte ich, gleich würden die berühmten Würstl aufgetragen, dann wich der charakteristische Innereienduft einer stahlig-rotfruchtigen, dabei schlank angelegten und verdauungsfördernden Cuvée mit hohem Trinkbarkeitskoeffizienten. Diesen Champagner würde ich jedem empfehlen, der erstmals in seinem Leben Andouillettes bestellt und etwas zum runterspülen braucht, bzw. einen Champagner sucht, dessen Aromatik mit dem Würstlduft versöhnt und sogar Lust drauf macht.

 

4. Cuvée Rebelle Extra Brut

2006er Basis. Je hälftig Chardonnay und Meunier von vierzig Jahre alten Reben, mit 2 g/l dosiert. Sehr griffiger, mit Tannin ausgestatteter Champagner, der lang am Gaumen bleibt und dort ich-weiss-nicht-was bekämpft, das aber mit Inbrunst.

 

XIII. Franck Pascal

Grundweine:

1. 80CH 20PN

Ob Monsieur Pascal da wirklich Chardonnay drin hat, oder ob er versehentlich die Salzsäure aus dem Chemiebaukasten seines Sohnes erwischt hat – ich bin mir nicht sicher. Scharf, brennend und rachenreinigend schmeckte der Grundwein jedenfalls.

 

2. 60PM aus 2008 und 20PM + 20PN jeweils aus 2007

Spontanvergoren, ohne Klärung, Schönung, Filterung und völlig ohne Schwefelzusatz. Dieser Wein strotzte vor Pfeffer und Muskat, hatte wie sein Vorgänger eine hohe Säurelast zu tragen, die ihn zur Essenz einer Limonen-Pfeffer-Sauce machte. Er wirkte dennoch viel ausgeglichener und schien, vielleicht wegen seines Reserveweinanteils, sich insgesamt auf einem guten Weg zu befinden.

 

3. Chardonnay sur argiles à calcaires dur

Der drite Säuerling im Bunde, zusammen mit Grundwein 2 liess er die besten Ambitionen erkennen.

 

Champagner:

1. Sagesse

57PM 38PN 5CH. Sans Dosage.

Naiv und mit dickem Pinselstrich angemalte Etiketten sind in der Champagne derzeit Mode. Überhaupt nicht naiv, sondern von brachialer Kraft und urschreistarker Säure war der Sagesse. Von der auf dem Etikett angekündigten Tugend ist dieser Champagner noch sehr weit entfernt, aber vielleicht hat sich Monsieur Pascal bei der Namenswahl nur am Euphemismus für die Erinyen als Eumeniden orientiert.

 

2. Tolérance Rosé

Aus Assemblage entstanden, bilden 96% Sagesse und 6% Pinot-Noir + Pinot Meunier die Cuvée. Immerhin sind hier als Referenz an den Namen der Cuvée großzügige 6 g/l Dosage enthalten. Weich und lang wirkt er dann im Vergleich mit dem puren Sagesse, aber am Ende auch etwas zehrend und lakritzig.

 

3. Harmonie Mill. 2005

100PM von vierzig Jahre alten Rebanlagen, mit 3,7 g/l dosiert. Ein merkenswerter Meunier, leicht und fruchtig, wie Meunier sein soll, aber mit einer für alte Reben typischen Konzentration und Besinnung auf den Rebsortenkern. Leider gegen Ende wieder etwas zehrend, wie ich es sonst nur von zu trockenem deutschem Sekt kenne.

BESbswyBESbswyBESbswyBESbswy