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Champagnemelomanie

Champagner ist der musikalischste aller Weine. Zwar gluckert er nicht so vernehmlich ins Glas, wie dicker Rotwein. Aber er plätschert lustig wie die Forelle im Wildbach hinein und seine zerplatzenden Perlchen flüstern einem kitzelnd kleine Schweinereien in das Ohr, wenn man es nahe genug dranhält. Nicht ganz ohne Grund haben in jüngerer Zeit Champagne Sélèque, Apollonis oder schon seit längerem Herbert Beaufort mit seiner Cuvée Mélomane, musikalische Cuvéenamen. Dreht man Musik laut auf, kann man damit sogar Duodezpotentaten wie einst Manuel Noriega aus der Obhut des apostolischen Nuntius locken und in Haft bringen. Mehr als Grund genug, den Champagnertrunk in eine Playlist zu übersetzen.

Die fängt mit der schlimmen Musik von Flach- und Wirrkopf Varg Vikernes an, wobei mit Flachkopf nicht die unter anderem schon oder noch von Rudolf Virchow den Ariern nachgeraunte Dolichozephalie gemeint ist: Burzum (Dunkelheit) und Unleashed (To Asgard We Fly) gehören auf den ersten Blick nicht zu den Verfertigern direkt lebensbejahender Musik. Trotzdem darf und soll man dazu Champagner trinken. Weil: Champagner lebt selbst von verschiedensten Gegensätzen, vom schwarz und weiß der Trauben, vom Ausgleich zwischen den Temperamenten, Luxusgetränk und Bordellbrause uswusf. Und da er also ganz am Ende auch jeder anstrengen Stillweinprobe die Funktion des großen Versöhners innehat, öffnen wir aus dem Hause Jacques Selosse die Parcellaires „Bout du Clos“ aus Ambonnay Grand Cru und „Côte Faron“ aus Ay Grand Cru. Den „Côte Faron“ kennen ältere Selosse-Fans noch als Solera unter dem Namen „Contraste“ und haben vielleicht sogar beneidenswerterweise noch etwas davon im Keller; beide Champagner sind Blanc de Noirs, beide sind röhrend und stark, beide so planetarisch, dass zugespitzte Extremismen aller Art kleinlich und belächelnswert daneben wirken.

Nach einem doch so unerwartet friedfertigen Einstieg hören wir uns von Slapshot feinsten Bostoner Hardcore an: Back on the Map, danach High Hopes von den Gorilla Biscuits, bevor es zu den Toy Dolls geht, bei denen es gleich mehrere Stücke sein dürfen, nämlich: H.O., Do You Wanna Be Like Dougy Bell und If You’re In A Pop Group You’ll End Up Paying A Fortune Practising at Peter Practice’s Practice Place. Allen gemeinsam ist der leicht brabbelige Bass wie von der subtil-eleganten doppelflutigen Auspuffanlage meines Autos (Assitaste sagen nicht ganz zu Unrecht die Verächter zum Sport+ Modus in der Mittelkonsole, zum Wegschieben des Auspuffkläppchens). Mit The Exploited, Son of a Copper, beenden wir vorerst den neuzeitlichen Teil unserer Playlist, deren Einführung freundlich begleitet wurde von Noel-Bazin „L’Unanime“, einer mit 10 g/l dosierten Chardonnay-Solera aus der Montagne de Reims und „La Douceur“, der mit 28 g/l dosierten Version, die den Musikstücken ein wenig von ihrer Härte nimmt. Zu den Toy Dolls darf es der „Blanc de Blancs Extra Brut“ von Antoine Bouvet aus Mareuil-sur-Ay sein, der ist jung, gutgelaunt, unverbildet und bringt dennoch die ganze Kraft 60 Jahre alter Reben ins Glas. Zum Kracher von Exploited halte ich die „Cuvée Préembulles“ von Lionel Carreau aus Celles-sur-Ource für würdig. Das anarchistische Moment dieses Champagners liefert der Anteil Pinot Blanc, sonst ist alles ganz gediegen.

Albin Paulus, der außerhalb seiner praktisch nur aus ihm selbst bestehenden Zunft kaum bekannte Maultrommelvirtuose hat mit dem Ensemble Baroque de Limoges vier kleine Stückchen vom längst vergessenen Johann Georg Albrechtsberger vertont, die sehr gut als Inspirationsquelle für The Prodigy und, auf dem Wobblephone gespielt, auch für das Hilight Tribe Album Live in India hätten dienen können. Zu Albrechtsberger jedenfalls passt ganz klar der mit dem Album namensgleiche „Entre Ciel et Terre“ von Francoise Bedel, die ja selbst als eine der ersten in der Champagne Kuriositätenpflege, bzw. biodynamischen und auf Meunier konzentrierten Weinbau am Westrand der Appellation betrieb. Musik und Champagner gehen hier eine chthonische Verbindung ein, zu der Mahlerfreunde dessen Titanensymphonie Nr. 1. in D-Dur den Vorzug geben mögen. Die rare „Cuvée Robert Winer 1996“ mit ihrem gewaltigen Säurebums würde ich zu Prodigy (Voodoo People) einfüllen und den Indientrip mit Bedels „Dis, Vin Secret“ begleiten, es sei denn, es wäre wider Erwarten noch etwas vom psychedelischsten Champagner da, den ich kenne: Dufour „Jaune ohne Bulles Blanc de Blancs 1988“.

Aus transzendenten Sphären zurückgekehrt, geht es klassisch weiter mit Cecilia Bartolis Un Pensiero Nemico di Pace, an Atemlosigkeit und trotzig-gerechter Wildheit kann es nur Davy Dosnons „Ephemère“ aus 100% Meunier mit diesem großartigen Stück des zur Zeit seiner Komposition wohl noch scharfäugigen Händel (HWV 71) aufnehmen. Andreas Scholl wandelt mit Händels Al Lampo dell’Armi auf den Spuren von Julius Cäsar in Ägypten, dazu gehört schon wegen der Nähe zum Roten Meer das genaue Gegenkonzept zum lässigen poolside Rosé: der blutrote „Rubis de Noirs“ aus dem Hause Leclerc-Briant, von mir aus, wer noch hat, gerne auch einen von Jacquessons „Terres Rouge“ oder der „Saignée de Sorbée“ von Vouette et Sorbée, allesamt sanguinisch bis dorthinaus. Phonetisch zu Leclerc-Briant passend hören wir im Anschluss den händelgeschulten Vito Priante als Vivaldis lang verschollen geglaubten Motezuma so drängend wie berechtigt fragen: Dov‘è la Figlia? und sinnieren bei einem Gläschen der dauerunterschätzten, in der Gastronomie zum Glück oft günstig bepreisten und langlebigen „Femme de Champagne 2000“ aus der besonders dickbäuchigen Magnum von Duval-Leroy darüber, bevor Angelika Kirchschlager ruhig auch außerhalb der von Bach zugehörig gedachten Jahreszeit anordnen darf: Bereite Dich Zion (BWV 248). Bach hätte bei Fertigstellung des Weihnachtsoratoriums im Jahr 1734 wahrscheinlich etwas aus dem wenige Jahre (1729) vorher gegründeten Haus Ruinart getrunken, wenn er katholisch gewesen und sich etwas aus Sprudel gemacht hätte – dann hätten wir aber möglicherweise seine Fassung der 124 Jahre später von Johann Strauss Sohn geschriebenen Champagner-Polka zu hören bekommen, die trotz allem und nicht umsonst in der Form des Scherzo u.a. ihrem Widmungsempfänger, Finanzminister Bruck, durchaus ewige Wahrheiten verkündet (Mir is alles ans, mir is alles ans, ob i an Geld hab oder kans). Champagne Taittinger, tatsächlich im Jahr 1734 gegründet, würde gleichwohl mit dem aktuellen „Comtes de Champagne 2006“ eine äußerst würdige und, sozusagen als Kreuzfahrerchampagner, zumindest auf die Alterung bezogen sogar recht wehrhafte Alternative bieten.

Weniger christlich geht es nun bei Baba Haft zu. Haftbefehls Lass die Affen aus dem Zoo kann sinnvollerweise nur von einem Champagner begleitet werden, der genauso schiebt wie Hafti selbst. Ich tendiere zu Jean Laurents „Fleur de Celles“. Als ich den das erste Mal trank, dachte ich, mir greift jemand in den Hals bis zum Magen und knautscht den rhythmisch zusammen. Ziemlich wilde Brause also und ein Erlebnis, als hätte man soeben das Schlumpfdorf gefunden. Gemütlich kommt danach Xatar mit Original, bzw. nicht immer ganz einfach zu verstehendem Text und genauso ist auch der Champagner dazu: Michel Marcoult aus Barbonne-Fayel im Sézannais, dessen „Gamme Authentique“ Champagnerspaß für Negronitrinker und echte Pick-up Profis bietet. Ob die Prophets of Rage damit zu begeistern sind, weiß ich nicht. Der Mikrochampagner “La Parcelle: Le Bouc” von Chevreux-Bournazel könnte aber meiner Vorstellung nach selbst den härtesten Dauerkiffer für Champagner gefügig machen, was an seiner von mir zumindest eingebildeten grasigen Note liegt. Leichter stelle ich mir das Bekehrungswerk bei Harry Shotta (Back 4 More) oder Baron von Alias/Big Beat Bronson (Get Wild, Gan Mental) vor, die mit einem Mix aus Pinkbill (Billecart-Salmon Rosé, welcher ist egal) und Dourdon-Bourval, der „Tradition“ würde schon genügen, beinahe mühelos für die gute Champagnersache zu gewinnen wären.

In ruhigere Fahrwasser gelangen wir mit Amons Tobin Chaos Theory, sei es das Breaking Protocol oder Kokubo Sosho Stealth im Daedalus Remix, obwohl bei The Lighthouse im King Cannibal Remix schon wieder die Post abgeht. Was trinkt man zu sowas? Ganz klar: Penet-Chardonnet „Grande Réserve Brut Nature“. Das ist Champagner gewordene Ingenieurkunst, trinkbarer Le Corbusier. Der von ihm gewiesene Weg zum Brutalismus lässt sich musikalisch begleiten mit Gaslamp Killers Baiafro von der schon älteren Platte My Troubled Mind, anschließend scheint mir Huoratrons 2017 erschienene Single Mortality Salience passend auch als Überleitung zu Ministrys N.W.O., seit den 90ern, etwa auf der Sphinctour, ein großer Klassiker. Rektumkrampfend gut passen dazu die Monoparcellaires von Penet-Charonnet: der Blanc de Blancs „Les Blanches Voies“, der „Les Fervins“ und der Blanc de Noirs „Les Epinettes“, alle aus Verzy Grand Cru. Beim Fervins ist die Besonderheit, dass es sich zwar um eine Monoparcellaire, nicht aber um einen Monocépage handelt: Chardonnay und Pinot Noir stehen dort zusammen im Weingarten und landen gemeinsam im Champagner. Wer es etwas dreckiger mag, greift zum famosen Champagner von Mouzon-Leroux, wenige Meter weiter in Verzy gelegen.

Wenn es dreckig wird, darf die Musik von Demented Are Go (DAG) nicht fehlen. Deren unsterbliches Album In Sickness and in Health aus dem Jahr 1986 gehört in jede Plattensammlung, genauso wie jeder mal den einen oder anderen älteren Collections-Champagner von Taittinger getrunken haben muss, z.B. eben den 86er mit dem Dekor von Hans Hartung, dem trinkbaren Ebenbild von DAG-Frontmann Sparky. Zu dem würde auch der irrsinnige 1986er „Année de la Comète“ von Francis Boulard passen, der changiert zwischen Mentos mit der Geschmacksrichtung LSD und exquisit gereifter TBA. Aber genug der Abkürzungen, musikalisch machen wir mit der Platte Texas Whore Pleaser von Slackeye Jim weiter, denn wenn einer den Schrottwestern White Comanche mit William Shatner mag, dann muss seine Musik gut sein. Und sie ist es, weshalb wir uns gleich Evil Eye anhören und von Arnaud Moreau aus Bouzy einen „Brut Tradition“ einschenken; dadrüber gibt’s noch die kaum oder gar nicht dosierten Cuvées „Arrakis“ und „Odyssee“, aber der Tradition ist einfach ein Cowboychampagner, der unvergleichlich gut zu Gothcountry/Creepabilly/wieauchimmer passt. Er würde auch zu Little Lisa Dixie (Bonnie and Clyde) und Creepers a.k.a. Gravemist (Wait all Night) passen, die alle nur noch von Those Poor Bastards mit ihrem elysischen Glory Amen übertroffen werden, eine noch bessere Champagnerpaarung drängt sich aber sofort in Form von Eliane Delalots (1 Hektar, Bio) „Les Dionysiaques Brut“ auf, der ganz gegen den abflauenden Trend furchtlos dosiert (11 g/l) ist und mit seinem nächtlichen Etikett zusammen mit Little Lisda Dixie herrlichst wider den Stachel löckt. Creepers‘ Nastassja Noctis ist wesentlich düsterer, Benoit Marguets „Shaman 13 Extra Brut“, der in Wahrheit ohne Dosage auskommt, entspricht dem ganz gut. Zu den Poor Bastards geht nur ein völlig schamloser Champagner, d.i. der mit 65 g/l dosierte „La Libertine“ vom kürzlich verstorbenen Charles Doyard.

Alsdann: Hallelujah, worthless fuckers, hallelujah!

Die grösste Champagner-Bar der Welt: La Côte des Bar (I/III)

Seltsam genug: Das Nachtleben in der Champagne ist kaum nennenswert. In Epernay und Reims, immerhin der zweigeteilte Nabel der Champagnerwelt, ist abends weniger als nichts los, in Epernay ist der Tag offiziell beendet, wenn die stets gut besuchte, nein proppenvolle Pizzeria Sardaigne schließt. Wer sich danach noch auf den Straßen und nicht ausdrücklich auf dem Nachhauseweg befindet, ist verdächtig. In Reims ist es wenig besser, denn das Reimser Nachtleben findet der Einfachheit halber gleich in Paris statt. So leicht haben es die Bewohner der Aube nicht. Die müssen sich nach Troyes hin orientieren, aber dort finden sie mit der Weinbar Crieurs de Vin immerhin eine Anlaufstelle mit putzmunteren Kellnern, Essen nach Wahl des Küchenchefs und allerlei verrückten Stillwein, neben dem gut sortierten Champagnerregal. Der Großteil des Champagnersortiments stammt von der Côte des Bar. Die kennt nur keiner. Die Côte des Blancs kennt dagegen jeder, der mal in der Champagne war. Das ist jammerschade, aber Grund genug für mich, mal wieder und verschärft die südliche Champagne heimzusuchen.

I. Drappier

Wenn man Winzer besuchen geht, dann ist das oft schön, man erfährt viel, man bekommt auch viel Marketingspeech zu hören und man bekommt immer einen handgreiflicheren Eindruck als aus der öden Print- oder Onlineberichterstattung. Während man über das Weingut, in die Weinberge und durch die Keller latscht, lernt man den Winzer ein wenig kennen und solidiarisiert sich mit ihm, findet ihn oder sie im besten Fall sympathisch oder gar liebenswert. Je mehr Mühe sich der Gastgeber gibt, desto positiver lässt man sich gern stimmen. Dann geht es ans Probieren. Wie oft erlebt der freudig erregte Weinspitz dann aber herbe Rück- und Tiefschläge, wenn der Wein leider so gar nicht schmecken will, wenn Wunsch und Wirklichkeit zu sehr auseinanderklaffen. Dann quält man sich, je nach Gemüt, durch eine nicht endenwollende Reihe gleichschmeckender, phantasielos zusammengebrauter Durchschnittssüppchen und verspürt tiefen inneren Schmerz, wenn man über dem Probierglasrand die begeistert und erwartungsvoll geweiteten Augen des Verantwortlichen sieht. So ähnlich muss sich Marcus Hofschuster fühlen, kurz bevor er zB bei facebook über bestimmte Weinzumutungen wettert. Der Sam ist dabei freilich mehr oder weniger allein. Als Weingutsbesucher muss man dem Chef dann aber noch persönlich die Hucke vollügen, sich den Bauch reiben und Schleckbewegungen mit Schmatzgeräuschen oder sich selbst schnellstmöglich aus dem Staub machen, nicht ohne vorher noch eine Verlegenheitsmischkistchen mit den am wenigsten grauenhaften Weinen mitgenommen zu haben, nebst überreichlich Broschüren-Material und dem wilden Versprechen, einander sicher bald wiederzusehen. Nicht so bei Michel Drappier, weshalb ich mir den Einleitungssermon auch hätte sparen können. Denn der herzensfreundliche und angenehm unaufdringliche Michel Drappier macht Champagner, den er selber mag und den man genauso sympathisch finden kann, wie ihn selbst, ohne dass man in Gewissensnot kommt. 

1. Carte d'Or, dég. Nov. 2012

80PN 15CH 5PM

Das quittengelbe Etikett wird seit 1952 verwendet und hat dem Haus Drappier noch keinen Rechtsstreit mit der in Farbfragen empfindlichen Veuve Clicquot eingebracht. Die Champagner sind dafür sowieso zu unterschiedlich. Der Champagner lebt vom Pinot Fin der Ahnen, die sich nach der Reblauskatastrophe mit der Selektion bester Spätbrugunderreben befasst haben. Typisch ist ein knorriges, an alte Rebstöcke erinnerndes Gepräge, eine rustikale Struktur, die von feiner Frucht (Quitte!), Nuss und Holznoten umspielt wird, obwohl der Champagner überhaupt keinen Holzeinfluss hat. Ein selbsbewusstes "da bin ich!".

2. Brut Nature Sans Soufre

100PN

Schnittiger Stoff. Messerscharf, kantig, kerlhaft. Der Pinotdobermann. Unter den wenigen ausgeprägteren Aromen finden sich blanchierte Mandeln und wieder der zarte, holzlose Holzeindruck.

3. Carte d'Or, dég. Juli 2013 

100PN

Weiter als der Sans Soufre, ein Effekt, den ich schon oft festgestellt habe. Die Zugabe von Schwefel, selbst wenn es nur sehr wenig ist, wirkt sich positiv auf die Geschmackspalette von Champagner aus. Hier kommen zB weiße Schokolade, Trüffel und Walnuss hinzu, ohne den Champagner zu belasten oder ihm ein Iota von seiner Dynamik zu nehmen.

4. Blanc de Blancs, dég. Juli 2013 

95CH 5PB

Kräftiger Stoff mit der im Hals diskret kratzenden Art des Weißburgunders. Sonst vorherrschend Litschi, Gurke und Melone. Eine ungewöhnliche Wahl für die Business Class einer Airline wie Etihad, aber eine gute.

5. Rosé Saignée Brut Nature, dég. Oktober 2013

100PN

Ein Rosé Saignée corrigé. Der Saft bleibt solange mit den Schalen zusammen, bis das rechte Maß an Fruchtigkeit erreicht ist. Dann wird abgezogen, egal, wie die Farbe gerade ist. Gegebenefalls kommt zur Feinabstimmung noch ein Anteil von 10% weiß gekeltertem Pinot Noir Stillwein dazu. Clever. Was die Fruchtigkeit betrifft, wird bei Drappier aber kein Schindluder getrieben. Herb darf und soll es zugehen, denn Michel Drappier liebt seit frühester Kindheit Schweppes, kein Wunder also, wenn er sich über schweppesige Aromen in seinem Champagner freut und sie zu kultivieren sucht.  

6. Millésime d'Exception 2008, dég. Jan. 2014

60PN 40CH, 35% Ausbau im Fuder. 

Unalkoholisches Feuer, Esprit und Schmelz. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen, weil der Champagner seine Dosage noch nicht ganz verarbeitet hatte, was genauso ist, wie wenn ein Salat nicht gleichmäßig mit Dressing benetzt ist.

7. Cuvée Charles de Gaulle

80PN 20CH

Pol-Roger hat Winston Churchill und Drappier hat Charles de Gaulle. Bei beiden sagen die Verantwortlichen, dass die Cuvée dem Original sehr ähnlich sein soll, die Unterschiede dürften aber doch nicht ganz unerheblich sein. So ist die Cuvée Sir Winston Churchill eine ausgemachte Prestigecuvée und hebt sich deutlich vom sonstigen Programm des Hauses ab. Die Cuvée Charles de Gaulle ist, anders als das historische Vorbild, brut und nicht mehr extra dry dosiert, auch würde ich sie nicht als Prestigecuvée einsortieren, sondern als Reverenzcuvée. Die Spitze des Drappiersortiments bildet ja nun doch die Grande Sendrée in weiß und rosé. Die Cuvée Charles de Gaulle ist robust und saftig mit einer angenehmen, leichten Honignote. Yves de Gaulle, der immer noch Kunde des Hauses ist, bestellt aber trotzdem andere Sachen (Cuvée d'Or und Blanc de Blancs).

8. Cuvée Quattuor, dég. Oktober 2013

Jeweils ein Viertel CH, PB, Arbane und Petit Meslier, mit 4,5 g/l dosiert

Die vier Rebsorten bilden ein Quartett. Jede hat die Möglichkeit zum Soloauftritt, aber alle müssen miteinander harmonieren. Das ist nicht leicht, denn Arbanne rennt mit viel Säure vorneweg, der etwas dickliche Pinot Blanc kommt kaum hinterher, die reife Petit Meslier neigt in die Sauvignonschiene und beharkt sich mit dem chablisnahen Chardonnay. Der Champagner wirbelt zwischen weißen Blütentönen und schokolierter Opulenz hin und her. Das ist durchaus reizvoll und ein gänzlich anderes Champagnerkonzept, als man es von Häusern dieser Größe kennt.

II. Coessens

Der Aube-Leclapart. Seine Champagner sind zu 100% im Stahl zu Hause, einzige Ausnahme bildet der Sens Boisé aus dem gebrauchten Chablisfass. Der Korken stammt von Sagrera und hat zwei extra dicke Scheiben unterm Granulat. Im Weingut verrichten zwei 8000kg Coquardpressen ihren lautlosen Dienst vom allerfeinsten, Coessens presst damit sogar für Kollegen mit ab. Im Jahr bringt das 15000 Flaschen, mehr ist nur dann vorgesehen, wenn die Qualität es erlaubt.

1. L'Argillier Blanc de Noirs, dég. Mai 2013 

Jahrgang 2009 (die Weine von Jerome Coessens sind immer Jahrgänge, bislang einzige Ausnahme ist das 2011er Lot, das ist ein Mix aus 2009 und 2008). Aus dem Glas steigt Kokosduft auf, das auf dem Etikett gedruckte "chargé en argile" bewahrheitet sich dann im Mund explosionsartig. Die 10g/l Dosage bemerkt man nicht, besser kann man Zucker nicht verstecken, als in diesem flüssigen Kimmeridgien.

2.  L'Argillier Blanc de Noirs Brut Nature, dég. Mai 2013

Wieder 2009; hier aber roter Apfel statt Kokos, sehr viel Kimmeridgien, herbe Frische von Salbei, Chinin, Tonic Water, Russian Wild Berries, ein echter Ausnüchterungstrunk, wenn selbst im Berghain nichts mehr läuft. Ausserdem ein leicht holziger Eindruck wie ich ihn schon bei Drappier und an der Aube sowieso häufiger festgestellt habe, obwohl die betroffenen Erzeuger für die jeweiligen Cuvées gar kein Holz einsetzen oder zumindest Stein und Bein schwören, es nicht zu tun; oder nur ganz wenig. Ist wohl einfach so eine Terroirgeschichte.

3.  L'Argillier Blanc de Noirs Mill. 2009, dég. Oktober 2013

Extra brut mit 4g/l. Jerome hat den Millésime 2009 noch vor dem 2006er verkauft, weil der sich gegen den Verkauf noch sperrte. Die feine Kalkigkeit, das kimmeridgig-kalkige Näschen des 2009er empfahl sich besser und präsentierte grünliche, dicksaftige Agavennoten, sowie Efeu. Im Mund schön saftig, lässt er sich gegen Ende mineralisch ausgleiten, wirkt allerdings etwas dicklicher als die vorherigen Kalkmodels. 

4. Rosé de Saignée, dég. Februar 2013

2009, Saignée, mit 10 g/l dosiert. mit den Füssen gestampft und mit viel Herzkirsche der optimale Valentinswein. Hinzu kommen Minze, Balsam, Eukalyptus-Menthol, Kiefernnadelessenz; auch Blutorange und karamellisierte Kirschen. Den Zucker steckt der Wein weg, einfach so.

5. Sens Boisé, dég. Februar 2013 

2008er. Erstmal flüchtige Säure, dann Honig, Holz, weisser Trüffel. Der Champagner hat einen warmen Charakter, mit Pfeffer, Schwarzpulver, im Mund dann wieder sehr gut und dezent verbautes Holz, er gleitet lang und frech über den hinteren Zungenrand ab und schreckt mit seiner prallen Säure den vielleicht noch nicht ganz fitten Gaumen hoch. 

III. Charles Dufour

Robert Dufour, Yves Dufour, Charles Dufour, die Schwester von Charles Dufour, sie alle operieren unter dem Namen Dufour und sorgen damit für einige Verwirrung, denn teilweise überschneiden sich ihre Cuvées, so zum Beispiel die alte Cuvée mit dem anekdotischen Namen Jaune ohne Bulles (nach einer Erzählung innerhalb der Familie, wonach ein langjähriger deutscher Abnehmer sich in deutsch durchsetztem Französischkauderwelsch über mangelndes Mousseux und wahrscheinlich unreife, grüne Geschmacksnoten beschwert haben soll) aus dem Jahrgang 1988 und die Ligne 39, das zugehörige Spätdegorgement. Von Charles Dufour, an den ich mich immer halte, gibt es mit dem Jahrgang 2010er Jungfernjahrgangschampagner. Drei Blanc de Blancs. Zwei davon, Chèvetree und Avalon sind Chardonnays, der Champ de Clos ist ein reinsortiger Pinot Blanc und löst den alten Blanc Gourmand ab, der allerdings nie zu meinen Favoriten zählte; die Standardcuvée Bulles de Comptoir gibt es jetzt erstmals als Ecocert zertifizierten Wein. Degorgiert wird dreimal pro Jahr, diese hier wurden alle im Februar 2013 dégorgiert. Nächstes Jahr dann gibt es vielleicht schon die ersten Früchte einer selection massale, die zusammen mit Fleury, Horiot, u.a. durchgeführt wird. Verwendet werden weinbergseigene Hefen und eigene Bakterienstämme für den BSA. Charles selbst nennt seine Weine ganz offen Egoistenweine, weil sie einfach nur ihm gefallen sollen. Auf den jährlich wechselnd gestalteten Etiketten finden sich die wesentlichen Angaben zum Champagner. So meint L.R.10 nichts anderes als: lot récolte 2010 und "0.32.30" bezeichnet die Parzellengröße von 0,323 ha der jeweiligen Lage. 

1. Champ du Clos

100PB aus einer Parzelle zwischen Landreville und Celles sur Ource. Inox, BSA, Nulldosage 

Das Resultat sind Kräuter, viele Kräuter, etwas Campher, etwas Geissblatt, sehr wenig Beifuss und Hopfenblüte. Ein ungewöhnlicher Pinot Blanc und einer, der mir viel besser schmeckt, als die Ausgaben davor. 

2. Chèvetree 

junge, 12 Jahre alte CH-Parzelle mit Südsüdwestausrichtung in Landreville Richtung Ville sur Arce, hier herrscht karger Boden. Die Pflanzen sind jung und dynamisch, so fordernd, wie der Champagner, der daraus wird. Säure schlägt mit 4,7 g/l zu Buche, der pH-Wert mit 3,2. Vergoren wurde im Holz es folgte der Fassausbau, in dreifach belegtem Barrique. Der Champagner ist mittellang, schlank, frech, hat den winzerigen Charme von Kleinstvinifikationen mit wohlüberlegtem, minimalem Fasseinfluss.

3. Avalon 

100CH, Lage in Essoyes; der Champagner ist holziger und dicker angelegt, der Weinberg liegt etwas ungewöhnlich am Fuss des Bergleins und nicht an der Kuppe. Da unten ist es nass, die Ostausrichtung bringt eine Mehltauproblematik mit sich. Die Erträge sind nicht so dolle, aber der Champagner ist mundfüllend, mit viel Zitrus und potentem Druck.

4. Bulles de Comptoir

55PN 10PB 35CH, 5g/l Dosage mit Mostkonzentrat; kein Egoistenwein, sondern ein wohlbalancierter Aubechampagner von ungewöhnlicher Finesse.

 

Jetzt noch schnell besorgen: Champagner zum Valentinstag

Jedes Jahr ist Valentinstag, jedes Jahr weiß keiner so recht, was er seinem significant other schenken oder Gutes tun soll. Doch jedes Jahr ist Champagner eine gute Idee. Rebellisch ist sie obendrein. Denn der Quatschfeiertag ist ureigentlich dem, pardon: den Vögeln gewidmet, oder noch genauer: der englische Erzpoet Chaucer soll am 14. Februar 1383 ein Werk mit Namen "Parlament der Vögel" vorgestellt haben, in dem es um die Liebe geht, usw.usf., das Verhängnis nahm seinen Lauf. Irgendwann kaperten erst die Amerikaner und dann die sonst nicht wegen ihrer Marketingpfiffigkeit berühmten Blumenhändler das jährlich wiederkehrende Ereignis. Seitdem muss man Blumen oder anderen Beziehungsschnickes kaufen, wenn der eigene Chromosomenvorrat im Rennen oder zumindest der Hormonpegel händelbar bleiben soll. Kenner schenken eine ungerade Anzahl Rosen. Könner schenken Blumen in ihrer schönsten Form: als Weinbouquet. Und Echte Könner greifen auf Rosé zurück, den es als Stillwein praktisch nur in schlecht gibt, der aber als Champagner gleichzusetzen ist mit dem önologischen Korrelat romantischer Liebe. Die bewährtesten Valentins-Roséchampagner habe ich gerade bei CaptainCork vorgestellt, hier geht es zum Artikel. Die Rosés, mit denen sich nach einem trotz aller redlichen Mühewaltung, d.h. Beachtung meiner Champagnerempfehlungen, aus welchem unerfindlichen Grund auch immer völlig verpatzten Valentinstag dann die Partnerschaft noch retten und der beste Versöhnungssex nach einem handfesten Beziehungskrach einleiten lässt, sind diese:

1. Coessens Largillier Brut Rosé, dég. Feb. 2013

100PN Saignée, 2009er Ernte, mit vollen 10 g/l dosiert

Weil ich in der Champagne weile, während ich diese Zeilen tippe, und weil ich just den aufstrebenden Jerome Coessens besucht habe, dessen Rosé ich seit einiger Zeit schon beharrlich lobe, beginnt der Empfehlungsreigen mit dem Rosé Saignée, dessen Trauben fussgestampft werden, obwohl Coessens zwei megateure Coquardpressen, also den Bentley unter den Pressen, für jeweils 8000 kg zur Verfügung hat. Wenn es schon nicht die eigenen Füsse sein können, mit denen die Trauben unvergleichlich schonend bis sinnlich-vergnüglich zusamengestampft werden, dann ist es doch immerhin eine irgendiwe romatische und valentinsmäßige Vorstellung, dass zumindest Jerome und seine Familie Freude dabei hatten. Das Resultat ist energetisch, tonisierend und nimmt den Geist gefangen. Kirsche, Eukalyptus, Kiefernnadelessenz, wie ich sie mal infam gut im Essigbrätlein bekommen habe und die mir bis heute nachgeht, so gut wie sie nunmal war. Den geradezu abartig hohen Dosagezucker steckt der Wein einfach weg. Denn bei Coessens überdeckt nicht der Zucker die weineigene Aromatik, sondern das, was man aus lauter Verlegenheit und mangels einer besseren, ebenso griffigen wie zutreffenden Beschreibung als Kimmeridgemineralik bezeichnen könnte, überdeckt mühelos den Zucker. Wenn die Liebste nach diesem Champagner nicht wieder in der Spur läuft, ist die Trennung unausweichlich.

2. André Clouet Brut Rosé

100PN, < 10% Rotweinzugabe

Alle guten und auch schon die allermeisten schlechten Argumente sind ausgetauscht, die Stimmung dennoch im Eimer, Versöhnungssex wider erwarten und trotz ärgster Bemühungen, ganz zum Schluss den Streit noch mal ins Lächerliche zu ziehen längst nicht in Sicht? Dann hilft nur die retrograde Brachialmethode. André Clouet, den man nicht mit Paul Clouet verwechseln sollte, ist hier schon gelegentlich wegen seiner stets zu jung getrunkenen Cuvée "Un jour de 1911" in der Strohumwicklung gepriesen worden, auch den Jahrgang und den Silver aus Sauternesfassausbau habe ich schon vorgestellt. Jetzt der bei Tageslicht betrachtet lange fällige Rosé. Diesem ungewöhnlich fruchtstarken und nur wenig von bouzytypischer Haselnuss begrenzten Champagner kann keine Kratzbürste widerstehen, denn hier geben sich alle Dinge die rot sind und gut schmecken ein zärtliches Stelldichein. Blanchierte Mandeln, ein keckes Kräutersträusschen, aber vor allem eine so zauberhafte Beerig- und Schmelzigkeit, dass auch das im langjährigen Beziehungsstress abgenutzte Herz und verhärtetste Gemüt spontanen Kinderwunsch an den Restkörper aussendet. Der Champagner schmeichelt dem Herzen also in einem Maße, dass selbst der Widerspenstigsten Zähmung gelingen muss. Falls auch das nicht klappen sollte, bitte Vitalfunktionen prüfen oder vom Umtauschrecht Gebrauch machen, sollte die Herzdame im einschlägigen Versandhandel erworben sein.

3. Olivier Horiot Sève en Barmont Rosé Saignée

100PN, immer < 2 g/l Dosage

Die Liebste schluckt mehr als der Lambo Murciélago auf dem coolen Monstertruck Unterbau von Dartz, den Sie sich kürzlich selbst geschenkt haben? Dann muss was stopfendes her, und zwar schnell. In den Sinn kommen mir bei der Gelegenheit immer die Apparate von Leclapart, der 2003er Terres Rouges von Jacquesson oder der Saignée de Sorbee von Vouette & Sorbée. Doch teuflischer, weil vertrackter, ist der Rosé von Horiot aus Riceys, dem ich vor gut und gerne zwei Jahren einen Nachbesuch nach Zweijahresfrist angedroht und nunmehr wahrgemacht habe, mit der schönen Erkenntnis, dass dort alles in geordneten Bahnen verläuft und die von mir anfangs argwöhnisch betrachteten Champagner sich in Bestform befinden. Der Rosé, für den die Trauben ähnlich wie bei Coessens mit den Füssen in die Pressform gestampft werden, wirft mit seinen Wildkirschen, Erdbeeren und sonstigen vollreifen Beeren nicht bloss wie ein tüchtig angetrunkener Karnevalsprinz seine Kamelle in die Menge, sondern feuert das reife Obst mit einer Steinschleuder in Gesicht und Mund, ein Champagnerfacial der Extragüte also. Doch ist es damit nicht getan; der Rosé sperrt sich gegen allzuschnelles Geschlucktwerden und stemmt sich gegen jedes noch so geniesserische Schmatzen, saugen und in den Hals hinabziehen. Bei dieser ganzen Prozedur wird jeder Tropfen Champagner notgedrungen so lange an Zunge und Gaumen gewendet, bis das sensorische Inventar ausgelastet ist. Danach gibt kein Mund dieser Welt mehr Widerworte.

Die Champagner sind im gut sortierten Fachversandhandel locker zu bekommen und jeden Expressaufschlag wert. Gutes Gelingen!

Reingespitzt: Weinbar Rutz.

Im Nürnberger Essigbrätlein habe ich Billy Wagner leider nicht mehr erlebt, dafür kenne ich ihn aus seiner Düsseldorfer Zeit im Monkeys, wo er zusammen mit Sebastian Bordthäuser (heute Steinheuers Restaurant – wo Billy als Sommelier des Jahres 2011 erst im März des Jahres die falstaff Wein Trophy entgegennehmen konnte) sein segensreiches Weinwirken entfaltete. In der Weinbar Rutz habe ich ihn nach einem schönen "Arbeits"tag aufgesucht. Heißester Tip abseits der sehr guten Küche ist der Champagne Duval-Leroy Femme de Champagne 1996; ein mörderharter Champagner mit der Gaumenwirkung einer Splitterbombe, für 99,00 €/Fl. im Restaurant extrem günstig!

A. Auftakt:

A.I Vorweg gab es Olivenfocaccia, Parmesan-Kartoffelbrot, Fenchelbutter, Meersalz und Olivenöl und zur Einstimmung ein Arrangement aus Krokant, Fenchel, Orange und Pinienkern zum lang gebeiztem Saibling. Daraufhin ging es Richtung Atlantik, zum Thun gab es Yuzupüree mit einer animierenden Sojasauce, beendet wurde der Auftakt mit einem erdigen Süppchen aus Gatower Kugeln und einem Mix aus Apfelsalat, Erbsenpurée, Orange und Fisch.

A.I.1 Der zur Begrüßung ausgeschenkte Blubber war Rutzens Rebellensekt 2006 vom Sekthaus Raumland, dégorgiert im April 2011. Das ist ein laut Etikett brut dosierter Burgundersekt aus Pinot Blanc, Pinot Gris, Pinot Noir, Frühburgunder und Chardonnay. Damit war sofort für etwas Irritation gesorgt, denn das rebellische beim Rebellensekt ist seine fehlende Dosage. Die erste Charge, das Januardégorgement, war ein brut nature. Rein geschmacklich käme das bei diesem zweiten Dégorgement hin, nur das Etikett wäre dann im Sinne der Rebellenidee erklärungsbedürftig. Geerntet wurden die Grundweine für diesen Sekt noch vor dem großen Regen, als das Material noch von erhabener Güte war. Spritziges Naturell und eine klebstoffige Nase schließen einander hier nicht aus. Zum Soja/Yuzu passte das herovrragend, auch mit Fenchel und Orange war die Kommunikation einwandfrei, zum Fisch kühlte sich das Verhältnis leider etwas ab.

A.I.2 Als Konter gab es den Rosé von der hierzulande zunehmend beliebten Veuve Fourny. Dieser Familienberieb aus Vertus vereinigt zwei Stärken des Örtchens in einer Hand. Vertus wird nämlich als Premier Cru und äußerster Südausläufer der Côte des Blancs oft nicht auf Augenhöhe mit den Grand Crus wahrgenommen, die sich von Epernay aus gesehen vorher aufreihen. Dabei wird heutzutage gern vergessen, dass gerade das berühmte Le Mesnil selbst lange Zeit "nur" als Premier Crus klassifiziert war. Darauf bezieht sich die eine Stärke der Ortschaft: teilweise partizipieren die Vertus-Chardonnays an der chthonischen Mineralität und Tiefe der Mesnil-Terroirs, was ihnen im Idealfall eine ungeahnte Langlebigkeit bei gleichzeitiger Delikatesse verleiht. Die andere unzweifelhafte Stärke von Vertus sind seine warmen, sämig-fruchtigen, Pinots. Im Rosé kommt beides zusammen. Der Spätburgunder beansprucht nach einer kurzen Aufwachphase den Platz an der Tafel, was der Chardonnayanteil in Höhe von ca. 20% schneidig sekundiert. Der Champagner ist leicht, aber nicht belanglos, fruchtig, nicht bonbonig und seine hintergründige Aromenfülle eignet sich bestens zur experimentierfreudigen Küche und lediglich mit dem Soja/Yuzu gab es Verständigungsprobleme.

Das Menu:

B. 15 min Atlantikküste

In der Speisenkarte annonciert als "Mariniert & Meersalz Rose, Estragon, im Heu geräuchert & Verbene, Pomelo", dazu gab es:

BI.1 Lauri Pappinen, Gotland, Batels 2010

Ein Mix aus Phönix und Solaris, der wie ein etwas schweißig geratener Sauvignon-Blanc schmeckte und sich bestens mit dem ersten Erlebnis vertrug.

BI.2 Philipp Wittmann, trockene Rebellen-Scheu 2009 en Magnum

Eine nur von wenigen Winzern trocken trinkbare Rebsorte, die ihre wahre Stärke zum zweiten Erlebnis zeigte und mit der Holzkohleräuchernote brillierte.

B.II.1 Serviert wurde als erstes Erlebnis dieser Inspiration Rote Garnele mit gegrillter Melone und Pomelo, dazu Rosenblätter, Estragontupfer und ein Meersalzgelee, das aussah, wie eine Ladung Zuchthengstsperma. Köstlich war's. Das obszöne Gelee verband auf magische Weise Meeresbewohner, Zitrus-, bzw. Kürbisfrucht, Rosengewächs und Küchenkraut. Dazu passte der Schwedentrunk auf eine bauhausartig funktionale Weise sehr gut. Die Aromen griffen ineinander, wenn schon nicht auf wundersame Weise, dann wenigstens mechanisch reibungslos.

B.II.2 Das zweite Erlebnis war eine ganze Garnele mit ausgeprägten Räucherduft, um die herum sich Zitronengras, ein kräftiger Sud in gesonderter Schale und Olivensalz im Alu-Töpfchen gruppierten, freundlicherweise gab es für die Hände ein heißes Handtuch. Nach getaner Schälarbeit war freies Würzen angesagt, ich habe alles mal probiert: die Garnele pur, mit dem Pipettenstoff, mit dem Salz, alles zusammen und in Einzelteilen, den kräftigen Sud aus der Schale mal dazu, mal davor und mal danach.War das eine Freude! Am Ende gefiel mir diese Kombination am besten: auf die Garnele ein paar Tropfen aus der Pipette, paar Krümel Salz drauf, zusammen mit einer winzigen Menge Sud runterspülen, Scheurebe hinterdrein.

C. Deutscher Imperialkaviar, Grübels Gartengurke & Maldon Auster, 2 mal Müller

Deutschen Imperialkaviar aus Münster und schöne Austern habe ich zuletzt in Höchstform beim Düsseldorf Oyster Massacre ganz clichéhaft zu Roederers Cristal Blanc und Rosé gefuttert. Dass es auch anders geht und dass vor allem Gurke ein fabelhafter Begleiter dazu ist, der die Weinauswahl wiederum nicht erleichtert, wurde nun luzid.

C.I.1 Zahel, Sauvignon-Blanc, Wien "Kroissberg" 2010

Ungewohnt hart schmeckte der weltläufig wirkende Sauvignon Blanc mit den Wiener Wurzeln zur Auster.

C.I.2 Veyder-Malberg, Grüner Veltliner, Wachau "Kreutles" 2010

Der feine Grüne Veltliner hatte eine Note von reifem Gemüse und kam wahrscheinlich deshalb mit der Gurke so gut zu recht, musste sich aber der Auster geschlagen geben, mir war er dafür zu leicht.

C.I.3 Champagne Duval-Leroy Millésime 1999

Zuckerbrotig, weich und mild, feine Nussigkeit und Milde, dabei nicht schlaff. Packte es gut zur Auster, ist aber natürlich nicht so waaahnsinnig originell.

C.I.4 Leitz, Rüdesheimer Berg Rottland Riesling Alte Reben 2008

Ein ganz starker Rheingauer Wein, standfest wie ein Mafioso mit Betonschuhen. Dabei eignet dem Wein nichts bedürckendes oder schwermütiges, lahmes, allzumächtiges oder irgendwie verschnarchtes und wäre da nicht die tiefe Gründung im Rheingestein müsste man im Gegenteil befürchten, dass der Wein mit gestreckten Sprüngen entfleucht.

C.I.5 Daniel Vollenweider, Wolfer Goldgrube Riesling Spätlese 2008

Für mich der Star aus Vollenweiders Wolfer Goldgrubenlagen ist der Schimbock, klar. Mineralisch wie ein Meteoritenfeld und ebenso schwerelos, nur ob er auch zum Essen passt? Zu diesem eher nicht. Deshalb ist die herb-feinherbe Wolfer Goldgrube Spätlese mit ihren zwischen Wachs und Grapefruit angesiedelten Noten wahrscheinlich die bessere Wahl gewesen. Der Wein drängte sich dank seiner diskreten Anlagen nicht in den Vordergrund, richtig herzliche Freundschaft entstand zwischen Auster und Wein aber auch nicht.

CII.1 Auster im Knuspermantel auf Austerntartar mit einem Löffel voll Kaviar

Auster auf Austerntartar hätte ich nicht so gut gefunden wie Auster im Knuspermantel auf Austerntartar. Normalerweise mag ich Auster sowieso lieber nur als Auster und kein Knusperzeug oder Gratin oder sonstige Garnitur dran oder drumherum. Dass hier eine gewisse Abgrenzung notwendig war, liegt aber auch wieder nahe, deshalb war der Knuspermantel mehr als ok, von seiner handwerklich tadellosen Ausführung (unverpappte Knusprigkeit) ganz zu schweigen.

C.II.2 Pumpernickelwürfel, Crème Fraîche, Rote-Bete-Röllchen, Gurken-Austern-Süppchen mit Fentimans Tonic Water, serviert im der Länge nach durchgeschnittenen Bocksbeutel

Faszinierend war das Gurkensüppchen, originell die Servierweise, Pumpernickel, Kaviar, Crème Fraîche passten ideal, nur die Frage, ob man nicht auch einen passenden Müller-Thurgau aus Franken dazu hätte finden können, beschäftigte mich noch ein Weilchen.

D. Golden Balsam

Unter diesem Namen firmiert in der Karte eine Inspiration, die in Form von "Bisonhüfte & Anisduft, Sardinilla de Rianxo 1000 jähriges Landei & Pfifferlinge, Erbse" zum Erlebnis wird. Dazu gab es:

D.I.1 Nittnaus, Chardonnay Leithaberg 2008

Der Blaufränkisch passte mit seiner Blaubeerzuckerwattenaromatik und den karamelligen Noten traumhaft gut zum Ei.

D.I.2 Domaine de l'Horizon, Le Patriot VdP de Côtes Catalanes Blanc 2009

Dieser Wein brauchte die meiste Luft und schmeckte mir am besten, nachdem der Gang schon längst verputzt war. Bis dahin konnte er sich nicht recht zwischen Erkältungssalbe auf Eukalyptusbasis, Bienenwachs und Zitronenmelisse entscheiden

D.I.3 Elisabetta Foradori, Nosiola Fontanasanta, biodynamischer Amphorenwein

Erst kam mir eine erschreckende Säure entgegen, die mit dem Mund aber nicht mehr zu detektieren war, jedenfalls dort nicht störte. Aromatisch irgendwo zwischen Garrigue und Torrone, wenig Gerbstoff, sanft ausgleitend.

D.II.1 Unterm Glasdeckel befand sich das Bison-Tartar auf Balsam, Anissamen gaben beim Abheben des Deckels ihren Duft frei, zum Bison gab es außerdem noch eine reingespießte Babysardine, Knusper und einen Fenchel-Geleewürfel. Der Vollenweider, der noch auf dem Tisch stand, zeigte sich zur Sardine sehr spielfreudig und ging mächtig auf, zum Geleewürfel erhob sich auch der Leitz nochmal mühelos zu voller Größe. Der schwierige Amphorenwein war mir, wenn ich es recht bedenke, zum Bison der liebste Wein. Den bei aller Verspieltheit der Präsentation waren hier doch eine ganze Menge Komponenten unter einen Hut zu bringen, weshalb die Küche von Marco Müller nicht von allen in gleichhohem Maße geschätzt wird – und, man muss es sagen, wohl auch probematischer wäre, wenn nicht Billy Wagner immer mindestens ein Gewächs zur Hand hätte, das wie ein deus ex machina den Aromentumult befriedet. Der Foradoriwein zeigte hier sehr beachtliche Hütehundqualitäten und bewahrte den Gang davor, in alle Richtungen auseinander zu driften.

D.II.2 Mein kulinarisches Spitzenerlebnis war das 1000jährige Landei mit einer am Platz applizierten Injektion Apfelbalsamessig von Gegenbauer. Sensationell! Zwar weiß ich seit meiner ersten Lektüre der Bücher z.B. von Joseph Wechsberg, dass das Ei in der Spitzengastronomie – ähnlich wie die Gurke – unterschätzt wird, doch dass einem Ei solchen Zauber entlocken kann, finde ich umwerfend. Dass dazu der Chardonnay von Nittnaus perfekt passt, macht es nur umso schöner. Den Horizon-Wein fand ich gegen Ende immer besser zum Ei, aber weil wegen meiner übergroßen Gier von dem Ei schnell nichts mehr da war, konnte ich die Kombination nicht länger verfolgen. Durchweg kontrovers war das Verhältnis von Amphorenwein und Ei, hier war von der befriedenden Fähigkeit des Nosiola nicht mehr viel zu spüren, mir war das zusammenspiel zu unausgeglichen und unruhig.

E. Wagyurind

Diese Inspiration steht in der Karte als "Waldorf & Perigordtrüffel, confierte Brust Geschmortes & Aubergine, Rosmarin", dazu gab es:

E.I.1 Uwe Schiefer, Rutz-Rebellenwein Pala 2008

Ich fand den Wein solo zurückhaltend, geschmeidig, unaufgeregt und von eher nördlicher Bauweise. Eigenständigen Glanz versprühte er zusammen mit dem Waldorfsalat, zur Wagyubrust war er der perfekte Butler. Speziell zum geschmorten Bäckchen sollte sich diese Eigenschaft als sehr hilfreich erweisen.

E.I.2 Az. Agr. Cos, Rutz-Rebellen- und Amphorenwein Pithos 2009

60 Nero d'Avola 40 Frappato. Rosa Beeren, Früchtekompott und eine vielleicht sogar nur eingebildete, aber auf jeden Fall eigenwillige – und meiner Meinung nach: – Steingutnase.

E.II.1 Ein Waldorfsalat à la Marco Müller begleitete zusammen mit Périgordtrüffel die confierte Rinderbrust. Deren unanständiger Glanz war so verlockend, dass ich den Salat ganz aus den Augen verlor. Ganz und gar getrübt wurde meine Wahrnehmung von dem Zusammenspiel mit dem an sich erstmal gar nicht besonders auffälligen, wenngleich einnehmenden und sympathischen Wein von Uwe Schiefer. Natürlich: ich könnte jetzt an- und abheben, von ungarischem Feuer, burgundischer Feinheit und österreichischem Schmäh zu schwadronieren, damit läge ich noch nicht einmal besonders weit neben der Sache.

E.II.2 Geschmortes Wagyubäckchen, Zucchini-Röllchen, Mangold-Croutons, Sud. Das ganze schmeckte wegen der konzentrierten Würze schon beinahe scharf, was ein Warnhinweis für drohende Übertreibung ist. Auch dies ist wieder so ein Gericht, das manchen Esser davon abhalten wird, sich den Müllerschen Kreationen aussetzen zu wollen. Mir gefällt gerade diese auf die Spitze getriebene Würzung, sie ist aber auch sehr anstrengend und wirkt too much, wenn sie sich durch das ganze Menu zieht. Das war bei mir zum Glück nicht der Fall, ein zuverlässiger Partner war weiterhin der Pala, dessen Butlerfähigkeiten hier stark gefordert wurden.

F. Käse

Auf Desserts lege ich keinen besonderen Wert, um mich dennoch weiter durchporbieren zu können, orderte ich eine kleine Käseauswahl. Dazu gab es:

F.I.1 Haart, Piesporter Goldtröpfchen Kabinett Erste Lage 2009

Dem Wein fehlte nur ein Hauch Säure, sonst war er in guter Form und gehört nicht umsonst zu meinen Mosellieblingen. Bestens war er zusammen mit dem Blauschimmel. Erstaunlich gut gefiel er mir zum Epoisses und zum Munsterkäs.

F.I.2 Dr. Henrik Möbitz, Gewürztraminer Auslese "Kapelle" 2008

Ultrarar sind die Weine vom Freiburger Pinotspezialisten Henrik Möbitz. Deshalb freute ich mich umso mehr, auch noch ausgerechnet seinen schönen Gewürztraminer ins Glas zu bekommen. Der ist mild, weich, hält gierige Trinker mit einer leichten Chlornote vom unbedachten wegsüppeln ab und belohnt den wartenden mit einer piekfeinen Note von Muskatellertrauben und Rosenblüten. Zum Crottin de Chavignol, zum Munster und zum Hartkäse mit der Tresterkruste dessen Namen ich nicht mehr weiß, war das der klare Favorit. Zusammen mit dem Blauschimmel wirkte er leider zu dünn und wässrig.

F.I.3 Graham's Tawny Port 20 yrs

Stets eine sichere Bank, mit seinen Mandel- und Mon-Cheri Aromen, der bei allem friedlichen Fruchtaroma im Hintergrund agierenden seriösen Herbe, den nicht überkonzentrierten Trockenfrüchten und der nicht übermäßig mehligen Textur. Überzeugte zusammen mit der marinierten Birne und den Cookiekrümeln, sowie zum selbstgemachten, saftigen Früchtebrot und zum Hartkäse, war für den Ziegenkäse dagegen nicht gemacht, gefiel mir auch nicht besonders gut zum Epoisses. Schwierig war er auch mit dem Blauschimmel.

F.I.4 Bodegas Tradicion Pedro-Ximenez 20 yrs, Flasche #872/1850

Pflaumenmus, Russische Schokolade, mit Spuren von schwarzem Pfeffer. Klar und strukturiert, kam mir auch sehr dicht vor, fast schon monolithisch. Gegenüber dem Ziegenkäs zu massiv, dem Epoisses begegnete er mühelos, zu Munster und Hartkäse war er überaus konziliant, mit dem Blauschimmel tat er sich schwer.

Als Abschluss gab es noch etwas Zuckerwerk:

Der Passionsfruchtlolly war spitze, auch die Cointreaupraline fand ich gut. Die geeiste Kokoskugel war mir zu sehr Raffaello, das Linzer Törtchen sprach mich ob seiner Winzigkeit nicht genügend an, die im Kakao versunkene Mandel war mir dagegen zu mastig.

Bochum kulinarisch

 

Nicht nur Essen hat mit "Essen verwöhnt" eine kulinarische Leistungsschau seiner unternehmungslustigsten Edelgastronomen anzubieten; in Bochum lässt man sich die Butter nicht von der Knifte nehmen und deshalb gibt es seit mittlerweile sogar schon 22 Jahren die allseits beliebte Sommerveranstaltung "Bochum kulinarisch", heuer vom 11. – 15. August. Hummer und Känguruh, Currywurst und Sushi, die insgesamt sechzehn Gastronomen aus Bochum, Herne, Hattingen und Witten bieten auf, was der Frischmarkt eben so hergibt.

Wie immer sollte der Abend an Daniel Birkners Stand, dessen Restaurant seit neuestem unter dem Namen "Herr B." in der Gesellschaft Harmonie firm- und residiert, beginnen und enden.

Als erstes musste Champagner her, an den ich mich der Einfachheit gleich den ganzen Abend hielt. Der Chartogne-Taillet Brut Cuvée Ste. Anne aus 60% Chardonnay, 40% Pinot Noir, Basisjahrgang 2006 mit 20% Reservewein aus 2005 und 2004 machte mir die Entscheidung leicht und war mit 40,00 €/Flasche sehr entgegenkommend kalkuliert. Die freundliche Inka schenkte vorbildlich ein und "Peddas lecker Brötchenmix" hatten vom Start weg eine adäquate Gleithilfe. Peddas Brötchen sind nichts anderes, als kleine Laugenbrötchen, unterschiedlich überbacken und mit einer schlotzigen Crémetunke serviert. Wer die bei Bochum kulinarisch auslässt, ist selbst schuld. Zur Foie Gras von der Gans mit Kartoffelpurée und Honig-Schalottenconfit ließ ich mir als Ausnahme an dem Abend ein Gläschen von Marcus Clauss' 2005er Huxelrebe TBA schmecken. Die schmeckte zum Glück nicht so arg nach Katzenpisse und Unkraut, auch ihr Alter ließ sie sich nicht anmerken.

Mit Kartoffelknoblauchpurée ging es weiter, Michael Hau von der "Orangerie im Stadtpark" war so freundlich, zu den dazu eigentlich vorgesehenen drei noch ein viertes hausgemachtes Lammbratwürstl zu legen. Da ich nur schwer bestechlich bin, liess ich mich davon nicht beeinflussen, sondern aß auch das vierte Würstl mit gutem Appetit auf. Damit war ich am Ende der Fressmeile angekommen und konnte mich nun der Rückrunde widmen.

Dabei stieß ich als erstes auf Entenspezi Helmut Wicherek und sein Restaurant "Oekey", wo es schwerpunktmäßig selbstverständlich um Enten geht. Nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen, sondern auch weil ich Sülze schätze, entschied ich mich für die Entensülze mit Schmorkartoffeln und Schnittlauchcrème. Eine gute Wahl, denn die Entensülze war fest, reichlich fleischhaltig und nicht mit allzuviel Gemüseschnickschnack aufgeladen. Ein paar Erbsen, Karottenschnipsel und einige wenige grüne Pfefferkörner eskortierten das feinfaserige Entenfleisch über den Gaumen und die Pharynx herab. Die Kartoffeln hätten besser nicht sein können, mit milder Schärfe erfrischend war die großzügig beigefügte Schnittlauchcrème.

Der "Livingrom" servierte in Rotwein geschmorte Ochsenbäckchen mit Stampfkartoffeln und Wurzelgemüse. Die Ochsenbäckchen waren in Ordnung, ich habe sie zwar schon zarter gegessen, lasse aber die schwierigeren Bedingungen des Freiluftkochens als notdürftige Rechtfertigung ausreichen. Was mir jedoch nicht gefiel, war die dünne und bitter abgehende Rotweinsauce. Die hätte wesentlich besser, nämlich einem Schmorgericht entsprechend konzentrierter schmecken müssen. Über das geschnipselte Wurzelgemüse konnte ich mich mangels guter Sauce dann auch nicht mehr so recht freuen.

"Diergardts Kühler Grund" bot Original Schweizer Rösti mit hausgebeiztem Wildblüten-Lachs an. Ein Gericht, bei dem man, so meine naive Vermutung, nicht viel verkehrt machen kann. Aber man kann durchaus. Statt krachenden Röstivergnügens gab es einen etwas labberigen Kartoffelpfannkuchen. Der Lachs wenigstens war fehlerfrei, aber auf den war es mir sowieso nicht angekommen.

Vom Hattinger "Gasthaus Weiß" ließ ich mir dann sechs Austern öffnen. Versöhnlich war daran vor allem, dass ich einen lebendigen Beistelltisch, bzw. Tellerhalter in Anbspruch nehmen konnte, dem, bzw. der hiermit mein vorzüglicher Dank gilt. Ausgesprochen wohlschmeckend war überdies der gebackene Ziegenkäsetaler mit Waldblütenhonig und gehackten Walnüssen auf Rucolasalat in Balsamico-Bärlauchdressing. Dieses Dressing hatte den einzigen Nachteil, den gesamten Teller sehr stark zu verölen.

Bei Herrn B. gab es abschließend noch westfälischen Schinken und eine Abschlussbuddel Champagner, bzw. ganz zum Schluß kam noch Johannes Deppisch von fränkischen Oldtimer- und Golf-Weingut gleichen Namens heran und gab eine Lage von seinem für Herrn B. gestalteten Josecco Rosé aus – ein Mix aus Schwarzriesling, Grau- und Weißbrugunder, mit gärungseigener Kohlensäure in Zell verperlt und unmittelbar ready to drink, denn ein kleiner Strohhalm ist bereits in der mit Schraubverschluss verschlossenen Flasche enthalten.

Einladung zur I. Champagne Master Class

Liebe Champagnerfreunde,
bei Gelegenheit zahlreicher Champagnerverkostungen wurde ich immer wieder mit der Idee konfrontiert, doch endlich eine Champagne Master Class zu etablieren. Dieser Gedanke hat mittlerweile Form angenommen. Im Laufe der Planung musste ich mich mit mehreren Aspekten auseinandersetzen, die das Wesen einer Wine Master Class ausmachen.

Die Zusammensetzung der Teilnehmer einer Master Class spielte dabei eine wichtige Rolle. Ich habe mich dafür entschieden, die Veranstaltung allen Champagnerinteressierten zugänglich zu machen. Ausschlaggebend war dabei, dass die Verkostungserfahrung von professionellen und privaten Champagnerliebhabern nach meinem Eindruck in der Praxis nicht so weit auseinanderklafft, wie bei Bordeaux, Burgund und anderen Stillweinen. Es erscheint mir deshalb gerechtfertigt, Angehörige beider Gruppen an dem "Exotenthema" Champagner teilhaben zu lassen. Eine weitere wichtige Überlegung war der Probenaufstellung selbst gewidmet. Schon eine kurze Beschäftigung mit der Materie reicht, um festzustellen, wie höchst heterogen selbst ein so überschaubares Gebiet wie die Champagne ist. Dem sollte die Probenzusammenstellung Rechnung tragen, ohne jedoch ein Unschärfe in das didaktische Konzept zu bringen. Ohne vorzugreifen hoffe ich, dass mir der Mix gelungen ist. Schließlich musste ich mich noch mit der Frage befassen, ob und welche Speisen die Verkostung begleiten sollen.

Nach langem Ringen und weil ich weiss, wie anstrengend eine intensive Probe mit zwanzig Champagnern sein kann, habe ich mich für eine Menubegleitung entschieden. Damit fiel gleichzeitig die Entscheidung gegen eine labormäßige, allzu verschulte Verkostung. Bei allem Bildungsmehrwert, den eine Master Class haben soll, steht für mich bei dieser Veranstaltung doch die champagnertypische Lebenslust und ungehemmt hedonistische Begeisterung im Vordergrund.

Ich freue mich, Sie

am Samstag, 21. August 2010 zur I. Champagne Master Class in der Résidence, Essen-Kettwig einladen zu dürfen.

Einen geeigneteren Zeitpunkt als das Kulturhauptstadtjahr kann ich mir für die erste Champagne Master Class in Essen nicht vorstellen. Und es gibt keinen geeigneteren Ort für diese erste Veranstaltung, als das erste Haus am Platz – den exklusiven Club B in der Résidence (2 Sterne im Gault-Millau und 18 Punkte im Guide Michelin). Diese von Patron Berthold Bühlers freundlicher Präsenz gekennzeichnete Chambre Séparée bietet Platz für maximal zwanzig Schlemmer und Geniesser. Werfen Sie hier schonmal einen Blick hinein: http://www.hotel-residence.de/page16/page16.html.

Was es geben wird:
Henri Bach wird zu den insgesamt acht Flights mit zusammen zwanzig Champagnern ein exklusives Sieben-Gang-Menu auf die Teller bringen. Für alle, die sich danach nicht mehr in ein Taxi setzen wollen, hat Berthold Bühler zum Preis von 50 statt 95 Euro pro Person im Doppelzimmer inklusive Frühstückschlemmerbuffet ein kleines Zimmerkontingent reserviert (Einzelzimmer sind für nur 75 statt der sonst fälligen 125 Euro verfügbar).
Zimmerbuchungen können über mich oder direkt in der Résidence vorgenommen werden. Verkostet werden Champagner von 1979 bis 2005, darunter Magnums, Spätdégorgements, Bio-Champagner, Rebsortenraritäten, Starwinzer und renommierte Prestigecuvées, kurz: es wird eine tour d'horizon durch die Champagne.

Die Anmeldung:
Der Preis für Champagner und Menu beträgt 200,00 EUR. Sommeliers und Restaurantfachleute, die an der Champagne Master Class teilnehmen, erhalten auf Wunsch ein Zertifikat. Um den reibungslosen Ablauf zu gewährleisten und allen Interessierten eine faire Chance zur Teilnahme zu geben, ist die Teilnahme nur gegen Vorkasse möglich. Anmeldungen nehme ich per mail und auf den üblichen Kommunikationswegen bis zum 30. Juni 2010 entgegen. Unmittelbar nach Eingang der Anmeldung verschicke ich jeweils eine vorläufige Anmeldebestätigung mit der Bitte um Zahlung des Teilnehmerbeitrags. Die endgültige Anmeldebestätigung versende ich dann in der Reihenfolge der Zahlungseingänge. Es gilt wie immer: wer zuerst kommt, trinkt zuerst.

Ich freue mich auf eine hervorragende Veranstaltung in herrlichem Ambiente mit einer Runde von Champagnerbegeisterten,

Boris Maskow

Der Champagner und die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Health-Claims-Verordnung). Ein Traktätchen.

Von Normtexten und Erwägunsgründen

Die Europäische Union hat mal wieder ein Meisterstück an gesetzgeberischem Pfusch und mehrfach übersättigter Interessenpolitik unvollendet in die Rechtsanwendung entlassen. Das kann man leicht von fast allen europäischen Normtexten behaupten, deshalb hier die notwendige Konkretisierung: Es geht um die sogenannte Health-Claims-Verordnung. Also eine Verordnung, die sich mit Behauptungen über gesundheitsfördernde Eigenschaften der Produkte von Lebensmittelherstellern befasst. Gewollt ist, wie in diesen Dingen immer, der gewohnte Dreiklang aus Verbraucherschutz, Transparenz und maximalkorrumptiver Industrieprotektion (in den mit unbeschreiblichem Stumpfsinn und einer an vorzeitlich-magische Rituale erinnernden Förmelei jeder Verordnung vorangestellten Erwägungsgründen klingt das freilich so:"… um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, dem Verbraucher die notwendigen Informationen für eine sachkundige Entscheidung zu liefern und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Lebensmittelindustrie zu schaffen"). Wie man diese quirlige Mischung in höchster Verschwiemeltheit ausdrückt und in Normtexte giesst, weiss niemand besser, als der große Drache, die uralte Schlange, die Widerwirker und Satan heißt die europäischen Bürokraten.

Worum es eigentlich geht

Man kann trefflich darüber streiten, ob Champagner hartes Suchtgift oder profanes Lebensmittel, ein schlichtes Nahrungsmittel oder, ohlala, ein richtiggehendes Genussmittel ist. Er ist allem Anschein nach nicht ätherisch genug, um den Klauen der Eurokraten zu entwischen, ein jüngeres Beispiel dafür ist die abscheuliche Verordnung (EG) Nr. 607/2009 der Kommission vom 14. Juli 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates hinsichtlich der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben, der traditionellen Begriffe sowie der Kennzeichnung und Aufmachung bestimmter Weinbauerzeugnisse. Wobei ich gar nicht sagen kann, wie hoch das Mass an Mitschuld ist, das die Weinindustrie in diesem Zusammenhang auf sich geladen hat. Doch geht es hier der kämpferischen Einführung zum Trotz unmittelbar weder um die rechtsdogmatische, noch um die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Richtlininen und Verordnungen. Mir geht es vielmehr um ein Thema, das im Weinbau höchst unterschiedlich gewürdigt und angepackt wird. Es geht um das Marketing.

Die Champagnerfamilie als Aristokratenclique

Ein Zweig innerhalb der großen Familie aller Weinbauern hat es zu einer überragenden und Maßstäbe setzenden Meisterschaft im Marketing gebracht. Es ist eine der alten adeligen Linien, und zwar die der Champagnererzeuger. Will man nicht inadäquat verallgemeinern, so kann man dabei zwischen den Champagnern unterscheiden, die herrschenden Häusern angehören und jenen, die dem sonstigen hohen, bzw. niederen Adel angehören – angesichts des ausgeprägten Familiensinns innerhalb dieses überschaubaren Pools spielen Rangunterschiede in den meisten Bereichen keine allzu bedeutende Rolle. Hinzu kommt die bemerkenswerte Offenheit der Champagnerfamilie für Fremde, sei es aus uralt-innewohnendem Instinkt sozialer Wesen oder als Reverenz der Aristokratie an die Macht des Faktischen. Nicht nur am kometenhaften Aufstieg von Francois Vranken lässt sich ablesen, dass die Champagne keine hermetisch geschlossene Gesellschaft ist; um im Bild zu bleiben: es finden Erhebungen in den Adelsstand statt. Die Geschichte des Champagners wäre schließlich nicht denkbar ohne auswärtige Namen wie Müller, Werler, Roederer, Krug, Bollinger, Mumm und Deutz. Nach der hier skizzierten Herrschaftslehre soll im übrigen offen bleiben, ob nicht am Ende der Markt als eigentlicher Souverän anzusehen ist. Joseph de Maistre und Carl Ludwig von Haller würden sich freilich bei dem Gedanken im Grab umdrehen. Man wird ferner vermuten dürfen, dass nicht zuletzt der Koblenzer Konterfeigeber für einen der bekannteren deutschen Sekte, Clemens Fürst von Metternich, mit dieser Idee ebenfalls nicht einverstanden gewesen wäre.

Entr'acte

Dem Champagner steht, das will ich zur allgemeinen Erleichterung vorwegschicken, kein nicht selbstverschuldetes Ungemach ins Haus. Die im letzten Jahr von allerlei Unberufenen daherpalaverte Champagnerkrise ist erwartungsgemäß ausgeblieben, wie die kürzlich veröffentlichten Zahlen des CIVC belegen. Sicher, Häuser wie Piper-Heidsieck streichen ein Viertel ihrer Stellen, in England kostet big house bubbly stellenweise nur noch 17 GBP, das sind nur zwei Anzeichen für einen schwierigen Markt. Aber am Beispiel Champagner kann man gleichzeitig sehen, wie sich gelungenes Marketing langfristig auszahlt und ganz nebenbei eine in klebrig-trüben Beamtenschweiss getunkte Vorschrift spurlos abperlen lässt.

Was macht Kultwein aus?

Das liegt, horribile dictu eigentlich, zu einem nicht unwesentlichen Teil am Kultcharakter des Champagners. Dem wollen wir an dieser Stelle kurz nachgehen. Verfassungsrechtlich bietet sich dazu ein Vergleich mit Religionsgemeinschaften an, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts anstreben. Denn um kaum etwas anderes als einen "Kult" geht es letztlich bei der Verehrung bestimmter Weine, bzw. Weinregionen. Man könnte also in analoger Anwendung des Art. 140 GG, und des Art. 137 Absatz 5 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) an eine Kultweinregion bestimmte Anforderungen stellen. Sie müsste "durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten", so die WRV knapp über die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Daraus lassen sich für unsere Zwecke drei maßgebliche Elemente isolieren: eine Verfasstheit im Sinne eines bestimmten Terroirs, eine Gefolgschaft im Sinne einer treuen Kundschaft und schließlich noch zeitlich gesehen ein gewisses Stabilitätsmoment. Alles Dinge, die man ebenso an Rhein und Mosel, in Burgund, an der Rhône, in Piemont und Bordeaux findet.

Die profanen Lebensmittel …

Doch was ist nun das Fundament für den außergewöhnlichen Kultcharakter des Champagners? Die Antwort wird man zumindest teilweise bei den elementaren Bedürfnissen und überlebenswichtigen Gemütsbewegungen finden. Beschränken wir uns dabei auf die Lebens- und Nahrungsmittel, denn um diese geht es in der Health-Claims-Verordnung. Ohne Lebensmittel kommt der Mensch, obacht, nicht aus. Kein Wunder, dass hier intensive Werbung und Positionierung stattfindet. Unter den mit Fleiß beworbenen Produkten finden sich gleichwohl nur wenige, die es in Hinblick auf Bekanntheit und positive Konnotationswirkung mit dem Champagner aufnehmen können. Selbst wenn man Junkfood unter dem Gesichtspunkt der Popularität in der Wertung behalten wollte, müssten Hamburger, Fischstäbchen, Zuckerwatte und Co. recht bald ausscheiden, weil ihnen objektiv die positive Wertschätzung abgeht. Gänsestopfleber und Froschschenkel wiederum gelten als essbarer Inbegriff der Gaumenfreude, leiden aber unter dem Verdikt der Tierquälerei. Der zweifellos wichtige Fortpflanzungstrieb scheidet – und es gibt niemanden, der das mehr bedauert als ich – leider ebenfalls frühzeitig aus der Wertung aus, denn sein Markenbild ist trotz hoher Strahlkraft arg gebeutelt – was für unsere Betrachtung nicht entscheidend ist. Seine Bedeutung als Nahrungsmittel dürfte nämlich selbst unter Einbeziehung extremer Praktiken gering sein.

… und was den Champagner davon unterscheidet

Aber der Weg vom Spitzenhöschen zum Spitzenchampagner ist, ich werde nicht müde es zu wiederholen, nicht weit. Er führt über die berühmten Genusscousins aus Bordeaux und Burgund. Ich sage das nicht, weil ich das Bonmot "beim Bordeaux denkt man Dummheiten, beim Burgunder sagt man Dummheiten und beim Champagner macht man sie" kenne. Sondern weil beide Weinregionen seit Jahrhunderten hoffähig sind und mal mehr, mal weniger, mit Wohlstand, Sammeltrieb, höchstem Genuss und tiefer Leidenschaft in Verbindung gebracht werden. Dennoch: selbst ein Spitzenbordeaux wird immer etwas für Londoner Investmentbanker, Gynäkologen und Chinesen sein. Will man selbst da wirklich dazugehören? Geschweigedenn die Mehrheit der Verbraucher? Wie? Na bitte. Die kapriziöse Diva Burgunderwein hat schon mehr erotisches Potential, ist aber so kompliziert, wie eine Frau aus Fleisch und Blut, wenn nicht noch komplizierter, wenn's denn überhaupt möglich ist. Und Châteauneuf? Tja, der ist zwar unheimlich sexy, aber wie das mit Sexyness und Päpsten nunmal so ist, nicht alle finden das gleichermaßen gut. Das Thema Deutschwein und hier natürlich die Spitze der edelsüßen Granaten wäre noch geeignet, eine lange und fruchtbare Diskussion zu entfachen, auch die Italiener hätten sicher einige wichtige Erzeugnisse beizusteuern, die Neue Welt nicht minder, an Kandidaten aus der übrigen Weinwelt mangelt es demnach nicht. Ihnen fehlt jedoch stets das eine oder andere wichtige Element um in puncto Marketingerfolg auf Augenhöhe mit dem Champagner zu rangieren. Keiner dieser Weine evoziert nämlich seit so langer Zeit ein gleichermaßen positives Bild beim Konsumenten, sei er unbeleckter Amateurtrinker oder gewiefter Weinprofi. Wir können also festhalten, dass Champagner in dem lange mit Fleiss aufgebauten und gutgenährten Ruf steht, ein Luxusprodukt der Extraklasse zu sein.

Champagner als Weinphänomen

Als Festgetränk höfischer Unzucht über Jahrhunderte unverzichtbar, sickerte das perlende Nass seit dem Ende der Bourbonenherrschaft immer häufiger und strömender in Literatenfedern und bourgeoise Gelage. Champagner Charlie und das Russlandgeschäft der Veuve Clicquot, Napoleons Neigung zu Lakritze und Champagner, Churchills und nicht zuletzt Bismarcks Freude am Champagner sind glanzvolle Facetten dieses Weinphänomens und bilden dessen Fundament, weshalb also Champagner am Ende bedeutend mehr ist, als nur ein Weinphänomen, sondern lange etablierter Kult, womit sich der Zirkel virtuos, nicht vitios schließt.

Conclusio

Was hat das mit der Health-Claims-Verordnung zu tun? Erfreulich wenig. Denn obwohl nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung nun "jede Aussage oder Darstellung, die nach dem Gemeinschaftsrecht oder den nationalen Vorschriften nicht obligatorisch ist, einschließlich Darstellungen durch Bilder, grafische Elemente oder Symbole in jeder Form, und mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt" unter den Oberbegriff der "Angabe" fällt, bieten die Werbekampagnen der Champagnerhäuser der Verordnung wenig bis gar keine Angriffsfläche. Art. 4 Abs. 3 schnürt für Getränke mit mehr als 1,2% vol. alc. das Vorgabenkorsett noch einmal enger, indem keine gesundheitsbezogenen, und nährwertbezogene Angaben nur insoweit zugelassen werden, als sie sich auf einen geringen Alkoholgehalt oder eine Reduzierung des Alkoholgehalts oder eine Reduzierung des Brennwerts beziehen. Davon wird man beim Champagner schon produktionsbedingt keinen Gebrauch machen können. Gleichzeitig fällt jetzt selbst Bier unter das harte lebensmittelrechtliche Regime dieser Verordnung, was die Situation für Werbetreibende auf diesem umkämpften Markt nicht erleichtert. Eine schwierige Situation also für eine Agentur, die das Werbebudget einer Champagnerfirma anzapfen möchte. Doch genau hier bewährt sich der Champagner: es bedarf keiner umständlichen Aussagen, um Champagner zu verkaufen. Champagner muss nicht erklärt werden, Champagner muss nicht angepriesen werden, sondern Champagnerwerbung braucht nur die fest in der Vorstellungswelt ihrer – potentiellen – Konsumenten verankerten Assoziationen von Festlichkeit und Luxus anzustoßen, um die vollständige Werbebotschaft an den Mann zu bringen. Champagnerwerbung kann sich, da ist sie der Parfumwerbung oder auch der Werbung für Luxuslimousinen nicht unähnlich und darin liegt die eigentliche conclusio, einen besonders hohen Abstraktionsgrad erlauben. Dadurch entzieht sie sich der (An-)Greifbarkeit durch Regelungen wie die Health-Claims-Verordnung. Und das ist keine besonders moderne Form des viralen Marketings, sondern ein bemerkenswertes Resultat und schöner Nebeneffekt jahrhundertelanger Arbeit.

Champagnermenu in Hackbarth’s Restaurant

Lange bevor ich wusste, wo denn im Ruhrgebiet eigentlich Oberhausen liegt, empfahlen mir bereits verschiedenste Bekannte, bei Gelegenheit Hachbarth's Restaurant ebenda aufzusuchen. Diese Gelegenheit, so dachte ich seinerzeit, würde noch lange auf sich warten lassen und so könne es auch ruhig bis auf weiteres sein Bewenden damit haben. Doch dann kam alles anders, ich ins Ruhrgebiet und natürlich entsann ich mich der betagten kulinarischen Empfehlungen. Am eindrucksvollsten hatte ich den bezwingenden Ton eines ganz bestimmten Fürsprechers im Ohr und an den tagelang nachhallenden Tinnitus konnte ich mich ebenso lebhaft wie deutlich erinnern. So reifte denn der Entschluss in mir, den berühmten Herrn Hackbarth einmal aufzusuchen und setzte sich als latenter Wunsch in mir und letztlich auch in meinen tausenderlei über Tische, Desktop-PCs, Smartphones und Netbooks vagabundierenden, nie wirklich synchronisierten Kalendern fest.

Irgendwie wollte es dennoch nie klappen, mit dem Besuch. Bis ich vor wenigen Wochen eine Veranstaltung auf der Zeche Zollverein mit einem Weinbeitrag samt körperlicher, vor allem stimmlicher und nicht zuletzt auch geistiger Präsenz zu versehen hatte. Wer aber kommt da ebenfalls in das rückwärtige Räumchen? Meister Hackbarth, dem ich somit bei einem von ihm geleiteten Kochkurs von Ferne auf das Hackbrett schauen konnte. Die erste Kostprobe gab es an diesem Abend bereits in Form einer Flusskrebssuppe, die ich in Sterneschuppen schon schlechter bekommen habe. Der danach verabreichte Senfrostbraten vom Iberico Pata Negra-Rücken mit Mille-Feuille von geröstetem Wirsing, gebackenen Karrtoffeln, Birnen-Lauch-Confit und Trüffeljus konnte den Besuchsdruck noch ein weiteres Mal erhöhen.

Wer Hanseaten in der Familie hat, weiß, dass diese Leute gern den Patrizier und Pfeffersack geben. Nicht so der Hamburger Jörg Hackbarth: freundliches, einehmendes und verbindliches Wesen, ein guter Zuhörer und besonnener Sprecher. Und ein ungekünsteltes understatement, das man ihm gern abnimmt. Dabei, und das ist fast das beste, ein Champagnerfreund. Die Sache war schnell klar und gegen alle terminlichen Widerstände spitzte ich gestern endlich in Hackbarth's Restaurant.

Der I. Gang bestand aus Hackbarth's Tapas: Thunfisch auf Rübchen, Ententerrine auf Chutney und Grissini mit Scampifüllung auf Asiasalat. Dazu gönnte ich mir Bernard Tornays Extra Brut. Dessen haustypisch haselnussige, mit Mineralien und Räuchernoten unterlegte Nase war ein Sparringspartner auf Augenhöhe für den exzellenten Thunfisch. Ob die anderen beiden da mithalten würden? Sie hielten. Entenfleisch ist so oder so einer der absoluten Traumpartner für dosagearme Champagner denn das, was diesen Champagnern manchmal an Saftigleit fehlt, bekommen sie von einer guten Entenfleischterrine oder -galantine allemal zurück. Nun noch die Grissini, die nicht zu gross, nicht zu teigig, von der richtigen Knusprigkeit – nämlich ohne die Gefahr mittelschwerer Gaumenverletzungen durch granatsplitterartige Teigbruchstücke – und dem richtigen Verhältnis von Teig zu Füllung waren. Exakt zu diesem Champagner passte das nahtlos. Selbst der von mir ob seiner süssen Säure zunächst mit Sorge betrachtete Asiasalat spielte mit.

Als II. Gang gab es Jakobsmuscheln in Salbei gebraten auf sizilianischem Brotsalat. Dazu trank ich Champagne Nominé-Renard Brut Rosé. Die Salbeiblätter waren von milder Salbeiwürze und Gottseidank nicht so herb-medizinal, was zu dem feinfruchtigen Rosé nämlich gar nicht gepasst hätte. So allerdings passten die Salbeiblätter gut zum Champagner und zur Jakobsmuschel, die wiederum auf einem vorbildlichen Brotsalat thronte. Dessen geröstete Brotscheiben waren überwiegend dünn bis hauchdünn und allesamt knusprig. Das für mich entscheidende bei diesem Gericht ist, dass die Brotscheiben nicht von den Tomatenwürfeln aufgeweicht werden, bevor man mit dem Essen überhaupt beginnt. Sehr zu meiner Freude blieb die ganze Komposition stabil und verlief nicht zu einem Tomaten-Brot-Matsch. Der Champagner freilich hatte etwas Mühe mit dem rustikalen Salätchen, wäre aber auch schon mit der Jakobsmuschel allein in Bedrängnis geraten.

Der III. Gang bescherte mir ein Steinbuttfilet mit Pinienkernen und Serranoschinken auf Tagliolini in Krustentierschaum. Dazu gab es weiterhin den Rosé und außerdem den Nominé-Renard Brut Tradition. Der Fisch mit dem grotesk verdrehten Gesicht zeichnet sich durch ein festes, strahlendweisses Fleisch aus, das zur kombination mit dem Fleisch von Landbewohnern herausfordert. Oft bekommt man dann eine gebratene Blutwurstscheibe zum Steinbutt, bei Hackbarth's war es Serranoschinken. Den fand ich, zusammen mit dem ganz dezent aromatischen Krustentierschaum, gut dazu ausgewählt und zubereitet. Die Pinienkerne waren darüber hinaus eine geschickte Überleitung zu den recht weichen Tagliolini. Zu alldem vertrug sich der weiße Champagner-Allrounder von Nominé-Renard sehr gut und bei diesem Gang zeigte sich dann auch der Rosé wieder versöhnlich. Zum weißen Fischfleisch gefiel er mir übrigens besser, als zum Serranoschinken, beim weißen Champagner war es genau umgekehrt.

Gang IV. war Maishuhnbrust mit Morcheln auf Leipziger Allerlei und Kerbeljus, dazu gab es weiterhin den weißen Nominé-Renard und den 2003 by Bollinger. Meine Haupteindrücke dieses Ganges stammen von den Morcheln, vom Kerbeljus und vom 2003 by Bollinger. Die drei waren wie füreinander geschaffen. Die Morcheln mit ihrer morbide Lüsternheit verbreitenden Aromatik, dazu der konzentrierte, aber nicht lästige Kerbel und ein 2003 by Bollinger in Bestform, Puligny-Montrachet pur! Das zweifellos gelungene Maishuhn wurde fast zur Nebensache, das Leipziger Allerlei konnte im Rahmen der Butteraromatik glänzen.

Zu, Schluss gab es den V. Gang, ein Délice Variée aus Zitronenparfait mit Erdbeere und Rhabarber, Armem Ritter und Streuselkuchen auf Quarkmousse mit Äpfeln. Dazu weiterhin Bollingers verrückten Jahrgang. Das Zitronenparfait war sauber, etwas milchig, mit angenehm herben Zitronenschalenschnipseln, erdbeeren, die nach erdbeeren schmeckten und einem bissfesten, aromatischen roten Rhabarber. Der Arme Ritter passte wegen seiner Herkunft aus der Backstube und seiner nicht so hervorstechenden Süße am besten zum Champagner, der sich von Minute zu Minute weiter in seine Burgunderrolle vertiefte. Die Streusekuchenstange war wegen ihrer Festigkeit das ideale Werkzeug, um die fluffige Quarkmousse aus dem Becher zu holen und dabei immer auch ein paar Apfelwürfel mit aufzulesen. Noch vor wenigen Monaten hätte der Bollinger ganz gewiss auch dazu gepasst, aber an seinem Burgundertag war die Kombination mit dem Armen Ritter überlegen.

So ging die Zeit in Hackbarth's Restaurant dahin und hat sich gelohnt. Ein Blick auf das Regal mit den in der Vergangenheit geleerten Weinflaschen bestätigte, was ein Überfliegen der Weinkarte unmissverständlich angekündigt hatte: hier wird gute Küche mit Freude am Wein gelebt. Nicht unerwähnt bleiben darf der flotte und gut geschulte Service, kleine Holperer beim Dahersagen der Menuabfolge sind lässlich und spielen insbesondere für mich bei einem Haus, das mit guten Gründen nicht am Sternerummel teilnimmt, keine Rolle.

Dom Ruinart vertikal getrunken

A. Blancs:

I. 1981

Dem 81er hatte das Haus ein neues, nicht mehr ganz so überfrachtetes Etikett spendiert. Ob sich das auf den Champagner ausgewirkt hat? Man weiß es nicht. Überfrachtet wirkt an diesem athletischen, aber nicht asketischen Typ nichts. Drahtig und sehnig, Grapefruit und Toastbrot, ein isotonisches Getränk für Genießer, ideal nach dem Fressmarathon oder einer langen Rotweinprobe.

II. 1993

Kein sehr starker Dom Ruinart, man muss sich sogar fragen, was bei Ruinart in diesem Jahr passiert ist und für mich eng damit verknüpft ist die Frage, warum zum Teufel man keinen 95er Dom Ruinart bekommen kann. Der Champagner hat eine dürftige, allenfalls seltsam reife, aber überhaupt nicht ansprechende Nase. Und schmeckt einfach nur fertig. Meiden!

III. 1979

Mühelos überholt der 79er den 93er. Was ist da noch an Leben in diesem Champagner, ein bizzeln und sprotzeln, das reinste Fest. Dazu Milchkaffee, Toffee, ankaramellisierte Butter, englische Orangenmarmelade, so schön müssten alle reifen Champagner sein und vor allem die viel zu vielen viel zu gewöhnlichen Blanc de Blancs können sich bei diesem Reifeverhalten eine dicke Scheibe abschneiden.

IV. 1990

Ein Champagner, den ich mit Fragezeichen versehen hatte und auf den ich gespannt war. Die 1990er sind allgemein sehr früh – ich vermute ja: von Champagner-immer-viel zu-jung-Trinkern – enthusiastisch beschrieben worden. Und wahrlich, das timing war nicht schlecht: die Abfolge 1988-1989-1990 spielte guten Kellermeistern phantastisches Material in die Hände, viele 88er sind heute bombig, von den 89er hört man nicht mehr viel, weil sie wahrscheinlich überwiegend getrunken wurden, und 1990 nimmt eine gewisse Sonderstellung ein. Bis zum Jahreswechsel 1999/2000 waren die damals teilweise flammjungen 90er weit überwiegend in einer sehr guten Form. Danach tauchten viele ab, manche tauchten nie wieder auf, andere sind noch untergetaucht, andere kommen langsam in der nobel-zurückhaltenden Zeremonien-Gewandung großer Champagner wieder an die Oberfläche. Dieses Abtauchen wird bei anderen Weinen selbstverständlich hingenommen, bei Champagnern jedoch fast immer und vor allem von Bordeaux-Leuten zunächst mit Irritation quittiert. Völlig zu Unrecht, wie ich meine. Beim Dom Ruinart 1990 wusste ich nicht, in welcher Form ich ihn antreffen würde. Die Antwort hätte Conrad Ahlers kurioser Weise schon 1962 gewusst: "bedingt abwehrbereit"! So wie der 90er Rosé sich mit einer nicht altersuntypischen Gemütlichkeit rund und weich zeigte, war auch der weiße Dom Ruinart 1990 jenseits seiner midlife crisis wieder aufgetaucht. Leichte Bindegewebsschwäche, mäßig ausgeprägte Antriebsstärke, abgeschliffene Reiss- und Schneidezähne, erste Anzeichen einer Osteoporose. Damit will ich nicht sagen, dass der Champagner im Eimer war, so schwach wie der 93er war er lange nicht. Er war mehr der Typ Business Angel, also der gestandene Manager, der die gröbsten Stürme des Lebens hinter sich gebracht hat und jetzt sein umfangreiches Wissen weitergibt. Denn an Aromenfülle war kein Mangel. Jetzt trinken.

VI. 1988

Ein unerwartetes Kopf-an-Kopf Rennen gab es mit dem 1988er Dom Ruinart. Von schlankerer Anlage und bei den Rosés mit etwas mehr als einer Nasenspitze vorn, war hier der Gegensatz zwischen reifem, aufgeplustertem, farbenfrohem 90er Chardonnay und vorbildlichem, säurestarkem, reichlich bissigem, in der Jugend sogar giftigem Blanc de Blancs gut zu sehen. Im Vordergrund Kaffee und Röstaromen, dicht dahinter eine agile, mineralische Zitrussäure und ein feiner Schmelz. Ich glaube nicht, dass sich da noch sehr viel ändern wird, insbesondere weiß ich nicht, ob mit weiterer Flaschenreife noch eine zusätzliche Aromenschicht hinzutreten wird. Wenn er sich so noch etwas hält, ist das schon eine sehr gute Leistung. Traumhaft wäre dieser Champagner natürlich in einer mit Champignons und Waldboden angereicherten Form. Wird man ja sehen, ob das noch kommt.

VII. 1996

Der erste Dom Ruinart mit dem jetzt aktuellen abgerundeten Etikett. Kann man im Moment nicht viel zu sagen, finde ich. Hart, aber nicht abweisend, sehr viel Zitrusfrische macht sich am Gaumen breit, dahinter kommt noch nicht viel zur Geltung. Anknüpfungspunkte für ein gutes Reifeverhalten könnte die etwas undurchdringliche, milchige Crèmigkeit sein. Milchig empfinde ich hier vor allem im Sinne einer dicken, süsslichen Milchcrème, nicht im Sinne einer abgeflachten und breitgewalzten Aromatik, die auf übertriebenen Säureabbau zurückgeht. Der Champagner befindet sich offensichtlich noch im Puppenstadium, wo er gern die nächste Jahre bleiben darf, wenn es der guten Sache dient.

 

B. Rosés:

I. 1979

Ein Etikett so elegant wie die Holzstiche und Schnitzmotive von lustigen Biertrinkern in Opas Kellerbar. Stets als Assemblage-Rosé mit knapp 20% Stillwein aus Verzenay und Verzy, das Grundgerüst ist reiner Chardonnay. Schon ein sehr reifer Rosé, der mit viel kandierter Frucht, Orangeat, Amarena-Cocktail-Kirschen und einer insgesamt süsslichen Art, wie sie die älteren Herrschaften gern haben, zu überzeugen versuchte. Positiv hervorzuheben ist die enorme Präsenz, die der Champagner hatte und die sehr reichhaltige, das Alter und die vereinzelt trocknend wirkenden Sherrytöne etwas vergessen lassende Aromatik.

II. 1982

Diesen Dom Ruinart gab es zum Glück schon mit dem geringfügig aufgehübschten Etikett. Ebenfalls ein sehr rüstiger Rosé. Frühverrentete Lehrer, die im Garten ihre Kirschen vor dem Raub der Vögel beschützen, können nicht dynamischer sein. Gedeckter Kirschkuchen mit guter Schlagsahne, dazu Schwarztee. Gut möglich, dass der hohe Pinot-Anteil sich im Alter typischerweise mit dieser Kirschnote bemerkbar macht. Fällt mir erst jetzt auf.

III. 1986

Reifer, als ich vermutet hätte, vielleicht liegt's am Jahrgang. Während ich bei den beiden Vorgängern mit der Kaffeekränzchenstilistik gut zurecht kam, hätte ich mir hier Abwechslung oder zumindest eine jugendlichere Interpretation gewünscht. Doch statt einer aufgepeppten Version von gedecktem Kirschkuchen und Tee gab es nun Schwarzwälder Kirsch, Dänische Buttercookies, Mandelkrokant, Mürbeteigkuchen und Jacobs Krönung mit Kirschwasser. Sehr schön, einerseits, dass da noch so viel Spiel war, anstrengend andererseits, so viele, leider zum Teil schon etwas angetrocknete Aromen im Mund zu haben.

IV. 1985

Frischer, griffiger, frecher und mal wieder eine Bestätigung für die Langlebigkeit und Qualität des Jahrgangs war der 1985er. So simpel und unraffiniert es klingt: Rote Grütze (natürlich die mit dem guten Überseerum) mit Vanillesauce im Pfannkuchenwrap beschreiben es ganz gut.

V. 1990

Aus der Normalflasche war er mit viel Freude trinkbar, bei diesem Champagner lohnt sich aber die Anschaffung in Magnums, denn der Magnumeffekt ist hier scheinbar besonders stark ausgeprägt. Entwicklungsfreudig, wobei das Tempo, mit dem die Fruchtparade vorbeizieht teilweise etwas hektisch und überstürzt wirkt. Typisch für Dom Ruinart Rosé und beim 90er besonders stark ausgeprägt ist die weinige, deutlich vom Spätburgunder geprägte Art. Weiche Aromen von Kokos, Mandel und Milchschokolade, erfrischende Komponenten vom Erdbeer-Rhabarber Kompott. Aus der Magnum ist die Entwicklung langsamer, genussvoller.

VI. 1988

Auf Augenhöhe mit dem 90er. Gebuttertes Rosinenbrötchen, eine Auswahl verschiedener Fruchtmarmeladen, Toastbrot und Kaffee – bei diesem Champagner erkennt auch der Letzte die Bedeutung des Worts Champagnerfrühstück. Einziger Wermutstropfen: in der Normalflasche gewinnen nach Luftzufuhr süssliche, kräuterige Aromen und eine alterstypische eindimensionale Säure etwas zu schnell die Oberhand.

VII. 1996

Blind würde man sagen: erstens Blanc de Blancs und zweitens untrinkbar. Wer ihn jetzt öffnet, sollte ein Freund stark gepfefferter Austern mit etwas zu viel Zitronensaft sein. Daneben finden sich noch einzelne, verloren wirkende rote Johannisbeeren und ätherisch feine, bzw. ätherisch kleine Mengen reifer Himbeeren. Erinnert mit etwas Gewöhnung (oder Einbildung, schwer zu sagen) an Molke mit Erdbeer-Himbeer-Maracuja Geschmack. Jedenfalls ein gutes Zeichen für später.