Rebveredlung: Die erfolgreichste biologische Schädlingsbekämpfung
15.12.2009 Wenn alljährlich im November und Dezember Medaillen und Ehrenpreise an die erfolgreichen Teilnehmer der rheinland-pfälzischen Landesprämierung in den sechs Anbaugebieten des Landes vergeben werden, stehen natürlich die großen Weine des Jahres und ihre Erzeuger im Mittelpunkt. Eine Ausnahme bilden die Anbaugebiete Rheinhessen und Nahe. Hier sind es nicht nur Winzer, Erzeugergemeinschaften oder Kellereien, die sich aus freien Stücken einem Qualitätswettbewerb stellen. Hier besinnt man sich anlässlich der Wein- und Sektprämierung darauf, dass bestes Pflanzgut erst die Voraussetzung für beste Weinqualität und den wirtschaftlichen Erfolg der Weinbaubetriebe schafft. Daher hat sich hier die Tradition des Prämierungsentscheids der Rebveredler erhalten, dem sich jährlich zwischen 25 und 30 Betriebe stellen.
Bis ein Winzer überhaupt einen Weinberg anlegen kann, in dem er später die Trauben erntet aus denen er seine Weine keltert, haben schon drei Instanzen davor ihre Arbeit erledigt.: Ein Züchter hat eine spezielle Selektion einer vorhandenen Rebsorte oder die Kreuzung zweier Rebsorten vorgenommen. Der Rebveredler, der die Pflanzschule bewirtschaftet, hat auf eine Unterlage einen Rebsortenklon aufgepfropft, das Pflanzgut vermehrt und in der erforderlichen Qualität und Quantität zur Verfügung gestellt. Die Landwirtschaftskammer als staatliche Anerkennungsbehörde hat die Züchtung anerkannt und in mehreren Anerkennungs- und Kontrollschritten die Vermehrung zu Pflanzreben, deren Sortierung und Verkauf begleitet und mit einem Pflanzenpass nach EU-Norm die erforderlichen gesundheitlichen Eigenschaften der Pflanze attestiert. Ohne Rebveredlung, ohne die Betriebe, die gesundes und leistungsfähiges Pflanzmaterial bereit stellen, ist Qualitätsweinbau längst nicht mehr möglich.
Vor etwas mehr als 100 Jahren war das noch ganz anders. Rebveredlung war da im Weinbau überhaupt kein Thema. Erst eine existenzielle Gefährdung des Weinbaus in Europa durch einen bis dahin unbekannten Schädling und eine geniale Verteidigungsstrategie machten Rebveredlung hier zur verbreiteten Selbstverständlichkeit. Rebveredlung setzte sich als erfolgreichste biologische Schädlingsbekämpfung aller Zeiten rasch durch.
Das Jahr 1865 ist nicht wegen eines großen Weinjahrgangs ein ganz besonderes in der europäischen Weingeschichte. Vielmehr ist ein unscheinbar kleines und in seiner Lebensform recht kurioses Insekt verantwortlich dafür, dass dieses Jahr zum Merkdatum wurde. Es ist das Jahr, in dem die Reblaus (Vitaeus vitifliae) nach Frankreich eingeschleppt wurde und sich von da an rasant über das Land ausbreitete. Binnen weniger Jahre waren 2,5 Mio. Hektar Rebfläche zerstört, ohne dass irgendwelche Schutzmaßnahmen mit Aussicht auf Erfolg auch nur konzipiert waren, obwohl sich die klügsten Köpfe des Landes in Krisenstäben mit Louis Pasteur an der Spitze damit beschäftigten. Die Reblaus stammt aus Nordamerika und ernährt sich durch Saugen an den Reben. Andere Pflanzen sind vor ihr völlig sicher. Man unterscheidet weiblich Wurzelläuse, die zahlreiche Eier legen, aus denen im Sommer sich einige zu geflügelten Rebläusen häuten und das Erdreich verlassen. Auch sie sind alle weiblich und legen Eier aus denen männliche und weibliche Larven, die sogenannten Geschlechtstiere, schlüpfen. Denen fehlen Kauwerkzeuge und Verdauungsorgane, da ihre einzige Bestimmung darin besteht, für Nachwuchs zu sorgen. Das Männchen stirbt nach dem Begattungsakt, das Weibchen nach der Ablage eines einzigen Eis, aus dem im Frühjahr eine Laus als Mutter aller Folgegenerationen schlüpft. Sie legt die Eier für die oberirdische Generation an den Blättern und für die Wurzelläuse, die den zerstörerischen Kreislauf schließen.
In Californien hatte sich in den Millionen Jahren der Evolution eine gegenseitige Anpassung von Parasit und Wirtspflanzen entwickelt, so dass die dortigen Rebsorten zwar befallen wurden, aber nicht abstarben. In Europa aber hatte diese Evolution nicht stattgefunden. Für eine funktionierende Symbiose, wie in Amerika, fehlten die Voraussetzungen. Die Reblausinvasion traf die hier heimischen Rebsorten völlig unvorbereitet. Bei Befall bildeten sich an den Wurzeln Wucherungen, die das Leitgewebe schädigten. Im Winter faulten die Wucherungen, und das Wurzelsystem starb ab, und zwar in einer Rasanz, dass die Rebstockvernichtung infolge Reblausbefall sich epidemieartig ausbreitete.1874 trat die Reblaus in der Gartenanlage Annaberg bei Bonn und damit erstmals auch in Deutschland auf. Sie traf hier allerdings auf eine gut vorbereitete Verteidigungslinie mit verschiedenen Quarantäne- und massiven Bekämpfungsmaßnahmen Am Ende des 19. Jahrhundert aber galten deutschlandweit dennoch 156 ha Rebland als verseucht. Die Gefährdungslage blieb außerordentlich hoch, bis die Ampelografie die Wende einleitete und mit der Freigabe des Pfropfrebenanbaus im Jahre 1925 die indirekten Bekämpfung endgültig den Triumph über die Reblaus brachte.
Die geniale Idee der Bekämpfung durch Pfropfen beruhte auf der Erkenntnis, dass der in Amerika praktizierte oberirdische Kreislauf der Reblaus über die Blätter bei den europäischen Reben ausblieb. Es kam hier ausschließlich zum Befall und Absterben der Wurzeln Bei den amerikanischen Sorten hatte der Wurzelbefall dagegen nicht zum Absterben geführt. Das war der Schlüssel zur Bekämpfungsstrategie mittels Rebveredlung. Zunächst wurde in Deutschland der Anbau der amerikanischen Reben verboten, damit der Blattbefall unterbunden wurde; sämtliche Bestände wurden vernichtet. Reblausbekämpfung wurde zur hoheitlichen Aufgabe. Die Herstellung und der Anbau von veredelten Pfropfreben unterliegen bis heute der staatlichen Kontrolle.
Die Pfropfrebe besteht damals wie heute aus zwei Bestandteilen. Der oberirdische Teil besteht aus einer europäischen Rebe, die nicht am Blatt befallen werden kann, und die als definierte Rebsorte (Klon) den späteren Wein in seiner Art bestimmt. Aufgepfropft wird diese Rebe als Edelreis mit einem Austriebsansatz (Auge) auf eine unterirdische Unterlage, die aus reablausunempfindlichen amerikanischen Sorten gekreuzt wurde. Die Unterlage übernimmt über ein tief greifendes Wurzelwerk später die Nährstoff- und Wasserversorgung. Aus dem Edelreisauge wächst der Rebstamm, der Reben, Blätter und schließlich Trauben hervorbringt Der Rebveredler stellt die Verbindung der beiden Bestandteile her, indem er mit speziellen Schnitten ein gemeinsames Wundgewebe (Kallus) bildet. Darin verwachsen beide miteinander und werden zur pflanzlichen, reblausresistenten Einheit
Im Rebenveredlungsbetrieb werden die jungen Pfropfreben so lange gehegt und gepflegt, bis sie im Freiland der Rebschule über eine gesamte Vegetationsperiode kultiviert werden. Wenn sie 1 Jahr alt sind, kann die Pflanzung durch den Winzer erfolgen. In der Regel zwei Jahre nach der Pflanzung im Weinberg trägt der Rebstock die ersten Trauben und erreicht ab dem dritten seine volle Leistungsfähigkeit. Der so angelegte Weinberg kann eine Lebensdauer von 30 Jahren und, wenn gewollt, noch mehr erreichen. Im Hinblick auf Reblausvorsorge muss der Winzer lediglich verhindern, dass sich oberhalb der Veredelungsstelle Wurzeln bilden oder es unterhalb zu Blattaustrieb kommmt, da beides der Reblaus wieder eine Angriffsfläche bieten würde. Solches geschieht häufig in aufgegebenen und verwilderten Weinbergen (Drieschen), deren Beseitigung auch unter diesem Gesichtspunkt eine dringende Aufgabe ist. Reblausbefall wurde in den vergangenen Jahren wieder häufiger festgestellt. Betroffen waren wurzelechte Reben und Pfropfreben der Unterlagensorte 26 G. 2006 wurde das Anpflanzen wurzelechter Reben verboten. Zu verhindern, dass sich die Reblaus neue Lebensbedingungen erschließt und damit wieder zu einer großen Gefahr wird, ist eine wichtige Aufgabe für Züchter, Rebveredler und Winzer. Die Funktion der Rebveredler besteht dabei in der Kultivierung resistenter Unterlagen und der Selektionierung nach Maßgabe der jeweiligen Standortbedingungen des anzulegenden Weinbergs. Mit der Wahl der Pfropfkombination von Unterlage und Klon entscheidet der Rebveredler nicht zuletzt auch fundamental über den wirtschaftlichen Erfolg der neuen Rebanlage. Er kann dabei auf umfassende Affinitätsversuche etwa des DLR Rheinpfalz zurückgreifen.
Die Landwirtschaftskammer betrachtet die Prämierung von besonderen Betriebsleistungen als Anerkennung und Ansporn zugleich. Die Bewertung erfolgt in zwei Schritten: Zunächst wird im Zuge einer Feldbesichtigung im Sommer eine Beurteilung der Rebschule nach definierten Kriterien vorgenommen. Später wird die Beschaffenheit des setzreifen Pfalzguts geprüft und ebenfalls anhand vorgegebener Kriterien mit Punkten bewertet. Bei der Rebschulprämierung 2008/2009 für die Anbaugebiete Rheinhessen und Nahe, die gemeinsam mit der Wein- und Sektprämierung in Mainz vorgenommen wurde, wurden mit einer goldenen Kammerpreismünze ausgezeichnet:
Rolf Dexheimer, Unterwendelsheim 56, 55234 Wendelsheim
Weingut Jäger, Rheinstr.17, 55437 Ockenheim
Wolfgang Kern, Neustr. 24, 55578 Wallertheim
Gerold Knewitz, Außerhalb 13, 55437 Appenheim
Walter Kiefer, Wallertheimer Str. 5, 55288 Armsheim-Schimsheim
Werner Magmer, Hauptstraße 19, 55546 Biebelsheim
Ulrich Martin, Rebschule, 67599 Gundheim
Jürgen Mauer, Mittelstraße 22, 55578 Gau-Weinheim
Hans-Günther Müller, Wackernheimer Str. 6, 55270 Schwabenheim
Adelheid Reimann, Klosterweg, 55452 Guldental
Klaus-Heinrich Rupp, Schulstraße 9, 55578 Wallertheim
Heinz-Willi Sommer, Mühlweg 19, 55599 Siefersheim
Klaus Schäfer, Wallertheimer Str. 8, 55288 Armsheim-Schimsheim
Peter Strubel, Wilhelm-Leuschner-Str. 3, 55237 Flonheim-Uffhofen
Ernstfried Wennesheimer, Westring 29, 67550 Worms-Abenheim
Quelle: Frieder Zimmermann, Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz