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Tag Archives: piper-heidsieck

Ain’t life grand? – Grand Culinary im Kameha Grand Bonn

 

Wer Bonn kennt, weiss, dass es dort beschaulich zugeht. Hotelmäßig dominiert unter den größeren Häusern die Günnewig-Gruppe das Bild, das ehemalige Bundesgästehaus auf dem Petersberg ist in Steigenberger-Hand und Maritim-Hotels gibt es auch.  An Sternerestaurants wird in Bonn traditionell gespart, einzig Rainer-Maria Halbedel hält die Michelinfahne hoch. Wer sternemäßig gut essen gehen will in Bonn, verlässt am besten die Stadt. Freilich: auch jenseits der Restaurantführer ist Leben, so rühmt der Bonner schon lange das Sassella in Kessenich oder bestellt seinen Fisch im Petit Poisson, der Veränderung war man, scheint's abhold.

Mit der Eröffnung des Kameha Grand kam Ende 2009 doch noch frischer Wind ins Bundesstädtchen. Frech am Rheinbogen auf der anderen, der falschen Rheinseite errichtet, in Filetlage am Ufer, Telekom und Post-Tower in Griffweite, verstört das flughafenterminalähnliche Gebäude seitdem manche etablierten Gemüter. Schuld daran ist nicht nur die kontrastierend-neobarocke Inneneinrichtung von Marcel Wanders. Dessen bevorzugt verwendete überdimensionale Zwiebelmusteroptik durchzieht das gesamte Haus, von den Fussböden im Dome über Tapeten, Dekowände und alles, was sich irgendwie 'branden' lässt, ja selbst die vom Zimmerservice in meinem Zimmer freundlicherweise hinterlegte, leider schon sehr abgegriffen wirkende Kondomschachtel passte sich ins Design ein. Abgesehen davon ist für die Konkurrenz natürlich ärgerlich, dass das Kameha Grand bereits jetzt den Titel als Hotel des Jahres 2011 für sich erringen konnte. Auch der MIPIM Award 2010 für Hotels ging als einer der bedeutendsten brancheninternen Design- und Architekturpreise an das neue Haus. Hinzu kommt noch, dass die Telekom sich als einer der großen Kooperationspartner des Hotels überaus präsent gibt und eine ganze Reihe weiterer Kooperationen verspricht ebenso stetigen Besucherstrom.     

Der Haus-Champagner des Kameha Grand in Bonn stammt von Piper-Heidsieck aus Reims. Dieser Erzeuger wurde hart von der Wirtschaftskrise getroffen und musste zuletzt ein Viertel seiner Mitarbeiter entlassen. Von denen, die verschont blieben, sind zwei besonders wichtig. Kellertalent Regis Camus (Sparkling Wine Maker of the Year 2004, 2007, 2008, 2009) und International House Communications Director Christian Holthausen. Regis Camus ist seit 2002 der Nachfolger des viel zu früh verstorbenen Daniel Thibault, der damals schon die önologischen Geschicke von zwei Champagnermarken, Charles Heidsieck und Piper-Heidsieck, in den Händen hielt. Regis Camus hat dieses Erbe angenommen und eines seiner größten Verdienste liegt darin, die beiden Marken so kontinuierlich nebeneinander fortzuführen, dass jede ihren Charakter behält und der anderen nicht in die Quere kommt. Nachdem ich erst jüngst von einer Charles Heidsieck Mis en Cave 2000 Magnum zum wiederholten Male sehr freundlich für das Haus eingenommen wurde, war ich auf die Vorstellung des Schwesterhauses sehr gespannt. Kameha-Chefkoch Jörg Stricker, der das Menu zu verantworten hatte und einen sehr souveränen, dabei gelassenen Eindruck machte, stellte zusammen mit Christian Holthausen, dem deutschstämmigen, aber nicht deutschsprachigen Kommunikationsdirektor aus New York die Paarungen des Abends vor.

I. Apéritif

dazu: Cuvée Brut, mit 80% 2006er Basis, davon 55PN 25PM 20CH, min. 28 Monate Hefelager und neun Monate Ruhe nach dem Dégorgement

Der Champagner ist ein Standardbrut, der erkennbar von einem großen Haus kommt. Christian Holthausen, mit dem ich einige Geschmacksvorlieben teile, teilte dazu mit, dass der Brut mit 9 g/l Dosagezucker auskommt, was für ein großes Haus bescheiden ist. Daher verwundert es eigentlich auch, dass Piper-Heidsieck einen so großen Kundenstamm im Massenmarkt hat. Denn der herbe, gar nicht übertrieben fruchtige Stil dürfte nur eine Minderheit unter den typischen Champagnerkunden ansprechen. Mir hat er ganz gut gefallen, wenngleich ihm etwas Säure gefehlt haben mag und große Komplexität nicht aufkommen mochte. Dennoch: für ein großes Haus ist der leicht räucherige und von frischem Baguette geprägte Stil untypisch und verleiht ihm Wiedererkennungswert.

Die Apéro-Kleinigkeiten kamen als flying buffet. Es gab unter anderem Entenleberpraline, weiße Schokolade, Szechuan Mango, Lachswürfel, Avocadotartar, marinierten Ziegenkäse, Hummertartar, Kaiserschotencrème und Kokosschaum. Zur Entenleber passte der Champagner besser, als zur weißen Schokolade, das schmelzige Fett der Entenleber war ideal zu den frischen Baguettenoten. Die Kombination mit der Szechuanmango wurde von deren pikanter Würze gerettet . Solo hätte die Mango den säurearmen Champagner an die Wand gedrückt, mit der schwerpunktverschiebenden Szechuanwürze fiel das nicht so sehr auf. Zum Lachswürfel und zum Avocadotartar gab es keine Kritikpunkte, zum marinierten Ziegenkäse war der Champagner dann sehr stark. Das verdankte er wieder seiner Baguetteeigenschaft und seinen durchklingenden Honignoten. Hummertartar und Kaiserschotencrème waren ausgezeichnete Begleiter, der Kokosschaum passte auch gut, wirkte aber etwas plakativ.

II. Sashimi und Sushi

dazu: Cuvée Brut

Dass Champagner zu Sashimi und Sushi passt, ist reichlich bekannt und denkbar risikoarm, sollte man meinen. Das stimmt aber nicht ganz, denn Sesam, Kaviar, Sojasauce und Wasabi sind aromatische Sprengsätze, die es geschickt zu händeln gilt. Der Brut von Piper-Heidsieck war auf Deeskalation eingestellt, die milde und zurückhaltende Säure um jeden Preis auf Krawallvermeidung getrimmt. Ein Konzept, das sich auszahlen sollte und selbst dem Wasabi-Klotz von der Größe eines Mensch-ärgere-dich-nicht-Würfels nicht in die Quere kam. 

III. Himmel & Äd von der Jakobsmuschel, Kartoffel-Pringles, Apfelair, Schmorschalotten und Endiviensalat

dazu: Rosé Sauvage, 45PN 40PM 15CH, entsteht seit dem relaunch 2004 mit 25% Stillweinzugabe und 9 g/l Dosagezucker

Der Rosé Sauvage und der Brut Sauvage sind eigentlich Reminiszenzen an die Zeit, als Piper-Heidsieck Champagner noch ohne biologischen Säureabbau entstanden und in der Jugend besonders unzugänglich waren. Heute ist das anders, der Stil ist fruchtiger und frühreifer. Leider schwankt die Qualität des Rosé Sauvage für meinen Geschmack zu stark. Mal sind diese Champagner in der Jugend sensationell, leichtfüßig, fruchtig und fein, mal schmecken sie plump und schwer. Ihr Reifepotential haben sie aber scheinbar in beiden Varianten eingebüßt, denn einige Flaschen, die ich mir nach dem relaunch 2004 voller Begeisterung hingelegt hatte, sind jetzt nur noch müde. Auch die Flaschen im Kameha konnten nicht überzeugen. Einfache, dominierende Kirschfrucht und im wesentlichen war es das auch schon. Ein leichter Rotsekt aus Alicante Bouschet, Cabernet Franc oder Grenache könnte ähnlich schmecken.

Unter diesen Bedingungen anzutreten, war für die Jakobsmuschel nicht leicht. Unterstüzung kam nicht von den Schmorschalotten, auch nicht vom Endiviensalat und von Äpfeln und Kartoffeln wäre sowieso keine Hilfe zu erwarten gewesen. So musste sich die aromatisch fein komponierte Speise dem rohen, übermächtigen Druck des Champagners unterwerfen.   

IV. Kartoffel-Lauch-Ravioli in Lardo gebraten, Avocadocrème, Steinpilze, Kalbsbries und Lakritzjus

dazu: Rare Vintage 1998 en Magnum, 77CH 23 PN

Der einzige Rare, der in Magnums hergestellt wird – und zwar ausschliesslich. Eine richtige und gute Entscheidung, wie ich vorwegnehmen darf. Denn der 98er ist dem 99er an Frische klar überlegen. Eine Mischung aus Jod, Honig, Mandeln, Hefe und Malzbrot, einige gebackene und einige fleischige, wohl vom Schwefel herrührende Aromen, die aber nicht stören und mit Luft verschwinden, bilden den Grundton. Darüber wabern ätherische Öle, Mandarine, Nektarine, Bockshornklee, Orangenblüte und Lime Juice. Ein softer, schwebender Champagner und eine Prestige-Cuvée von der ich hoffe, dass sie mit den Stärken der Jahrgänge 2002 und 2004 noch einmal an Finesse gewinnt. Denn um die Rare-Reihe war es viel zu lange viel zu ruhig. 

Eine rundum gelungene Paarung ergab sich mit den Ravioli, sehr geschickt war die Kombination von Lardo, Steinpilzen, Bries und Lakritzjus. Ich weiss nicht, ob ich bedauern soll, dass der Champagner selbst noch nicht genau diese Noten als Reifetöne entwickelt hatte, oder ob es sich dann nicht zu sehr geballt hätte. So fand der Champagner in den Speisen ein adäquates Echo aus seiner eigenen Zukunft, was man auch nicht oft erlebt.

V. Sorbet von marokkanischer Minze, Süßkraut und Limette

dazu: weiterhin Rare 1998

Minze und Süßkraut verhielten sich unaufgeregt zum Champagner, die Limette gab sich etwas aufrührerisch, stiess aber beim Champagner auf keinerlei Säurewiderstand. 

VI. Coq au Vin, Pommes Pont-Neuf, Arganöl und geeiste Gänseleberflocken

dazu: Rare Vintage 1999

Auch dieser Rare ist mit dem Goldschmuck des Pariser Goldschmieds Arthus-Bertrand versehen und setzt sich wie der 98er zusammen. Doch ist er wesentlich schwächer, als sein in der Magnum ausgeschenkter Vorgänger. Nicht nur, dass ihm Finesse und Frische fehlen, auch die Aromatik kommt nicht ganz mit. Klar, er ist saftig, mit wildem Pfirsich, Mangopurée, Aprikosennektar und einem Schuss Grapefruit. Aber: es fehlt der Unterbau. Wo beim 98er Mandeln, brotige und sehr strukturierte Aromen kenntlich wurden, ist beim 99er nur diffus vernebeltes Säuregerüst. Sicher ein guter Champagner, aber kein ganz großer Wurf.

Entschädigt wurde ich durch den Hähnchenschlegel und die gestifteten Äpfel, weniger begeistern konnte ich mich für die geeisten Gänseleberflocken, die nicht nur sehr schnell ihren geeisten Charakter einbüßten, sondern im selben Augenblick auch ihr Aroma, so kam es mir jedenfalls vor. Der Champagner umfloss den Hähnchenschenkel und schien mit dessen angenehmer Konsistenz eins werden zu wollen. Von den Apfelstiften wurde diese Vermählung vorzüglich unterstützt. 

VII. Dessertauswahl 

dazu: Cuvée Sublime

Mit 35 g/l Dosagezucker muss man schon sehr vorsichtig arbeiten, wenn man nicht Gefahr laufen will, eine ermüdende Zuckerbombe im Mund platzen zu lassen. Regis Camus weiss das natürlich selber gut genug und gibt sich alle erdenkliche Mühe, dem gerecht zu werden. Mit Erfolg. Der Sublime gehört zusammen mit dem 98er Rare zu den Gewinnern des Abends. Ausgewogen, nicht zu süß, sondern mit einem für Piper-Heidsieck schon mutig wirkendem Säuregerüst, weinig, sauber und lang.

Die Dessertauswahl bestand aus Kirsch-Ingwer-Jelly, Mon-Chéri-Lolly, Mascarpone-Kirsch-Eis und verschiedenen Maccarons, darunter Zitrone-Thymian, Pistazie mit weißer Schokolade und Matcha-Tee. Die Kirscharomen waren genau das, was dieser Champagner am besten gebrauchen konnte, tiefe, dunkle, rote, sinnliche Aromen in nicht zu großen Happen. Beim Kirsch-Eis wurde es etwas schwierig, weil die Süßeverhältnisse sich zu Lasten des Champagners verlagerten. Die Maccarons waren mir etwas zu dick geraten und litten unter erhöhter Luftfeuchtigkeit oder sonstwas, jedenfalls krachten sie nicht beim reinbeissen. Am besten schmeckte mir der Zitrone-Thymian Maccaron zum Sublime, aber auch die anderen beiden konnten gefallen.

Abschließend gab es für diejenigen die wollten Champagner aus dem von Christian Louboutin gestalteten Glas High-Heel. Der liegt sehr gut in der Hand, wenn man ihn an der Fläche zwischen Absatz und Fussballen nimmt. Trinkt man daraus, kann man mit der anderen Hand die Fussspitze unterstützen nach oben drücken, man muss sowieso den Kopf weit in den Nacken legen, um jeden Tropfen aus dem Schuh heraus zu holen. Ein Nachteil des Schuh ist die geringe Füllmenge, man kann nämlich praktisch nur den Zehenbereich füllen. Ein Vorteil des Schuhs ist die ergonomisch gestaltete Fersenpartie, jedenfalls für meinen Mund ist die sich dort ergebende Trinkkante optimal.

Das schreiben die anderen: Patrick Dussert-Gerber

Der aktive Autor hat sich in der aktuellen Ausgabe von "Millésimes" mit seinem Champagner-Classement für 2010 zu Wort gemeldet. Nicht zur Unzeit, wie ich meine, denn Zeit für Champagner ist bekanntlich immer – nicht nur kurz vor Weihnachten. Also, was schreibt er denn? Zunächst mal muss man seine Classements kennen. Darin unterscheidet er zwischen erst-, zweit- und drittklassifizierten Weinen. Diese Classements stellt er für jede Weinbauregion gesondert auf, d.h. ein erstklassifizierter Champagner unterliegt den Regeln seines Champagner-Classements und ist insofern nicht vergleichbar mit einem von ihm erstklassifizierten Bordeaux. Innerhalb der jeweiligen Classements herrscht nochmal eine Hierarchisierung, wobei Dussert-Gerber im Champagner-Classement jede Klasse nochmal in kräftige und elegante Champagner unterteilt. Dabei fließen Werte wie Reifevermögen, Preis-Leistungs-Verhältnis und Kontinuität der letzten Jahrgänge einer Cuvée ein. Wer also in der Spitze eines Classements steht, dem kommt eine gegenüber den nachfolgenden Weinen herausgehobene Bedeutung zu.

Neu hinzugefügt hat er die folgenden Champagner (A steht jeweils für die Gruppe der körperreichen Champagner, B für die eleganten Champagner):

AVENAY-VAL-D'OR, CHAMPAGNE LAURENT-GABRIEL, 2ème A

AY , CHAMPAGNE GOSSET, 1er B

BOUZY, CHAMPAGNE MAURICE VESSELLE, 2ème A

CHAMERY, CHAMPAGNE PERSEVAL-FARGE, 2ème B

CHIGNY-LES-ROSES, PHILIPPE DUMONT, 2ème A

CHOUILLY, CHAMPAGNE LEGRAS ET HAAS, 2ème B

COURTERON, CHAMPAGNE FLEURY, 2ème A

CRAMANT, CHAMPAGNE P. LANCELOT-ROYER, 3ème A

DAMERY, CHAMPAGNE DANIEL CAILLEZ, 2ème B

DIZY, CHAMPAGNE VAUTRAIN-PAULET, 2ème A

EPERNAY, CHAMPAGNE ELLNER, 1er A

LE BREUIL, CHAMPAGNE PIERRE MIGNON, 2ème B

POUILLON, CHAMPAGNE BOURDAIRE-GALLOIS, 2ème A

RILLY-LA-MONTAGNE, CHAMPAGNE ANDRE DELAUNOIS, 2ème B

Um einen Eindruck von seinem Classement zu bekommen, ist es hilfreich, sich seine erstklassifizierten Champagner anzusehen.

In der Gruppe A, bei den körperreichen Champagnern, finden wir:

CHARLES HEIDSIECK (Millénaire)
KRUG (Grande Cuvée) (r)
MOËT ET CHANDON (Dom Pérignon)
POL ROGER (Sir Winston Churchill) (r)
TAITTINGER (Comtes de Champagne) (r)
ALAIN THIÉNOT (Grande Cuvée)
DEVAUX (D) (r)
ELLNER (Réserve) (r)
PHILIPPONNAT (Clos des Goisses)
(BOLLINGER (RD))
CANARD-DUCHÊNE (Charles VII)
RENÉ GEOFFROY (Volupté)
LAURENT-PERRIER (Grand Siècle)

In Gruppe B, bei den eleganten Champagnern, finden wir:

GOSSET (Grand millésime) (r)
PIPER-HEIDSIECK (Rare)
ROEDERER (Cristal)
DE SOUSA (Caudalies)
DE TELMONT (O.R.1735)
Pierre ARNOULD (Aurore)
PAUL BARA (Réserve) (r)
Pierre PETERS (Spéciale Millésime)
RUINART (Dom Ruinart) (r)
DE VENOGE (Princes)

Was sagt uns das? Das sagt uns, dass Monsieur Dussert-Gerber einen, sagen wir mal: sehr eigenständigen Gaumen hat. Wie sonst ist es zu erklären, dass er Dom Pérignon, den Inbegriff der Leichtigkeit und des schwerelosen Genusses in die Gruppe der körperreichen Champagner einordnet? Liegt es vielleicht daran, dass er nur die klobigeren, angestrengteren Jahrgänge aus den späten Neunzigern getrunken hat? Wir wissen es nicht. Auch eine Erklärung über die Jahrgangschampagner aus dem Hause Krug bleibt der Meister schuldig. Doch der Seltsamkeiten noch nicht genug, finden wir unter den erstklassifizierten Champagnern Häuser wie Devaux, Ellner und Canard-Duchêne, nicht jedoch die Grande Dame von Veuve Clicquot, keine Champagner aus dem Haus Perrier-Jouet, Delamotte, Salon oder Besserat de Bellefon, die alle wahrlich keine Geheimtips mehr sind und es mit einigen der erstklassifizierten Champagner ohne weiteres aufnehmen könnten.

Sehr seltsam ist auch, dass sich im gesamten Classement Winzer finden, die gut und gerne trinkbare Champagner machen, Erzeuger wie Selosse, Prevost, Ulysse Collin, David Leclapart, Jacques Lassaigne, Tarlant, Cedric Bouchard, Vouette et Sorbee, Georges Laval, Diebolt-Vallois jedoch noch nicht einmal unter den drittklassifizierten auftauchen. So ist doch ausgesprochen fraglich, ob die süffigen, aber nicht besonders inspirierten Champagner beispielsweise vom Château de Boursault und Abel-Jobart einen Platz im Classement halten könnten, wenn die anderen genannten Winzer dort ebenfalls vertreten wären.

Will man Monsieur Dussert-Gerbers Gaumen kein voreiliges Unrecht antun, so kann man nur vermuten, dass er einige sehr wichtige Champagner noch gar nicht getrunken hat. Dann aber, so meine ich, muss man sich mit der Herausgabe eines Classements zurückhalten und artig gedulden, bis die Datenbasis dafür groß genug ist.

Dass er einige sehr gute Champagner auf dem Schirm, resp. im Glas hatte, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er Champagne Aspasie von Ariston Père et Fils hoch einstuft. Franck Bonville, Pascal Agrapart und Jacky Charpentier haben sich ihren Platz gewiss ebenfalls verdient, wenngleich ich ihre Champagner nicht zu den körperreichen zählen würde. In der Kategorie ist richtigerweise der "Comète" von Francis Boulard gut aufgehoben – auch wenn dieser Champagner ultrarar ist und die anderen Champagner von Francis scheinbar keine Berücksichtigung gefunden haben. Bei den eleganten Zweitklassifizierten stoßen wir sodann auf Gaston Chiquet, Leclerc-Briant, Legras et Haas, Bonnaire, Comte Audoin de Dampierre, Drappier und Gimonnet, sowie auf andere alte Bekannte: Blin, Bedel, Tixier, Brice, Chapuy, Robert Charlemagne und Michel Turgy. Wieder könnte man darüber streiten, ob die Champagner z.B. von Dampierre zu den allerelegantesten gehören, oder ob sie nicht wegen ihrer reichlichen Dosage bei den körperreichen Champagnern anzusiedeln wären.

Lässt man die Frage nach der Notwendigkeit eines Champagner-Classements offen, so kann man sich fruchtbar nur noch mit der tatsächlich erfolgten Umsetzung eines solchen Classements befassen. Das von Dussert-Gerber ist gut gewollt, doch unübersichtlich und die vergleichsweise umfangreichen Beschreibungen der Erzeuger wiegen nicht seine allzu kurz geratenen Weinbeschreibungen auf. Wichtige Champagner fehlen völlig, mancher nur leicht überdurchschnittliche oder gerademal durchschnittliche Erzeuger erhält durch die viel zu dünne Datenbasis ein unproportional hohes Gewicht. Das mag den betroffenen kleinen Winzer freuen und mit Sicherheit werden einige Winzer nach der Publikation des jeweils aktuellen Classements ein verdientes Maß erhöhter Aufmerksamkeit erhalten. In diesem Punkt erweist sich Dussert-Gerber nämlich als fleißiger Verkoster – was letztlich dem Verbaucher nur willkommen sein kann. Meiner Ansicht nach leidet das Classement aber noch zu sehr unter seiner Unausgewogenheit.

Unabhängige Winzer unter der Lupe – Côte des Blancs: Pierre Callot, Avize

Pierre Callot et Fils, Avize

Thierry Callot verkauft von seinen sieben Hektar in den Grand Crus Chouilly, Cramant und Avize sowie aus dem Premier Cru Grauves den Ertrag zweier Hektar an Bollinger. Die Wirtschaftsgebäude in der Avenue Jean Jaurès, vis à vis Michel Gonet, hat er 1971 von Piper-Heidsieck übernommen. Bemerkenswert ist seine slow-wine mäßige Art der Champagnererzeugung, die dem Profil der Trauben aus Cramant und Avize besonders entgegenkommt, letzthin in der Fachpresse einige Anerkennung fand, meiner Meinung nach jedoch den Hinkefuss allzu hoher Konzentration haben kann, was normalerweise gerade bei der Verwendung reifer, sehr reifer und schon überreifer Trauben zu Lasten von Säure und Schnittigkeit geht.

1. Blanc de Blancs Grand Cru

90% Avize, je 5% Cramant und Chouilly. 2007er Basis mit 40% Reserve aus 2006.

Weinig und lang, sehr vielschichtig, wie die anderen Weine von Callot auch, von 40 Jahre alten Reben. Bei diesem ließ sich außerdem noch eine tiefgründige, rumorende Säure vernehmen, die den freundlichen Gesamteindruck mit einer etwas rustikalen Wendung versah. Dazu kam eine milde, reife Nussigkeit, insgesamt ein weicher, samtiger Wein, bei dem es noch eine ganze Weile dauern wird, bis sich Reife und Alter durch die zahlreichen, sehr dichtgepackten Aromenschichten durchgefressen haben.

2. Blanc de Blancs Grand Cru "Vignes Anciennes" (1999)

1999er Jahrgang von 50 Jahre alten Reben aus dem lieu dit "Les Avares", dégorgiert im März 2010.

Nussig, leicht buttrig, auch rosinig. Pain d'Épices. Langläuferwein mit weicher, immer noch standhafter Säure. Meiner Meinung nach typisch für Avize ist, dass die Säure selten im Vordergrund steht, aber hinter den Kulissen einen zuverlässigen Job macht. Für ein Spätdégorgement hatte dieser Champagner dementsprechend nur wenig von der damit oft verbundenen Vitamin-C Aromatik und hielt sich mit all dem Extrakt und der Konzentration die er mitzuschleppen hatte, doch sehr aufrecht.

3. Blanc de Blancs Grand Cru d'Avize "Clos Jacquin"

2001er Basis mit 10% Reserve aus 2000 und 1999, Ausbau im Fuder.

Der reifste, dichteste, konzentrierteste Wein von Callot kommt von an die 50 Jahre alten Reben. Für mich mit einigen überreifen Noten von Rumfrüchten, die vom Holz mit etwas Mühe eingebettet wurden. Gebrannte Mandeln und ein zaghafter Sherryton gaben diesem Champagner einen goût anglais.

4. Brut Rosé Premier Cru

70CH, aus Grauves 15PN und 15PM als Reservewein. Teilweise BSA.

Kräftig, griffig, kirschig, sauber und mittellang, etwaqs weniger Pinot hätte dem Wein seine weiße Seele belassen. Wirkte auf mich nicht so betörend.

Gehobener Champagnerspass

I. Louis Roederer Brut Premier
Roederers Standardbrut machte einen freundlichen Eindruck im Glas, hübsche Perlage, typisches Gold, üppiger Cordon und eine freigebige, sehr aromatische Nase. Im Mund Jahrgangseindrücke, hätte auch ein jung gebliebener 1996er sein können, vielleicht macht sich aber auch der 2002er Anteil hier sehr wohltuend bemerkbar. Jedenfalls ein Champagner, der sein Geld mehr als wert war und ein guter Aufwärmer.

II. Piper-Heidsieck dressed by Jean-Paul Gaultier
Dunkleres Gold, glanzvoll, strahlend; Kaffee, Brot, Röstnoten. Im Mund eine saubere Fortsetzung der Naseneindrücke, ohne, daß die röstigen Anteile überhand genommen haben; der restlichen noch frischen Säure sei Dank. Kein besonders fruchtiger, saftiger Champagner, sondern etwas für den Sonntagsbrunch, wenn der Kaffee ausgegangen ist.

III. Franck Bonville Cuvée Les Belles Voyes
Feines helle Gold, klar, beinahe transparent. Umfangreiches Nasenspektrum, von gefühligem Holzeinsatz bis zum exotischen Fruchtkörbchen ist alles dabei. Im Mund mit sanftem Druck präsent, rollt, besser gleitet in mehreren Wellen über den Gaumen, zarte Säure als Vorhut, dann erste Fruchtentwicklung, leichtes Holz, stärker werdende Frucht, noch einmal etwas Säure und geht dann glatt und mit sehr sauberem Nachhall ab.

IV. Pirat: Cava Vives Ambros Brut Nature
Auf Anhieb als Pirat oder fehlerhaft identifiziert. Die Farbe silbrig glänzend, Perlage und Cordon waren nicht auffällig. Muffelige, erst mit der Zeit sauber werdende Nase mit eigenwilligem Charme. Einerseits pudrig, herb, andererseits auch fruchtig und frisch. Im Mund herb, mit immer noch spürbarer Süße, säurearm, sauber aber kurz, was die heiße Anbauregion verrät. Praktisch ohne Nachhall. Schade, aber nach der bis dahin geleisteten Vorarbeit auch nachvollziehbar. Eine Cava, die man aber in anderem Zusammenhang noch einmal probieren sollte.

V. Laurent-Perrier Grand Siècle 1995
Goldgelb, feine Perlage, schönes Mousseux, auf Anhieb schön, aber nicht außergewöhnlich. In der Nase deutet sich dann mehr an: gebändigte Kraft, Mineral, Frucht, alle wollen sie aus dem Glas springen, wirken aber noch wie gefesselt. Im Mund bricht dann das Spektakel los, noch reichlich ungeordnet brechen Säure, Frucht und Mineral aus der Deckung, das Resultat: ein Champagner, der unbedingt Größe erkennen läßt, aber sich erst fassen muß. Wie alle Jahrgangsausgaben des Grand Siècle sehr rar.

VI. Perrier-Jouet Belle Epoque 1996
Unauffälliges Äußeres, saubere, feine Perlage, sehr schöner Cordon. In der Nase weich, verführerisch, feminin, aber nicht zerbrechlich. Strahlt Wärme aus. Im Mund dichte Aromatik, herbfruchtig, mit Kumquats, durchscheinender Limone, kraftvoller, aber gut eingebundener Säure, wirkt mir für eine 96er Belle Epoque zu fortgeschritten, bietet wenig Jahrgangscharakter und ist meines erachtens entweder in einer Verschlußphase, oder schlicht untypisch; ich habe den Champagner bis auf eine dunkle Ahnung überhaupt nicht wiedererkannt. Sonst zweifelsfrei ein sehr schöner Champagner, der eben nur nicht in mein Geschmacksbild von der Belle Epoque paßt. Zusammen mit 98 und 99 eine der letzten Belle Epoques, die ich geöffnet habe, da mein Interesse an dem Haus etwas erlahmt ist.

VII. Raymond Boulard Petraea 1997-2003
Anfangs grobperliger Champagner, der entschieden viel, sehr viel Luft und Zeit benötigt. Ein Karaffenkandidat. Nase erst ruhig, behutsam holzig und sensationsarm, im Mund anfangs das gleiche, sanft daher- und hinweggleitend. Beschaulich, gefälliger Gesamteindruck. Erst nach einiger Zeit eröffnet der Petraea dann das Feuer. Volle, voluminöse, schwere Geschmacksgranateneinschläge auf der Zunge, reifer Winterapfel und warme Couverture, zimtige, zedernholzige Noten, Andeutungen von Granatapfel und Mango, dabei immer mit einer harmonischen Säure und boulardtypischem understatement. Seit 2010 firmiert F6 (sprich: Francis)E Boulard, der die Tücken des französischen Erbrechts nun endlich umschifft hat, unter neuem Namen: Francis Boulard et Fille.

VIII. Demoiselle Cuvée 21
Unauffälliges Äußeres. Lebhafte Perlage. Zarte Holznase, etwas bonbonig. Im Mund noch ausgewogen, mit Tendenz Richtung Süße. Trinkt sich, wie bis jetzt alle Champagner von Demoiselle, besinnungslos weg, lädt nicht zum verweilen ein, ist aber süffig. No-brainer.

Der Champagner und die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Health-Claims-Verordnung). Ein Traktätchen.

Von Normtexten und Erwägunsgründen

Die Europäische Union hat mal wieder ein Meisterstück an gesetzgeberischem Pfusch und mehrfach übersättigter Interessenpolitik unvollendet in die Rechtsanwendung entlassen. Das kann man leicht von fast allen europäischen Normtexten behaupten, deshalb hier die notwendige Konkretisierung: Es geht um die sogenannte Health-Claims-Verordnung. Also eine Verordnung, die sich mit Behauptungen über gesundheitsfördernde Eigenschaften der Produkte von Lebensmittelherstellern befasst. Gewollt ist, wie in diesen Dingen immer, der gewohnte Dreiklang aus Verbraucherschutz, Transparenz und maximalkorrumptiver Industrieprotektion (in den mit unbeschreiblichem Stumpfsinn und einer an vorzeitlich-magische Rituale erinnernden Förmelei jeder Verordnung vorangestellten Erwägungsgründen klingt das freilich so:"… um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, dem Verbraucher die notwendigen Informationen für eine sachkundige Entscheidung zu liefern und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Lebensmittelindustrie zu schaffen"). Wie man diese quirlige Mischung in höchster Verschwiemeltheit ausdrückt und in Normtexte giesst, weiss niemand besser, als der große Drache, die uralte Schlange, die Widerwirker und Satan heißt die europäischen Bürokraten.

Worum es eigentlich geht

Man kann trefflich darüber streiten, ob Champagner hartes Suchtgift oder profanes Lebensmittel, ein schlichtes Nahrungsmittel oder, ohlala, ein richtiggehendes Genussmittel ist. Er ist allem Anschein nach nicht ätherisch genug, um den Klauen der Eurokraten zu entwischen, ein jüngeres Beispiel dafür ist die abscheuliche Verordnung (EG) Nr. 607/2009 der Kommission vom 14. Juli 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates hinsichtlich der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben, der traditionellen Begriffe sowie der Kennzeichnung und Aufmachung bestimmter Weinbauerzeugnisse. Wobei ich gar nicht sagen kann, wie hoch das Mass an Mitschuld ist, das die Weinindustrie in diesem Zusammenhang auf sich geladen hat. Doch geht es hier der kämpferischen Einführung zum Trotz unmittelbar weder um die rechtsdogmatische, noch um die rechtspolitische Auseinandersetzung mit Richtlininen und Verordnungen. Mir geht es vielmehr um ein Thema, das im Weinbau höchst unterschiedlich gewürdigt und angepackt wird. Es geht um das Marketing.

Die Champagnerfamilie als Aristokratenclique

Ein Zweig innerhalb der großen Familie aller Weinbauern hat es zu einer überragenden und Maßstäbe setzenden Meisterschaft im Marketing gebracht. Es ist eine der alten adeligen Linien, und zwar die der Champagnererzeuger. Will man nicht inadäquat verallgemeinern, so kann man dabei zwischen den Champagnern unterscheiden, die herrschenden Häusern angehören und jenen, die dem sonstigen hohen, bzw. niederen Adel angehören – angesichts des ausgeprägten Familiensinns innerhalb dieses überschaubaren Pools spielen Rangunterschiede in den meisten Bereichen keine allzu bedeutende Rolle. Hinzu kommt die bemerkenswerte Offenheit der Champagnerfamilie für Fremde, sei es aus uralt-innewohnendem Instinkt sozialer Wesen oder als Reverenz der Aristokratie an die Macht des Faktischen. Nicht nur am kometenhaften Aufstieg von Francois Vranken lässt sich ablesen, dass die Champagne keine hermetisch geschlossene Gesellschaft ist; um im Bild zu bleiben: es finden Erhebungen in den Adelsstand statt. Die Geschichte des Champagners wäre schließlich nicht denkbar ohne auswärtige Namen wie Müller, Werler, Roederer, Krug, Bollinger, Mumm und Deutz. Nach der hier skizzierten Herrschaftslehre soll im übrigen offen bleiben, ob nicht am Ende der Markt als eigentlicher Souverän anzusehen ist. Joseph de Maistre und Carl Ludwig von Haller würden sich freilich bei dem Gedanken im Grab umdrehen. Man wird ferner vermuten dürfen, dass nicht zuletzt der Koblenzer Konterfeigeber für einen der bekannteren deutschen Sekte, Clemens Fürst von Metternich, mit dieser Idee ebenfalls nicht einverstanden gewesen wäre.

Entr'acte

Dem Champagner steht, das will ich zur allgemeinen Erleichterung vorwegschicken, kein nicht selbstverschuldetes Ungemach ins Haus. Die im letzten Jahr von allerlei Unberufenen daherpalaverte Champagnerkrise ist erwartungsgemäß ausgeblieben, wie die kürzlich veröffentlichten Zahlen des CIVC belegen. Sicher, Häuser wie Piper-Heidsieck streichen ein Viertel ihrer Stellen, in England kostet big house bubbly stellenweise nur noch 17 GBP, das sind nur zwei Anzeichen für einen schwierigen Markt. Aber am Beispiel Champagner kann man gleichzeitig sehen, wie sich gelungenes Marketing langfristig auszahlt und ganz nebenbei eine in klebrig-trüben Beamtenschweiss getunkte Vorschrift spurlos abperlen lässt.

Was macht Kultwein aus?

Das liegt, horribile dictu eigentlich, zu einem nicht unwesentlichen Teil am Kultcharakter des Champagners. Dem wollen wir an dieser Stelle kurz nachgehen. Verfassungsrechtlich bietet sich dazu ein Vergleich mit Religionsgemeinschaften an, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts anstreben. Denn um kaum etwas anderes als einen "Kult" geht es letztlich bei der Verehrung bestimmter Weine, bzw. Weinregionen. Man könnte also in analoger Anwendung des Art. 140 GG, und des Art. 137 Absatz 5 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) an eine Kultweinregion bestimmte Anforderungen stellen. Sie müsste "durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten", so die WRV knapp über die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Daraus lassen sich für unsere Zwecke drei maßgebliche Elemente isolieren: eine Verfasstheit im Sinne eines bestimmten Terroirs, eine Gefolgschaft im Sinne einer treuen Kundschaft und schließlich noch zeitlich gesehen ein gewisses Stabilitätsmoment. Alles Dinge, die man ebenso an Rhein und Mosel, in Burgund, an der Rhône, in Piemont und Bordeaux findet.

Die profanen Lebensmittel …

Doch was ist nun das Fundament für den außergewöhnlichen Kultcharakter des Champagners? Die Antwort wird man zumindest teilweise bei den elementaren Bedürfnissen und überlebenswichtigen Gemütsbewegungen finden. Beschränken wir uns dabei auf die Lebens- und Nahrungsmittel, denn um diese geht es in der Health-Claims-Verordnung. Ohne Lebensmittel kommt der Mensch, obacht, nicht aus. Kein Wunder, dass hier intensive Werbung und Positionierung stattfindet. Unter den mit Fleiß beworbenen Produkten finden sich gleichwohl nur wenige, die es in Hinblick auf Bekanntheit und positive Konnotationswirkung mit dem Champagner aufnehmen können. Selbst wenn man Junkfood unter dem Gesichtspunkt der Popularität in der Wertung behalten wollte, müssten Hamburger, Fischstäbchen, Zuckerwatte und Co. recht bald ausscheiden, weil ihnen objektiv die positive Wertschätzung abgeht. Gänsestopfleber und Froschschenkel wiederum gelten als essbarer Inbegriff der Gaumenfreude, leiden aber unter dem Verdikt der Tierquälerei. Der zweifellos wichtige Fortpflanzungstrieb scheidet – und es gibt niemanden, der das mehr bedauert als ich – leider ebenfalls frühzeitig aus der Wertung aus, denn sein Markenbild ist trotz hoher Strahlkraft arg gebeutelt – was für unsere Betrachtung nicht entscheidend ist. Seine Bedeutung als Nahrungsmittel dürfte nämlich selbst unter Einbeziehung extremer Praktiken gering sein.

… und was den Champagner davon unterscheidet

Aber der Weg vom Spitzenhöschen zum Spitzenchampagner ist, ich werde nicht müde es zu wiederholen, nicht weit. Er führt über die berühmten Genusscousins aus Bordeaux und Burgund. Ich sage das nicht, weil ich das Bonmot "beim Bordeaux denkt man Dummheiten, beim Burgunder sagt man Dummheiten und beim Champagner macht man sie" kenne. Sondern weil beide Weinregionen seit Jahrhunderten hoffähig sind und mal mehr, mal weniger, mit Wohlstand, Sammeltrieb, höchstem Genuss und tiefer Leidenschaft in Verbindung gebracht werden. Dennoch: selbst ein Spitzenbordeaux wird immer etwas für Londoner Investmentbanker, Gynäkologen und Chinesen sein. Will man selbst da wirklich dazugehören? Geschweigedenn die Mehrheit der Verbraucher? Wie? Na bitte. Die kapriziöse Diva Burgunderwein hat schon mehr erotisches Potential, ist aber so kompliziert, wie eine Frau aus Fleisch und Blut, wenn nicht noch komplizierter, wenn's denn überhaupt möglich ist. Und Châteauneuf? Tja, der ist zwar unheimlich sexy, aber wie das mit Sexyness und Päpsten nunmal so ist, nicht alle finden das gleichermaßen gut. Das Thema Deutschwein und hier natürlich die Spitze der edelsüßen Granaten wäre noch geeignet, eine lange und fruchtbare Diskussion zu entfachen, auch die Italiener hätten sicher einige wichtige Erzeugnisse beizusteuern, die Neue Welt nicht minder, an Kandidaten aus der übrigen Weinwelt mangelt es demnach nicht. Ihnen fehlt jedoch stets das eine oder andere wichtige Element um in puncto Marketingerfolg auf Augenhöhe mit dem Champagner zu rangieren. Keiner dieser Weine evoziert nämlich seit so langer Zeit ein gleichermaßen positives Bild beim Konsumenten, sei er unbeleckter Amateurtrinker oder gewiefter Weinprofi. Wir können also festhalten, dass Champagner in dem lange mit Fleiss aufgebauten und gutgenährten Ruf steht, ein Luxusprodukt der Extraklasse zu sein.

Champagner als Weinphänomen

Als Festgetränk höfischer Unzucht über Jahrhunderte unverzichtbar, sickerte das perlende Nass seit dem Ende der Bourbonenherrschaft immer häufiger und strömender in Literatenfedern und bourgeoise Gelage. Champagner Charlie und das Russlandgeschäft der Veuve Clicquot, Napoleons Neigung zu Lakritze und Champagner, Churchills und nicht zuletzt Bismarcks Freude am Champagner sind glanzvolle Facetten dieses Weinphänomens und bilden dessen Fundament, weshalb also Champagner am Ende bedeutend mehr ist, als nur ein Weinphänomen, sondern lange etablierter Kult, womit sich der Zirkel virtuos, nicht vitios schließt.

Conclusio

Was hat das mit der Health-Claims-Verordnung zu tun? Erfreulich wenig. Denn obwohl nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung nun "jede Aussage oder Darstellung, die nach dem Gemeinschaftsrecht oder den nationalen Vorschriften nicht obligatorisch ist, einschließlich Darstellungen durch Bilder, grafische Elemente oder Symbole in jeder Form, und mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt" unter den Oberbegriff der "Angabe" fällt, bieten die Werbekampagnen der Champagnerhäuser der Verordnung wenig bis gar keine Angriffsfläche. Art. 4 Abs. 3 schnürt für Getränke mit mehr als 1,2% vol. alc. das Vorgabenkorsett noch einmal enger, indem keine gesundheitsbezogenen, und nährwertbezogene Angaben nur insoweit zugelassen werden, als sie sich auf einen geringen Alkoholgehalt oder eine Reduzierung des Alkoholgehalts oder eine Reduzierung des Brennwerts beziehen. Davon wird man beim Champagner schon produktionsbedingt keinen Gebrauch machen können. Gleichzeitig fällt jetzt selbst Bier unter das harte lebensmittelrechtliche Regime dieser Verordnung, was die Situation für Werbetreibende auf diesem umkämpften Markt nicht erleichtert. Eine schwierige Situation also für eine Agentur, die das Werbebudget einer Champagnerfirma anzapfen möchte. Doch genau hier bewährt sich der Champagner: es bedarf keiner umständlichen Aussagen, um Champagner zu verkaufen. Champagner muss nicht erklärt werden, Champagner muss nicht angepriesen werden, sondern Champagnerwerbung braucht nur die fest in der Vorstellungswelt ihrer – potentiellen – Konsumenten verankerten Assoziationen von Festlichkeit und Luxus anzustoßen, um die vollständige Werbebotschaft an den Mann zu bringen. Champagnerwerbung kann sich, da ist sie der Parfumwerbung oder auch der Werbung für Luxuslimousinen nicht unähnlich und darin liegt die eigentliche conclusio, einen besonders hohen Abstraktionsgrad erlauben. Dadurch entzieht sie sich der (An-)Greifbarkeit durch Regelungen wie die Health-Claims-Verordnung. Und das ist keine besonders moderne Form des viralen Marketings, sondern ein bemerkenswertes Resultat und schöner Nebeneffekt jahrhundertelanger Arbeit.

Piper-Heidsieck spart (Arbeitsplätze ein)

Das Reimser Haus, dessen gehobene Champagner in Deutschland praktisch niemand kennt, streicht etwas mehr als ein Viertel seiner Arbeitsplätze. Damit gibt sich eines der ersten Opfer der als Champagnerkrise viel betratschten Kurskorrektur zu erkennen. Warum es gerade Piper-Heidsieck so drastisch trifft? Vielleicht, weil man dort in den letzten Jahren allzusehr auf den Supermarkt gesetzt hat. Die Versuche, im Prestigebereich etwas, z.B. Marktanteile, (an sich) zu reißen, sind eher mißglückt und zumindest in Deutschland hat sich die von Piper beauftragte Distributionsgesellschaft damit schlicht keine Mühe gegeben.

Die von Jean-Paul Gaultier gestaltete Lack-Corsagen-Cuvée dürfte sich stärker auf ebay und im sonstigen grauen Markt verkauft haben, als über reguläre und gewinnträchtige Vertriebskanäle. Auch die unfassbar originelle Kopfstandversion von Viktor & Rolf oder zuletzt "Le Rituel", der Champagnerschuh in Zusammenarbeit mit Christian Louboutin, haben zwar ihren Platz im Pariser Designkaufhaus Colette, aber nicht in den Weinschränken und Impitoyables der Champagnerfreunde gefunden.

Dabei sind die Champagner von Pipers Kellermeister Régis Camus nicht schlecht. Sie reifen teilweise sogar charaktervoll und schön, sogar der einfache Standardbrut mit dem markant roten Etikett entwickelt ein beachtliches Flaschenbouquet. Und selbst die Fachwelt staunte nicht schlecht, als Piper mit dem 79er und dem 88er einige alte Jahrgangsversionen des "Rare" hervorkramte, mit dem 98er einen aktuellen Jahrgang dreingab und mittlerweile in seinen erst kürzlich eröffneten Airport-Boutiquen auch noch einen 99er feilbietet.

Das wiederum passt zum jetzt verkündeten Strategiewechsel mit Schwerpunkt im Luxussegment. Aber ob das so einfach werden wird? Wer erst jahrelang mit Macht den Billigheimer gibt und sich dann gegenüber Vranken-Pommery-Monopole, den Genossenschaften von Jacquart (CRVC), Nicolas Feuillatte (CV) und Union Champagne beugen muss, wird Schwierigkeiten haben, den untenrum ramponierten Ruf beim Edeltrinker fruchtbar zu machen. Und was wäre denn aus der Mitte des Portfolios zu erwarten? Nun, da gäbe es beispielsweise die Sauvage-Serie. Die ließe sich dem aktuellen Ultra-Brut-Trend anpassen. Dann gibt es natürlich einen Jahrgangschampagner, der freilich noch nie für Aufsehen gesorgt hat. Einen Premier- oder Grand Cru sucht man vergebens. Auch Blanc de Blancs oder Blanc de Noirs finden sich nicht, ebensowenig eine Cuvée du Fondateur, eine Holzfasslchampagner oder eine Einzellage – alles Spielarten, mit denen andere Häuser im Moment bei den Liebhabern Neugier erwecken und punkten. Stattdessen hat es da einen süßlichen Sublime und eine Babybottle. Das eine liegt gerade am entgegengesetzten Ende des Trends, das andere steht im aufzehrenden Wettbewerb mit POP Pommery, den Feuillatte-Piccolöchen, Heidsiecks kleinen Blue-Tops und Clicquots Minibuddeln. Aber man wird sehen, was Konzernmutter Rémy-Cointreau draus macht.

Fünfte Bubenhäuser Weinrunde

I. Weingut Laquai/Langehof

1. Riesling Kabinett
2007er Rauenthaler Rothenberg

Bierhefe und Gäraromen. Nicht mein Fall.

2. Riesling Kabinett
2007er Rauenthaler Wülfen

Auch hefig, aber mit durchbrechender blumiger Art, sauberfruchtiger Süße bei spritzigem Naturell. Mittellang

II. Weingut Ernst Rußler

1. Rieslingsekt – brut

2007er Rauenthaler Steinmächer

Trocken, mineralisch, sektig, vielleicht als extra trocken die bessere Version. Am Ende leichter bitterer Schlenker. Trotzdem ordentlich.

III. Hess. Staatsweingüter Kloster Eberbach

1. Riesling trocken

2008 Rauenthaler Baiken

glatt, sauber, mineralisch, Andeutung von gelbem Obst

2. Riesling Spätlese

2007 Rauenthaler Baiken

wässrig und dünn, allenfalls etwas zu der allgemeinen Spritzigkeit passendes, aber nicht besonders originelles Brausearoma, aus der Lage und dem Jahr hätte bei dem Prädikat und Preis mehr kommen müssen

3. Riesling feinherb

2007 Rauenthaler Wülfen

saftig, leicht buttrig, attraktive Säure, besser gemacht als der Baiken, insgesamt aber auch nur Mittelmaß

IV. Weingut Karl Johannes Wagner, Johanneshof

1. Riesling „Alte Reben“ Spätlese, feinherb

2007 Rauenthaler Wülfen

mostig, auch hefig, gleichzeitig schon mineralische, steinige Art und ein irritierender Rest an Kohlensäure, insofern aromatisch etwas wacklig, aber noch entfernt davon, die Balance zu verlieren, kann wirklich was werden

2. Riesling Spätlese

2007 Rauenthaler Gehrn

schöner Lagenvertreter, gegenüber dem Wülfen balancierter, cremiger und buttriger, hat eine sanfte, fast balsamische, aber nicht so fette Art. Manche Mittelmoselrieslinge entwickeln das auch (zuletzt die 03er Wehlener Sonnenuhr Spätlese von S. A. Prüm), vielleicht kein Langläufer, aber man weiß ja nie.

V. Weingut H. J. Wagner/Weinhaus Engel

1. Spätburgunder Weißherbst

2004 Rauenthaler Steinmächer

Kraftvoll und weinig, herber, apfelmostiger Charakter, wie mit untergemischten unreifen Goji-Beeren oder Cranberries mit Frostbrand. Kaum Spätburgundercharakter, aber ein redliches Vergnügen zur Wildbratwurst vom Grill.

2. Riesling Spätlese

2007er Rauenthaler Gehrn

kalkig, pudrig, mineralisch, etwas mostig, Kräuterwürze ja, aber alles noch nicht so weit, dass man von Komplexität sprechen könnte. Dezenter, ruhiger, guter, aber fast etwas langweiliger Wein.

3. Riesling Auslese

2003 Rauenthaler Wülfen

Honig. Röstaromen, noch heisser Kaffeesatz, geklärte heiße Butter, erinnert mich an reifen Piper-Heidsieck Rare. Sättigendes Vergnügen.

VI. Weingut Sturm & Sohn

1. Riesling Spätlese feinherb

Rauenthaler Baiken

gut gelungener Baiken. Milde Kräuterwürze, gleichzeitig mineralisch und fruchtig, wilder Pfirsich, am Ende etwas herb, aber noch im Rahmen des Gesunden.

2. Auxerrois Spätlese trocken

2007

superdicker und säurearmer Wein, Duft von Tannennadeln und Butter, im Mund balsamisch, mit Eukalyptus, vegetabilen Aromen, Zitronenmelisse, lang und wie ein samtiger Belag am Gaumen haftend. Probeflasche für ruhiges Nachverkosten erforderlich gewesen.

VII. Schloss Vollrads

1. Riesling Sekt Brut

2006

ansprechend, vollmundig, sehr präsent, mit haarscharf unter der Süßegrenze liegender Brutdosage. Sehr saubere Frucht, gelbes Obst, Weinbergpfirsich, beerig, recht lang, gut. Für 12,70 EUR /Fl. (gegenüber unrealistischen 28,50 für den Extra Brut) gleich was mitgenommen.

2. Riesling Sekt Extra Brut

2003

dünne Nase mit füchtiger Säure (wegen der Eisweindosage?). Mineralisch und kalkig, im Mund anfangs eher wässrig und dünn, wirkt aromatisch eng und ohne großen Spielraum. Wäre ohne Eisweindosage und als Brut vielleicht ausdrucksvoller.

3. Spätlese trocken

2007 Schloss Vollrads

pudrig, minerlaisch, etwas verwässert. straffe Säure, aber insgesamt nur so naja.

4. Spätlese

2007 Schloss Vollrads

Himbeermarmelade mit Kernen drin, das ganze dann auf frisch getoastetes und mit guter Butter bestrichenes Brot, fertig ist die Spätlesenase hier. Gefällt mir. Im Mund auch wieder leicht buttrig, geht einwandfrei runter, die Säure hält sich im Hintergrund, aber nicht bedeckt. Für 14,60 EUR gleich paar Buddeln gekauft.

VIII. Weingut G. H. von Mumm

1. Riesling Spätlese

2007 Johannisberger Mittelhölle

für 11 EUR ein billiges Vergnügen runder, gelungener Wein

Besuch bei Laherte, Lunch im Château de Boursault und Abendessen bei Jacky Charpentier

Laherte Frères

Laherte verwendet seit 2004/2005 Mytikkorken und weist auf die dadurch verlangsamte, reduktive Reifung hin. Beim Fassausbau geht es ihm um Oxigenisierung, nicht Oxidation, d.h. ungesteuerten, minimalen Sauerstoffeintritt durch die Poren im Fass, nicht aber Vernichtung der Aromatik durch ungezügelten Sauerstoffkontakt. Fassweine machen bei ihm im Gegensatz zu den tankausgebauten Weinen keine Malo mit.

Vins Clairs

I. Chardonnay aus der Lage Les Crayons, 2009

Harte Säure und Mineralität. Wie das Stahlbetongerippe eines Bankentowers.

II. Chardonnay vom Lehmboden, 2009

Jodig, salzig, im Mund anfangs leichtgewichtig, dann eine ziemlich dicht gewirkte Struktur.

III. Chardonnay aus der Lage Les Guichettes, 2009, ausgebaut in einem Fass von der Tonnellerie Francois Frères, Burgund

Burgundische, montrachetähnliche Nase, mildes Holz, hier sitzt das fett an den richtigen Stellen, gute Struktur, mittlere Säure

IV. Chardonnay aus der Lage Les Guichettes, 2009, ausgebaut in einem Fass von der Tonnellerie de Champagne

Röstig, Kaffeenoten, Feuerstein, im Vergleich mit dem identischen Wein aus dem Burgunderholz entwickelt sich hier eher eine Cahblisstilistik. Sehr lehrreiche Sache!

V. Pinot-Noir vom argilo-silex, 2009

Damenhafter, pudriger Duft, mostig und mit einem Aroma von angetrockneten Gojibeeren, sehr langer Nachhall.

VI. Pinot Meunier vom Lehmboden, 2009

Reife, etwas mollige, fruchtige und warme, auch parfumiert wirkende Art, im Mund anfangs schlank, später mit einer kräftigen Vitamin-C-Säure.

VII. Pinot Meunier vom Kreideboden, alte reben, gepflanzt 1047 bis 1964, 2009

Der Meunier stammt von einem klassischen Chardonnayboden und wurde dort nur gepflanzt, weil er mit den dort oft auftretenden Spätfrösten gut klarkommt. Weniger parfumiert, als VI, klar hervortetende Banane, Birne und Klebstoffnoten, erst sehr spät taucht etwas verhaltene Säure auf.

VIII. Alle sieben Champagner-Rebsorten aus einer gemischten Parzelle, 2009,

Frucht, Klebstoff, milde Säure und eine pappiger, klebriger Belag am Gaumen. Kein schönes Weinerlebnis.

IX. Alle sieben Champagner-Rebsorten aus einer gemischten Parzelle, Soleraverfahren mit den Jahrgängen 2008 – 2005

Pures Bananenmus, viel Burgunderaromatik, heisse Butter und schlanke Säure. Könnte man so schon trinken.

X. Pinot-Noir + Pinot Meunier mit leichter Malo, 2008

Apfel, herber Viez, auch sehr viel Birne, Nashibirne, später Banane, Butter und Toffee, bei mittelschwerer Säure.

XI. Chardonnay, 2008, ohne Malo

Zurückhaltend und leicht muffige Spontinote; sonst nur noch kräftige Säure.

XII. 80 PM + 20 PN, 2009 rot vinifiziert

In der Nase Roter Apfel und Graphit, am Gaumen Pektin und Bleistift, erdig, gekräutert, leicht säuerlich. Wie ein noch junger, einfacher, ehrlicher Bourgogne Pinot-Noir.

XIII. 75 PM, 25 PN, rot vinifizierter Stillwein, 2009

Fruchtig, mit Graphit und leichten Tanninen am Gaumen, etwas mehlig. Wirkt sehr „deutsch“.

XIV. Rosé Saignée de Meuniers, 2008, als Stillwein, 12-stündige Mazeration, ohne Malo

Kräftiges, sehr rotes Rosé. Etwas holziger Geschmack mit Spontinoten und viel Säure. Am Gaumen hervorstechendes Tannin und eine leichte alkoholische Schärfe.

Die Champagner:

XV. Rosé Saignée des Meuniers, 2008, schäumend (Tirage: April 2008, noch nicht im Handel), ohne Malo, gerade erst à la volée dégorgiert

Derselbe Wein, wie XIV. im Babystadium der Flaschengärung. Daher schon etwas eleganter, abgerundeter, aber immer noch etwas schwerfällig und von sehr dichter, schwer aufzudröselnder Aromatik.

XVI. Rosé Saignée de Meuniers, Jg. 2007, non dosé, wird ohne Jahrgangsangabe verkauft, ohne Malo

Kräftiges Rot, viel Mineralität, dichtgepackte Frucht mit Wildkirsche, Kirschwasser und Eau de Vie de Quetsch. Im Mund noch sehr sparsame Aromatik und eher hitzig-alkoholisch.

XVII. Rosé Saignée de Meuniers, Jg. 2006, non dosé, dég. Feb. 2009, wird ohne Jahrgangsangabe verkauft, kommt ab Feb. 2010 in den Handel

Auch sehr kräftiges rotes Rosé, das sich in Richtung Kupfer entwickelt. Leichtfruchtige Nase mit Reispapier, Weichselkirsche und Quittenmus, im Mund ebenfalls schon mehr Frucht und weniger alkoholische Wirkung. Mein Liebling unter den Rosés von Laherte.

XVIII. Rosé Saignée de Meuniers, Jg. 2005, Einzellage Les Beaudiers, alte Reben, dosiert mit 5 g/l, wird ohne Jahrgangsangabe verkauft, ohne Malo

Helles Kupfer, schon eine sehr entwickelte, sanfte Fruchtnase mit blumigen Anklängen. Im Mund schon weich und etwas müde. Für mich eine Frage des Rebenalters.

XIX. Rosé Tradition, Jahrgangsbasis mit 60% 2006, 40% 2005, hoher Anteil PM, geringer Anteil PN, 10 % Chardonnay; 12% roter Stillwein aus Pinot Meunier, dosiert mit 5 g/l

Einfacher Winzerrosé, der mehr Mineralität und wenig Frucht mit sich bringt. Passt zu Laherte, da kein Massengeschmackchampagner, aber leider auch kein unbeschwertes Trinkvergnügen.

XX. Blanc de Blancs Brut Nature, 60% 2006, 40% 2005

Alkoholische Nase, Feigenschale, Reispapier, Haselnussspuren, im Mund mineralisch und hart aber fair, mit feinen Pilzaromen.

XXI. Blanc de Blancs, 60% 2006, 40% 2005, aber mit 5 g/l dosiert

Ähnliche Anlagen wie der XX., aber von gediegener, freundlicher Art, die zeigt, dass Brut Nature nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Wirkt am Ende leider etwas simpler, al XX.

XXII. Cuvée Les Clos Extra Brut, Cuvée aus allen sieben Champagner-Rebsorten (10% Fromenteau = Pinot Gris, 18% PM, 18% CH, 15% Petit Meslier, 8% Arbane, 15% Pionot-Noir, 17% Blanc Fumé = Pinot Blanc), Barriqueausbau als Solera, Batonnage, keine Malo, Basisjahrgang 2006, Reserve 2005, dég. 23. Dez. 2008

Komplexe, champagneruntypische Noten. Reif und fett, ziemlich kräftig, nussig, etwas Kokos; die leichte Räuchernote kommt wohl vom weißen Burgunder, der nicht umsonst auch als Blanc Fumé in der Champagne bekannt war; im Mund würzig und burgundig, kernige Säure mit einem Hauch von weissem, gemahlenem Pfeffer, aber auch Nektarine, Mandarine. Schmeckt am ehesten wie sehr guter Sekt.

XXIII. Vigne d’Autre Fois Mill. 2005, 100 PM, dég. 23. Dez. 2008, alte Reben (auf chardonnaygeeignetem, aber frostgefährdetem Kreideboden gepflanzt 1947 – 1964), mit 4 g/l dosiert, entspricht dem Stillwein VII

Dunkles Gelbgold, Papp- und Klebstoffnase, Geissblatt, Weissdorn, erfrischende Säure.

Empfang und Mittagessen auf Château de Boursault mit Daniel Lorson und Schlossherr Harald Fringhian

Das Château, das die Veuve Clicquot einst für ihre Enkelin errichten liess, wird von einem 40ha grossen Grundstück umfasst, davon sind ca. 22ha mit Rebstöcken bepflanzt, die auf dem Château vinifiziert werden.

XXIV. Variation von Bougères, dazu Pierre Moncuit Blanc de Blancs Grand Cru

Dichter, mineralischer Apéro-Champagner mit etwas in Butter gebratenem Granny Smith.

XXV. Blätterteigkekse mit Innereienfüllung, dazu Château de Boursault Cuvée Prestige, 54 PN, 6 PM, 40 CH, dégorgiert am 24. Juni 2009

Milchschokoladennase, im Mund weich, dicht, schmeichelnd, von grosszügiger Art. Glatt, mittellang, sauber. Hat Potential

XXVI. Wachtelbrust und -flügel mit Lauchgemüse, Speck-Sahnesauce und Fleur de Sel Flocken, dazu Piper-Heidsieck Brut Vintage 2000

Typischer, rauchiger, von Kaffeenoten beeinflusster Stil, hier auch schon mit reifenoten, die mir allerdings etwas verfrüht vorkommen, indes nicht jahrgangsuntypisch sind. Ausgewogener Großes-Haus-Champagner, der sich gerade während eines längeren Essens schön entwickelt.

XXVII. Warme Feigenscheiben in halboffener Marzipan-Teigtasche mit Physalis, Himbeereis und gerösteten Mandelsplittern, dazu Mercier Rosé demi-sec

Rosé demi-sec ist sehr sehr selten. manche sagen auch: völlig überflüssig. Dennoch ist es nicht uninteressant diesen Champagner zu vinifizieren und auch zu probieren. Das bestgeeignete haus dafür ist wahrscheinlich Mercier, deren Programm dadurch schlüssig abgerundet wird und die ja auch ein Rosé-Champagner-Eis mit Mövenpick herstellen. Buttrig, Himbeere und Erdbeer-Sahnebonbon, ein Hauch Mineralität, Räuchernoten und Brotrinde. Mit den Feigen etwas überfordert, dafür gut zum Marzipanteig und zu den Früchten.

Jacky Charpentier, Villers-sous-Chatillon, praktisch direkt neben der Monumentalstatue von Kreuzzugspapst Urban II. (der, der auch auf den Etiketten von Emmerich Knoll steht)

Reserveweinprobe mit Jean-Marc Charpentier

XXVIII. Pinot Meunier 2008, 6 Monate Fuder

Fruchtige, alkoholschwache Nase, pudrig und wie mit Steinstaub angereichert. Im Mund lebhaft prickelnde, frische Säure, leicht, trotzdem mittellang.

XXIX. Pinot Noir 2008, 6 Monate Fuder

Kräftig, dicht, aromatischer und runder als der PM, weniger Steinstaub, dafür mehr Kreide. Feine Säure, elegant und weinig.

XXX. Chardonnay 2008, 6 Monate Fuder

Erinnerte an Rheinhessen-Riesling vom Rotliegenden, dabei sehr trocken und staubig, auch etwas metallisch, nur leicht kalkig. Im Mund dann wieder angenehm, rund und sehr säurearm, was ich ganz erstaunlich fand. Ein bisschen wie die helleren, weissen, grünlichen und gelben Gummibärchen. Konnte man schon trinken.

XXXI. 80 PM 20 PN, davon 70% 2008 und 30% 2006 und 2005, Ausbau im Fuder

Etwas Banane und Holz, im Mund sehr mild mit gut eingebundener Säure.

Champagnerprobe

XXXII. Brut Tradition, 50 PN, 50 PM, Basisjahrgang 2005, Reservewein aus 2004, dosiert mit 3 g/l

Machte den Eindruck eines Blanc de Blancs. Zitrusfruchtnase, Kräuter, Orangenricola (spätestens dann weiss man aber, dass man es mit einem Pinot aus der Vallée de la Marne zu tun hat), Geschmack wie Fertigtortenboden mit Dosenmandarinen und Sahne, Baiser, aber auch Toffee, mittellang.

XXXIII. Vintage 2002, 45 CH, 35 PN, 20 PM, dosiert mit 3 g/l

Kaum klassische Chardonnaytypizität und eine schon etwas fortgeschrittene Nase. Auch im Mund noch elegant, aber schon einige weiche, mürbe und mehlige Noten.

XXXIV. Blanc de Blancs, 30 – 35% Barrique

Stumpfe, etwas eckige Mineralität, wirkt herb. im Mund gibt es auch Steine statt Brot, Granit, Steinmehl, Zementstaub, wenig Säure, leichter, aber xerotischer Champagner.

Dinner bei und mit Jacky Charpentier

XXXV. Presswurst Krakauer Art im Blätterteig mit Specksauce auf einer Coteaux-Champenois-Basis, dazu Comte de Chevinot, Drittelmix, Basisjahrgang 2005

Pudrige, etwas holzige Winzerinterpretation des klassischen Drittelmixes, angenehme, saftige, von exotischem Früchtemix geprägte Art mit mittlerer Säure, die mit der kräftigen, salzigen Sauce schön harmoniert und auch gut zu der Wurstscheibe passte.

XXXVI. Spießchen mit Lachs, Jakobsmuscheln und Schweinebauch in grüner Sahnesauce, dazu Cuvée Prestige, 60 PN, 20 PM, 20 CH, Reservewein aus dem Barrique

Flache Nase, aber eine forsche Säure im Mund, die den Fisch fast etwas verblassen liess und mit ihrer eigenen Kräuteraromatik mit Apfel und Acerola grossartig zu der dicken, fetten Sauce passte.

XXXVII. Scheibchen vom Lämmchen, bleu, aussen warm – innen roh, in sauce nature mit verscheidenen Bohnen und überbackener Tomate, dazu Brut aus 80 PM, 20 PN

Kräuter, Weissdorn. Im Mund milde Säure und ein wenig Apfel. Guter Winzerstandard, der problemlos zum Lämmchen ging und sich auch mit der Tomate vertrug.

XXXVIII. Käse: reifer Maroille mit Salatbouquet und Salzvinaigrette, dazu Pinot Meunier Coteaux Champenois 2004

Erstaunlicher Stillwein, kühle Graphitnase mit Pflaumen, Brombeeren und Holunderbeeren, der auch gut aus dem Maconnais hätte stammen können. Sehr gelungene Kombination zu dem traditionellen Käse, der von aussen wie ein Langres aussah und wie eine Mischung aus reifem Brie, Munster und Handkäs schmeckte.

XXXIX. Kokos-Vanilleeis im Biscuitmantel mit osa Biscuit de Reims, Vanille-Sahnesauce und Kaffee-Toffee-Dominostein, dazu Rosé Prestige

Zurückhaltender, mineralischer Rosé, dem Traditionsrosé von Laherte nicht unähnlich. Wenig Dosage, etwas eng, zum Dessert schwierig, würde aber eine Nachverkostung lohnen.

XL. Cuvée Pierre-Henri, 100 PM aus dem Barrique von alten Reben (gepflanzt 1953), ohne Malo, ohne Filtration, Schönung, usw.

Röstig, Kaffeenoten, weinig, lebhafte Säure, erinnerte mich an eine sehr leichte, gereifte Cuvée des Enchanteleurs von Henriot oder an jungen Piper-Heidsieck Rare NV, nach dem Dessert aber etwas schwierig.

XLI. Brut 1990, Pinot Meunier, kleine Anteile Pinot-Noir und Chardonnay aus dem Fuder, dég. 1995,

Rund und reif, typischer Jahrgangsvertreter der gelungenen Art, hat sich blenden gut gehalten. Ganz milde Süssholznoten künden vom relativ hohen Flaschenalter, aber sonst immer noch ein Wein, der durch Ausgewogenheit, raffiniertes Spiel von Kräuteraromen, Zitrusfrüchten und warmen Croissants besticht. Lehrreich für alle, die der Vallée de la Marne und speziell der Meunier keine Reifemöglichkeiten zutrauen.

XLII. Brut 1995, ca. 50 Pinot Meunier, ca. 27 PN, ca. 23 CH, dég. 1998

Nase von Calvados, Cognac und Sheridan’s Coffee-Cream Liqueur. Crème brûlée. Im Mund auch leichtes Süssholz, aber vor allem griffige, sehr charmant gewordene Äpfelsäure und ein leicht trocknendes Tannin.

XLIII Brut 1996, ca. 50 PM, ca. 27 CH, ca. 23 PN, dég. April 2001

Verschlossenen, praktisch zugenagelte Nase. Sehr hoh, technisch wohl auch reife, aber noch viel zu junge Säure. Langläufer, toll in 20 Jahren und später.

XLIV. Brut 1997, ca. 50 PM, ca. 27 CH, ca. 23 PN, dég. Januar 2000

Im besten Sinne typischer 97er, Riesentrinkspass, Mokkanoten, sonst noch fast keine Reifenoten, im Mund genau richtig zwischen frisch und reif, etwas balsamisch, erinnert an Grafschafter Goldsaft oder Ahornsirup, Apfelscheiben mit tröpchenweise uraltem Aceto Balsamico Tradizionale di Modena, mit Milchschokolade und milbuttrigen Aromen.