Sekt, Schaumwein, Perlwein
Troost/Bach/Rhein
Ulmer, 2. A. 1995
620 Seiten
99,00 €
ISBN: 3-8001-5818-3
Es gibt Bücher, die einen besonderen Stellenwert haben. Vom Autor signierte Erstausgaben großer Klassiker zum Beispiel, möglichst bibliophil ausgestattet natürlich. Zu den Büchern mit herausgehobenem Stellenwert gehören auch Fachbücher, die sich über lange Jahre am Lehrbuchmarkt etabliert haben. Juristen werden Brox und Medicus, ältere Semester Flume rufen, aus der Medizinerecke schallt es laut Harms, Silbernagl und Pschyrembel, die Physiker pochen auf Demtröder, Bergmann/Schäfer oder Tipler. Unter den religiösen Werken sind die führenden Klassiker-Bestseller unter anderem Talmud, Koran und Bibel. Und so haben wir es hier auch mit einem Buch von ganz besonderem Wert, ja einer Art Bibel zu tun: es handelt sich um die deutschsprachige Bibel der Schaumweinbereitung.
Die – noch – aktuelle zweite Auflage aus dem Jahr 1995 (Neuauflage mit Schwerpunktbildung beim Winzersekt ist für April 2010 geplant) ist eine önologisch-technische Aufbereitung der Schaumweinherstellung, wie man sie sich umfassender und kompakter zugleich nicht wünschen kann. Es handelt sich freilich weniger um ein Wein-Lesebuch für den ambitionslosen Weinfreund, vielmehr sind einigermaßen belastbare Kenntnisse rund um die chemischen, biologischen, physikalischen und technischen Aspekte der Sekterzeugung für ein gewinnbringendes Lesevergnügen unabdingbar – und auch dann wird sich das gewichtige Werk nicht in einen Schmöker verwandeln, den man in der Grabbelkiste großer Buchhandelsketten wiederfinden könnte. Dafür bürgen bereits die Verfassernamen, große Namen der deutschen Schaumweinforschung- und Lehre. Gerhard Troost ist als uralter Geisenheimer quasi von Amts wegen bekannt, Hans-Peter Bach ist als Leiter der staatlichen Lehr- und Versuchskellerei in Trier durch seine zahlreichen, man könnte versucht sein zu sagen: zahllosen Veröffentlichungen bestens eingeführt und zusammen mit Otto Rhein, der langjähriges Mitglied im technischen Ausschuss des Sektverbands war, ein Praktiker erster Güte.
Das Lehrbuch wendet sich dementsprechend ausdrücklich an die Praktiker in den Kellern und beantwortet in glasklaren, unverquasten Ausführungen alle erdenklichen Fragen, die sich im Rahmen der Schaumweinbereitung stellen können. Nachdem gerade erst wieder ein offenbar mäßig gut recherchierter Bericht über zugesetzte Industriekohlensäure in deutschen Schaumweinen an die TV-Öffentlichkeit gelangt ist, beruhigt es sehr, über das Problem des Minderdrucks bei deutschen Markensekten in nüchternen Worten bereits bei Troost/Bach/Rhein lesen zu können.
Im Übrigen folgt das Buch einem übersichtlich gegliederten Aufbau. Es zerfällt in sechs Teile, auf die Einführung in das Thema schäumende Weine folgt bereits der umfangreiche herstellungsbezogene Teil, wiederum gefolgt von den theoretischen Grundlagen der Kohlensäurebildung und einem Teil über die Mittel zur Lenkung der Herstellung. Nach einer Vorstellung der Geräte, Maschinen und Apparate schließt das Buch mit dem sechsten Teil, der leider nur sehr knapp das Umfeld der Herstellung beleuchtet und insbesondere Abwasser/Abwasseraufbereitung, Unfallschutz und die Produktionsplanung näher erfasst. Angesichts der zahlreichen Änderungen vor allem der rechtlichen Rahmenbedingungen (man denke nur an die gemeinsame Marktordnung und die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie) und der an Fahrt aufnehmenden biodynamischen Wirtschaftsweise wäre eine vertiefte Bearbeitung dieser Themen in der Neuauflage sehr wünschenswert.
Die Ausführungen zur Cuvéebildung sind knapp, aber was soll ein Lehrbuch auch konkrete Angaben zur Zusammenstellung einer bestimmten Cuvée enthalten? So gesehen ist die Beschränkung auf die wesentlichen technischen Vorgänge völlig richtig, so mancher junge Sekterzeuger dürfte sowieso eher auf die Angaben zur kellertechnischen Stabilität angewiesen sein, als auf Dosierbeispiele fiktiver oder existierender fremder Cuvées.
Der Verfasser eines Lehrbuchs das in einem Wirtschaftsbereich angesiedelt ist, der von nationalen und europarechtlichen Vorgaben nur so strotzt, steht immer vor der Frage, ob er gerade noch ausreichend auf die gesetzlichen Grundlagen hingewiesen hat, oder ober schon damit übertreibt. Troost/Bach/Rhein haben hier ihre Hausaufgaben gemacht. Der Bezug auf Verordnungen, Richtlinien und Gesetze geschieht wohldosiert und unaufdringlich, im Gegenteil: er ist oft genug hilfreich – denn nicht selten schweigen sich andere Lehrbücher über den gesetzlichen Regelrahmen aus oder zitieren ungenau, was lästige Recherche provoziert.
Gute Hilfe bietet das Buch bei der Mengenberechnung z.B. von Dosagezucker und Schwefelgehalten, ein besonderer Schwerpunkt liegt auch bei den Ausführungen zur Tankgärung, bzw. Großraumgärverfahren; dass in der Neuauflage die Schwerpunktsetzung beim Winzersekt und damit bei der Flaschengärung erfolgen wird, ist sehr zu begrüßen. Zwar dürfte die deutsche Sektproduktion auch weiterhin mengenmäßig hauptsächlich durch Tankgärung erfolgen; aber Winzersekt erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Und mit steigendem Interesse der Verbraucher an diesem qualitativ hochwertigen Produkt dürfte auch die Nachfrage der Winzer nach entsprechender Literatur steigen. Was das für einen auf wenige tausen Exemplare begrenzten Fachbuchmarkt bedeutet, kann sich jeder leicht ausmalen.
Schon in der jetzigen Auflage nimmt übrigens die Besprechung der Verschlussarten für Schaumweinflaschen einen erfreulich großen Raum ein, allerdings dürfte angesichts der Entwicklung neuer Verschlussmethoden und der sich verschärfenden Korkproblematik in der Neuauflage noch einiges an Erkenntnissen hinzugekommen sein.
Fazit: Das Werk von Troost/Bach/Rhein kann getrost als die Bibel der Schaumweinbereitung und demnächst wohl auch der Winzersektbereitung bezeichnet werden.