Sich an der Aube nicht auszukennen, war früher keine Schande. Seit von dort immer mehr bestürzend gute Champagner kommen, die dortigen Winzer mit gehörigem Selbstbewusstsein auf den Markt drängen und von den feinsten Gaumen der Champagnerwelt nicht nur goutiert, sondern hofiert werden, ist es notwendig, sich zumindest eine grobe Vorstellung von der Gegend zu machen. Ich z.B. stelle mir die Aube immer wie ein großes 'T' vor. Der T-Balken beginnt links, d.h. im Nordwesten bei Montgueux und führt über das nahegelegene Troyes nach rechts, d.h. östlich, bis Bar-sur-Aube, unweit von Urville, dem Sitz von Champagne Drappier. In der Mitte des T-Balkens befindet sich Bar-sur-Seine und in südlicher Richtung davon liegen die mittlerweile geläufig klingenden Weiler Celles-sur-Ource, Polisot, Polisy, Buxeuil, Gyé-sur-Seine, Courteron und unweit davon, ziemlich am Ende des südlichen Ausläufers liegt das immer schon berühmte Les Riceys. Rechts und links von diesem Südausläufer liegen die uns im Folgenden interessierenden Fouchères, Avirey-Lingey, Villes-sur-Arce und das davon durch ein Hochplateau getrennte Landreville.
I. Coessens
Jérôme Coessens ist in Fouchères zu Hause, seine Trauben von bis zu über vierzig Jahre alten Pinot-Reben stehen in Villes-sur-Arce auf halber Höhe des Plateaus zwischen den Tälern von Arce und Ource. Besonderheit: Die Coessens-Champagner stammen aus einer Coessens-Monopollage, genannt "L'Argillier". Aus dem familieneigenen Weinbergsbesitz eine eigene Champagnerlinie zu kreieren, war im Jahr 2006 sein Wunsch, an dessen Umsetzung er seither beharrlich und mit viel Applaus aus der Szene arbeitet, nachdem er zuvor sieben Jahre lang für einen großen Erzeuger den Außenbetrieb geleitet hatte.
1. L'Argillier Blanc de Noirs 2008
Der 2011er Grundwein zeigte viel Stärke. Zunächst etwas stinkig, dann mit chlorierter Nase, bevor sich messerscharfe Säure in die Zunge einbrannte und alle Konzentration auf sich zog. Der fertige Champagner auf Basis des 2008ers war sdann chon sehr dicht an der reinen Pinotlehre. Schon einige Wochen vorher hatte ich diesen Champagner probiert und blind auf einen Grande Vallée de la Marne Pinot getippt.
2. L'Argillier Brut Nature
Ausdruck sehr guter Arbeit des Winzers ist es meiner Meinung nach, wenn der Brut Nature besser ist als der – wenn auch schwach – dosierte Brut. So ist es hier. Schon der Grundwein zeigte sich vollmundig, großzügig, mundweitend, mit einer bis in die letzte Zahnfleischtasche schlüpfenden Säure. Der Champagner griff das auf, fügte seine bananig-kirschige Primärfrucht hinzu und gefiel mir von den Coessens-Champagnern am besten. Nur tausend Flaschen verfügbar.
3. L'Argillier Rosé de Saignée
Harter Champagner mit alkoholischem Feuer, heiße Butter, Johannisbeerlikör, Erdbeergeist, Eau de Vie de Kirsch, meiner Meinung nach ein Champagner, der zum Essen gehört. Nur tausend Flaschen verfügbar.
4. Les Sens Boisés
Am härtesten und kantigsten war der holzvergorene und holzveredelte Sens Boisés. Für seinen langen Holzaufenthalt hat er Fenchelnoten und Anispastillengeschmack eingetauscht, Fruchtfleisch von Nashibirne und Pfirsich ist auch dabei, aber, und das ist für mich am beeindruckendsten gewesen, kein dominanter Röstton.
II. Serge Mathieu
Schwer zu machen, leicht zu trinken. Das könnte das Motto des Hauses sein und vielleicht bezieht sich die Bezeichnung "Billecart-Salmon von der Aube" auch darauf, vielleicht meint der Decanter damit aber auch nur die konzise, von Kritikern leicht als steril abzutuende Stilistik von Serge Mathieu. Auf dessen Korken steht das Degorgierdatum in der Form XX = Jahr, YY = Monat. Champagner braucht, wegen seiner ohnehin hohen biologischen Stabilität, nur relativ wenig Schwefel, besonders Marie-Courtin und Drappier sind in dieser Hinsicht Vorreiter in der Region; bei Serge Mathieu bedient man sich ebenfalls geringstmöglicher Schwefelmengen, dasselbe gilt für Filtration und könnte in höherem Maße für die Dosage gelten, die mit ca. 9,5 g/l recht fett ausfällt, ohne dass sie mich in den Champagnern allzusehr gestört hätte.
1. Cuvée Tradition Pur Pinot
100PN aus 2008, 07 und 06.
Die Pinots von Serge Mathieu gefielen mir als Grundweine wegen ihrer fröhlichen und trinkfreudigen Art, im fertigen Champagner bedinruckten sie mich am meisten in Form des Pur Pinot. Der duftete nach Orangen-Mandarinenkuchen auf Vollkorn-Mürbeteigboden und schmeckte eingängig leicht, mit sehr mäßiger Tanninhaftung am Gaumen.
2. Millesime 2005
100PN.
Süffig, mit Brombeere, Veilchen und Lavendel, gegen Ende etwas lakritzig. Bis über die Hälfte der Zunge eine schöne Aromatik und Struktur, bloß das finish stört mich, weil ich lakrtizige Noten im Champagner immer verdächtig finde, vor allem, wenn sie den Abschluss bilden. Diesen Champagnern traue ich keiner lange und elegante Reifung zu.
3. Cuvée Prestige
2/3PN 1/3CH, 2006er Basis mit Reserve aus 2005.
Schlank bis feingliedrig, aber noch nicht schwindsüchtig. Im Stil ätherischer, eleganter als der Pur Pinot und wenn er wirklich gut reifen können sollte, wahrscheinlich auf lange Sicht der besser Champagner. Das wird in den nächsten drei bis fünf Jahren noch nicht entschieden werden, da sehe ich den Pur Pinot vorn. Danach könnte die Schere dann aber zu Gunsten des Prestige aufklappen. Sicher bin ich mir dabei aber nicht, dafür kennen ich Serge Mathieu nicht gut genug.