Das Jacobs Restaurant im Hotel Louis C. Jacob ist die gute Stube der Othmarscher und Blankeneser Villenbevölkerung, vielleicht auch der 21 fleißigen Richter vom unweit gelegenen internationalen Seegerichtshof mit seinen etwas mehr als 20 Fällen, die er seit seiner Gründung im Jahr 1996 zu verhandeln hatte. Zeit genug, um in den zwangsläufig langen Pausen zwischen den Verhandlungen Leib und Seele mit guten Speisen und adäquatem Trank beisammen zu halten. Sollte sich die Richterschaft mit der Entscheidungsfindung schwertun, gebräche es im Jacob an beratenden Sommeliersfähigkeiten sicher nicht, war doch mit Lidwina Weh eine ausgewachsene Champagnerbotschafterin hier tätig und unter Markus Berlinghof hat die Champagnerauswahl an traumwandlerischer Griffsicherheit nicht nachgelassen, zudem sind die Preise erträglich. Gerade mal erträglich ist der Wellnessbereich. Buchstäblich unterirdisch ist er über den die Hoteltrakte verbindenden Tunnel – zB nach quälend langsamer Aufzugsfahrt im länger nicht überholten Hausaufzug, Baujahr 1995 – oder nach Straßenüberquerung zu erreichen. Dieser Wellnessbereich besteht eigentlich nur aus einer größeren Sprudelbadewanne, nebst kleiner Sauna, Minisolarium und Massagemöglichkeiten. Für ein Leading Hotel of the World ist das zu wenig wellness leadership. Dafür kocht in Hamburg nur noch der ebenfalls doppelbesternte Christoph Rüffer vom Haerlin und der Michelin-Einsterner Wahabi Nouri genauso gut oder besser als Thomas Martin, so die Kurzauswertung der aktuellen Restaurantführer. Viel interessanter und wichtiger als die Meinung Dritter ist mir aber in Genussfragen meine eigene Meinung. Die konnte ich mir im Zusammenspiel mit den Champagnern von Pommery bilden. Und muss gleich vorweg schicken, dass die in letzter Minute finalisierte Reihung der Pommery-Champagner doppelt und dreifach klug von Pommery-Kellermeister Thierry Gasco war.
Opener: Hechtkaviar auf Kartoffelpurée und Crisp
dazu: Pommery Brut Royal en Magnum
Zum bedenkenlosen wegnaschen waren die pralinégroßen Puréekugeln zu gross, selbst wenn ich mir noch hätte vorstellen können, den vom goldenen Hechtkaviar gekrönten Speisebrei mit dem großzügig ausgeschenkten Champagner in den Bauch hinab zu spedieren. Doch steigt bei sowas immer die Gefahr, schon gleich am Anfang die Kontrolle und Übersicht zu verlieren. Das scheint Thierry Gasco geahnt zu haben und eröffnete das Menu mit einem Paukenschlag.
I. Eismeerforelle mit Pak-Choi, Papaya und Koriander
dazu: Pommery Les Clos Pompadour en Magnum
Oft und viel zu oft erlebe ich es, dass die wichtigsten Weine eines Abends dermaßen spät serviert werden, dass eine wirkliche Wertschätzung gar nicht mehr möglich ist. Zu sattgegessen und sattgetrunken sind die Kämpen eines Mahls dann oft, haben sich ein ums andere Mal schon nachschenken lassen und kämpfen so sehr mit Atemnot, Völlegefühl und Speiseresten in den Zahnzwischenräumen, dass für den vermeintlichen Königsflight kaum noch Kapazität da ist, gustatorisch, ventral und intellektuell. Nicht so hier. Der Champagnerriese kredenzt seinen Champagnerriesen zu Beginn und eigentlich müsste man im Anschluss das Gefühl haben: das war’s jetzt kann ich ja gehen. Aber Meister Gasco, dessen Nachname sich vielleicht aus gutem Grund auf meinen Nachnamen reimt, macht es anders und viel geschickter. Der Reihe nach: wir hatten also alle diesen völlig wahnsinnigen Champagner im Glas, ein Mix aus 2002 und 2003, 75% Chardonnay, 20% Pinot Noir und, aufgemerkt, 5% Pinot Meunier. Ist der Meunieranteil nun Kampfansage, Provokation, Kellermeisterhybris, zwingende Notwendigkeit? Und was ist mit dem 2003er Jahrgangsanteil? Eine Ultraprestigecuvée im Multi-Vintage Verfahren? Wo gibt’s denn sowas? Fragen über Fragen türmen sich da unter der Schädeldecke auf und wollen von der Zunge katapultiert werden. Nur, nichts davon klappt. Der hypnotische Clos Pompadour lähmt Zunge und Fragewunsch gleichermaßen. So volumig, dicht und schwer wie die Röcke der Anna Bronski in der Blechtrommel senkt sich der Champagner nieder und bereitet den feinen Perlchen jede erdenkliche Mühe, sich an die sauerstoffhaltige Oberfläche durchzustoßen. Geschmacklich eine Essenz von Passionsfrucht und wenn Anna Bronski für eine halbe Stunde seufzt, verzückt ihre Augen verdreht und beim Herunterbeten der kaschubischen Heiligen ihre Feuerkartoffeln zu essen beinahe völlig vergisst, dann ist diese literaturnobelpreisfähige Szene eine schöne Illustration für das Vergnügen, das ich mit diesem exquisiten Startergang hatte.
II. Samtsuppe von weißen Zwiebeln mit Austernpilzen und Artischocke
dazu: Pommery Apanage Rosé en Magnum
Was macht man, wenn man einen Champagner wie den Clos Pompadour im Glas hatte, das Menu aber gerade erst begonnen hat? Man bedient sich eines schlauen Kniffs. Denn man weiß, dass die nachfolgenden Champagner es im direkten Vergleich unglaublich schwer haben werden. Deshalb eröffnet man im würdigen Gefolge der großen Strategen von Sun-Tzu bis Clausewitz und Rühle von Lilienstern einen neuen Schauplatz. Das geht mit der Zwiebelsuppe aus der Küche von Thomas Martin besonders gut, wenn man den bekanntermaßen immer sehr hell gefärbten Rosé von Pommery (Stichwort: zwiebelschalenfarben) dazu kombiniert und alle Sinne auf das erstaunliche Phänomen lenkt, wie die Zwiebelsuppe es schafft so viele reife rote Früchte aus dem Champagner herauszuzaubern. Das schafft die Suppe nämlich wirklich und mit diesem ersten Kunstgriff ist der Bann des Clos Pompadour zwar noch nicht gebrochen, aber die Aufmerksamkeit und Spannung erhalten geblieben für das, was folgt.
III. Geangelter Dorsch Finkenwerder Art mit Petersilienpurée, Kalamansi und knusprigem Schweinebauch
dazu: Pommery Grand Cru Mill. 1996 en Magnum, dég. Sommer 2013
Was passt besser zu einem reifen 96er, als krosser Schweinebauch, Speck und Zitrusfrüchte? Ich kann es nicht sagen. Die präzise, jedoch nicht schneidende Säure des Champagners, die herbe Zitrusfruchtigkeit der Kalamansi, Fett, Speck, Röstnoten und der feine, für meinen Geschmack etwas zu feine, nicht genügend Aromendruck erzeugende und dadurch leicht degradierte Fisch, ergaben einen schönen Ringelpiez. Das war außerdem der zweite Kunstgriff, nachdem Clos Pompadour und Rosé schon so früh von der Leine gelassen worden waren. Kurz vor dem Scheitelpunkt des Menus war der 96er mit seiner berühmten Säure und hier unter Beweis gestellten Langlebigkeit (Carl Johann Tesdorpf konnte das erst gar nicht fassen, hielt er doch den Jahrgang für ein rechtes Sorgenkind) ein beinahe körperlich wachrüttelnder Anschub und Schutz vor vielleicht schon einsetzender erster Müdigkeit oder beginnender Weinseligkeit.
IV. Holsteiner Rehrücken mit Wacholderrahmsauce, Hokkaidokürbis und Sellerie
dazu: Pommery Cuvée Louise 2002
Den Höhepunkt unter den Speisen bildete dann ein traumhaft zartes Reh von so köstlicher, kurzfaseriger Zartheit und Aromatik, dass ich ernstliche Zweifel bekam, ob Helmut Thieltges mit seinem maßstabsetzenden Eifeler Reh das Gebotene wirklich noch übersteigen könnte. Völlig adäquat kam die frische 2002er Louise dazu ins Glas und machte deutlich, dass sie nicht nur ein weiches, feines Getränkchen für Frauen mit schwachen Nerven ist, sondern exakt und ausdrücklich mit den anspruchsvollen Aromen eines Rehrückens so herzlich vertraut und unbeschwert agieren kann, wie miteinander befreundete Kinder. Das heißt auch, dass es nicht ganz ohne Spannungen geht, aber das heißt vor allem, dass die Kombination eine unschuldige Natürlichkeit vermittelt, die manchen Speisen-/Weinkombinationen verloren gegangen ist.
V. Passionsfrucht, Mango, Kokos
dazu: Pommery Wintertime
Zum Schluss tat sich der kräftige Pinot-Geselle – mit beachtlichen 25% Meunier – aus der Jahreszeitenserie von Pommery etwas schwer mit der sehr behende bis bedrückend stark aufspielenden Frucht-Kokos-Mischung. Der schon recht hoch dosierte Champagner mit seiner meunierbasierten Exotik, dem kräftig-weinigen Grand-Cru-Gerüst seiner Pinot Noirs und von getreuer Säure angetrieben, sehnte sich förmlich nach einem zu Hilfe eilenden Altchampagner oder einem ausgewachsenen Süßwein, doch war die Schlacht zu dieser Zeit sowieso bereits geschlagen.