Der Champagner-Fonds
Paul Grote
396 Seiten
Deutscher Taschenbuch Verlag, 1. September 2010
8,95 €
ISBN: 978-3423212373
Ich bin eigentlich kein Konsument zeitgenössischer Literatur. Mein guter belletristischer Geschmack ging vermutlich irgendwo auf halbem Weg zwischen Henry Millers "Opus Pistorum" und den Lustigen Taschenbüchern verloren, ganz genau weiss ich es selbst nicht. Die Frage, weshalb ich dann berufen sein sollte, über eine Krimineuerscheinung zu schreiben, erscheint deshalb nicht unberechtigt. Die Antwort ist jedoch aus gleich zwei Gründen einfach. Immerhin ist nämlich mein zwar nur geringer, aber in Grundzügen doch vorhandener strafrechtsdogmatischer und kriminalistischer Verstand an den (Minder-)Meinungen meiner Bonner und Münsteraner Professores geschult. Darüber hinaus handelt es sich bei dem hier zu besprechenden Werk nicht um eine beliebige Räuberpistole, sondern um einen Vertreter aus der Gattung "Weinkrimis". Genauer: es handelt sich um einen Weinkrimi, dessen Handlung champagnerzentriert ist. Das wiederum ist sozusagen der archimedische Punkt, denn auch mein Handeln ist champagnerzentriert.
Die besagte Handlung könnte nun, wie stets bei guten Krimis, zeitloser nicht sein. Es geht um Geldgier und die Macht des schönen Scheins. Deren Gewandung ist vorliegend höchst modern und wie sich der Danksagung des Autors entnehmen lässt, waren die Finanzmarktkrisen der jüngsten Vergangenheit ein ergiebiger Inspirationsquell. Daraus ergibt sich eine gegen Ende immer vertrackter werdende Komposition, die hier nur andeutungsweise ausgebreitet werden soll: der Chef des angesehenen Kölner Weingroßhändlers 'France-Import' lässt sich auf die Verstrickungen eines betrügerischen Champagner-Fonds ein. Sein Chefeinkäufer Achenbach ist zunächst ahnungslos, wittert jedoch alsbald Unrat. Er geht der Sache auf eigene Gefahr in der Champagne nach. Dabei entsteht so mancher Sach- und Vermögensschaden und es wird gestorben.
Das Lektorat war gegen den allgemeinen Trend recht gründlich, bei den französischen Akzenten hätte ich mir eine konsequentere Haltung gewünscht. Denn wer Dom Pérignon mit Akzent schreibt, sollte ihn der Rhône (S. 37), dem Pétrus (S. 91), dem Dîner (S. 196) und wunderbaren Château Les Crayères (S. 342) nicht vorenthalten. Ob die Fehler, die sich bei Ludwig XV. auf S. 105 und S. 192 eingeschlichen haben, einer allgemein antiroyalistischen Haltung geschuldet sind, vermag ich indes nicht zu beurteilen. Auf S. 112 wäre hingegen zu wünschen gewesen, dass der Falsche Mehltau, bzw. Peronospora nicht nur verstümmelt wiedergegeben worden wäre. Etwas später fällt auf, dass die Wertigkeit von Grand Crus und Premier Crus etwas verrutscht zu sein scheint (S. 180 und 238), auf S. 192 wirkt es dann schon mehr als freudianisch, wenn aus dem mittleren Namenspartner von Acker, Merrall & Condit zumindest phonetisch ein Teil von Merrill Lynch & Co. wird. Über die Art, wie in Krimis mit dem StGB und der StPO umgegangen wird, werde ich nicht richten, solange ich den Eindruck habe, dass es dramaturgisch zweckmässig und umgangssprachlich nicht zu beanstanden ist. Glücklicherweise gibt es in Grotes Krimi keinen Grund zur Beanstandung, denn es geschehen keine Patzer, die so nicht auch im täglichen Polizeigeschäft anzutreffen sind – Lob dafür!
Der Reiz dieses gut erzählten Krimis liegt, der Gattungsname deutet es an, weniger in der Ausgefeiltheit seines plots, als im Champagnerwissen, das der Autor en passant weitergibt. In dieser Technik ist er nach sechs anderen Weinkrimis meisterlich geübt und so wirken die eingeflochtenen Passagen keineswegs unnötig belehrend. Frei von Schnitzern ist das Buch trotzdem nicht. Denn auch wenn Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier die mit Abstand am weitesten in der Champagne verbreiteten Rebsorten sind, so sind sie doch entgegen der Behauptung auf S. 18 nicht die einzigen für die Champagnerherstellung zugelassenen Rebsorten. Im Gegenteil, historische und vergessen geglaubte Rebsorten wie Arbane, Petit Meslier, Pinot Gris und Pinot Blanc erleben gerade eine kleine Renaissance.
Sehr gut nachvollziehbar sind Protagonist Achenbachs Fahrten durch die Champagne, die Landschaft mit ihren Weinberghügeln, Raps- und Weizenfeldern schildert Grote mit großer Überzeugungskraft und vollkommen authentisch. Jede der Routen lässt sich nachfahren, bis hin zu den beiden Kreiseln zwischen Epernay und Pierry Richtung Côte des Blancs, an denen auch ich mich fast jedes Mal verfahre. Fixpunkte wie die Abtei von Hautvillers oder das oberhalb von Champillon gelegene Royal Champagne tauchen ebenso auf, wie das Grand Cerf in Montchenot oder das Castel Jeanson in Ay, alles Lokale, an denen man in der Champagne ständig vorbeifährt, wo sich das Geschäftsleben abspielt und wo reisende Weinhändler ihre Spesen durchbringen. Aus den Gesprächen, die der Protagonist z.B. mit Michel Drappier, Raphael Bérèche und Bruno Paillard führt wird deutlich, dass er sich zu Recherchezwecken intensiv mit der Materie auseinandergesetzt hat – was bei den drei überaus sympathischen Charismatikern übrigens nicht schwerfällt und vielmehr das reinste Vergnügen ist. Zwar habe ich Ausführungen zu sehr reifen und alten Champagnern vermisst, aber immerhin lässt Grote durchblicken, dass nicht jeder Champagner innerhalb von drei Jahren getrunken werden muss. Gleichzeitig bricht er eine Lanze für die kleinen Winzer und handwerklich arbeitenden Erzeuger, selbst wenn man Drappier und Paillard nur noch mit Mühe dazu zählen kann.
Fazit: die knapp 400 Krimiseiten sind so schnell weginhaliert wie der Inhalt einer gut gelagerten Magnum und machen genauso viel Spass.