Im Rahmen der Vinexpo luden Piper & Charles Heidsieck ins hübsche Le St. James, wo Michel Porthos (** Guide Michelin) ein abgestimmtes Mahl servierte. Ich hatte dort das Vergnügen, mich den ganzen Abend über mit Regis Camus unterhalten zu können, dem chef de cave, der so oft wie kein anderer vom Decanter zum Sparkling Winemaker of the Year gekürt wurde.
I. Kleinigkeiten und Piper-Heidsieck Brut NV
Kernig, mit frischer Säure und noch unbefleckt, will sagen ohne den herrlich schmutzig-rauchig-röstigen Kaffeeduft reifer Exemplare. Passte zu den kleinen französischen Schweinereien ganz prima und wäre ich nicht in Gesellschaft und außerdem in Erwartung des Sternemahls von Michel Portos gewesen, hätte ich mich mit einem Glaserl davon in der Hand einfach in den Außenpool des zauberhaften Hotels gelegt und die Sicht über Bordeaux genossen.
II. Gegrillte Austern, Gillardeau Speciale No. 2 und Fadennudelsuppe, dazu Piper-Heidsieck 2004
55PN 15CH 30PM
Im Jahr 2010 wurde der 2004er Piper-Heidsieck der weiteren Öffentlichkeit vorgestellt. An Deutschland ging das ziemlich vorbei. Schade, denn dieser nicht zu hoch dosierte Mix aus Erdbeer-Rhabarber, Kokos, Noisette und Toast auf steinhart-mineralischer Unterlage wäre gut geeignet, den deutschen Champagnergaumen in freundliche Aufregung zu versetzen. Insbesondere die solid jodige Mineralität und Frische des 2004er half ihm, mit den fordernden asiatischen Aromen und der pikanten, für die Weinbegleitung jedoch schwer zu meisternden Süßsauerkombination der in Vermicellisuppe badenden Auster umzugehen.
III. Tranche vom Kalb mit Mangold, Zitrone und Kapern, dazu Charles Heidsieck Blanc de Millenaires 1995, frisch dégorgiert
100CH aus Cramant, Avize, Oger, Le Mesnil-sur-Oger und Vertus, dosiert mit ca. 10 g/l
Einer der buchstäblich feinsten Prestigechampagner und einer der unbekanntesten, gemessen an der Größe der Erzeuger. Mineralisch und druckvoll, dabei mit einem süßlichen Honigthema, das die Variation von roten und gelben Früchten sehr dicht umspielt. Schaumig, crèmig, sahnig, mit einer frischen Limettennote, die den Champagner leichter wirken lässt, als er ist. Die Herausforderung Zitrone/Kaper nimmt der Millenaires mühelos an, mit dem Mangold und dem Kalb ergibt sich eine wunderbare Melange. Trotzdem bevorzuge ich ihn solo.
IV. Alter Gouda (48 Monate), dazu Piper-Heidsieck Rare 1988
65CH 35PN, dosiert mit ca. 10 g/l
Die wiederbelebten Jahrgangs-Rares von Piper-Heidsieck finden sich in letzte Zeit in immer mehr Tastings auf den vordersten Rängen. In den deutschen Weinhandlungen sucht man sie leider vergebens. Wenn man einen entweder von den alten oder gar von den neuen, mit Goldornamentik aus dem Goldschmiedeatelier Arthus-Bertrand eingefassten Rares im Glas hat, kann man sich über diese Zurückhaltung der Weinhändler nur wundern. Denn so unkompliziert, offenherzig und unprätentiös wie dieser Champagner sind nur wenige andere Cuvées derselben Preis- und Gewichtsklasse. 1988er Säure gibt hier den Ton an, schmerzt aber nicht am Gaumen. Drunter und drüber tummeln sich Feige, Rumrosine, Marillenröster, Pflaumenmus, Sauce Griottine, Champignonrahm, Trüffel, gehackte Nüsse. Trank ich sehr gern zum alten Gouda.
V. Erdbeere, Zitronencrème mit Olivenöl aus der Pipette und schwarzer Olivenbrownie, Roséchampagnersorbet, dazu Charles Heidsieck Rosé Réserve
Erdbeeren und Roséchampagner sind eine Kitschkombination erster Güte. Die meisten Menschen, die davon schwärmen, haben sie wahrscheinich selbst nicht ausprobiert oder mit anderen Champagnern als ich, oder waren währenddessen so hormonbefüllt, dass ihnen der beißende Konflikt überhaupt nicht aufgefallen ist. Ich jedenfalls kann von der Kombination Erdbeere und Roséchampagner grundsätzlich nur abraten. Um die beiden Komponenten überhaupt unter einen Hut zu bringen, muss man sich schon einiger Hilfsmittel bedienen. Sexualhormone bei den Beteiligten sind sicher eins davon. Ein anderes ist der Rückgriff auf herb-vegetabile Aromabrücken, zum Beispiel Oliven und/oder Olivenöl. Das klappte bei Michel Porthos vorzüglich. Kaum zu glauben, wie sich das Geschmackserlebnis vor und nach dem Einsatz des Olivenöls zur Erdbeer-/Zitronencrème wandelte. Der Konflikt zwischen Fruchtsüße der Speise und im Vergleich wesentlich verhaltenerer Champagnerfrucht löste sich in einem sphärischen Dreiklang auf. Nicht jedem zur Nachahmung empfohlen.
VI. Charles Heidsieck Finest Extra Quality Brut NV aus den 60ern
Als Schlussflasche konnte ich einen erstklassig gereiften, ca. fünfzig Jahre alten Charles Heidsieck in die Runde werfen, der für den englischen Markt bestimmt war und dankenswerterwiese den Weg in meinen Bestand gefunden hatte, wofür ich dem Weinforum Ruhrgebiet Dank schulde. Der alte Charles war in sehr guter Form, troff vor Karamell, Kirsche und Minze und hätte so noch immer ein feines englisches Weidelämmchen begleiten können.